Nibelungen-
Darstellungen
in der Nationalgalerie Berlin und am Potsdamer Marmorpalais


Ein Vortrag von Gernot Schnellbacher

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Hagen versenkt den Nibelungenhort, Peter v. Cornelius, 1859 ..



Lassen Sie mich Ihnen zunächst beschreiben, wie ich zum Thema des heutigen Vortrags gekommen bin. Es ist zum Teil die Folge einer Werbung für die Nibelungenfestspiele der Stadt Worms. Meine Frau und ich radelten 2006 von Potsdam in Richtung Berlin. Als meine Frau unterwegs bei einer Einkehr am Neuen Garten den Wirt mit einem Flyer zu den Nibelungenfestspielen einlud, macht der uns auf die Nibelungendarstellungen am benachbarten Marmorpalais aufmerksam, von denen wir zuvor noch nie gehört hatten. Diesen Bildern gilt der erste Teil meines Vortrags. Sie sehen hier das Potsdamer Marmorpalais von der Gartenseite:

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Das zweigeschossige Backsteingebäude mit aufgesetztem Rundtempel wurde Ende des 18. Jahrhunderts vom preußischen König Friedrich-Wilhelm II. im frühklassizistischen Stil errichtet, u. a. durch Carl Gotthard Langhans, der auch das Brandenburger Tor erbaute. Die beiden Flügel mit Kolonnaden – d.h.Säulen – rechts und links sind Anbauten, die König Friedrich-Wilhelm IV. in den vierziger Jahren des 19. Jahrhunderts errichten ließ nach Entwürfen zweier Männer namens Ludwig Ferdinand Hesse und Ludwig Persius.

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Hinter den Säulen – zwischen und über den Fenstern – befinden sich viele Fresken mit Motiven aus der Nibelungensage, gestaltet von den Malern Carl Wilhelm Kolbe, Karl Lombeck und Ossowski (letzterer hat mit dem Wormser Künstler und Nibelungenfreund Eichfelder den fehlenden Vornamen gemeinsam). Die Handlung beginnt vorn links mit den Burgunden am Rhein und führt weiter bis zum Untergang der Nibelungen an der Donau auf die rechte Seite.

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Über die Vielzahl der Motive will ich im Folgenden mit ausgesuchten Beispielen informieren. Den Anfang machen Dankrat, auch Gibich genannt (rechts), und Ute (mitte-rechts), die Eltern von König Gunter (mitte-links) und seiner Schwester Kriemhild, die hier sehr sittsam dargestellt ist im Vergleich zu einem späteren Bild als Gattin Etzels, das sie leidenschaftlicher zeigt (links).

Unter den Köpfen befinden sich – weniger auffallend - Szenen aus dem Leben dieser Personen und allegorische Darstellungen, so hier bei Kriemhild.

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die Allegorie der Liebe zwischen dem Streit der Königinnen und Kriemhilds Klage über Siegfrieds Tod. Der Streit – noch einmal im Detail – wird hier bei Fackelschein ausgetragen (oben).

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Unter dem Portrait von Siegfried (links), der hier sein Schwert Balmung hält, kann man seine Ermordung durch Hagen sehen (mitte). Hagen (rechts) ist an seinem Helm auch auf anderen Bildern erkennbar.

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Zu Hagen gehört die Versenkung des Nibelungenhortes (links) die Wegnahme der Kleider der Donaunixen, die den Untergang der Nibelungen voraussagen (rechts). Die Maske am unteren Bildrand soll Hagens List oder Falschheit zum Ausdruck bringen, wie es in einer Beschreibung heißt.

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Zu Brunhilde (links), die wir hier sehen, gehört ihr Zweikampf mit König Gunter, der mit Hilfe Siegfrieds und dessen Tarnkappe gewinnt (mitte). Erkennt jemand, wie die Tarnkappe hier aussieht? (gezipfelt). Der hier gezeigte Markgraf Ekward (rechts) oder Eckewart ist ein Gefolgsmann Kriemhilds, der mit ihr ins Hunnenland zu König Etzel zog. Ekward gehört zu den weniger bekannten Helden, von denen viele auf dem rechten Flügel, des Marmorpalais abgebildet sind. Die dort abgebildeten Motive stammen aus dem zweiten Teil des Nibelungenliedes und dessen Anhang, der Klage. (3 Bilder unten)

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So sehen wir hier Iring, einen der Gefolgsleute Etzels, der nach langem Kampf von Hagen besiegt wird, und den ebenso aus Dänemark stammenden Hawart, über dessen Abbild dargestellt wird, wie Kriemhild den Saal mit den Burgunden anzünden lässt. Diese setzen sich jedoch unter Führung Hagens zur Wehr und trinken sogar das Blut ihrer erschlagenen Mitkämpfer, wie es hier noch einmal im Detail zu sehen ist.

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Der Hunnenkönig Etzel, (links) unter dessen Bild hier seine Hochzeit mit Kriemhild dargestellt ist, hatte einen Bruder mit einem heute seltsam klingenden Namen – kennt ihn jemand hier im Raum? (mitte-links) Er hieß Blödel. Sein Name ist vielleicht insofern ein Omen/Vorzeichen, weil er sich von Kriemhild gegen die Burgunder gewinnen ließ zum Kampf, der erst mit dem Tod aller Beteiligten endete. Über Blödels Kopf ist hier dargestellt, wie er mit seinem Hunnen-Gefolge von Dankwart, Hagens Bruder, besiegt wird. Auch Markgraf Rüdiger von Bechelaren (mitte) fällt gegen den Burgunderkönig Gernot im Kampf, bei dem beide Helden den Tod finden, wie unter seinem Kopfbild zu sehen ist.
Wir sehen hier (mitte-rechts) Dietrich von Bern und die von ihm bezwungenen Gunter und Hagen, die hier gefesselt am Boden liegen. Die meisten von Ihnen wissen, dass er beide gefesselt an Kriemhild übergibt, die jedoch – gierig nach dem Nibelungenhort – beide tötet.
(rechts) Hildebrand ist darüber so empört, dass er seinerseits Kriemhild umbringt; rechts im Bild trauern Dietrich von Bern und Etzel, zu ihren Füßen – schwer zu erkennen – windet sich Hagen im Todeskampf.
Wie wir hier und auf manchen anderen Bildern sehen, haben die Vandalen des 21. Jahrhunderts ihre Spuren hinterlassen. Auch sonst ist der Erhaltungszustand der Fresken trotz Renovierung nicht gut, vielleicht weil sie im Freien der Witterung ausgesetzt sind.

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Von den Landschaftsdarstellungen, die meist kleinteilige und schwer erkennbare Städtebilder sind, will ich nur zwei Beispiele bringen: Melk an der Donau ...

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... und Worms, das hier schemenhaft am Rhein erscheint, ohne dass man Näheres erkennen kann, oder doch?

Sehr geehrte Damen und Herren, das war der erste Teil meines Vortrages, sozusagen ein unverhoffter Schatzfund infolge einer Werbung für die Wormser Nibelungenfestspiele. Für den zweiten Teil wechseln wir von der Landeshauptstadt Potsdam in die Bundeshauptstadt und dort zur Alten Nationalgalerie.

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Dieser von dem Schinkelschüler Friedrich August Stüler entworfene Bau scheint auf der Museumsinsel alle anderen dortigen Museen zu überragen. Das tempelartige Museum wurde 1876 am Geburtstag Kaiser Wilhelms I. und in dessen Anwesenheit eröffnet. Den Bau veranlasst hatte der Berliner Bankier und Konsul Joachim Heinrich Wilhelm Wagener. Dieser hatte 1859 dem preußischen Kronprinzen Wilhelm, dem späteren König und Kaiser, 262 zeitgenössische Gemälde gestiftet. Verbunden damit war die Auflage an den preußischen Staat, ausgehend von dieser Sammlung eine nationale Galerie in einem eigenen Gebäude zu begründen. Darin sollte die Einheit der deutschen Kulturnation zum Ausdruck kommen. Die deutsche Einheit war 1859 noch ein Traum, der aber 1871 mit der Gründung des Deutschen Reiches in Erfüllung ging.
Diese Jahreszahl – 1871 – ist auch im Giebel des Museums eingeschrieben, offenbar eine politische Inschrift, denn das Museum wurde ja erst – wie schon gesagt – 1876 eröffnet. Wir sehen hier im Giebel Germania als Beschützerin der deutschen Kunst und Künstler.

Gestatten Sie mir einen kleinen Wormser Exkurs: Geschmückt wird die Nationalgalerie auch durch einen Geschichtsfries im Treppenhaus, auf dem deutsche Persönlichkeiten dargestellt sind, auch solche, die auf dem Wormser Lutherdenkmal stehen, wie wir hier sehen: Melanchton, Luther, Philipp der Großmütige von Hessen. Auch der Schöpfer unseres Lutherdenkmals, Ernst Rietschel, ist am rechten Rand zu finden.
Wie beim Marmorpalais in Potsdam waren für mich auch in der Alten Nationalgalerie die 28 Nibelungenbilder Ernst Ewalds so etwas wie ein Schatzfund, obwohl sie offen zu sehen sind. Warum sie von fast allen Besuchern bewusst nicht wahrgenommen werden, will ich Ihnen schildern.

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In der unteren Querhalle der Nationalgalerie fallen die beiden preußischen Prinzessinnen Luise und Friederike ins Auge, ein Meisterwerk Johann Gottfried Schadows.

Sehr geehrte Damen und Herren, wer schaut in einer solchen Halle angesichts eines solchen Blickfanges schon nach oben? Genau dort sind aber in luftiger Höhe die schon erwähnten 28 Nibelungenfresken zu sehen. Diese 1875 entstandenen Werke des Malers Ernst Ewald waren als nationaler Schmuck der Galerie gedacht.

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Die in der Höhe dargestellten Motive sind auch nicht alle so leicht zu erkennen wie hier (links) der Zweikampf Brunhildes gegen Gunter mit dem wieder Tarnkappe tragenden Siegfried. Was könnte hier (mitte) dargestellt sein? (Wohl die Verlobung Kriemhilds mit Siegfried) Oder hier? (rechts) (Streit nach der Ermordung Ortliebs, des Söhnchens Kriemhilds und des Hunnenkönigs Etzel, dessen Thronfolger er als Herr über 12 Königreiche werden sollte.
Leichter zu interpretieren sind die folgenden Bilder:

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(Streit der Königinnen, Hagen und die Donaunixen, Schildwacht Hagen und Volker). Neben den eher monochromatischen Bildern gibt es an den Seitenfenstern noch vier bunte Einzel- oder Doppeldarstellungen: (Bilder unten) – Wen würden Sie diese Bilder zuordnen?
(Siegfried, Brunhild, Dietrich von Bern und Hildebrand, Hagen und Gunter)

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Leicht auszumachen sind die Motive der Lunetten. Die Schwierigkeit besteht in diesem Fall darin, sie in der Höhe zu erkennen und zu lesen:

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“Wie Brunhild in Worms empfangen ward“ und

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„Wie Kriemhild Siegfrieden beklagt“.

Mögen diese Deckenfresken auch meist übersehen werden, dieses Ölgemälde

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Hagen versenkt den Nibelungenhort ist in der Alten Nationalgalerie kaum zu übersehen, vor allem von Nibelungenfreunden nicht. Es ist eine Auftragsarbeit des schon genannten Bankiers Wagener an den damals bekannten Maler Peter Cornelius aus dem Jahre 1859. Schon in Rom hatte der den Nazarenern zugerechnete Künstler von 1812-1817 Darstellungen nach dem Nibelungenlied angefertigt, nicht jedoch die hier gezeigte Versenkung des Hortes. Den hatte nach der Sage Kriemhild nach Siegfrieds Tod nach Worms geholt, doch Hagen versenkte den Schatz bei Lochheim in den Rhein. Auf unserem Bild tut er dies nicht selbst, wie ihn etwa das Wormser Hagendenkmal zeigt, sondern diese Gestalt von dämonischer Intensität – so bezeichnet ihn ein Katalog - hat Helfer. Hinzugefügt hat der Künstler Personen, von denen die Nibelungensage nichts erzählt: Wer ist das? „Vater Rhein“, der als antiker Flussgott dargestellt ist, wird begleitet von der Unheil verkündenden Loreley. Rheinnixen wollen sich möglichst schnell der Schatzgegenstände bemächtigen und versuchen sogar – ganz rechts - , einen von Hagens Helfern ins Wasser zu ziehen.

Peter Cornelius sah, wie er in einem Brief schreibt, im Nibelungenhort das „Sinnbild aller deutschen Macht, Glück und Herrlichkeit, welches alles im Rhein versenkt liegt und mit ihm dem Vaterland erhalten oder verloren geht.“ Der Wunsch nach nationaler Einheit klingt hier an. Dem entspricht in der Nationalgalerie auch die Ausschmückung der Querhalle mit den 28 Nibelungenfresken Ernst Ewalds. Das Nibelungenlied war im 19. Jahrhundert zu so etwas wie einem Nationalepos geworden oder einer deutschen Ilias (so hat sie August Wilhelm Schlegel genannt). Ernst Riehl, der 1850 die Nibelungenfresken am Potsdamer Marmorpalais beschrieb, sah im Lied einen der trefflichsten Schätze deutscher Dichtung und ein echtes Zeugnis deutscher Gemütstiefe.

Das mag für uns heute etwas zu pathetisch klingen. Tatsache ist, dass das Nibelungenlied, in dem Worms der am häufigsten genannte Ort ist, auch heute noch viele Freunde hat, wie die Wormser Festspiele beweisen..