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Etzel
und seine Hunnen

im Nibelungenlied
und in Hebbels „Die Nibelungen“


von Hans Müller


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Attila, Eugene Ferdinand Victor Delacroix, um 1845 .

Gliederung

1. König Attila und die Hunnen – historische Fakten und Zerrbilder
2. Etzel und seine Hunnen im Nibelungenlied
.... 2.1. Etzel im Nibelungenlied
.... 2.2. Seine Hunnen im Nibelungenlied
3. Etzel und seine Hunnen in Hebbels „Die Nibelungen“
.... 3.1. Etzel in Hebbels „Die Nibelungen“
.... 3.2. Seine Hunnen in Hebbels „Die Nibelungen“
4. Zusammenfassung
 
1. König Attila und die Hunnen – historische Fakten und Zerrbilder

In Etzel und den Hunnen im Nibelungenlied und in Hebbels „Die Nibelungen“ begegnen uns Vorstellungen von Attila und den Hunnen, die nur bedingt mit den historisch gesicherten Fakten und den Vorstellungen, die sich im kollektiven Gedächtnis entwickelt haben, übereinstimmen. - Um Ihnen die Möglichkeit zu geben, die eigene Sicht des Nibelungenlied-Dichters und Hebbels auf Attila und die Hunnen ein wenig einschätzen zu können, möchte ich in der Einleitung einige exemplarische Hinweise auf gesichertes Wissen und weit verbreitete Klischees über Attila und seine Hunnen geben, bevor ich zum eigentlichen Thema komme. - Ich beziehe mich dabei weitgehend auf den Begleitband zur Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz Speyer „Attila und die Hunnen“ aus dem Jahr 2007, ein Standardwerk zur Geschichte und Rezeption der Hunnen.
Die Hunnen waren ein nomadisches Reitervolk aus der Steppe zwischen Ural und Mongolei, die um 350 ins spätrömische Reich eindrangen und dabei die Völkerwanderung auslösten. Zeitweise waren hunnische Verbände in römischen Diensten. So brachten sie als Hilfstruppen für die Römer 436/37 den Burgundern eine katastrophale Niederlage bei. Attila war an dieser Schlacht jedoch nicht beteiligt. (1) – Seine Jugend verbrachte er am römischen Hof in Ravenna als Geisel, wo er die römische Kultur kennen lernte. (2) Nach seiner Rückkehr ins Hunnenreich begann sein Aufstieg zum Herrscher. 434 wurden Bleda und sein jüngerer Bruder Attila nach dem Tod des Hunnenherrschers Rua dessen Nachfolger. 445 ermordete Attila seinen Bruder und erhob sich zum Alleinherrscher über große Teile der Hunnen. (3). Das gemeinhin als Hunnen bezeichnete Völkergemisch des Attila-Reiches bestand aus reiternomadischen Steppenvölkern hunnischer, sarmatisch-skythischer Herkunft, Turkvölkern sowie Ost- und Westgermanen. Diese Allianz unter hunnischer Führung wurde vor allem durch kluge Integration der Stammesnobiltät in die Führungselite des Reiches gefestigt. Die jeweilige ethnische Identität blieb bestehen. Die Scharen kämpften nach Stämmen gegliedert. (4)
Da die Hunnen keine schriftlichen Zeugnisse hinterließen, sind wir auf römische Quellen angewiesen. Der Bericht von Priscus, dem einzigen römischen Zeitzeugen, der Attila persönlich kennen lernte, wird daher für recht glaubwürdig gehalten. Ihn beeindruckte Attilas auffallende persönliche Bescheidenheit: einfache Kleidung, keine Krone, keine Leibwächter, aber seine Ehrfurcht und Respekt einflößende Persönlichkeit. Sein Herrschersitz – so Priscus – bestand aus hölzernen Palästen für sich und seine ranghohen Getreuen. (5)
Attila erzwang von Ostrom hohe Tributzahlungen. Als sie ausblieben, war er offensichtlich nicht in der Lage, sie einzufordern. Daher wandte er sich an das durch die Völkerwanderung geschwächte Westrom. Auf einem Beutezug, bei dem er zahlreiche Städte plünderte, gelangte er bis nach Nordfrankreich, wo es auf den Katalaunischen Feldern (bei Châlons-sur-Marne) zur Völkerschlacht zwischen Römern und Hunnen kam. Auf hunnischer Seite kämpften mit den Hunnen Ostgoten, Gepiden, Rugier, Skiren, Heruler, Sueben, Thüringer, Sarmaten und einzelne fränkische und burgundische Truppen, auf römischer Seite mit den Römern Westgoten, Franken, Burgunder, Sachsen und Alanen. Die Schlacht konnte keine Seite für sich gewinnen. Aber Attila war so geschwächt, dass er sich in sein Machtzentrum nach Pannonien zurückziehen musste. (6)
Im folgenden Jahr zog er nach Norditalien. Am Mincio, einem Nebenfluss des Po, traf er mit dem Papst Leo I. zusammen. Nach kirchlichen Quellen soll er Attila davon abgehalten haben, nach Rom zu ziehen. Aber für Attila waren nach Meinung der Historiker andere Gründe maßgebend, den Feldzug abzubrechen. (7)
Ein Jahr später, 453, nahm er sich Ildico, eine burgundische Prinzessin, zur Frau. Bei der Hochzeitsfeier trank er so viel Wein, dass er an einem Blutsturz starb. Seine Anhänger sahen in Ildico die Schuldige, die ihn vergiftet habe, um sich für den Untergang des Burgunderreiches zu rächen. (8)
Die populären Vorstellungen über die Hunnen sind bis heute von schriftlichen Zeugnissen ihrer erbitterten Feinde, der Römer, geprägt, von denen eine negative Beurteilung zu erwarten war. So schildert der Historiker Ammianus Marcellinus schon vor 400, d.h. als Attila gerade zur Welt kam, die Hunnen als grausame Bestien in Menschengestalt, als wilde Barbaren, die für das römische Reich eine Bedrohung darstellten. Sie lebten, so Marcellinus, von den Wurzeln wilder Kräuter und dem halbrohen Fleisch beliebiger Tiere, das sie zwischen Schenkel und Pferderücken kurz anwärmten. (9)
In christlichen Quellen wird Attila meist negativ dargestellt. Ausnahme sind die erwähnte Legende von der Begegnung des Papstes Leo I. mit Attila, den der Papst davon abgehalten haben soll, nach Rom zu ziehen, und die Servatius-Legende. Nach ihr hat der Bischof Servatius – er starb schon vor der Geburt Attilas – den Hunnenkönig vorübergehend zum Christentum bekehrt. (10)
Besonders grausam erscheint Attila in der Ursula-Legende. Nach einer Kölner Stadtchronik von 1270 weigerte sich Ursula, die fromme Königstochter aus Britannien, Attila zu heiraten. Daraufhin töteten die Hunnen ihre 11.000 Jungfrauen, und sie erlitt den Martyrertod. (11)
Der bekannteste Beiname Attilas „Geißel Gottes“ meint, dass Gott Attila als Werkzeug benutzte, um die sündigen Menschen zu strafen. Diese Vorstellung von Attilas Funktion im Heilsplan Gottes geht auf Gregor von Tours und Isidor von Sevilla zurück, die beide im 6.Jahrhundert lebten. Der Beiname wurde im 12. Jahrhundert geprägt und wird bis in unsere Zeit verwendet. Ein Beweis ist der Titel des bekannten Films mit Anthony Quinn und Sophia Loren aus dem Jahr 1954 mit dem Titel „Attila, die Geißel Gottes.“ (12)
In der Literatur gibt es außer dem Nibelungenlied und seinen vielen Bearbeitungen zahlreiche Werke, die von den Hunnen und besonders von Attila handeln. Ich erwähne hier nur das „Ältere Atlilied“, ein Werk aus der altnordischen Dichtung, weil es interessante Gemeinsamkeiten mit dem Nibelungenlied aufweist, aber auch signifikante Unterschiede zu ihm. Hier in verkürzter Form der Inhalt: Atli (der Name für Attila) lädt aus Habgier Gunnar und Högni, die Brüder seiner Frau Gudrun, zu sich ein. Er verlangt von ihnen den Nibelungenhort, dessen Versteck sie ihm nicht verraten. Daraufhin lässt er sie töten. Seine Frau Gudrun, um ihre Brüder zu rächen, tötet ihre beiden Kinder aus der Ehe mit Attila, und gibt sie ihm zur Speise. Im Ehebett ermordet sie ihren Mann, legt Feuer, so dass alle umkommen. Zuletzt stirbt sie selbst. (13)
Natürlich spielen die Hunnen mit Attila in der Bildenden Kunst eine große Rolle, nicht nur im Zusammenhang mit dem Nibelungenlied. Aber darauf möchte ich nicht eingehen.
Die Hunnen mit Attila werden immer wieder in der Politik instrumentalisiert. So rief Kaiser Wilhelm II. die Soldaten, die nach China fuhren, um mit den anderen betroffenen Staaten den Boxeraustand niederzuschlagen, dazu auf, sich die Hunnen zum Vorbild zu nehmen. „… Pardon wird nicht gegeben, Gefangene werden nicht gemacht. Wie vor tausend Jahren die Hunnen unter König Etzel sich einen Namen gemacht haben, der sie noch jetzt in Überlieferung und Märchen gewaltig erscheinen lässt, so muss der Name «Deutscher» in China auf tausend Jahre durch euch in einer Weise bestätigt werden, dass niemals wieder ein Chinese es wagt, einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.“ Seit dieser Zeit sind in England die „bösen“ Deutschen als „The huns“ oder gar als „The ugly huns“ ein Begriff. (14)
Hitler verglich immer wieder die „innerasiatische Flut“, die sich der deutschen Wehrmacht in der Sowjetunion entgegenstellte, mit dem Hunnensturm und bezeichnete den Kampf der Römer mit ihren Verbündeten gegen die Hunnen als einen Kreuzzug. So nennt Hitler in einer Rede am 30.9.1942 den Krieg einen Kreuzzug Europas und fährt fort:„Es ist wirklich Europa, was sich hier zusammengefunden hat, genau so wie in alten Zeiten einst gegenüber den Hunnen- und den Mongolenstürmen.“ (15) – In einer Rede am 21.3.1943, am Heldengedenktag, führt er aus, was passiert, wenn Deutschland den „aufgezwungenen“ Krieg nicht gewinnt. „Nicht die verbrannten Städte wären es, die zerstörten Kulturdenkmäler, die als schlimmste Folge dieses Kampfes dann übrig blieben, sondern die bestialisch niedergemetzelten Menschenmassen, die dieser innerasiatischen Flut genauso zum Opfer fallen würden, wie es in der Zeit der Hunnen- und Mongolenstürme einst schon der Fall war.“ (16) - Noch am 24.3.1945, also kurz vor dem Zusammenbruch, verteidigt er seinen „Verteidigungskrieg“ mit den Worten:„Nur ein (…) Schwachkopf kann sich einbilden, dass die Flut aus dem Osten nicht gekommen sein würde, wenn ihr Deutschland (…) mit papierenen Völkerrechten entgegengetreten wäre. (…) So wie der Hunnensturm aber nicht gebrochen werden konnte durch fromme Wünsche und Ermahnungen, (…) so wird auch diese Gefahr nicht beseitigt durch das Recht an sich, sondern nur durch die Kraft, die hinter diesem Recht steht. Das Recht selbst liegt in der heiligen Pflicht der Verteidigung.“ (17)

2. Etzel und seine Hunnen im Nibelungenlied


Vorbemerkung:
In meinen Ausführungen beziehe ich mich auf die Handschrift B, die St.-Galler Handschrift, die nach der Meinung vieler Nibelungenlied-Forscher dem Original am nächsten kommt. Gelegentlich erwähne ich Abweichungen oder Zusätze aus der Handschrift C, der Hohenemser Nibelungenlied-Handschrift.

2.1. Etzel im Nibelungenlied
Der Name des Hunnenkönigs „Attila“ wird durch den Lautwandel vom Althochdeutschen zum Mittelhochdeutschen zu „Etzel“. Das „i“ der unbetonten Silbe macht aus dem „a“ der Stammsilbe ein „e“ und schwächt sich selbst zu „e“ ab, „tt“ wird zu „tz“.
Schon in der 5. Strophe des Nibelungenliedes wird ohne nähere Erklärung Etzel erwähnt. In Etzels Land – so heißt es dort – vollführten die burgundischen Herren später wahrhafte Wunder. Das setzt voraus, dass Etzel dem höfischen Publikum der Stauferzeit bekannt sein musste.
Mit Etzels Wunsch, nach dem Tod seiner Frau Helche um eine 2. Gemahlin zu werben, beginnt in der 20. Aventiure der 2. Teil des Nibelungenliedes, der bekanntlich mit dem Untergang der Burgunder endet. Etzels Freunde raten dem verwitweten Hunnenkönig in dieser Situation, Kriemhild, die Witwe Siegfrieds, zur Frau zu nehmen, „die angesehenste und beste Frau, die jemals ein König gehabt hat.“ (B 1144) Etzel bezweifelt, dass sie als Christin ihn, den Ungetauften, heiraten wird. (B 1145) Aber seine Vertrauten halten wegen seines hohen Ranges und seines Reichtums seine Werbung für aussichtsreich. (B 1146) Der Markgraf Rüdiger von Bechelaren kennt Land und Leute am Rhein und unterstützt mit Hinweis auf Kriemhilds große Schönheit den Ratschlag von Etzels Freunden. (B 1147–1150) So schickt ihn der Hunnenkönig als Brautwerber nach Worms. Da er durch Etzels Lehen über großen Reichtum verfügt, besteht er darauf, sich selbst und 500 Mann so auszustatten, dass man überall im Burgundenland berichten wird, „dass niemals ein König so viele Männer in besserer Ausstattung auf eine vergleichbar weite Reise geschickt hat.“ Für diese Ausstattung sorgt er in Wien und Bechelaren. (B 1153-1156 + 1162–1172)
Die Ankunft von Etzels Gesandtschaft verfehlt in Worms ihre Wirkung nicht. Hagen erkennt Rüdiger an seinem Auftreten (B 1180/81) Fürst Gere überbringt Kriemhild die Werbung. Er nennt Etzel „einen der Allerbesten, der jemals mit hohem Ansehen ein Königreich gewonnen hat.“ (B 1217) Kriemhild, die zunächst jeden Gedanken an eine zweite Heirat entschieden zurückweist, empfängt schließlich Rüdiger persönlich, der ihr mit folgenden Worten die Machtfülle schildert, die sie durch die Heirat mit Etzel gewinnt:„Und wenn Ihr Euch entschließt, meinen edlen Herrn zu heiraten, dann werdet Ihr Gewalt über 12 mächtige Königreiche haben. Dazu gibt Euch mein Herr den Landbesitz von etwa 30 Fürsten, die alle seine kraftvolle Hand besiegt hat. – Ihr werdet über viele angesehene Männer befehlen, die meiner Herrin Helche untertan waren, und über viele Damen aus fürstlichem Geschlecht, über die sie verfügt hat. – Außerdem überträgt euch mein Herr – das bittet er Euch zu sagen, falls Ihr neben ihm Krone tragen wollt – die allerhöchste Machtfülle, die Helche je besaß. Die sollt Ihr über die Gefolgsleute Etzels ausüben.“ (B 1235-1237)
Dennoch lehnt sie ab. Ihr Bruder Giselher unterstreicht Etzels Macht, wenn er ihr sagt:„Von der Rhone bis zum Rhein und von der Elbe bis zum Meer gibt es keinen so machtvollen König.“ (B 1244) Schließlich stimmt sie zu, Etzel zu heiraten, nachdem ihr Rüdiger geschworen hat, ihr Leid zu rächen, was ihr auch immer jemand zufügt, (B 1257/58) und sie sich ihrer Machtfülle bewusst wird, die sie durch Etzels Heirat erlangt. (B 1259/60) Den Einwand, sie als Christin müsste einen Heiden heiraten, entkräftet Rüdiger damit, dass er betont, viele Männer christlichen Glaubens würden Etzel dienen und er lasse sich möglicherweise taufen. (B 1262) In C 1284 weist er in einer Zusatzstrophe darauf hin, Etzel sei schon einmal Christ gewesen, aber wieder abgefallen. Als sie sich beschwert, dass Hagen ihr das ihr noch verbliebene Gold aus dem Nibelungenschatz nicht mitgeben wolle, tröstet sie Rüdiger mit dem Hinweis, Etzel werde ihr so viel Gold schenken, dass sie es niemals ausgeben könne. (B 1272–1275)
An Etzels Hof wird sich später alles erfüllen, was ihr Rüdiger in Aussicht gestellt hat: ihre große Machtfülle an der Seite Etzels, ihr unermesslicher Reichtum, die Bereitschaft nicht nur Rüdigers, ihr Leid, nämlich den Mord an Siegfried, zu rächen. Zwar wird sich Etzel nicht taufen lassen, aber er erweist sich als ungewöhnlich toleranter Herrscher.
Als sich Kriemhild auf ihrem Weg zu Etzel Tulln nähert, wo Etzel sie empfängt, betont der Erzähler des Nibelungenliedes, dass man an Etzels Hof „die tapfersten Ritter finden konnte, von denen man bei Christen und Heiden je etwas gehört hatte.“ (B 1334) Und als rühmliche Besonderheit hebt er hervor, dass bei Etzel „stets das Gebot der Christen und auch das Gesetz der Heiden galt. In welcher Lebensordnung auch immer einer lebte, des Königs Großzügigkeit sorgte dafür, dass man alle reichlich beschenkte.“ (B 1335) Die 22. Aventiure schildert die Begegnung Kriemhilds mit Etzel in Tulln und ihre Heirat an Pfingsten in Wien, die 13 Tage dauert. In Tulln wird für Kriemhild deutlich, über welche Macht Etzel verfügt. Man kann dort und später bei der Hochzeit in Wien von einem Vielvölkertreffen sprechen. Zu Etzels Gefolge gehören viele Russen, Griechen, Polen, Walachen, Ritter aus Kiew, Petschenegen, darunter 24 Fürsten. Ich erwähne namentlich nur diejenigen, die später im Handlungsverlauf eine wichtige Rolle spielen: neben Rüdiger Dietrich von Bern mit seinem Gefolge, Hawart aus Dänemark mit Iring, Irnfried aus Thüringen mit 1.200 Mann und Etzels Bruder Blödel mit 3.000 Mann. Auch hier hebt der Dichter hervor, dass es sich um Christen und Heiden handelt. (B 1353) Ich möchte nicht detailliert auf die Einzelheiten bei den Festlichkeiten zu Ehren Kriemhilds eingehen. Nur so viel: die kostbare Kleidung, die Turniere, die großzügigen Geschenke, die verteilt werden, das ganze Zeremoniell erinnert an prunkvolle höfische Feste um 1200.
In Etzels Burg – die Nibelungenforscher vermuten, dass es sich um Gran oder Ofen handelt, heute ein Stadtteil Budapests (18)- wird Kriemhild unter Führung von Herrat, einer Nichte von Etzels erster Gemahlin, von 7 Königstöchtern empfangen. Man dient ihr treu. Später werden ihr die Verwandten des Königs und alle seine Gefolgsleute unterstellt. (B 1384-1385)
Nach 7 Jahren gebiert Kriemhild zur großen Freude Etzels einen Sohn, den sie auf den Namen Ortlieb taufen lässt. (B 1387/88) Sie genießt großes Ansehen bei den Hunnen. 12 Könige stehen ihr zu Diensten, (B 1390/91) Im 13. Ehejahr (B 1390) hält sie ihre Macht und ihren Reichtum für so groß, dass sie glaubt, sich an Hagen rächen zu können. (B 1396) In einer Liebesnacht bittet sie Etzel darum, ihre Verwandten aus Worms einzuladen. Der Dichter betont den Kontrast zwischen Kriemhilds Racheabsicht und Etzels Zärtlichkeit. „Er hielt sie in den Armen wie stets, wenn er sie liebte, denn sie war ihm wert wie sein eigenes Leben.“ (B 1400) Ahnungslos stimmt er freudig Kriemhilds Wunsch zu. „Ihr könnt Eure Verwandten bestimmt nicht dringender erwarten, als ich die Söhne der edlen Frau Ute sehen möchte.“ (B 1406) „Ich habe liebere Gäste bisher noch nicht empfangen.“ (B 1410) Etzel schickt die Spielleute Werbel und Swemmel prächtig gekleidet mit 24 Recken nach Worms, um die Burgunder zur Sonnenwendfeier einzuladen. (B 1408-1412) – Die Furcht vor Etzels Macht bewahrt die Boten vor Beraubung. (B 1429 + 1494)) Am Burgunderhof verschenken sie ihre prunkvollen Gewänder und ziehen für die Audienz noch prächtigere an. (B 1434/35) Das ist eine provokative Demonstration von Etzels Reichtum und eine Beschämumg der Burgunder. Ebenso weisen sie die Geschenke Gunthers zurück, weil es ihnen Etzel befohlen hat. Schließlich nehmen sie sie doch an, um Gunther nicht zu kränken. (B 1487–1490)
Etzel fordert Kriemhild auf, die Burgunder freundlich, ehrenvoll zu empfangen. (B 1715). Während sich Kriemhild um die Unterbringung der Burgunder kümmert, beobachtet Etzel, wie Dietrich von Bern einen Burgunder besonders freundlich empfängt. Etzel erfährt, dass es sich um Hagen handelt. Er erinnert sich daran, dass Hagens Vater Aldrian, ein Ritter mit großem Ansehen, sich an seinem Hof aufgehalten habe und Hagen längere Zeit in seiner Jugend als Geisel an seinem Hof gelebt habe und sie Freunde geworden seien. (B 1755–1757). Mit Dietrich, Rüdiger und anderen germanischen Fürsten gehen die Burgunderkönige und Hagen mit Volker zu Etzel, der sie mit großem höfischem Zeremoniell empfängt und mit ihnen und mit ihrem ritterlichen Gefolge ein üppiges Gastmahl einnimmt. Der Dichter betont, dass niemals ein Gastgeber geselliger bei seinen Gästen gesessen hat. (B 1800–1817) Die Burgunder und ihr ritterliches Gefolge finden in einem Schlafsaal angemessene Unterkunft. (B 1824–1826)
Am nächsten Morgen findet eine Messe statt, an der Christen und Heiden teilnehmen, wohl eine Art multireligiöser Gottesdienst – ein weiteres Zeichen für Etzels Toleranz. (B 1851). Als die Burgunder auf Geheiß Hagens zur Messe aus gutem Grund in Waffen erscheinen, ist Etzels Reaktion eindeutig: er empfindet es als persönliche Beleidigung, wenn jemand den Gästen etwas zugefügt hat, und ist bereit, ihnen Genugtuung zu verschaffen. (B 1861/62) Aber Hagen lügt Etzel an. Es sei bei ihnen Brauch, bei Festen 3 Tage bewaffnet zu sein. Kriemhild schweigt dazu. Der Erzähler betont, Etzel hätte die Katastrophe verhindert, hätte er die Wahrheit erfahren. (B 1863–1865) In der aufgeheizten Stimmung beim anschließenden Turnier ersticht Volker mutwillig einen Hunnen. Etzel verhindert einen Racheakt eines Verwandten des Getöteten und behauptet – wohl gegen besseres Wissen - Volker sei an dem Tod des Hunnen unschuldig. Er verhält sich so, weil er, wie er selbst sagt, das Gastrecht nicht verletzen will. Anschließend geleitet er persönlich seine Gäste in den Pallas. (B 1889 + 1892-1898) In einer Zusatzstrophe in C wird berichtet, dass Etzel vorbildlich für das leibliche Wohl seiner Gäste sorgt und für Christen und Heiden unterschiedliche Speisen servieren lässt. (C 1961) Man trägt Ortlieb, den Sohn Etzels und Kriemhilds, an die Tafel. Der stolze Vater sieht für seinen Sohn eine glänzende Zukunft voraus, zumal er im Vertrauen auf seine Freundschaft mit den Burgundern wünscht, er solle am Hof der burgundischen Verwandten erzogen werden. (B 1913–1917) Eine solche Erziehung an einem Hof von Verwandten war damals beim Adel üblich. Hagen dagegen behauptet, Ortlieb sei schon vom Tode gezeichnet, was alle Fürsten, insbesondere Etzel verletzt. (B 1918-1920) Als der blutüberströmte Dankwart den Tod der Knappen meldet, schlägt Hagen Ortlieb den Kopf ab. (B 1961) Es beginnt ein Wüten im Palas, in das sich auch die Burgunderkönige hineinziehen lassen. Etzel und Kriemhild befinden sich in größter Gefahr. Dietrich von Bern erbittet von Gunther für sich und sein Gefolge freien Abzug. Gunther erlaubt ihm, aus dem Saal zu führen, wen er will, außer die Feinde der Burgunder. Daraufhin führt er seine Mannen und Etzel und Kriemhild aus dem Saal. (B 1992–1995) Etzel verwünscht das Fest und dankt seinem Glück, dass er diesem Teufel – er meint Volker von Alzey – entronnen ist. (B 2001) In einer Kampfpause verspottet Hagen Etzel, der mit seinen Mannen vor der Halle steht, mit folgenden Worten:„Es gehört sich, dass die vornehmen Herren als ermunterndes Vorbild für das Volk in der ersten Reihe fechten, so wie es jeder meiner Herren hier tut. Die hauen durch die Helme hindurch, dass in den Schwertkerben das Blut fließt.“ (B 2020) Etzels Reaktion schildert der Erzähler so:„Etzel war so kühn, er ergriff seinen Schild. […] Er wollte vom Kampf nicht ablassen, was bei einem so hochgestellten Fürsten heute selten ist. Man musste ihn am Schildriemen gewaltsam zurückhalten.“ (B 2021/22)
Nach der Ermordung seines Sohnes bleibt Etzel zunächst erstaunlich passiv. Hat er einen Schock erlitten oder ist seine Inaktivität vergleichbar mit der von Karl dem Großen und Artus in den entsprechenden Epen? Das mittelalterliche Publikum mag Etzels Verhalten nicht verstanden haben. Daher hat der Dichter wohl an einer Stelle unterstrichen, dass Etzel nur gewaltsam vom Kampf ferngehalten werden kann.
Etzel und Kriemhild lassen abertausend Hunnen zum Kampf antreten. (B 2083)
Als die Burgunder nach schweren Kämpfen mit Etzel und Kriemhild verhandeln wollen, besteht Etzel auf den Tod aller Burgunder unter Hinweis auf die Ermordung seines Sohnes, die großen Verluste und die Schande, die er durch sie erlitten habe. (B 2090 + 2095) Dann aber überlässt er Kriemhild das weitere Vorgehen. Da ihr perfider Vorschlag, die Burgunder sollten ihr Hagen ausliefern, abgelehnt wird, lässt sie den Saal, in dem sie kämpfen, anzünden. Als die Burgunderkönige, Hagen und die anderen wichtigen Personen des Burgunderhofes den Brand überleben, fordern Etzel und Kriemhild Rüdiger von Bechelaren auf, mit seinen Kriegern die Burgunder zu bezwingen. Ich kann hier nicht auf Rüdigers Seelenkampf, nicht auf seine besondere Beziehung zu Etzel, Kriemhild und den Burgundern eingehen, sondern beschränke mich auf das Verhalten von Etzel und Kriemhild. Sie knien sich beide vor ihren Lehnsmann nieder (B 2152), um durch diese unerhörte Selbsterniedrigung die Gewährung ihrer Bitte zu erreichen, eine Umkehrung des Verhältnisses von Lehnsherrn und Lehnsmann. Es wird von Nibelungenliedforschern auf den Fußfall Friedrich Barbarossas verwiesen, der von Heinrich dem Löwen militärische Hilfe bei einem Italienfeldzug forderte. (19) Rüdiger kündigt Etzel sein Lehen auf, der aber die Aufkündigung nicht akzeptiert, sondern ihm stattdessen verspricht, ein mächtiger König neben ihm zu werden. (B 2157/58) Schließlich ist Rüdiger zum Kampf bereit. Da wünscht ihm der Heide Etzel:„Nun vergelte dir das Gott.“ Und er verspricht ihm, für die Anempfohlenen zu sorgen, falls ihm etwas zustößt, vertraut aber auf sein Königsheil. (B 2165) - Als der getötete Rüdiger herbeigetragen wird, ist der Schmerz aller so groß, dass ihn kein Dichter beschreiben kann. Von Etzel und Kriemhild heißt es:„Etzels Schmerz war so groß, dass der mächtige König mit der von Herzen kommenden Stimme eines Löwen brüllte. Ebenso weinte seine Gemahlin. Sie klagten maßlos um den vorzüglichen Rüdiger.“ (B 2233/34)
Im Zusammenhang mit den letzten Kämpfen, in denen Giselher, Volker und Dankwart umkommen und Dietrich von Bern Gunther und Hagen gefesselt zu Kriemhild bringt, wird Etzel nicht mehr erwähnt, als gehe ihn die Tötung der letzten Burgunder nichts an. Erst als Kriemhild Hagen den Kopf abgeschlagen hat, ist von Etzel wieder die Rede. Sein Leid kenne kein Maß, berichtet der Dichter. Und er lässt Etzel Hagen große Hochachtung entgegenbringen, obwohl der ja seinen Sohn getötet hat, wenn er ihn ausrufen lässt:„Wie liegt nun der allerbeste Ritter hier, erschlagen von den Händen einer Frau, der je zum Kampfe angetreten ist oder einen Schild getragen hat. Wenn ich auch sein Feind gewesen bin, so ist mir sein Tod ein großer Schmerz.“ (B 2374) Etzel kann oder will nicht den zornentbrannten Hildebrand daran hindern, Kriemhild zu erschlagen. Am Schluss heißt es lakonisch: „Dietrich und Etzel weinten.“ (B 2377)
An den historischen Attila erinnert im Nibelungenlied nur die Tatsache, dass Etzel über ein großes Reich mit sehr unterschiedlichen Völkern regiert, „die er alle besiegt hat,“ (B 1235) und sein Herrschersitz im heutigen Ungarn liegt. Er ist weder der Barbar vieler römischer Quellen noch die Geißel Gottes der christlichen Überlieferung. Der Hunnenhof entspricht vielmehr den Höfen deutscher Fürsten um 1200: die Anlage der Gebäude des Herrschers, sein Reichtum, verbunden mit großer Freigiebigkeit, die Herrschaftsstruktur von König und Lehnsleuten, die Feier prunkvoller Feste mit Turnieren. Allerdings herrscht er nicht nur über Christen, sondern auch über Heiden, wobei an vielen Stellen seine Toleranz hervorgehoben wird. - Seiner Frau Kriemhild übergibt er großen Reichtum und überträgt ihr große Machtfülle. Er ist ein liebevoller Gatte und den Verwandten seiner Frau gegenüber arglos, bis er durch die Ermordung des Thronerben in die Auseinandersetzung hineingezogen wird, aber die Rache weitgehend seiner Frau überlässt, am Schluss sogar dem Mörder seines Kindes große Anerkennung zollt.
Ein Grund für diese so andere, positive Darstellung Etzels könnte sein, dass nicht seine Rache, sondern die Kriemhilds im Vordergrund steht. – Hoffmann geht in seiner Nibelungenliedbiographie davon aus, dass dieses positive Attila-Bild aus dem südeuropäisch-gotischen Sagenkreis in das burgundisch-fränkische Lied gedrungen ist. (20)
Außerdem haben Nibelungenliedforscher in 2 ungarischen Herrschern ein Vorbild für Etzel in Erwägung gezogen. Im Mittelalter bezeichnete das Wort „hiune“ (Hunne) auch einen Ungarn. Der heidnische Großfürst der Magyaren Geza (972 – 997) förderte die christliche Missionierung. Er ließ seinen Sohn und Erben taufen, der eine christliche Herzogstochter heiratete und nach seiner Heiligsprechung im 12. Jahrhundert zum Idealtypus des christlichen Herrschers wurde. (21)
Möglicherweise hängt das so positive Attila-Bild im Nibelungenlied auch damit zusammen, dass der König von Ungarn Friedrich Barbarossa während seines Kreuzzuges 1189 mit seinem Heer in der königlichen Residenz Gran besonders herzlich empfing und großzügig zur Verpflegung seines Heeres auf der langen Weiterreise beitrug. Man verabredete sogar die Verlobung des 2. Sohnes von Friedrich Barbarossa mit der Tochter des ungarischen Königs nach der Rückkehr des Kaisers vom Kreuzzug. (22) Das Kreuzzugsheer zog übrigens wie Kriemhild und später die Burgunder an der Donau entlang in Etels Land. Vermutlich stand dem Nibelungenlied-Dichter für die Schilderung von Etels Burg - ich erwähnte es schon - u.a. die königliche Residenz des Ungarnkönigs Gran vor Augen.

2.2. Etzels Hunnen im Nibelungenlied
Im Nibelungenlied werden Hunnen nur dann näher charakterisiert, wenn sie in die Auseinandersetzungen an Etzels Hof hineingezogen werden, nur zwei davon treten näher in Erscheinung: Etzels Bruder Blödel und ein stutzerhafter Markgraf. Wie schon dargestellt, tötet Volker mutwillig im Turnier diesen geckenhaften Hunnen. (31. Aventiure, B 1889)
Der Bruder des historischen Attilas hieß Bleda. Wenn er im Nibelungenlied Bloedelin, neuhochdeutsch Blödel, heißt, könnte das eine Anspielung auf die mittelhochdeutsche Bedeutung „schwach, zart, gebrechlich“ von bloede sein. - Zunächst will er – so erzählt es die 31. Aventiure - aus Furcht vor Etzel nichts gegen die Burgunder unternehmen. (B 1905) Kriemhild verspricht ihm die große Grenzmark des toten Nudung, dessen attraktive Witwe und großen Reichtum. Daher setzt er sich über Etzels Angriffsverbot hinweg und verspricht, Hagen gefesselt vor Kriemhild zu bringen. Zu diesem Zweck will er mit seinen Mannen die Feinde in ihrer Unterkunft überfallen. Er ist sich der Gefährlichkeit des Unternehmens bewusst. (B 1905-1910)
Wohl aus diesem Grund überfällt er stattdessen mit tausend hunnischen Kriegern die ahnungslosen Knappen, die mit Hagens Bruder Dankwart in einem eigenen Saal tafeln. Als dieser von Blödels Absicht erfährt, schlägt er ihm kurzerhand den Kopf ab, ein unrühmliches Ende von Etzels Bruder. Die Knappen, sicherlich unerprobt im Kampf und ohne ausreichende Bewaffnung, wehren sich mit Schwertern und Schemeln und töten 500 und mehr Hunnen. Über 2.000 hasserfüllte hunnische Krieger kommen den noch lebenden Hunnen zu Hilfe. Am Ende liegen 9.000 Knappen und 12 Ritter erschlagen im Saal. Dankwart wagen die Hunnen nicht mit dem Schwert anzugreifen, sondern bewerfen ihn nur aus der Ferne mit Speeren. Er kämpft sich durch die Hunnen durch zum Festsaal, in dem das Festmahl stattfindet. (32. Aventiure)
Schon im der 29. Aventiure versucht Kriemhild, Hunnen mit dem Versprechen von großem Lohn dazu zu bewegen, ihr Leid an Hagen zu rächen. 60 Hunnen sind bereit, aber für Kriemhild sind das zu wenige. Schließlich treten 400 schwer bewaffnete Hunnen mit Kriemhild Volker und Hagen entgegen. Sie tarnen feige ihre Kampfbereitschaft, indem sie ihre Brünnen unter ihrer Kleidung verbergen. (B 1775) Als sie den Beiden gegenüber stehen, verlässt sie der Mut. Für keine noch so große Belohnung sind sie bereit, ihr Leben zu riskieren, und ziehen sich zurück.
Im Schutz der Nacht nahen sich Hunnen erneut Volker und Hagen, die Schildwache halten. Diese verhindern ihren Überfall, und Volker verspottet die abziehenden Hunnen als Feiglinge. (30. Aventiure)
Nach der Ermordung Ortliebs führt Dietrich von Bern Etzel und Kriemhild und seine Mannen aus dem Saal. Auch Rüdiger mit seinen Kriegern darf den Saal verlassen. Ein Hunne, der mit ihnen fliehen will, wird von Volker geköpft. Die Burgunder im Saal töten alle Hunnen, es sind 7.000 an der Zahl. (33. Aventiure + B 2013) Um die Kampfkraft der Burgunder und die Schwäche der Hunnen richtig einschätzen zu können, muss man wissen, dass die 7.000 Hunnen von nur etwas mehr als 1.000 burgundischen Rittern getötet werden. Diese Zahl wird an vielen Stellen im Nibelungenlied erwähnt. (B 1472, 1478, 1501, 1806, 1891)
Kriemhild verspricht dem, der ihr Hagens Kopf bringt, „Etzels Schild bis zum Rand mit Gold gefüllt, dazu viele gute Burgen und Länder.“ (34. Aventiure, B 2025). Volker, der das hört, verspottet die feigen Hunnen, die nicht anzugreifen wagen. -
Als Reaktion auf die Feigheit der Hunnen fühlt sich der Markgraf Iring von Dänemark, der an Etzels Hof lebt, an der Ehre gepackt. Er will allein Hagen besiegen. Sein heldenhafter Kampf wird im Nibelungenlied ausführlich geschildert. Er endet mit seinem Tod. Irnfried, der Landgraf von Thüringen, und Hawart von Dänemark mit 1004 Mannen greifen daraufhin die Burgunder aus Rache an. Alle werden von den Burgundern getötet. (35. Aventiure, B 2028–2078)
In der 36. Aventiure wird berichtet, wie Etzel und Kriemhild veranlassen, dass die Hunnen ein 2. Mal angreifen. Nach B 2083 sind es 20.000 (!) Mann, die C-Fassung bringt keine Zahlenangabe. (C 2139) In der Nacht muss der Kampf abgebrochen werden. Die Burgunder bitten um eine Kampfpause, um ins Freie treten zu können, die ihnen aber nicht gewährt wird. Die Hunnen treiben auf Geheiß Kriemhilds die Burgunder in den Saal zurück und zünden ihn an. Am nächsten Morgen greifen 1.200 Hunnen aus Treue zum König und wegen der von Kriemhild ausgesetzten hohen Belohnung die Burgunder erneut an. „Alle Tüchtigen starben dem König weg.“ (B 2134)
Nun treten nur noch Germanen mit ihren Mannen gegen die Burgunder an. Rüdiger von Bechelaren und Gernot töten sich gegenseitig (37. Aventiure), ebenso Wolfhart, Hildebrands Neffe, und Giselher. (38. Aventiure) Hildebrand tötet Volker, und Helfrich aus Dietrichs Gefolge erschlägt Dankwart. (38. Aventiure) Schließlich kann Dietrich von Bern unter großer Mühe König Gunther und Hagen gefangen zu Kriemhild bringen. (39. Aventiure)
Der C-Bearbeiter vermerkt in einer Zusatzstrophe (C 2351), der Sieg Etzels am Ende sei das Verdienst der Christen. Man muss hinzufügen, dass sie sich nicht nur durch ihre außerordentliche Tapferkeit im Gegensatz zu den feigen und kampfesschwachen Hunnen auszeichnen, sondern auch durch ihre Motivation. Nicht materielle Güter, versprochener Reichtum, sondern ihre Verpflichtung, die sie Etzel und Kriemhild gegenüber empfinden, sowie ihr Ehre sind die Motive ihrer Kampfbereitschaft. Besonders eindrucksvoll ist in diesem Zusammenhang der sterbende Wolfhart, der Hildebrand aufträgt, überall zu verkünden, er habe etwa 100 Männer getötet und sei von einem König, nämlich von Giselher, tödlich verwundet worden. (B 2301–2303)
Man kann sich darüber streiten, ob hohe Zahlen wie 20.000 Mann wörtlich verstanden werden sollen oder nur die Bedeutung von „eine große Zahl“ haben. Aber es bleibt der Eindruck bestehen, dass die zahlenmäßig weit überlegenen Hunnen im Gegensatz zu den Germanen dem Kampfesmut der Burgunder in keiner Weise gewachsen waren.
Der auffallende Kontrast in der Motivation für den Kampf und in der Kampfkraft zwischen Hunnen und Germanen erinnert an den gleichen Kontrast zwischen heidnischen und christlichen Kämpfern in der Kreuzzugsepik. (23)

3. Etzel und seine Hunnen in Hebbels „Die Nibelungen“


Die Nibelungentrilogie (Der gehörnte Siegfried – Siegfrieds Tod – Kriemhilds Rache) als Umgestaltung des mittelalterlichen Nibelungenliedes zu einer Folge von 3 Dramen entstand von 1855 bis 1860 und wurde 1861 uraufgeführt. Sie wurde Hebbels größter Bühnenerfolg und wird bis heute immer wieder aufgeführt, so z. B. in der Spielzeit 2013/14 in Frankfurt. In Worms fanden Aufführungen 1906, 1937–1939 und 1956 (nur 1. und 2. Teil) statt. 2004 und 2005 inszenierte Karin Beier das Stück vor dem Dom im Rahmen der Festspiele. Im letzten Jahr diente der 1. und 2. Teil der Trilogie Dieter Wedel als Vorlage für seine Festspiel-Inszenierung, in diesem Jahr der 3. Teil, in dem Etzel eine zentrale Rolle spielt. In meinem Vortrag geht es nur um diesen 3. Teil der Trilogie, also um „Kriemhilds Rache“.
Hebbel hält sich in groben Zügen an den Handlungsablauf des Nibelungenliedes. Der Gattungswechsel vom Epos zum Drama erzwang eine zeitliche und stoffliche Straffung. Außerdem – das versteht sich von selbst – konnten Massenszenen wie z. B. die Hochzeit Kriemhilds mit Etzel oder der Mord an den 1.000 Knappen nur berichtend wiedergegeben werden. Der ständige Perspektivwechsel in der Auseinandersetzung zwischen den Burgundern und Kriemhild und Etzel nach der Ermordung von Etzels Thronfolger war ein großes Problem. Hebbel löste es dadurch, dass er den gesamten 5. Akt vor dem Aufgang mit dem Tor zum in Brand gesteckten Saal spielen lässt, in dem die Burgunder um ihr Leben kämpfen. Er beginnt mit einem Bericht über den Saalbrand aus der Sicht von außen, enthält u. a. die Zurückweisung Hagens durch das Königspaar, den Gewissenskonflikt Rüdegers – so nennt Hebbel den Rüedegêr des Nibelungenliedes - , die Bezwingung und Gefangennahme Gunthers und Hagens durch Dietrich und den Tod der Gefangenen und Kriemhilds. – Große Schwierigkeiten machte Hebbel die sprachliche Umsetzung. Das Nibelungenlied enthält nur wenige Redeanteile, meist knappe und prägnante Äußerungen der handelnden Personen. Zum Wesen des Dramas gehört dagegen die vorrangige Bedeutung von Dialog und Monolog. Hebbel als sprachgewaltiger Dichter lässt seine Hauptpersonen oft mit großer Emphase bilderreich ihre Gedanken und Empfindungen äußern – und das in 5-hebigem Jambus, dem Versmaß des klassischen Dramas. Deutlich zeigt sich das an vielen Zitaten aus Hebbels Drama in meiner nun folgenden Untersuchung der Darstellung von Etzel und seinen Heunen – so nennt Hebbel die „hiunen“ des Nibelungenliedes.

3.1. Etzel in Hebbels „Die Nibelungen“
Im Gegensatz zum Nibelungenlied steht bei dem Heiden Etzel seine Toleranz gegenüber den Christen an seinem Hof nicht im Vordergrund. Zwar stellt Rüdeger Kriemhild bei der Brautwerbung Etzels Übertritt zum Christentum in Aussicht, wenn sie es wünscht. (I,8: V.3261) Aber davon ist später ebenso wenig die Rede wie von der Taufe von Etzels Sohn. Befremdend weist Etzel auf das Eremitentum der Christen hin. (III,3: V.3964–3970) Andererseits glaubt er bis zur Ermordung seines Sohnes naiverweise, dass sich alle Christen, also auch Kriemhild, durch Feindesliebe auszeichnen. (IV,7: V.4551-4554) Der nachhaltige Eindruck, den der Papst auf ihn macht, führt zu keiner Bekehrung zum Christentum. (IV,14) Auf diese Begegnung gehe ich später näher ein. Der Besuch des Gottesdienstes im Dom durch die Burgunder (IV,12) und Rüdegers religiöse Dimension seines Konfliktes (V,11: V.5292/93) werden nur angedeutet.
Auch Etzels Reichtum, an dem er Kriemhild im Nibelungenlied großzügig teilnehmen lässt, spielt kaum eine Rolle. Das liegt in erster Linie daran, dass sie die Heunen vor allem mit dem versprochenen Gold des Nibelungenschatzes zum Kampf motiviert, wie ich später genauer ausführen werde.
Rüdeger stellt Kriemhild bei der Brautwerbung Etzel als Weltherrscher vor, der sich diese Herrschaft blutig erkämpft hat. So sagt er zu ihr, Etzel habe kein einziges Zepter in Königshänden unzerbrochen gelassen als das der Nibelungen. (I,8: V.3238-3240) Er biete ihr „ein Königreich, das auf der Erde keine Grenzen hat.“ (I,8: V.3265/66) Daraufhin fasst Kriemhild ihren Eindruck folgendermaßen zusammen:
„Herr Etzel ist auch in Burgund bekannt,
Wer seinen Namen hört, der denkt zuerst
An Blut und Feuer, dann an einen Menschen! –
Jawohl, du hast mein Wort! – Man sagt: die Krone
Muss ihm ums Angesicht zusammenschmelzen,
Der glühnde Degen aus den Händen tröpfeln,
Eh er im Stürmen inne hält!“ (I,8: V.3279–3285)

Diese Machtfülle Etzels ist für Kriemhild ausschlaggebend, in die Ehe einzuwilligen, weil sie mit seiner Hilfe Siegfrieds Tod rächen kann, zumal ihr Rüdiger dafür bürgt, dass ihr Etzel keinen Dienst versagt, und ihr schwört, dass auch er ihr keinen Dienst verweigert. (I,8: V.3273-3275)
Thüring, der sich „aus Klugheit und aus halbem Zwang“ (II,2: V.3545) Etzel unterworfen hat, klagt bei Dietrich über die Degradierung der unterworfenen Könige:
„Einst saßen wir auf unsren eignen Thronen,
Jetzt sind wir hier, um für den Heunen-Fürsten
Die blut‘gen Nibelungen zu begrüßen,
Und tragen unser Diadem zum Spott.
Herr Etzel hat sich seinen stolzen Hof
Aus Königen gebildet, und er sollte
Für sich auf einen neuen Namen sinnen,
Bei dem man gleich an dreißig Kronen denkt.“
(II,2: V.3525-3532)

Rüdeger dagegen lobt Etzel gegenüber Thüring, wenn er sagt:
„Vergesst nicht Etzels Sinn und edle Art!
[…] Er ist
Uns gleich an Adel, doch wir hatten‘s leicht,
Wir erbten‘s mit dem Blut von unsern Müttern,
Er aber nahm es aus der eignen Brust!“ (II,2: V.3554-3559)

Und gegenüber Hagen rühmt Rüdeger Etzels bescheidenes Auftreten. Die prachtvolle Ausstattung seiner Burg sei lediglich eine Machtdemonstration, keine Prunksucht. (III,5 V. 4000-4003)
An vielen Stellen in Hebbels Stück wird deutlich, dass für Kriemhild die Heirat mit Etzel ausschließlich Mittel zum Zweck ist, Siegfrieds Ermordung zu rächen. Dietrich warnt die Burgunder, Kriemhild weine Tag und Nacht, was Etzel doch bemerken müsste. (II,9: V.3758) Sie schildert Hagen in drastischen Bildern ihre Ehequalen. Ihre Krone mahne an Schauderküsse, gewechselt in der fürchterlichsten Nacht, an ein Kind, das sie nicht lieben könne. (IV,4: V.4503 ff.) Ähnlich drastisch spricht sie von ihrem Ehevollzug bei Rüdeger. (V,11: V.5312 ff.)
Dietrich verweist bei Etzel auf ihre Tränen und ihr Trauerkleid. (IV,7: V.4550/51) Dieser hat das für ihn unerklärliche Verhalten Kriemhilds ertragen und sich deshalb ihrer enthalten. (IV,7: V.4593/94) – Doch ist er überglücklich, als sie ihm einen Thronerben schenkt. Vor der Ankunft der Burgunder an seinem Hof zeigt er ihr in einem Zwiegespräch seine übergroße Dankbarkeit:
„[…] du erfülltest mir den letzten Wunsch,
Der mir auf Erden noch geblieben war,
Du schenktest mir den Erben für mein Reich,
Und was ich dir im ersten Vater-Rausch
Gelobte, halt‘ ich auch: Du kannst nicht fordern,
Was ich versagte, seit ein Sohn mir lebt.
Und wenn du nichts für dich verlangen magst,
So lass mich‘s an den Deinigen beweisen,
Dass es mir Ernst mit dieser Rede ist.“
(III,3: V.3879-3887)

Nach der Ankunft der Burgunder an seinem Hof bittet Kriemhild Etzel, ihr deren Empfang zu überlassen. Er stimmt zu und zieht sich zurück, während sie versucht, ihre Rachepläne zu verwirklichen.
Am nächsten Morgen tötet Volker auf dem Weg zur Messe einen aufgeputzten Hunnen. Es ist im Gegensatz zum Nibelungenlied ein offenkundiger Mord ohne ersichtlichen Grund. Werbel, der wie im Nibelungenlied die Burgunder an Etzels Hof geladen hat, hetzt daraufhin die Heunen gegen die Burgunder auf. Etzel behauptet gegen besseres Wissen, es sei ein Versehen gewesen, und verhindert eine blutige Auseinandersetzung. Er verbietet deshalb auch Waffenspiele. (IV,11-13)
Kriemhild tadelt Etzel dafür, dass er Volkers Provokation hingenommen habe. (IV,12: V.4691 ff.) Er bestätigt ihr gegenüber, dass er sich an das hält, was Rüdeger ihr in seinem Namen gelobt hat, nämlich ihr keinen Dienst zu versagen. So ist er bereit, auf Kriemhilds Aufforderung hin persönlich Hagen zu töten, allerdings nicht, solange für die Burgunder das Gastrecht gilt. (IV,13)
In der 14. Szene des 4. Aktes charakterisiert und begründet Etzel wortreich in beeindruckenden Bildern vor Kriemhild seine Wandlungen vom blutigen Welteroberer zum gewaltfreien Herrscher, der aber bereit ist, wieder Gewalt auszuüben, aber nur in gerechter Sache.
„Etzel:
Man sieht mich, wie ich war, nicht wie ich bin! –
Ich ritt einmal das Ross, von dem dir nachts
In dem gekrümmten, funkelnden Kometen
Am Himmel jetzt der Schweif entgegen blitzt.
Im Sturme trug es mich dahin, ich blies
Die Throne um, zerschlug die Königreiche
Und nahm die Könige an Stricken mit.
So kam ich, alles vor mir niederwerfend,
Und mit der Asche einer Welt bedeckt,
Nach Rom, wo euer Hoherpriester thront.
Den hatt‘ ich bis zuletzt mir aufgespart,
Ich wollt‘ ihn samt der Schar von Königen
In seinem eignen Tempel niederhauen,
Um durch dies Zorngericht, an allen Häuptern
Der Völker durch dieselbe Hand vollstreckt,
Zu zeigen, dass ich Herr der Herren sei,
Und mit dem Blute mir die Stirn zu salben,
Wozu ein jeder seinen Tropfen gab.
Kriemhild:
So hab‘ ich mir den Etzel stets gedacht,
Sonst hätt‘ Herr Rüdeger mich nicht geworben;
Was hat ihn denn verwandelt?
Etzel:
Ein Gesicht
Furchtbarer Art, das mich von Rom vertrieb!
Ich darf es keinem sagen, doch es hat
Mich so getroffen, dass ich um den Segen
Des Greises flehte, welchem ich den Tod
Geschworen hatte, und mich glücklich pries,
Den Fuß zu küssen, der den Heil‘gen trug.
Kriemhild:
Was denkst du denn zu tun, den Eid zu lösen?


Etzel (deutet gen Himmel):
Mein Ross steht immer noch gesattelt da,
Du weißt, es ist schon halb zum Stall heraus,
Und wenn sich‘s wieder wandte und den Kopf
In Wolken tief versteckte, so geschah‘s
Aus Mitleid und Erbarmen mit der Welt,
Die schon sein bloßer Schweif mit Schrecken füllt.
Denn seine Augen zünden Städte an,
Aus seinen Nüstern dampfen Pest und Tod,
Und wenn die Erde seine Hufen fühlt,
So zittert sie und hört zu zeugen auf.
Sobald ich winke, ist es wieder unten,
Und gern besteig‘ ich‘s in gerechter Sache
Zum zweiten Mal und führe Krieg für dich.
Ich will dich rächen an den Deinigen
Für all dein Leid, und hätt‘ es längst getan,
Hätt‘st du dich mir vertraut, nur müssen sie
In vollem Frieden erst geschieden sein.“
(IV,14: V.4732-4776)


Lange Zeit – so Etzel – habe er also als blutiger Welteroberer in einem „Zorngericht“ alle Königreiche zerstört. Sein Ross, dessen Schweif nachts am Himmel in Kometen blitzt, macht ihn zu einem übermenschlichen mythischen Wesen, das an die apokalyptischen Reiter im 6. Kapitel der Geheimen Offenbarung des Johannes erinnert. Die Begegnung mit dem Papst verwandelt ihn. Er wendet keine Gewalt mehr an. - Etzels Begegnung mit dem Papst, die im Nibelungenlied nicht vorkommt, ist historisch nachgewiesen, die von Etzel beschriebene Wirkung entstammt jedoch der Legende. - Allerdings ist Etzel wieder zur Gewalt bereit - das immer noch gesattelte Pferd ist dafür ein Zeichen - jedoch nur „in gerechter Sache“. Und die Rache für den Mord an Siegfried ist für ihn eine solche gerechte Sache. Doch will er erst zum Rächer werden, wenn die Burgunder nicht mehr durch das Gastrecht geschützt sind.
Diese Selbstdarstellung Etzels ist ein gutes Beispiel für Hebbels Bemühen um psychologische Glaubwürdigkeit der Wandlungen im Verhalten seiner Personen und vor allem für seine emphatische Wortwahl und die Eindringlichkeit seiner Bilder, wodurch sich seine Trilogie grundlegend vom Nibelungenlied unterscheidet.
Wie im Nibelungenlied schlägt Hagen dem Sohn von Etzel und Kriemhild den Kopf ab, als er erfährt, dass alle Knappen umgebracht worden sind. Im Gegensatz zum Nibelungenlied reagiert Etzel sofort. Auf Hagens höhnische Aufforderung: „Lasst denn sehn, wer Totengräber ist“ antwortet Etzel:„Ich! –Folgt mir!“ (IV,23: V.4961/62) und verlässt mit Kriemhild und den germanischen Fürsten den Saal. „In der Tür“ versichert er den Burgundern, dass er, wenn er von der Ermordung der Knappen erfahren hätte, die Täter bestraft hätte. Dann fährt er fort:
„Jetzt seid Ihr aus dem Frieden
Der Welt gesetzt und habt zugleich die Rechte
Des Kriegs verwirkt! Wie ich aus meiner Wüste
Hervorbrach, unbekannt mit Brauch und Sitte,
Wie Feuer und Wasser, die vor weißen Fahnen
Nicht stehen bleiben und gefalt‘ne Hände
Nicht achten, räch‘ ich meinen Sohn an Euch
Und auch mein Weib. Ihr werdet diesen Saal
Nicht mehr verlassen“ (IV,23: V.4966-4974)
Gegenüber Hagen bekräftigt Etzel:
„Stamm um Stamm!
Sie haben meinen ausgelöscht, sie sollen
Auch selbst nicht fortbestehn.“ (V,8: V.5102-5104)

Bei der Aufforderung an Rüdeger, gegen die Burgunder zu kämpfen, steht Kriemhild im Vordergrund, Etzel bleibt im Gegensatz zum Nibelungenlied im Hintergrund. Sein letzter Satz gegenüber Rüdeger lautet allerdings:„Nun fechtet’s aus. / Ich werd’s auch an mir selbst nicht fehlen lassen. / Wenn mich die Reihe trifft, denn Wort ist Wort.“ (V,11: V.5258-5260) Während Rüdeger den Kampf beginnt, lässt sich Etzel den Helm bringen. (V,13: V.5376) Und als er Rüdegers Tod erfährt, greift er nach dem Helm mit den Worten:„Nun ist’s an mir, und keiner hält mich mehr.“ Aber Dietrich antwortet ihm:„Es ist an mir, der König kommt zuletzt.“ (V,14: V.5410/11) Dann geht er an Etzels Stelle in die Halle, um Gunther und Hagen zu überwältigen. Er bringt beide gefesselt zu Etzel, der ihnen verspricht, dass sie bis zum nächsten Tag sicher sein sollen. Dann überlasse er sie Kriemhild. Sie aber lässt Gunther und dann Hagen unter ähnlichen Umständen wie im Nibelungenlied töten und wird selbst von Hildebrant getötet, ohne dass Etzel einschreitet. Das Nibelungenlied endet – wie dargestellt – mit dem Lob Hagens durch Etzel und seinen Tränen und denen Dietrichs. Ganz anders das Ende bei Hebbel:
„Etzel:
Nun sollt‘ ich richten – rächen – neue Bäche
Ins Blutmeer leiten – Doch es widert mich,
Ich kann‘s nicht mehr – mir wird die Last zu schwer –
Herr Dietrich, nehmt mir meine Kronen ab
Und schleppt die Welt auf Eurem Rücken weiter.
Dietrich:
Im Namen dessen, der am Kreuz erblich!“
(V,14: V.5451-5456)
Die letzten Worte Etzels bedürfen keiner Erklärung, wohl aber die Antwort Dietrichs, die nach neuerer Forschung nicht den Sieg des Christentums über das Heidentum bedeutet. Doch das zu erörtern, wäre ein eigenes Thema.

3.2. Etzels Hunnen in Hebbels „Die Nibelungen“
Bei Hebbel wird Etzels Bruder Blödel nur erwähnt. In IV,6 erfährt der Zuschauer summarisch:„Der stolze Iring fiel, / der milde Thüring auch, / Irnfried und Blödel und die Völker mit.“ (V. 5055-5057) Es wird nicht der Grund für ihr Eingreifen in die Auseinandersetzung zwischen den Burgundern und dem Königspaar genannt, auch nicht die besondere Tapferkeit der germanischen Krieger auf Etzels Seite hervorgehoben.
2 Heunen, die wie im Nibelungenlied eine Rolle spielen, treten näher in Erscheinung: der mit einem Federbusch geschmückte Heune, den Volker grundlos tötet, (IV,11) und der Spielmann Swemmel, der die Burgunder an Etzels Hof eingeladen hat und der im Gegensatz zum Nibelungenlied an Stelle von Blödel die Heunen anführt, die die Knechte der Burgunder – die Knappen des Nibelungenliedes – in ihrem Saal töten und dabei mit Swemmel ebenfalls umkommen. Wie im Nibelungenlied bringt Kriemhild durch das Versprechen von großem Lohn – bei Hebbel insbesondere von Gold des Nibelungenschatzes - die Heunen dazu, Hagen anzugreifen (III,1: V.3807/08 + IV,3) und die Knechte niederzumachen (IV,8+9: V.4610-4612 + 4615-4618). Außerdem lässt Hebbel im Gegensatz zum Nibelungenlied in der letzten Szene den letzten überlebenden Heunen neben Etzel, einen „verstümmelten“ Krieger, auftreten, der mit Kriemhilds Versprechen, sich den Nibelungenhort zu verdienen, König Gunther enthauptet. – Nur von Rüdeger und Dietrich von Bern werden andere Motive für ihre Beteiligung am Kampf genannt: Rüdegers Lehnspflicht und sein durch Eid bekräftigtes Versprechen gegenüber Kriemhild und Dietrichs Treue gegenüber Etzel. (V,11 + 13)

Hebbel charakterisiert die Heunen noch deutlich negativer als das Nibelungenlied. Während Dankwart und Rumolt Wache halten, schleichen sich Heunen heran. Dankwart charakterisiert sie gegenüber Rumolt so:
„Dankwart: Und wie das glupt
Und stiert und heimlich an den Arm sich stößt
Und wispert! […]
Sie knurren zwar, doch ziehn sie sich zurück;
Unheimliches Gesindel, klein und frech.“
(III,8: V.4129-4131 + V.4137/38)
Rumolt erinnert sich an einen Blick in eine Höhle:
„Rumolt: Da glühten
Wohl dreißig Augenräder mir entgegen,
Grün, blau und feuergelb, aus allen Ecken
Und Winkeln, wo die Tiere kauerten,
Die Katzen und die Schlangen, die sie zwinkernd
In ihren Kreisen drehten. Schauerlich
Sah‘s aus, es kam mir vor, als hätt‘ sich eine
Gestirnte Hölle tief im Mittelpunkt
Der Erde aufgetan, wie all‘ die Funken
So durcheinandertanzten.“ (III,8: V.4140-4149)
Und er fühlt sich beim Anblick der Heunen, die er „so tückisch glupen“ sieht, an diese unterweltlichen Kreaturen erinnert. (V. 4152) Gegenüber Dankwart führt er weiter aus:
„Rumolt: Es war die Brut der Nacht,
Die dort beisammen saß, die feige Schar,
Die kratzt und sticht.“ (III,8: V.4161-4163)
Dankwart wendet ein:
„Dankwart: Verachten möcht‘ ich
Sie nicht, denn Etzel hat die Welt mit ihnen
Erobert.
Rumolt: Hat er‘s auch bei uns versucht?
Er mähte Gras und ließ die Arme sinken,
Als er auf deutsche Eichen stieß!“ (III,8: V.4167-4171)

Hagen äußert sich gegenüber Volker über die Heunen, die sie umschleichen:
„Hagen:
Fängt’s hinter dir zu trippeln an, so huste,
Dann wirst du’s laufen hören, denn sie werden
Als Mäuse kommen und als Ratten gehn!“
(III,13: V.4272-4274)


In der 3. Szene des 4. Aktes kommt Kriemhild in der Nacht mit einer Heunenschar zu Hagen und Volker, die Schildwacht halten.
Sie wollen heimtückisch die Nibelungen überfallen, sind aber beim Anblick von Hagen und Volker feige. Während Kriemhild erfolglos versucht, die Heunen zum Kampf zu motivieren, werden sie von Hagen verspottet.
„Hagen: Sie fliehn!
Noch ist Herr Etzel nicht dabei! – Zu Bett!
Kriemhild: Pfui! Seid ihr Männer?
Hagen: Nein, ein Haufen Sand,
Der freilich Stadt und Land verschütten kann,
Doch nur, wenn ihn der Wind ins Fliegen bringt.
Kriemhild: Habt ihr die Welt erobert?
Hagen: Durch die Zahl!
Die Million ist eine Macht, doch bleibt
Das Körnchen, was es ist!
Kriemhild: Hört ihr das an
Und rächt euch nicht?
Hagen: Nur zu! Brauch deinen Hauch,
Ich blase mit hinein!
(Zu den Heunen) Kriecht auf dem Bauch
Heran und klammert euch an unsre Beine,
Wie ihr‘s in euren Schlachten machen sollt.
Wenn wir ins Stolpern und ins Straucheln kommen
Und durch den Purzelbaum zugrunde gehn,
Um Hülfe schrei‘n wir nicht, das schwör ich euch!
(IV,3: V.4382-4395)

Auch Swemmel gibt gegenüber Kriemhild zu, dass die Hunnen nur in großen Scharen den Gegner besiegen, wenn er zu ihr sagt: „Dem Hornissschwarm erlag schon mancher Leu.“ (III,1: V.3798) Spätestens hier wird deutlich, mit welchen bedenklichen Bildern Rumolt, Dankwart und Hagen die Heunen beschreiben:„Katzen und Schlangen“, „Brut der Nacht, die kratzt und sticht“, „Mäuse und Ratten“, „ein Haufen Sand“.
Auf Dankwarts Einwand, Etzel habe mit ihnen die Welt erobert, antwortet Hagen:„Er mähte Gras und ließ die Arme sinken / als er auf deutsche Eichen stieß.“ (III,8: V. 4170/71) Aus dem Kontext geht klar hervor, dass Hagen mit Gras die Völker meint, die Etzel erobert hat, mit deutschen Eichen die Burgunder, die er als einzige nicht besiegt hat. (I,8: V. 3238-3240)


4. Zusammenfassung


Im Nibelungenlied erscheint Etzel weitgehend als mächtiger, aber friedfertiger mittelalterlicher Herrscher, der nur durch die Umstände, die Ermordung seines Sohnes, geradezu halbherzig in die blutige Auseinandersetzung eingreift und am Schluss seine Situation als Herrscher ohne Gattin und Thronfolger und ohne militärische Machtmittel beweint, aber dem ermordeten Hagen, seinem größten Gegner, große Ehre zollt. – Bei Hebbel macht Etzel zwei große Wandlungen durch. Die Begegnung mit dem Papst macht aus dem Eroberer und Gewaltherrscher geradezu einen Friedensfürsten, dem dann als Rächer von Siegfrieds Ermordung und der seines Sohnes wieder ein blutiger Kampf aufgezwungen wird. Auch er verliert dabei außer dem Thronfolger auch seine Gattin und alle militärischen Machtmittel, was ihn dazu veranlasst, als Herrscher die Macht an Dietrich weiterzugeben.
Die Hunnen müssen im Nibelungenlied im Gegensatz zu den Germanen mit dem Versprechen von materiellen Gütern dazu motiviert werden, zu kämpfen. An mehreren Stellen wird ihre Feigheit und mangelnde Kampfkraft gegenüber den Burgundern deutlich. Nur mit überwältigender zahlenmäßiger Übermacht und letztlich nur mit Hilfe der Germanen können sie die Burgunder besiegen. – Die Schwächen der Heunen bei Hebbel entsprechen denen im Nibelungenlied, werden aber viel drastischer dargestellt. Hagen nennt die Burgunder „deutsche Eichen“, und die Heunen werden durch ihr Verhalten und die von mir zitierten Metaphern deutlich negativer als im Nibelungenlied charakterisiert. Damit war Hebbel ein Kind seiner Zeit. Die meist massive Abwertung der sogenannten Naturvölker, ihre erzwungene Kolonisierung oder gar Versklavung nährte die Vorstellung vom Herrenmenschentum der Weißen. 1852–1854 schrieb der Franzose Arthur de Gobineau seinen „Versuch über die Ungleichheit der menschlichen Rassen“, 1859 veröffentlichte Darwin seine Evolutionstheorie. Beide Werke entstanden also in der Zeit, als Hebbel „Die Nibelungen“ verfasste. In beiden Werken fand rassistisches Denken zu Recht oder zu Unrecht viele Argumente.
„Schlangen“, „Brut der Nacht“, „Mäuse und Ratten“ zur Bezeichnung von Menschen lassen an den menschenverachtenden Sprachgebrauch des Nationalsozialismus denken, der mit diesen und ähnlichen Bildern angeblich rassisch minderwertigen Volksgruppen diffamierend das Lebensrecht absprach.
Hebbel sah wie viele seiner Zeitgenossen im Nibelungenlied ein Loblied auf die vermeintlich typisch deutschen Tugenden wie Kampfbereitschaft, Tapferkeit, Treue, in seinen Recken Vorbilder für die Wehrhaftigkeit auch der Deutschen seiner Zeit. Nur mit ihren Eigenschaften – so Hebbel – könnten die Deutschen drohenden Eroberungsfeldzügen der Türken Einhalt gebieten. Auszüge aus seinem Gedicht „Auf das Nibelungenlied“, das 1858 entstand, also mitten in seiner Arbeit an den „Nibelungen“, mit denen ich meinen Vortrag beenden möchte, bedürfen keiner weiteren Erklärungen.
„Kommen werden die Zeiten, wo Asiens grimmige Horden
Uns aufs Neue den Kampf anbieten am Goldenen Horn,
Und, wie die Väter gesiegt, so können die Enkel erliegen.
[…]
Dann ergießt sich der Schwarm, geführt von Attilas Schatten,
Über den Stolz der Kultur ohne Erbarmen daher.“
Die deutsche Kultur könne dem nichts entgegensetzen, weder
den Tasso noch den Faust.
„Aber die Helden Burgunds versteht er, den grimmigen Hagen.
[…]
Und so schlagen die Recken, die unsre ält‘sten Schlachten
durchgefochten, dereinst auch noch die jüngste für uns.“ (24)

 


Literaturangaben


(alle Zitate der ab 2006 gültigen amtlichen Regelung der Rechtschreibung und Zeichensetzung angepasst)

Textgrundlage
Grosse, Siegfried: Das Nibelungenlied Mittelhochdeutsch/Neuhochdeutsch nach dem Text von Karl Bartsch und Helmut de Boor, ins Neuhochdeutsche übersetzt und kommentiert, Stuttgart: Reclam, 2003 (Diese Ausgabe fußt auf der St. Gallener Handschrift B)
Schulze, Ursula: Das Nibelungenlied nach der Handschrift C, Stuttgart 1997
Hebbel, Friedrich. Die Nibelungen. Ditzingen: Reclams Universalbibliothek Nr. 3171, 2001 (Der Text folgt der Ausgabe: Friedrich Hebbel: Sämtliche Werke. Historisch-kritische Ausgabe. Besorgt von Richard Maria Werner. Erste Abteilung. Vierter Band. Berlin: Behr, 1910)

Zitierte Literatur
Bodo, Anke und Externbrink, Heike (Redaktion): Attila und die Hunnen, Begleitbuch zur Ausstellung im Historischen Museum der Pfalz Speyer, Konrad Theiss: Stuttgart, 2007
- S. 39-46: Anke, Bodo: Zur hunnischen Geschichte nach 375
- S. 49–57: Externbrink, Heike: Attila als historische Persönlichkeit
- S. 323–331: Huck, Thomas: Thüringer und Hunnen
- S. 337–345: Schulze, Ursula: Der weinende König und sein Verschwinden im Dunkel des Vergessens - König Etzel im „Nibelungenlied“ und in der „Klage“
- S. 349–355: Reichert, Hermann: Attila in altnordischer Dichtung
- S. 359–364: Herberichs, Cornelia: Die Jungfrau und der Hunnenkönig, Attila in der Ursula-Legende
- S. 369–373: Pahl, Herbert: Attila und die Hunnen im Spiegel von Kunst und Literatur
De Boor, Helmut: Die höfische Literatur, Beck: München, 4. Auflage 1960
Domarus, Max: Hitler – Reden und Proklamationen 1932 - 1945, Band II,2: 1941 – 1945, Süddeutscher Verlag 1965
Hoffmann, Werner: Das Nibelungenlied, 6. erweiterte und überarbeitete Auflage des Bandes „Nibelungenlied“ von Gottfried Weber und Werner Hoffmann, Stuttgart 1992
Kost, Jürgen: Ein deutscher Mythos als Trauerspiel – Friedrich Hebbels Nibelungen in: Bönnen, Gerold und Gallé, Volker (Hrsg.):Die Nibelungen in der Moderne, Worms-Verlag 2004
Müller, Jan-Dirk: Spielregeln für den Untergang, Max Niemeyer Verlag: Tübingen 1998
Oberste, Jörg: Der Schatz der Nibelungen, Lübbe Bergisch-Gladbach 2008
Panzer, Friedrich: Das Nibelungenlied – Entstehung und Gestalt, Kohlhammer 1955

Fußnoten


1: Schulze S. 337
2: Externbrink S. 50
3: Anke S. 44
4: Huck S. 323
5: Externbrink S. 52/53
6: Anke S.44/45
7: Anke S. 45 + Externbrink S. 55
8: Externbrink S. 56
9: Externbrink S. 49
10: De Boor: S. 42
11: Herberichs S. 359
12: Pahl S. 372
13: Reichert S. 349-355
14: Pahl S. 372/73
15: Domarus S. 1918/19
16: Domarus S. 2000
17: Domarus S. 2204
18: Grosse S. 866 + Oberste S. S.233/34
19: Grosse S. 919
20: Hoffmann S. 62 ff.
21: Oberste S. 238
22: Panzer S. 398
23: Müller S. 158
24: Kost S.160 (Wortlaut des Hebbel-Gedichtes mit Erklärungen)