Alchemie
Geschichte einer
okkulten Wissenschaft


von Petra Riha



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The Alchemist, Joseph Wright of Derby, 1771 ..

 


Die Wurzeln der Alchemie liegen im alten Ägypten und in Griechenland.´Dort entwickelte sie sich als selbstständiger Wissenszweig in den letzten zwei oder drei Jahrhunderten vor Christus, war im frühen Mittelalter in Europa kaum bekannt und konnte erst im 12. Jahrhundert durch verschiedene Übersetzungen vom Arabischen ins Lateinische im christlichen Abendland Fuß fassen.
Das Wort Alchemie leitet sich direkt vom arabischen al kimia ab. Al ist der Artikel, die Bedeutung von kimia ist unklar, möglicherweise kommt sie vom ägyptischen Wort „chem“, was so viel heißt wie schwarz, demnach wäre die Alchemie die schwarze Kunst oder die Kunst der Ägypter.
Wahrscheinlicher ist jedoch die Herleitung vom griechischen „chyma“, was sich auf das Schmieden oder Schmelzen von Metall bezieht.
Die Alchemie ist ein Zweig der Naturphilosophie und gehörte im Mittelalter zusammen mit der Astrologie zu den okkulten Wissenschaften, da sie sich mit verborgenen -okkulten- Dingen beschäftigte.
äufer der modernen Chemie, die spirituelle Ausrichtung als Sinnbild des Weges zur inneren Vervollkommnung des Menschen überlebte in den Zirkeln verschiedener Geheimgesellschaften, hier allen voran die Rosenkreuzer.


Alchemie als Heilsweg


Die Alchimie beschäftigt sich nicht nur mit der Umwandlung unedler Metalle in Gold oder Silber, sie hat auch eine tiefer gehende psychologische Komponente, da es immer auch um die Umwandlung des Menschen geht, um die Suche des Alchemisten nach sich selbst.
Die Umwandlung von Metallen steht für den Übergang von etwas Unreinem in etwas Reines, für die Alchemisten selbst bis hin zur Erleuchtung, deshalb war sie schon in ihren Ursprüngen eine Synthese religiöser Heilsbestrebungen und naturkundlicher Forschung.

Bedeutend für die Ausbildung der alchemistischen Praxis waren die Kenntnisse der Metallurgie – der Metallverarbeitung - der ägyptischen Tempelpriester.
Für sie waren die zur Metallgewinnung benötigten Erze Kinder der Mutter Erde, die man frühzeitig dem Mutterleib entriss. Die Verarbeitung der Metalle durch Schmelzen und Schmieden sah man als Vollendung dieses unterbrochenen Schöpfungsprozesses und der mit dieser heiligen Aufgabe betraute Metallurg wurde zum Träger kosmischer Geheimnisse. Als privilegierte und damit gebildete Klasse verbanden die Tempelpriester ihr bereits von Mysterien umwehtes Handwerk zunächst mit der griechischen Naturphilosophie und später mit hermetischem Gedankengut.
Diese hermetische Lehre entwickelte sich in den vorchristlichen Jahrhunderten in Alexandria, das als Schmelztiegel verschiedener Religionen, Kulte, Wissenschaften und Weltanschauungen ideale Voraussetzungen für das Gedeihen einer neuen Geistesströmung bot, die den altägyptischen Mythen, neuplatonische Philosophie und gnostisches Glaubensinhalte
zufügte. Vor allem die Gnosis lehrt die Selbsterlösung des Menschen, der nach Befreiung von allem Körperlichen seinen geistig-göttlichen Kern erkennt und als befreite Seele zu Gott zurückkehrt.

Urvater der Hermetik war Hermes Trismegistos, der dreimalgroße Hermes. In seiner Gestalt verbindet sich der ägyptische Gott Thot – der Schöpfer der Weisheit und Magie - mit dem griechischen Gott Hermes, dem Gott der Wanderer und Suchenden. Hermes Trismegistos ist eine mythische Figur aus den ersten vorchristlichen Jahrhunderten und obwohl er wahrscheinlich nie gelebt hat, gilt er als Begründer der hermetischen Lehre und Verfasser zahlreicher Schriften.
Sein bekanntestes Werk, die Tabula Smaragdina – die Bibel der Alchemisten - fasst in einem Satz die Kernaussage der hermetischen Lehre zusammen:
„Es ist wahr, ohne Lüge und wirklich: das, was unten ist, ist wie das, was oben ist und das, was oben ist, ist wie das, was unten ist, ein ewig dauerndes Wunder des einen.“
Man ging also von der Annahme aus, es bestehe ein kompliziertes System von Wahlverwandtschaften zwischen Himmelskörpern und anderen Dingen und Wesen, und folgerte, dass Makrokosmos und Mikrokosmos in einem harmonischen Verhältnis gegenseitiger Entsprechung und Beeinflussung stünden.
So war jedem Planeten ein Metall zugeordnet, der Sonne das Gold, dem Mond das Silber, Quecksilber dem Merkur…Man hoffte durch genaue Beobachtung des Sternenhimmels herauszufinden, zu welcher Zeit optimale Bedingungen für die Arbeit mit verschiedenen Materialien herrschten, deshalb waren viele Alchemisten auch geschickte Astrologen.


Die Arbeit auf geistig-spiritueller Ebene


Nun stellt sich natürlich die Frage, ob sich nicht auch auf anderem Wege geistige Erleuchtung finden ließe, als durch oft erfolgloses Experimentieren und Rumhantieren im Labor.Zitat C.G. Jung in seinem Werk „Die Erlösungsvorstellungen in der Alchemie“
“Wenn der Alchemist den chemischen Vorgang nur symbolisch benützt – warum laboriert er dann mit Tiegeln und Retorten? Und wenn er chemische Vorgänge beschreibt – warum entstellt er sie durch mythologische Symbolisierung bis zur Unkenntlichkeit?“
Historisch belegbar ist diese Verbindung von spiritueller und materieller Ebene seit dem 5. Jahrhundert n. Chr. Der ägyptische Alchemist Zosimus aus Panopolis beschreibt in seinem Buch über Traumvisionen als Erster die Analogie der Transmutation der Psyche zur Arbeit in alchemistischen Werkstätten.
Ihm zufolge lehrten die antiken Mysterienkulte, auf die das hermetische Prinzip aufbaut, wie der Adept durch Leiden, Tod und gewandelter Auferstehung zu einer neuen göttlichen Existenz gelangt. Projeziert auf die Materie erleiden die mineralischen Stoffe durch Zerstückelung, Verbrennung und Behandlung all die Wandlungsqualen wie der zur Erlösung bestimmte Mensch. Hier wurden also antike und gnostische Erlösungslehren auf die Natur übertragen.
Er schildert die Alchemie als Geheimlehre von ausgewählten Priestern, auf praktischer Ebene fand er immerhin heraus, dass Schwefelsäure Metalle auflöst.

Die Araber tradierten nach der Eroberung Ägyptens im 7. Jahrhundert das vorhandene Wissen, übersetzten die griechischen Texte und reicherten sie mit eigenen Erfahrungen an.
Zu ihren Verdiensten zählt die Entwicklung der Schwefel-Quecksilber-Theorie, auf spiritueller Ebene setzte man Quecksilber mit der Seele gleich und Schwefel mit dem Geist, die als duale Wirkkräfte alle kranken Metalle heilen und vereinigt das Universalheilmittel Panazée hervorbringen sollten. Paracelsus erweiterte übrigens im 15. Jahrhundert diese Theorie um das Prinzip Sal -Salz- und komplettierte damit die Analogie Körper-Seele-Geist des Menschen mit dem dreigeteilten Kosmos.
Im 12. Jahrhundert begann man mit der Übersetzung arabischer Traktate ins Lateinische und brachte nicht nur die Alchemie sondern auch das gesammelte antike Wissen ins Abendland.
Zusammen mit der Astrologie gehörte sie nun zu den okkulten Wissenschaften, da sie sich mit verborgenen – okkulten- Dingen beschäftigte.
Schon von Anbeginn mit religiösen Betrachtungen verbunden, erfuhr die Alchemie im Mittelalter nun auch ihre Ausdeutung durch die alles beherrschende christliche Religion. Die Adepten forschten in der heiligen Schrift nach Inhalten, die ihnen ihre Arbeit erklären sollten. Als Tarnung vor der Inquisition und um das häretische Gedankengut einer eigentlich gnostischen Ideologie nicht deutlich zutage treten zu lassen, verschleierte man die alchemistischen Texte durch christlich-religiöse Phrasen, einfach um ungestört weiter experimentieren zu können.
Vergessen sollte man jedoch nicht, dass Kaiser, Päpste und Heilige Alchemisten waren, also Menschen, die das geistig Wesentliche erkunden wollten, und nicht nur das Wissenschaftliche. Einige von ihnen erkannten daher vielleicht die Alchemie als das Mysterium, das hinter den Riten aller Religionsformen stand.
Roger Bacon z. B. betrachtete die objektiven Wissenschaften wie Logik und Physik als Vorstufe jener, die eine Wandlung des Menschen einleiten könnten, wie Alchemie und Astrologie und wurde wegen seiner Kritik an zeitgenössischen Theologen 1278 unter Arrest gestellt. Interessanterweise wurden viele mittelalterliche Philosophen, die im Widerspruch zur scholastischen Denkweise standen in späteren Zeiten als Alchemisten betitelt.

Eine der frühesten Quellen, die auf spiritueller Ebene direkte Parallelen zwischen Alchemie und christlichem Glauben aufzeigt, stammt aus dem 14. Jahrhundert und wurde von Petrus Bonus von Ferrara verfasst.
Das alchemistische Werk war ihm zu Folge der Weg, durch den der Mensch eins mit Christus werden konnte, da man in den chemischen Prozessen eine Analogie zu den Leiden, der Kreuzigung und Auferstehung Christi sah.
In der Lapis-Christus-Parallele verglich man den göttlichen Geist, der in der Person Jesu menschliche Gestalt annahm, um den durch den Sündenfall verunreinigten Menschen zu erlösen und in den Zustand des Heils zurückzuführen, mit dem Stein der Weisen, der ein niederes Metall durch die Läuterungsprozesse zur höchsten Vollkommenheit, zu Gold, erhebt. Das Erlösungsstreben des Menschen macht Jesus zur Quintessenz und den Stein der Weisen zur Metapher Christi.

In der Aurora consurgens, „ Aufsteigende Morgenröte“, einer Handschrift des 14. Jahrhunderts durchdringen sich wechselseitig Bilder der christlichen Mystik mit denen der Alchemie. Im 2. Kapitel heißt es, die Wissenschaft sei eine Gabe und ein Sakrament Gottes, die von den Weisen in Bildern verhüllt wurde, das opus alchemicum wird dem opus divinum, der Messe ebenbürtig dargestellt.Die Abbildung „ Black angel“ lehnt sich an das Hohelied Salomons an.
„Wendet euch zu mir von ganzem Herzen und verwerfet mich nicht, darum weil ich schwarz bin und dunkel; denn die Sonne hat mich so verbrannt; und die Abgründe haben mein Antlitz bedeckt, und die Erde ist verdorben und verunreinigt in meinen Werken...
Alchemistisch gesehen verkörpert der schwarze Engel ebenfalls den Zustand der Schwärzung im Wandlungsprozess.
Allerdings meinte der Herausgeber der ersten Druckausgabe schon damals, der Autor habe das christliche Geheimnis aufs Profanste verdreht und es entstünde der Eindruck, die Heilige Schrift wäre nur zu Ehren der Alchemie geschrieben.
Die Auseinandersetzung mit persönlicher Vervollkommnung findet ihren Niederschlag in einem der herausragenden Werke der mittelhochdeutschen höfischen Literatur.
Der Gral heilt jede Krankheit, beschert ewige Jugend und lässt sogar den Tod überwinden, er steht für Überfluss und Fürsorge. In Wolfram von Eschenbachs Parzival ist der Heilige Gral ein Stein, den er lapsit exilis nennt, man erkennt die Verwandtschaft zu lapis elixier, bei den Alchemisten lapis philosophorum, Stein der Weisen genannt.
Wolframs Parzival ist voller hermetischer Symbolik und christlichem Einweihungswissen und beschreibt die Verwandlung des Titelhelden vom Unwissenden im Narrenkleid zum Gralskönig. Parzival erhält vom Einsiedler Trevrizent religiöse Unterweisung, die ihn schließlich erkennen lässt, dass man zum Gral nur durch Demut gelangen kann. Nur die aus echtem Mitleid und zur rechten Stunde gestellte Frage kann das Leid des Anfortas beenden.
Dieser eine Satz bringt zum Ausdruck wie sich katholischer Glaube mit esoterischem heidnischem Wissen verbindet. Echtes Mitleid als Ausdruck der Nächstenliebe und Barmherzigkeit erlöst den kranken König, aber nur zur rechten Stunde. Und die bestimmt im Parzival – die Astrologie. Die Kunst der Sterndeutung wird bei Wolfram von Eschenbach als direkte Verknüpfung zu Gott dargestellt. Was die Planeten durch ihren Lauf anzeigen, das wird einem als Schicksal zuteil.
Die beginnende Neuzeit bewahrte die spirituelle Seite der Alchemie in den Ideen der Rosenkreuzer, die dann später großen Einfluss auf die Anthroposophie Rudolf Steiners hatten.

Im 20. Jahrhundert zeigte dann der Psychiater C.G. Jung
Parallelen zwischen Psychologie und Alchemie und verstand die Wandlung der chemischen Stoffe als Analogie zur Wandlung und damit Heilung des Menschen im therapeutischen Prozess.
Nach Jung projiziert der Alchemist – während er bei der praktischen Arbeit im Labor das göttliche Geheimnis der Materie sucht – gleichzeitig sein eigenes Unbewusstes in das ihm unbekannte Wesen des Stoffes.
Das könnte auch erklären, warum Alchemisten ihre Arbeit immer als Lebensaufgabe betrachteten und wie Süchtige immer weitermachen mussten, ihr Unbewusstes drängte danach, das innere Gold zu finden.


Im Labor


Gold ist das zentrale Symbol der Alchimie, die Krönung und Vollendung des „Großen Werks“, das vollkommenste aller Metalle und jeder Alchemist hatte sich zum Ziel gesetzt, nicht nur das geistige Gold zu finden, sondern auch das Geheimnis des Goldmachens zu erlernen.
Dazu brauchte man aber den Stein der Weisen, der nicht unbedingt mineralischen Ursprungs sein musste. Man nannte ihn auch Elixier oder Tinktur.
Dieser Lapis philosophorum war der Schlüssel allen Wissens und war das eigentliche Geheimnis der Transformation, sowohl auf stofflicher als auch auf geistiger Ebene.
Ihm wurden magische Kräfte zugeschrieben, er konnte niedere Metalle in Gold verwandeln, aber auch alle Krankheilen heilen – und er galt ebenso wie das Elixier des Lebens als Mittel zur Erlangung der Unsterblichkeit.Am Anfang stand aber erst einmal die Suche nach der prima materia, einer Substanz, mit der die alchemistische Arbeit begonnen werden konnte. Diese prima materia schien ein mysteriöser Bestandteil des Universums zu sein, wird sie doch mit folgenden Worten beschrieben: „ allen Menschen bekannt, sowohl den jungen als auch den alten. Man findet sie in allen Dingen, die von
Gott erschaffen wurden. Arm und Reich gehen täglich damit um, trotzdem gibt keiner einen Heller dafür. Neben der menschlichen Seele ist sie das kostbarste Ding auf der Erde.
Sie hat die Macht, Könige und Prinzen vom Thron zu stürzen, trotzdem hält man sie für das gemeinste und schmutzigste aller irdischen Dinge“.Die Alchemisten betonen, dass das Große Werk aus einer Sache hervorgehe und zum einen wieder zurückführe, wie ein Drache, der sich in den Schwanz beißt.
Zu diesen gehört Ouroboros, die sich in den Schwanz beißende Schlange, die den sich ständig wiederholenden Kreisprozess von Destillation – Kondensation und erneuter Destillation symbolisiert.
Es gab hunderte verschiedener symbolischer Begriffe für jede der verschiedenen Substanzen und Arbeitsgänge, aber nur einige wenige wurden allgemein verstanden.
Überhaupt sind alchemistische Texte eine Herausforderung, etwas Rätselhaftes und scheinen mit ihren Erklärungen bewusst in die Irre zu führen oder sich in schwer fassbaren, flüchtigen Begriffen zu verlieren. Außerdem weisen die meisten Texte darauf hin, dass ein bestimmtes Geheimnis, das zur Vollendung der Operation nötig ist, nicht preisgegeben wird.Selbst Alchemisten klagten oft über die Unfähigkeit ihre eigene Sprache zu verstehen und verloren sich im Variantenreichtum ihrer Symbole, deshalb ist es unmöglich alle Vorgänge in einem schlüssigen Gesamtbild zu erklären. Die meisten Symbole können sowohl auf spiritueller als auch auf materieller Ebene verstanden werden.
Großen Einfluss auf die praktische Arbeit hatten die Schriften des Aristoteles. Aufbauend auf seiner Vier-Elemente-Lehre Feuer-Erde-Wasser-Luft, glaubte man, dass jedes Element durch eine bestimmte Qualität mit einem anderen verbunden ist und dadurch jederzeit in ein anderes Element verwandelt werden kann.
Auf diese Weise könnte dann z.B. Feuer durch das Wirken von Hitze in Luft verwandelt werden und Erde durch das Wirken von Trockenheit in Feuer. Man nahm an, dass alle physikalischen Erscheinungen aus allen vier Elementen in verschiedenen Anteilen zusammengesetzt sind und kam schließlich zu dem Schluss: Wenn Blei und Gold aus verschiedenen Anteilen derselben vier Elemente bestehen, was sollte verhindern, dass das eine in das andere verwandelt wurde?Die Prozesse vollzogen sich in sieben Stufen. Während dieser Vorgänge musste der Alchimist auf die wichtigsten Farbwechsel achten, um sich von der Richtigkeit seiner Arbeit zu überzeugen. Dieser Farbwechsel umschreibt den alchemistischen Prozess, der die materia prima in den Stein der Weisen umwandelt. Er war erfolgreich, wenn die Farbe von schwarz über weiß zu rot überging.
Um den Anfangszustand zu erreichen – die Schwärzung- wurde das zu behandelnde Metall durch Erhitzung in seine Elemente zerteilt. Aus diesem primitiven Zustand befreit, brachte man nach der Trennung die Stoffe wieder in Einklang und erhielt dadurch ein neues Ausgangsmaterial.
Nach erneuter Behandlung, die fast zur Zerstörung dieses Vereinigungsproduktes führte, folgte die Abwaschung zur Weißung. Damit war der Silber- oder Mondzustand erreicht. Der Sonnenzustand – die rubredo – wurde durch Steigerung des Feuers auf den höchsten Grad erreicht. Man war nun im Besitz des Steins der Weisen, oder man hatte sogar schon Gold.Die Alchemie beschreibt diese praktischen Operationen in lebendigen symbolischen Aussagen über die Wandlungen des Mercurius und unter dem Gleichnis der Vereinigung des Männlichen und des Weiblichen.
Mercurius war mit seiner sympathisch jugendlichen Gestalt, dem geflügelten Helm, den Flügelschuhen, seinem berühmten geflügelten Merkurstab, an dem sich zwei Schlangen paaren und nicht selten einem Säcklein Geld in der rechten Hand ein bei den Römern populärer Gott. Er ist nicht nur der traditionelle Götterbote der mythologischen Überlieferung, der den Menschen die Botschaften der Götter überbringt, sondern auch Mittler zwischen den Welten, da er die Seelen der Verstorbenen zur Unterwelt bringt. -Und er ist gleichzeitig der Gott der Händler, Diebe und Schwindler.
Als Gott mit vielen Aufgaben verkörperte er den lebendigen Geist der Alchemie, die transformierende Energie, die die Materie in einen höheren Zustand versetzt.
Jede Stufe dieses selbst-zerstörenden, selbst-erneuernden Prozesses trägt seinen Namen.Der alchemistische Mercurius zeigt sich als vereinigendes Symbol von Körper, Geist und Seele, auf materieller Ebene ist er also das Ausgangsmaterial, das nun bearbeitet wird.
Die Sonne steht für die geistig-männliche Seite, der Mond für die körperlich-weibliche. Außerdem hat er die Eigenschaften aller Elemente.
Sein Geist wird aus der prima materia freigesetzt, umgewandelt und durch die alchemistische Arbeit zur Vollkommenheit gebracht.
Mercurius steht am Anfang und Ende, ist zu Beginn die prima materia, ist der Hermaphrodit mit einer geistig-männlichen und einer körperlich-weiblichen Seite, der sich in das Bruder-Schwester-Paar aufteilt, in der conjunctio die Gegensätze vereint und zuletzt als Lapis erscheint.
Dem Lehrsatz „Wie oben so unten“ folgend, fand der Merkur seine irdische Entsprechung im flüssigen Metall Quecksilber. Denn quecksilbrig – flüssig, flüchtig, immer in Bewegung und dennoch auf geheimnisvolle Weise zusammengehalten – stellte man sich den Urzustand aller Metalle, ja den Urzustand der Welt vor. Das Thema des Quecksilbers (lat. Mercurius, griech. Hydrargyros = „flüssiges Silber“, Hg) ist Flüchtigkeit.
Alchemisten bearbeiteten eine verwirrende Anzahl verschiedener Stoffe, unter anderem Kupfer, Blei, Arsenik, Urin und Galle. Die meistgebrauchten waren Quecksilber, Salz und Schwefel, mercurius, sal und sulphur.Wichtigstes Gerät im Labor war der Athanor. Er hatte eine kegelförmige Haube, die abgenommen werden konnte, um ein Gefäß im Innenraum direkt über dem Feuer abzustellen. Manchmal wurde dieser Behälter mit Asche bedeckt, diese Methode erinnert an das Sandbad eines modernen Chemikers.
Eine weitere Art von Ofen war der Schmelzofen. In seinem Inneren war eine Wasserpfanne angebracht, die wiederum andere Glasbehälter aufnehmen konnte. Diese Konstruktion soll von Maria der Prophetin, einer geheimnisumwitterten frühchristlichen Alchemistin erfunden worden sein. Nach ihr ist das französische Wasserbad, das Bain-Marie benannt.An komplizierten Apparaturen wurden verschiedene Substanzen allerlei Umwandlungsprozessen unterzogen. Der erste Schritt war, eine Substanz zu nehmen und sie einer chemischen Behandlung auszusetzen, das waren Erhitzung und Destillation, manche Flüssigkeiten wurden bis zu hundertmal destilliert.
Neben einer Reihe von „normalen“ Kolben und Tiegeln finden wir auch ganz besondere, denn die Hersteller alchemistischer Gefäße holten sich oft Anregungen aus der Natur.
Ein Pelikan genanntes Gefäß erinnert an den gleichnamigen Vogel und erhält zusätzliche christliche Bedeutung, denn der Pelikan, der sich seine Brust zerfleischt um seine Jungen zu ernähren ist ja ein Gleichnis für Jesus Christus.
Mancher derbe Destillierkolben ähnelt einem aggressiven Bären, ferner gab es sehr zarte Gefäße, in denen nur feingeistige Stoffe behandelt werden sollten.

Obwohl viele dieser Gefäße inzwischen veraltet sind, werden einige immer noch in modernen Chemielaboratorien benutzt.
Im 8. Jahrhundert erfanden die Araber den Alembic. Das war ein Gefäß, das für die Destillation als grundlegendes Verfahren der mittelalterlichen Alchemie unverzichtbar war.
Der Alembic wurde als Miniaturkosmos angesehen, da man ja glaubte, im Labor symbolisch die Schöpfung nachzuvollziehen.
Er wurde bis ins 19. Jahrhundert hinein benutzt und diente als Vorbild für die Herstellung moderner Geräte, vor allem solche, die der Schnaps-und Whiskyherstellung dienen.


Die königliche Kunst


Da der Stein der Weisen nicht nur gesund, sondern auch reich machen konnte, zeigten sich natürlich einige Herrscher der Alchemie wohlgesonnen; als Goldmacherkunst wurde sie von Gelehrten wie von Scharlatanen gleichermaßen gepriesen und die europäischen Fürsten, die ja meistens mit leeren Kassen zu kämpfen hatten, wollten nur zu gern glauben, dass man tatsächlich aus unedlen Metallen Gold herstellen könne.
Ein berühmtes Beispiel ist Rudolf II. Von Habsburg, den seine Leidenschaft für die Alchemie in den Ruin trieb. Im Zuge dessen fanden sich dann auch viele Betrüger, die falsches Gold für echtes ausgaben und mit ihren Lügengeschichten leichtgläubige Mitbürger um ihr Geld brachten Sogar Albertus Magnus, den man selbst als Alchimisten und Schwarzkünstler bezeichnete, da sein umfassender Forscherdrang vor nichts haltmachte, beklagt, dass dieses
Schwindelgold nicht das Herz erfreue und Johannes Trithemius meint: „die Alchimie ist eine jungfräuliche Hure, die viele Liebhaber hat, die aber alle narrt und sich keinem je hingibt. Sie macht dumme Leute zu Verrückten, Reiche arm, große Denker zu Narren und alle die, die sie betrogen hat,
zu geschwätzigen Betrügern, denn sie behaupten, alles zu wissen, und wissen doch gar nichts“.
Obwohl auf Geheimhaltung sehr viel Wert gelegt wurde, beklagt Thomas Norton, ein Alchemist des 15. Jahrhunderts, dass Leute aus allen Ständen sich in dieser Kunst versuchten, vom Papst bis hinab zum letzten Kesselflicker und empfiehlt daher jedem, der nicht über fundierte physikalische Kenntnisse verfüge, die Finger von alchemistischen Experimenten zu lassen, um nicht aus Unwissenheit Katastrophen heraufzubeschwören.
Der Libellus de alchimia, den man früher Albertus Magnus zuschrieb, gibt angehenden Alchemisten den Rat, dass man über genügend Startkapital verfügen sollte – und über ein Haus in abgesonderter Lage; Alchemisten brauchten schließlich Ruhe und Zeit zum Ausführen ihrer Experimente.

Explosionen und Vergiftungen im Labor waren leider keine Seltenheit.
Bernard von Trèves und Godfrey Leporis verbrachten im 14. Jahrhundert zehn Jahre ihres Lebens mit erfolglosen Experimenten, wobei sie allein bei einem ihrer Versuche über 2000 Hühnereier verbrauchten. Bernard ließ erst von seiner Tätigkeit ab, als er von Vitrioldämpfen vierzehn Monate lang mehr oder weniger bewusstlos war. Als er sich wieder erholt hatte, verkaufte er seine ganzen Liegenschaften, bezahlte seine Schulden – und nahm die alchemistische Arbeit wieder auf.
Mehr als fünfzig lange Jahre suchte Nicolas Flamel nach dem Stein der Weisen, bis er ihn gegen Ende seines Lebens endlich fand. Am 25. April 1382 gelang ihm zusammen mit seiner Frau Perenelle die Herstellung von Gold und er kam in den Besitz des Elixiers des Lebens.
Immerhin wurde sein Name unsterblich und überlebte im Roman „Harry Potter und der Stein der Weisen“. Man sollte diesen wissenschaftlichen Zeig der Naturphilosophie jedoch nicht allzu sehr verdammen, so manche Entdeckung nahm ihren Anfang in einem alchemistischen Labor.
Schon im 8. Jahrhundert entdeckte Gabir ibn Hayyan as-Sufi, durch die lateinische Verdrehung seines Namens im Abendland als „Geber“ bekannt, eine Reihe wichtiger chemischer Verbindungen und erwähnte in seinen Schriften erstmals die Salpetersäure, das Silbernitrat und das rote Quecksilberoxid.
Durch den erfolgreichen Versuch, die Elemente Feuer und Wasser zu vereinigen, gelang im Mittelalter die Destillation von Wein in Branntwein, man hatte nun eine Substanz die sowohl flüssig als auch brennbar war.
Der Franziskanermönch Roger Bacon, der gelehrteste Mann seiner Zeit – man schreibt ihm aufgrund seiner Kenntnisse im Bereich der Optik die Erfindung der Brille zu, stieß im 13. Jahrhundert bei der Suche nach dem Stein der Weisen auf das Schießpulver und war der erste, der es im Abendland publizierte.
Auf der Liste der Errungenschaften, die der Alchemie zuzuschreiben sind, findet man auch die Herstellung von Kalium im 13. Jahrhundert, im 16. Jahrhundert dann die Erfindung der Benzoesäure und die Herstellung von Zinnmonoxyd.
Paracelsus, der meinte in seinen Schuhbändern sei mehr Wissen konzentriert als in den Schriften seiner Ärztekollegen, war Arzt und Alchemist aus Leidenschaft und angeblich im Besitz des Lebenselixiers. Er verfeinerte die Theorie, dass Gleiches mit Gleichem zu heilen sei und schuf die Grundlagen der modernen Homöopathie. Außerdem beschäftigte er sich eingehend mit Destillationstechniken zur Gewinnung des wirksamen Anteils einer Arznei und war damit der erste, der Medikamente auf chemischer Basis herstellte. Seine Spagyrik genannte Methode ist ein auch heute noch in Teilen der Naturkunde benutztes Konzept.
Und im 17. Jahrhundert bildete die Kenntnis älterer alchimistischer Grundlagen die Basis für eine Reihe von Entdeckungen im Bereich der Naturwissenschaften, hier allen voran ein Mann, der mit der Entdeckung der Gravitationsgesetze Geschichte schrieb, angeblich war die Alchemie seine erste Liebe: Isaac Newton.
Eines seiner berühmtesten Zitate trifft meiner Meinung nachts nicht nur das Wesen der Alchemie, sondern das Geschehen in der ganzen Welt:

"Was wir wissen ist ein Tropfen, was wir nicht wissen ist ein Ozean"


 

Literaturliste


Cherry Gilchrist, Alchimie
C.G. Jung, Psychologie und Alchemie
Marie-Luise v. Franz, Ergänzungsband: Einordnung des Textes „Aurora Consurgens“
Charles Mackay, Zeichen und Wunder, aus den Annalen des Wahns
Neil Powell, die Wissenschaft der Alchimisten
Kirchner/Levine, Das Buch der Magier und Zauberer
Stephan Malaka, Die Aktualisierung der Alchemie im Werk von Joseph Beuys