Nibelungenmythos
und Stadtmarketing


von Volker Gallé

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Foto: Nibelungenmuseum ..



Wiederbelebungsversuche des Nibelungenmythos nach 1900

Dr. Bönnen hat beim 98er Symposium zur Rezeptionsgeschichte des Nibelungenliedes das Scheitern von Konrad Fischers Bemühungen um einen auf dem spätmittelalterlichen Rosengartenlied aufbauenden "Wormser Rosengarten" als einer treibenden Kraft für Stadtidentität und Stadtmarketing beschrieben. Im Grunde blieb von alledem nur das Hagendenkmal, das an den Rhein verpflanzt wurde. Warum das alles nicht geklappt hat vor 1910, das zu erforschen, wäre einmal ebenso eine Aufgabe wie das Schreiben einer Geschichte des Wormser Verkehrsvereins. An der FH könnte ja dazu mal eine Diplom-arbeit vergeben werden; mit Statistik und BWL allein nämlich kann man kein erfolgreiches Stadtmarketing betreiben.

In den 20er Jahren folgte dann die Nibelungenwoche im Sommer 1928, ausgerichtet vom Verkehrsverein. Bei Wagner-Oper und Lang-Film blieben die Besucher aus. Aus Worms selbst also waren die Besucherzahlen für solche Kulturereignisse nicht zu rekrutieren, hier stand - und da hat sich bis heute kaum etwas geändert - das Volksfest im Vordergrund. Aber es gelang offensichtlich auch nicht, Kulturtouristen nach Worms zu bringen. Da gab es komunalpolitischen Streit um die Finanzierung - alles sollte sich von Anfang an tragen; das klappt nur bei Volksfesten, nicht aber bei Kulturprogrammen (siehe das finanzielle Fiakso der ersten Bayreuther Festspiele) -, da gab es mit Fischer einen als schwierig geschilderten Ideengeber und da gab es eine Differenz zwischen dem eher konservativ-bürgerlichen Publikum der Provinz, welche das Projekt trug, und dem doch eher ironischen Stil der "Golden Twenties" in den Großstädten. Interessant ist die Kritik des Projekts, welche der Schriftsteller Peter Bender in der WVZ vom 21.6.1928 veröffentlichte: Es "wird sich jedermann außerhalb von Worms fragen, warum er ausgerechnet nach dem heutigen Worms fahren soll, um sich derartige Aufführungen mit etwas Rosen drumherum anzusehen. Etwa deshalb, weil der Nibelungendichter den Hauptschauplatz seiner Dichtung in eine Stadt namens Worms verlegt hat?...Dann müßte man auch nach Sevilla fahren, um den "Barbier von Sevilla" anzusehen oder nach Venedig zu Aufführungen des "Kaufmann von Venedig"! Oder will jemand behaupten, daß Worms wegen des Cornelianum mit dem Siegfriedbrunnen, wegen des Hagenblechdenkmals im Wäldchen und einigen Reliefs im Bahnhof in Sachen Nibelungen etwas Besonderes zu bieten hat?" Zur Verortung der Sage muß also auch die Unverwechselbarkeit der Inszenierung kommen, um Reisende zu einem Besuch am Rhein zu bewegen. Diese Überlegung wurde bei den für 2002 geplanten Nibelungen-Festspielen berücksichtigt, in dem man einen außerhalb anerkannten Autor beauftragt hat, eine Neufassung des Stoffes exklusiv für Worms zu schreiben. Die Nazis schließlich münzten Dr. Illerts Idee eines für das Reich historisch bedeutenden Worms, aus der heraus er Nibelungen-Festspiele konzipiert hatte, um in eine Propagadaveranstaltung. Die mit durchweg guten Schauspielern besetzte Hebbel-Aufführung im Festhaus wurde zum Alibi für den vielbesuchten und vielumjubelten Besuch von Goebbels im Schweißwerk 1937. Illerts Konzept war trotz geschickter Einfädelung in die NS-Ideologie ebenfalls gescheitert.

Das Nibelungenmuseum

Ein neuer, größerer Anlauf wurde erst wieder 1997/98 mit der Idee eines Nibelungen-museums gemacht. Ich will die durchaus interessante Debatte hier nicht im Detail ausbreiten, dazu reicht die Zeit nicht, aber ich will doch auf zwei wichtige Aspekte hinweisen. Da war noch im September 1999 in einem Leserbrief an die WZ zu lesen: "Ein Museum ohne Exponate? Ja, gibt es denn so etwas? Noch nicht. Aber vielleicht demnächst. Für sehr viel Geld kriegt man so etwas schon hin...Und wer nun nach dem tieferen Sinn dieses sonderbaren Unternehmens fragt, dem muß man folgendes klarmachen: Gerade das soll eben die Attraktion werden, nämlich dass - im Gegensatz zu allen anderen Museen - hier nichts zu sehen ist!" Das hört sich irgendwie gut und geschliffen an und könnte an Fastnacht auch gut als Büttenrede durchgehen, aber es ist dennoch grundfalsch. Von Anfang an war klar, dass man kein historisches, sondern ein literarisches Museum bauen wollte. Historische Aura gewinnt das Museum in erster Linie durch den Ort aus der Liedzeit, die staufische Stadtmauer, in zweiter Linie durch die Dokumentation des Nibelungenliedes z.B. das Zeigen von Faksimiles der Handschriften. Der fiktive Teil des literarischen Gegenstandes dagegen wird virtuell, bildlich und hörbar, inszeniert, wie es naturgemäß bei einer Dichtung auch nicht anders möglich ist. Literatur ist eben fiction und non-fiction gemischt, das macht ihren Reiz aus. Darüberhinaus ist im Außenbild der Sagenstadt Worms ebenfalls fiction und non-fiction gemischt. Deswegen, genau wegen dieser Mischung also insteressiert man sich für Worms. Das muss man dann auch bei der Insznierung vor Ort berücksichtigen.

Ein zweiter Punkt war, dass viele, vor allem ältere Wormser, die Stadtmauer so erhalten wissen wollten, wie sie sie von Kindheit her kannten. Dafür gibt es aber keine wissen-schaftlichen Argumente, wie manchmal behauptet wurde, denn die Stadtmauer war noch bis Anfang des 20. Jh. bebaut, ihr Freistehen war eine Inszenierung der Denkmalpflege. Aber es steckt doch in diesem Standpunkt viel Wormsgefühl, nämlich im Grunde die Trauer darüber, dass das alte "neue Worms", repräsentiert durch die schönen historistischen Bauten um 1900, 1945 zerstört durch Bomben wurde. Die Neubauten danach mit ihrem nüchternen, oft städtebaulich unangepaßten Zweckcharakter haben vielen Bürgern weniger gefallen.

Diese Trauer- und Klagestimmung ist den Wormsern aber auch zur zweiten Haut geworden und läßt Zukunftsentwicklungen oft kaum zu. Leider baut sie auf einem nur zeitlich begrenzten Stadt- und Lebensbild auf, das - sagen wir einmal - höchstens 100 Jahre alt ist und eigentlich nur für die Innenkomunikation der Stadt relevant ist, weniger oder gar nicht für die Besucher von Außen. Es kommt dazu, dass dieses Selbstbild stark negativ aufgeladen ist, nach dem pardoxen Muster: Kumm, geh fort! Übersetzt: Keiner kümmert sich um uns! Kümmert euch bloß nicht um uns!

Man wurde und hat sich in der Abkoppelung von überregionalen Netzwerken eingerichtet: Der Kontakt nach Draußen und der Anschluß an den bundes-, ja europaweiten Diskurs ist eher spärlich gepflegt worden. Wem das enge Selbstbild nicht genug war, Künstler z.B. oder künstlerisch Interessierte, zog weg oder orientierte sich außerhalb, z.B. nach Mannheim. Hier müssen die Wormser umdenken, wenn sie im Dienstleistungssektor, insbesondere im Kulturtourismus etwas erreichen wollen. Die Wünsche der Gäste müssen mit den Wünschen der Bürger koordiniert werden. Dazu brauchen die Gästewünsche überhaupt erst einmal eine Lobby, müssen erst einmal überhaupt wahrgenommen werden. Was dem Wormser nicht schmeckt, kann dem Gast sehr wohl gefallen. Wenn also Geld ausgegeben wird für Dinge, welche sich ein Bürger nicht unbedingt wünscht, muß das nicht falsch sein. Andernfalls dürfte man in Kulturtourismus als Wirtschaftsfaktor überhaupt nicht investieren, sondern könnte die Finanzierung einfach pro Kopf auf die Einwohner verteilen, zum Ausgeben: 1,2,3 wär das Geld weg, auf einmal und für immer. Ein Standort, der über 100 Jahre mit einem Arbeitsschwerpunkt auf industrieller Produktion gelebt hat, muß erst einmal umlernen in Richtung Dienstleistung. Anderes Denken müßte gerade in den Familien eingeübt werden, die traditionell im industriellen Sektor beschäftigt waren und jetzt das Gros der Arbeitslosen stellen. Kultur, Ästhetik und kaufmännisches Denken müssten volkstümlich werden.

Um einen neuen Wirtschaftssektor aufzubauen, muß also investiert werden. Zu einem erfolgreichen Stadtmarketing im Bereich Kulturtourismus mit Schwerpunkt Nibelungen gehören Höhepunkte wie das Museum und die Festspiele. Dazu gehört aber auch die Frage nach der Infrastruktur und dem Stadtbild: Wo wohnen die Gäste? Wo essen die Gäste? Wo parken die Busse? Aber auch: Wie soll die Innenstadt der Zukunft baulich aussehen? Soll sie Geschichte zitieren oder lieber nicht? Wie werden vorhandene historische Bauten behandelt und integriert? Oder kann man auf neue Fassaden weitgehend verzichten, wenn zwischen ihnen historisches Leben inszeniert wird, durch Feste, Stadtführungen per Kostüm, Aktionen am weiter zu gestaltenden Nibelungenweg, den Königinnenstreit etc. ? Wenn ja, muß auch das finanziert werden. Sinnvoll ist eine Kooperation von Ehrenamt und Profis, von bürgerschaftlichem Engagement und punktgenau abrufbarer Touristenshow. Dazu passen ebenso das geplante Nibelungen-bähnchen für den Familienausflug wie die Grundlagenarbeit in den Symposien der Nibelungenliedgesellschaft. Und all das muß - wie das gesamte Stadtmarketing - koordiniert werden. Das kostet Zeit und damit Personal. Und ohne Gespräche, Planungen, Abstimmungen, gegenseitige Information, Bürgerbeteiligung geht gar nichts.

Eine Selbstverständlichkeit ist natürlich auch die Aufrüstung der Tourist-Information, um mehr Öffnungszeiten zu bieten, mehr Kampagnen und Konzepte zu gestalten und mehr und schneller touristisches Feed-Back bearbeiten zu können. An allen zuletzt genannten, konkreten Punkten wird derzeit gearbeitet, im Grundsätzlichen aber fehlt noch der letzte Anstoß.

Jetzt lassen Sie mich zum Schluß noch einen kurzen Blick in die Zukunft werfen. Anfragen von Tourismusveranstaltern aus den USA liegen bereits vor. Hier müssen wir das wagnerianisch beeinflußte Nibelungenbild befriedigen und stückweise umdirgieren in Richtung Nibelungenlied und Worms. Japanische Gäste könnten von Heidelberg aus hergeführt werden und dann weiter zum Mittelrhein. Da die Wormser Kulisse mit beiden Orten nicht mithalten kann, könnte eine gezielte Inszenierung des Stoffes helfen, die vielleicht an der gemeinsamen Elementen der historischen Ritterkultur ansetzt und japanische Theatertraditionen wie das Maskentheater miteinbezieht. Um die Franzosen zu gewinnen, braucht es mehr Zeit. Sie fahren kaum noch an den Rhein. Vielleicht gelingt ein Umlenken durch eine stärkere Kooperation mit Burgund: eine französische Wanderausstellung zur Herkunft der Burgunder, ein französischsprachiger Rhein-Reiseführer und schließlich eine große Burgunderausstellung in Worms und Dijon.

Was die Deutschen angeht, so habe ich ja bereits ausgeführt, an welchen Szenarios europäischer Kulturgeschichte man anknüpfen kann. Das gilt natürlich ebenso für speziell deutsche Fragen, angefangen vom Mißbrauch des Stoffes in der Nazizeit bis hin zu den deutschen Selbstbildern als Barbaren, als Tiefdenker, als Romantiker. Um weitere Inszenierungen des Nibelungenthemas in Worms, ob museal, theatralisch, touristisch, folkloristisch oder wissenschaftlich ist mir vom Stoff her jedenfalls nicht bange.
In den 20er Jahren folgte dann die Nibelungenwoche im Sommer 1928, ausgerichtet vom Verkehrsverein. Bei Wagner-Oper und Lang-Film blieben die Besucher aus. Aus Worms selbst also waren die Besucherzahlen für solche Kulturereignisse nicht zu rekrutieren, hier stand - und da hat sich bis heute kaum etwas geändert - das Volksfest im Vordergrund. Aber es gelang offensichtlich auch nicht, Kulturtouristen nach Worms zu bringen. Da gab es komunalpolitischen Streit um die Finanzierung - alles sollte sich von Anfang an tragen; das klappt nur bei Volksfesten, nicht aber bei Kulturprogrammen (siehe das finanzielle Fiakso der ersten Bayreuther Festspiele) -, da gab es mit Fischer einen als schwierig geschilderten Ideengeber und da gab es eine Differenz zwischen dem eher konservativ-bürgerlichen Publikum der Provinz, welche das Projekt trug, und dem doch eher ironischen Stil der "Golden Twenties" in den Großstädten. Interessant ist die Kritik des Projekts, welche der Schriftsteller Peter Bender in der WVZ vom 21.6.1928 veröffentlichte: Es "wird sich jedermann außerhalb von Worms fragen, warum er ausgerechnet nach dem heutigen Worms fahren soll, um sich derartige Aufführungen mit etwas Rosen drumherum anzusehen. Etwa deshalb, weil der Nibelungendichter den Hauptschauplatz seiner Dichtung in eine Stadt namens Worms verlegt hat?...Dann müßte man auch nach Sevilla fahren, um den "Barbier von Sevilla" anzusehen oder nach Venedig zu Aufführungen des "Kaufmann von Venedig"! Oder will jemand behaupten, daß Worms wegen des Cornelianum mit dem Siegfriedbrunnen, wegen des Hagenblechdenkmals im Wäldchen und einigen Reliefs im Bahnhof in Sachen Nibelungen etwas Besonderes zu bieten hat?" Zur Verortung der Sage muß also auch die Unverwechselbarkeit der Inszenierung kommen, um Reisende zu einem Besuch am Rhein zu bewegen. Diese Überlegung wurde bei den für 2002 geplanten Nibelungen-Festspielen berücksichtigt, in dem man einen außerhalb anerkannten Autor beauftragt hat, eine Neufassung des Stoffes exklusiv für Worms zu schreiben. Die Nazis schließlich münzten Dr. Illerts Idee eines für das Reich historisch bedeutenden Worms, aus der heraus er Nibelungen-Festspiele konzipiert hatte, um in eine Propagadaveranstaltung. Die mit durchweg guten Schauspielern besetzte Hebbel-Aufführung im Festhaus wurde zum Alibi für den vielbesuchten und vielumjubelten Besuch von Goebbels im Schweißwerk 1937. Illerts Konzept war trotz geschickter Einfädelung in die NS-Ideologie ebenfalls gescheitert.

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