Antike Motive
der Nibelungensage


Ein Vortrag von Eichfelder

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Füssli und Bodmer, J.H. Füssli, 1781 ..



Im Sommer 1755 wurde die erste Handschrift des Nibelungenlieds wiederentdeckt. Johann Jacob Bodmer, (Bild oben: Im Gespräch mit dem Maler Johann Heinrich Füssli, zwischen ihnen eine Büste des Homer) proklamierte nach seiner ersten Auseinandersetzung mit dem Werk das Nibelungenlied als eine "Deutsche Ilias".
Bodmers gewagter Vergleich mit Homers Meisterwerk ebnete dem Nibelungenlied nach anfänglichen Schwierigkeiten den Weg zu dem „deutschen Nationalepos“.

Ein Epos ist eine Erzählung bzw. ein Gedicht, es gilt als die älteste literarische Großgattung in der europäischen Dichtung. Von dem deutlich jüngeren Roman unterscheidet es sich durch eine versgebundene Sprache. Darüber hinaus liegt dem Epos in der Regel ein bedeutendes historisches Ereignis zugrunde, welches – wie der Name schon sagt – in „epischer Breite“ beschrieben wird.
Die Wurzeln eines Epos reichen - auf Grund seiner Verpflichtung gegenüber der mündlichen Überlieferung - oftmals weit über die eigentliche Entstehungsgeschichte des Werkes hinaus.
Diese Definition trifft in gleichem Maße auf die homerschen Epen, wie auch auf das 2000 Jahre jüngere Nibelungenlied zu.
Obwohl wir den anonymen Dichter des Nibelungenliedes kaum an der Genialität eines Homers messen können, wissen wir doch, dass er für seine Zeit ein überaus belesener und gebildeter Mann war.
Er kannte z.B. den Waltarius, den er im Nibelungenlied gleich dreimal zitiert, den Ruodlieb, das Rolandslied, den Mainet, die Troubadourlyrik, die zeitgenössische französische Dichtung (insbesondere schöpft er hier aus dem Reinaut de Montaban), König Rother war ihm ebenso ein Begriff wie Veldekes Eneit und viele weitere Quellen.
Dass er in der antiken Literatur ebenfalls gut bewandert war, dürfen wir voraussetzen, selbst wenn es aus dem Nibelungenlied nicht unmittelbar ersichtlich ist, da er sich kaum antiker Topoi bediente.

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Eines der wenigen Beispiele hierfür ist der Jaspis am Knauf von Siegfrieds Schwert. Der Stein wird (übrigens in allen überlieferten Handschriften) im Rahmen einer sehr bekannten Szene am Etzelhof erwähnt, als Kriemhild Siegfrieds Schwert an Hagen erkannte:
„Eine lichte Waffe, aus deren Knaufe schien - Mit hellem Glanz ein Jaspis, grüner als das Gras.“


Kriemhild begegnet Hagen am Etzelhof
Zeichnung von Stassen, 1929


Dieses mit einem Jaspis bekrönte Schwert Balmung könnte eine Entlehnung aus Vergils Äneas sein. Äneas, (auf den wir später noch näher eingehen werden) „trug ein Schwert, von gelblichem Jaspis blitzend bestirnt“. Er war der letzte Prinz aus dem Hause Trojas und steht am Beginn einer sagenhaften Genealogie, in die sich u.a. auch Julius Caesar und Karl der Große einreihen sollten.
In diesem Zusammenhang ist es auch äußerst interessant auf Hagen von Tronje hinzuweisen, der im Waltarius noch als Hagen von Troja bezeichnet wird. Der düstere Held beansprucht für sich die „trojanische Abstammung“ mit der gleichen Selbstverständlichkeit, wie jenes Schwert mit dem Jaspis.
Ob der Dichter des Nibelungenliedes in dieser Szene bewusst auf das Schwert des Äneas anspielt, muss natürlich offen bleiben.
Mit anderen Motiven aus dem antiken Sagenkreis, die uns hinsichtlich des Nibelungenliedes verdächtig bekannt vorkommen, verhält es sich kaum anders.

Ein weiteres Beispiel ist die Tarnkappe. Sie begegnet uns gleich zu Beginn unserer Reise durch die antike Sagenwelt.

Es handelt sich um einen Helm der seinen Träger unsichtbar macht. Er wurde von den Zyklopen für Hades, den Gott der Unterwelt erschaffen und wird deshalb auch als „Hadeskappe“ bezeichnet.
Eine andere Tarnkappe oder vielmehr ein Tarnmantel begegnet uns in der Geschichte von Perseus. Der Held bekam ihn von den Nymphen geschenkt, bevor er sich zu Medusa begab, um ihr das Haupt abzuschlagen.

Perseus im Kampf mit der Medusa
Gemälde von Maffei, 1650

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Aus der Edda (bzw. der älteren nordischen Nibelungen-Überlieferung) kennen wir den Schreckenshelm (der Helm Oegishalmr), dabei handelt es sich jedoch nur um eine Art Tarnkappe, die vielmehr dazu diente das Aussehen seines Trägers auf das Schrecklichste zu verändern.
Aus dem Kontext heraus lässt sich hinter diesem Helm vielmehr eine Maskierung vermuten, die den Träger (in diesem Fall Fafnir) in einen Drachen verwandelte.
Nachdem Sigurd den Fafnir erschlagen hatte, wurde er selbst zum neuen Besitzer des Schreckenshelms.
Zu diesem Zeitpunkt der Überlieferung ist die „Tarnkappe“ noch ein eigenständiges Motiv in der Nibelungensage, die zur Verwandlung dient, aber noch nicht unsichtbar macht. (Ähnlich verhält es sich bei Finn mac Cumhals Tarnkappe, einem Held der irischen Sagenwelt. Sie verwandelt ihren Träger wahlweise in einen Hirsch, Hund oder Mensch).

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Im Nibelungenlied errang Siegfried die Tarnkappe von Alberich. In ihrer Funktion entspricht sie vielmehr dem klassischen Tarnmantel des Perseus, als dem wohl für die Nibelungensage ursprünglicheren Schreckens-Helm des Fafnir.

Siegfried unter der Tarnkappe
Brautwerbung auf Isenstein, Joseph Sattler, 1904

Ob der Dichter des Nibelungenliedes die Veränderung selbst herbeigeführt hat, um auf diese Weise den Betrug bei der Brautwerbung eleganter beschreiben zu können oder ob es bereits eine derartige mündliche Überlieferungstradition gab, lässt sich nicht bestimmen.

Bleiben wir noch einen Augenblick in der „göttlichen“ Sphäre der Antike und richten unsere Aufmerksamkeit auf Apoll, den Sohn des Zeus.
Der lichte Apoll gilt als einer der ältesten Drachenkämpfer, er erschlug den Python-Drachen und übernahm daraufhin das Heiligtum in Delphi. Die eigentliche Heimat Apolls aber war das sagenhafte Land der Hyperboräer (das Land jenseits des Nordwinds), über deren Gold wachte.
Mit dem sonnenhaften Drachentöter könnten wir eine vage Brücke zu Sigurd/Siegfried schlagen, aber diese Parallele ist durch ein sowohl den germanischen als auch den griechischen Sagen zugrunde liegendes indoeuropäisches Mythenschema bedingt, welches wir in den Grundstrukturen fast aller europäischen Mythen wieder finden können.

Kaum anders verhält es sich bei Apolls mythischer Zwillingsschwester Artemis, die gegenüber der walkürenhaften Brünhild gewisse Ähnlichkeiten aufweist.
Artemis wurde von den Amazonen als Mondgöttin verehrt. Auf der einen Seite brachte sie Fülle und Fruchtbarkeit über das Land, aber ebenso Tod und Grausamkeit (Man nannte sie auch die „Schlächterin“).

Artemis erlegt Aktaion
Attische Vasenmalerei, um 475 v. Chr.

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Um sie zu besänftigen wurden ihr Männer geopfert (in späterer Zeit geschah dies nur noch symbolisch).
Ihre Begegnungen mit dem anderen Geschlecht verliefen (zumindest für das andere Geschlecht) eher tragisch.

Am bekanntesten ist die Geschichte des Aktaion, der Artemis dummerweise nackt beim Baden sah und durch den Zorn der Göttin in einen Hirsch verwandelt wurde, daraufhin jagte Artemis den Hirsch Aktaion und tötete ihn mit einem Pfeilschuss.
Die Tatsache, dass diese Geschichte in der Antike von maskierten Artemis-Priesterinnen und einem als Hirsch verkleideten Mann als Kultspiel gepflegt wurde lässt vermuten, dass es sich hierbei um Reminiszenzen an ein vergangenes Sakralkönigtum handelt - wobei dem Sakralkönig in solchen Fällen selten ein langes Leben beschieden war.

Die Nähe zum Hirsch ist bei dem Siegfried/Sigurd der Nibelungensage immanent. In der Völsungensaga träumt Gudrun (äquivalent zu Kriemhilds Falkentraum im Nibelungenlied) einen Hirschtraum:
„Es träumte mir, dass wir sahen einen stattlichen Hirsch,
der überragte weit andere Tiere; sein Fell war von Golde –
wir wollten alle das Tier fangen, aber ich allein erreichte es;
da erschossest du (Brynhild) das Tier mir vor dem Schoß.“

Der Dichter des Nibelungenliedes hat auf diese – zu seiner Zeit wohl sehr altertümlich anmutende Hirschtradition – verzichtet, dennoch lässt sich auch für Siegfried ein kultisches Tötungsspiel ähnlich dem Artemis-Aktaion-Spiel nachweisen. Verweis auf www.eichfelder.de (Tötungsspiele).

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Mit dem nächsten Beispiel verlassen wir den Olymp und begeben uns nach Mykene. Diese Maske kennen viele unter Ihnen als die des Agamemnon (des Anführers der Griechen gegen Troja), ein gutes Jahrhundert nach Schliemann schreibt man sie heute aber zumindest seinem Vater Atreus zu, dessen Geschichte ich hier grob umreißen möchte:

Maske des Atreus
(Mykene, etwa 16. Jh. v Chr.)

Atreus war König von Mykene, sein Bruder Thyestes begehrte sowohl den Thron als auch Aërope, die Frau des Atreus. Eine List Aëropes verhalf Thyestes zum Sieg, doch ein Gottesurteil zwang den verräterischen Bruder schon bald in die Verbannung.
Als der rehabilitierte Atreus vom Ehebruch seiner Gattin erfuhr, schmiedete er den wohl perfidesten Racheplan der griechischen Mythologie. Er tötete er die Söhne des seines Bruders, kochte sie und lud Thyestes zu einem Gastmahl ein, bei dem er ihm seine eigenen Söhne zu essen gab um ihm danach stolz deren Köpfe, Hände und Füße, die er beiseite gelegt hatte, zu präsentieren.

Dieses so genannte Atreus-Mahl findet nach Meinung mancher Forscher seinen Widerhall im alten Atlilied. Das Atlilied wurde etwa um 870 gedichtet also gut 300 Jahre vor dem Nibelungenlied.
In beiden Liedern ist der Hunnenkönig Atli bzw. Etzel mit Gudrun bzw. Kriemhild verheiratet. Auch hier erleben die Niflungen bzw. die Nibelungen ihr Armageddon, nur unter anderen Vorzeichen.

Von der Gier nach dem Niflungen-Gold getrieben lud der Hunnenkönig des Atliliedes seine Schwäger vom Rhein ein und tötete sie, allerdings ohne in den Besitz des erhofften Schatzes zu kommen.
Gudrun rächte ihre Brüder, indem sie ihre und Atlis beiden Kinder schlachtete und dem Hunnen mit Honig gesüßt zu essen gab. Dann erstach sie den betrunkenen König im Bett und zündete den Palast an.

„Du hast deiner Söhne, Schwerterverteiler, Blutige Herzen mit Honig gegessen.
Ich meinte, Mutiger, Menschenbraten liebtest du zu essen und zum Ehrensitz zu senden.“

Diese Version ist weitaus grausamer als die mögliche antike Vorlage, denn hier ist es die Mutter, die ihre eigenen Kinder tötet, verstümmelt und als Mahl serviert.

Analog der älteren Vorstufe opfert Kriemhild auch im Nibelungenlied ihren und Etzels Sohn Ortlieb für ihre Rachepläne. Nur das Ziel und die Ursache ihrer Rache haben sich verändert.
Während sie im alten Atlilied den Hunnenkönig tötete, um ihre Brüder zu rächen, tötete sie im Nibelungenlied ihre Brüder, um Siegfried zu rächen.


Hagen tötet Ortlieb, den Hunnenprinz
Zeichnung von Schnorr von Carolsfeld, 1843

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Um ihre Rache zu vollziehen ließ sie zuerst ein paar Tausend Ritter der Burgunder erschlagen. Als Hagen von dem Gemetzel erfuhr, reagierte er wie es Kriemhild erwartet hatte, er tötete Ortlieb und besiegelte damit seinen eigenen Tod.

„Der junge Hunnenkönig, der muss hier der Erste sein.
Ortlieb das Kind erschlug da Hagen der Degen gut,
Dass ihm vom Schwerte zur Hand strömte das Blut,
Und dass das Haupt des Kindes Kriemhild sprang in den Schoß.
Da erhob sich unter den Hunnen ein Morden, grimmig und groß.“

Die antike Sagenwelt kennt eine Frau, die in ihrer erbarmungslosen Rache der von Kriemhild bzw. Gudrun in nichts nachsteht. Es handelt sich dabei um Medea, sie wurde schon oft mit Kriemhild verglichen.

Den Parallelen dieser beiden Frauen war im Rahmen dieser Veranstaltung ein eigener Vortrag gewidmet mit dem Untertitel „Rückfall in die Barbarei“.

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Medea, die zauberkundige Tochter des Königs Aietes von Kolchis, verliebte sich in Iason, der nach Kolchis kam, um das von einem Drachen bewachte Goldene Vlies zu holen. Medea verhalf Iason gegen den Willen ihres Vaters zum Vlies und anschließend zur Flucht. Iason versprach ihr im Gegenzug ewige Treue.

Iason (Jason) tötet den Drachen
und erlangt das "Goldene Vlies"
The British Library Board

Medeas Vater und Bruder nahmen sofort die Verfolgung auf. Durch eine List gelang es Medea ihren Bruder zu töten, sie zerstückelte die Leiche und zerstreute die Teile. Während der Vater die sterblichen Überreste einsammelte, konnten Medea und der entsetzte Iason entkommen.
Den heimischen Widersacher Iasons beseitigte Medea, indem sie dessen Töchtern riet, wie sie ihren Vater verjüngen könnten. Das Rezept war recht einfach: Sie sollten ihn im Schlaf töten, dann zerstückeln und mit ein paar Kräutern kochen. Die Töchter folgten unglücklicherweise dem Rat der Medea und in Folge dessen mussten Medea und der zunehmend deprimierte Iason erneut fliehen. Nach einigen Jahren verließ Iason Medea um die Tochter des Königs von Korinth zu heiraten.

Medea schickte ein vergiftetes Hochzeitskleid, indem die Braut schließlich verbrannte, darüber hinaus tötete sie auf grausame Art ihre und Iasons Kinder, damit jener keine Nachkommen mehr haben sollte.
Medea wird in der antiken Literatur überaus erbarmungslos dargestellt und diese Tradition hat das Mittelalter (wie man an dieser Illustration sehr schön sehen kann) auch bewahrt.

Medea in ihrem Drachenwagen schlachtet ihre Kinder
The British Library Board

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Neben dem allgemeinen Mythenschema der Medea-Geschichte (Drachenkampf und Jungfrau-Gewinnung), beschränken sich die Parallelen zum Sagenkreis der Nibelungen allerdings auf das Töten der Kinder, motiviert durch die Rachsucht ihrer Mutter.
Ob die entsprechenden Szenen an Etzels Hof letztendlich irgendwann durch Medea inspiriert wurden, lässt sich natürlich nicht sagen. Insbesondere, wenn man bedenkt, wie grausam-inspirativ die zeitgenössischen Fürstenhäuser selbst sein konnten.

Deutliche Parallelen zur Antike werden augenfällig, wenn wir uns der Wielandsage zuwenden.
Wieland, der nur indirekt zum Sagenkreis der Nibelungen gehört, ist neben Regin (Mime) der bekannteste Schmied der germanischen Sage. Seine Geschichte ist unter anderem in der Edda, der Völsungensaga und der Thidreksaga überliefert. In England ist er als Wayland bekannt und bei den romanischen Völkern als Galland.

Wieland wurde an den königlichen Hof verschleppt. Dort durchtrennte man ihm die Sehnen, so dass der nun verkrüppelte Schmied dem König dienen und ihm kunstreiche Schätze anfertigen musste.
Wielands Bruder erlegte er für Wieland Vögel, aus deren Federn der Schmied sich Flügel machen konnte, mit denen er später entkam. Zuvor aber lockte er die Söhne des Königs zu sich und tötete sie.
Aus ihren Körperteilen stellte er Schmuck für den König und die Königin her.

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Viele Elemente dieser Geschichte sind bereits aus der Antike bekannt. Als Hinkender erinnert er an den griechischen Hephaistos und den römischen Vulcanus. Vor allen anderen aber ist er dem griechischen Daidalos, dem Erbauer des sagenhaften Labyrinthes auf Kreta vergleichbar.

Ikaros stürzt
Gemälde von Saraceni, um 1600

Daidalos fiel beim König in Ungnade und wurde eingesperrt, daraufhin konstruierte der Meisterschmied (ebenso wie später Wieland) Flügel aus Federn und Wachs, mit denen Vater und Sohn in die Freiheit flog. Ikaros aber stürzte ab, weil er der Sonne zu nah kam.
Ganz im Gegensatz zu den bisher vorgestellten Beispielen können wir hier mit großer Wahrscheinlichkeit von einer direkten Motivübertragung aus der Antike ausgehen.

Sollte der Nibelungenlied-Dichter einen antiken Helden im Auge gehabt haben, der manchmal für Siegfried hätte Modell stehen können, dann wäre dies sicherlich Theseus gewesen.
Als junger Prinz und bereits hoch gelobter Held kam er nach Athen um sein Erbe anzutreten. Zu jener Zeit war Athen König Minos von Kreta einen alljährlichen Tribut von je sieben Jünglingen und Jungfrauen als Menschenopfer für den Minotaurus schuldig.
Theseus bot sich sofort als Opfer an. Das Schiff segelte mit schwarzen Segeln nach Knossos, sollte die Mission erfolgreich sein, versprachen sie mit einem weißen Segel heimzukehren, auf dass man schon von weitem erkenne, welches Schicksal dem Helden widerfahren sei.

Mit Hilfe der minoischen Königstochter Ariadne, die sich sofort in Theseus verliebte, gelang es dem Held den Minotauros zu töten, das Labyrinth zu verlassen und gemeinsam zu fliehen. (Verbindungen zu den sog. Troja-Labyrinthen siehe: www.eichfelder.de (Labyrinthe))
Auf der Insel Naxos allerdings ließ Theseus Ariadne (angeblich auf Befehl des Dionysos) zurück.

Theseus besiegt den Minotaurus
Römisches Mosaik, Rhaetia, Schweiz

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Vor der Weiterfahrt wurde vergessen, das Segel zu tauschen, mit dem Resultat, dass sich der Onkel und residierende König von Athen vor Gram über den vermeintlichen Verlust des Theseus vom Felsen ins Meer stürzte. Daraufhin wurde Theseus König von Athen (etwa im 17. Jh. v. Chr.).
Ein anderes Abenteuer führte Theseus zum Zug gegen die Amazonen. Eine weitere „gefährliche Brautfahrt“ in dessen Verlauf er die Königin der Amazonen gewann und nach Athen führte.


Die Geschichte des Theseus fand im Mittelalter einen enormen Zuspruch, der antike Held war quasi allgegenwärtig.
Die Erzählung von Tristan und Isolde hat deutliche Elemente dieses Theseus-Mythos in sich aufgenommen. Neben dem beiden gemeinsamen Mythenschema (Kampf mit dem Untier, Gewinnung der Frau) begegnen wir bei Tristan und Isolde einer sehr ähnlich gearteten Tributpflicht und (überdeutlich) der Geschichte mit dem schwarzen und dem weißen Segel - in modifizierter Form.
Derartige Übernahmen, quasi antike Zitate bzw. Topoi, kennt das Nibelungenlied nicht.

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Herakles ist einer der griechischen Helden schlechthin, er hat derartig viele Ungeheuer besiegt und andere Heldentaten vollbracht wie kein anderer, er ist so etwas wie Siegfried in groß.
Herakles besiegte den Drachen Ladon, der die goldenen Äpfel im Garten der Göttermutter Hera bewachte und das Meerungeheuer Ketos vor der Küste Trojas um Hesione zu befreien.

Herkules
Gemälde von Pollaiuolo, 15. Jh., Florenz

Letztere Geschichte findet sich abgewandelt in der mittelalterlichen Georgslegende wieder. Auf die mittelalterliche Siegfriedsage hatten die Drachenkämpfe der Antike keinen nennenswerten Einfluss, dies sollte sich erst im Laufe der Renaissance ändern.

In der Ikonographie jedoch sind die beiden Helden oftmals kaum zu unterscheiden. Insbesondere, wenn Siegfried ähnliche Taten vollbringt wie sein großes Vorbild.
Um solche Bilder heraufzubeschwören, kann man offenbar als mittelhochdeutscher Epiker auch mal ein Auge zudrücken und Siegfried im Odenwald gegen Löwen kämpfen lassen, die dort zur Zeit des Dichters genauso selten waren wie heute.

Diese Abbildung zeigt eine anmutige Szenerie, aber der Schein trügt: Sie sehen die drei Göttinnen Athene, Hera und Aphrodite. Diese drei waren zuvor auf einer Hochzeit zu der auch alle anderen eingeladen waren, bis auf Eris, die Göttin der Zwietracht.
Für gute Kenner des Dornröschen-Märchens ist es nicht weiter überraschend, dass Eris dennoch erschien.

Das Paris-Urteil
Gemälde von Hendrick von Balen, 1599

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Sie hatte einen goldenen Apfel als Gastgeschenk dabei und warf ihn unter die Göttinnen. Aufgrund der Inschrift „Für die Schönste“ begannen sich Hera, Aphrodite und Athene um den Apfel zu streiten (daher der Zankapfel). Zum Schlichter des Streits wurde Paris ausgewählt (sie sehen ihn links im Bild). Paris entschied sich für Aphrodite, die Göttin der Schönheit, denn sie hatte ihm im Gegenzug die schönste Frau der Welt versprochen – Helena. Helena war allerdings bereits die Frau von Menelaos, des Königs von Sparta. Paris entführt Helena - die sich sofort in ihn verliebte - nach Troja.

Damit begann die Geschichte vom Trojanischen Krieg. Die Griechen zogen vereint gegen Troja. Trotz zehnjähriger Belagerung gelang es jedoch nicht, die stark befestigte Stadt zu erobern. Erst die List mit dem hölzernen Pferd ermöglicht es den Griechen die Stadt Troja einzunehmen.
Wie im Nibelungenlied verursacht auch hier eine zarte Liebe das allergrößte Leid. Allerdings lässt sich die eher schüchterne Helena keinesfalls mit der rachsüchtigen Kriemhild des Nibelungenliedes vergleichen.

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Äußerst interessant im Hinblick auf unser Thema hingegen ist Achill, weniger seine glänzenden Erfolge im Kampf als vielmehr der Augenblick seines Todes. Achill der über Alle und alles Erstrahlende, der mächtigste Kämpfer der Griechen, er war nämlich unverwundbar, eigentlich. Paris trifft Achill mit einem Pfeilschuss genau an der einzig verwundbaren Stelle, der Ferse (der Achilisverse um genau zu sein) und tötet ihn damit.

Der sterbende Achill
Skulptur von Veyrier, 1683

Die ältere nordische Überlieferung des Nibelungenstoffs kennt die Unverwundbarkeit nicht. Dort wurde das Drachenblut getrunken, um die Vogelsprache zu verstehen. Es gab Niemand, der Sigurd den Tipp gegeben hätte sich damit einzureiben.
Dennoch ist die Unverwundbarkeit Siegfrieds keine Innovation des Nibelungenlied-Dichters, denn im deutschen Sprachraum war das Motiv der Hornhaut schon vor der Dichtung des Nibelungenliedes bekannt.
Möglicherweise wurde die Vorstellung dieser bedingten Unverwundbarkeit Achills auf Siegfried übertragen, denn sterben können musste Siegfried nach wie vor.

Der Trojanische Krieg ist nicht nur ein zentrales Element der griechischen Mythologie, sondern auch eines der fundamentalen Ereignisse unserer kulturgeschichtlichen Entwicklung, denn letztendlich sind wir alle Trojaner, zumindest könnte man das glauben, wenn wir uns mittelalterliche Genealogien und Herkunftssagen anschauen.

Äneas, der letzte Überlebende des trojanischen Herrscherhauses, schart die entkommenen Trojaner um sich und begibt sich mit ihnen auf die Suche nach einer neuen Heimat. Sein Sohn Julus, auf den sich die Julier bis hin zu Julius Cäsar berufen, gründet schließlich Alba Longa, die Stadt aus der Rom hervorgehen sollte.

Aeneas und die Seinen fliehen aus Troja
Gemälde von Elsheimer, um 1600

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Neben Äneas sind nach frühmittelalterlicher Geschichtsschreibung (Fredegar-Chronik, um 660) noch zwei weitere Flüchtlings-Gruppen aufgebrochen, eine von ihnen kam bis an den Rhein.
Dort haben sie der Sage nach eine Stadt nach dem Vorbild Trojas errichtet, die jedoch unvollendet geblieben ist. Nach den Ruinen dieser Stadt hat man vergeblich gesucht und dennoch glauben viele sie gefunden zu haben.
Kaiser Trajan gründete am Niederrhein die nach ihm benannte Stadt Colonia Ulpia Traiana, im Mittelalter bezeichnete man diese Stadt auch als Troia Minor (Klein-Troja) bzw. Troia Francorum (fränkisches Troja), gemeint ist Xanten. Bereits das Annolied beschreibt die Stadt um 1100 (fälschlich) als trojanische (und nicht als trajanische) Gründung.


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Hier schließt sich der Kreis, denn Xanten ist, wie Sie alle wissen, die Heimat Siegfrieds.
Dies ist sehr wahrscheinlich eine Neuerung des Nibelungenlied-Dichters, denn die beiden Erwähnungen von Xanten im Nibelungenlied sind bis dato die Einzigen ihrer Art in der gesamten Überlieferungstradition der Sagenkomplexe um den sonst heimatlosen Siegfried.

Xanten, Ruinen des Hafentempels
Foto: Hans van Reenen

Es gibt keinen uns plausiblen Grund, der den Dichter dazu motiviert haben könnte ausgerechnet Xanten zur Heimat Siegfrieds zu machen, aber möglicherweise dachte er hierbei an die zu seiner Zeit so wichtige trojanische Abstammung seines Helden, dem er schließlich auch ein Schwert gab, welches dem des Äneas auffallend ähnlich war.