Welche Rolle spielt das
Christentum
in Hebbels "Die Nibelungen"

Ein Vortrag von Herrn Hans Müller

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Nibelungen-Festspiele, Worms, 1937 (Archivbild) ..



Gliederung:

A) Einführung:

1. Der Nibelungenstoff als Spiegelung politischer und geistiger Umbrüche
2. Die Wölsungensaga als wichtige Ausgestaltung in der nordischen Dichtung
3. Das Nibelungenlied

B) Hauptteil: Hebbel: Die Nibelungentrilogie

Vorbemerkung: Zeitpunkt der Handlung
Heidnisches und vor allem Christliches in den einzelnen Personen:

1. Personen, die weit in den heidnisch-mythischen Bereich hineinreichen:
... Brunhild, Siegfried, Hagen

2. Personen, in denen sich Heidnisches und Christliches untrennbar vermischen:
... Etzel, Kriemhild

3. Personen, die aus christlicher Gesinnung handeln oder zumindest zu handeln versuchen:
... Ute, Hofkaplan, Rüdeger von Bechelaren, Dietrich von Bern

Abschließende Beurteilung
der Bedeutung der heidnischen und christlichen Elemente aus der Sicht Hebbels

C) Schluss: Kommentierung der Aufführung der Trilogie vor dem Wormser Dom 2004
... unter dem Aspekt der Rolle des Christentums



Einführung

Der Nibelungenstoff als Spiegelung politischer und geistiger Umbrüche

Der Nibelungenstoff spiegelt historische Vorgänge der Völkerwanderungszeit wider. Es war eine Zeit großer politischer Umbrüche. Das Römische Reich zerfiel, es entstanden neue oft kurzlebige Reiche: das Hunnenreich, mehrere germanische Reiche, schließlich entstand im Frankenreich das erste Großreich des Westens.

Es war aber auch eine Zeit großer geistiger Umbrüche: das Christentum trat an die Stelle der unterschiedlichen Glaubensvorstellungen, Menschenbilder, Wertordnungen der heidnischen Völker, so auch der Germanen.

Das Aufgeben der alten Glaubensvorstellungen zugunsten des christlichen Glaubens war ein langwieriger Prozess. Dass an die Stelle der germanischen Wertordnung, des germanischen Lebensgefühls die christliche Ethik mit ihrem Verzicht auf Rache, ja mit Feindesliebe, ihrer Friedensbotschaft trat, dafür gibt es zahlreiche Beispiele vom frühen Mittelalter bis heute. Aber es ist auch nicht zu leugnen, dass leider auch im Namen Christi immer wieder gegen diese hohen christlichen Werte fundamental verstoßen wurde.

Der Nibelungenstoff, der diese Zeit der Umbrüche – wenn auch verzerrt - widerspiegelt, zeigt in seinen Ausprägungen einen sehr unterschiedlich starken Einfluss des erstarkenden Christentums auf die handelnden Personen.

In meinem Vortrag geht es um die Rolle des Christentums in Hebbels „Die Nibelungen“. Hebbel hat einige wichtige Einzelheiten für den Gegensatz zwischen germanischem Heidentum und Christentum aus der nordischen Sagentradition übernommen, aber als Hauptquelle das Nibelungenlied benutzt. Philologische Akribie hat errechnet, dass etwa 22% des Hebbel-Textes auf Gedanken oder den Wortlaut des NL zurückgehen.(a) So führt es direkt zum Thema, wenn ich kurz darauf eingehe, wie in diesen beiden Ausprägungen des Nibelungenstoffes Heidentum und Christentum dargestellt werden.


Die Wölsungensaga als wichtige Ausgestaltung in der nordischen Dichtung

Die meisten von Ihnen dürften viele Einzelheiten daraus kennen, denn Wagner hat die Saga als Hauptquelle für „Der Ring des Nibelungen“ benutzt.

Um 1260 in Skandinavien entstanden, verarbeitet sie den schon sehr früh dorthin gelangten Nibelungenstoff. Die Vorgänge spielen in vorchristlicher Zeit. An keiner Stelle wird Christliches auch nur erwähnt. Germanische Götter und Göttinnnen treten als handelnde Personen auf, werden immer wieder erwähnt. Die aus dem NL bekannten Hauptpersonen Siegfried (in der Wölsungensaga: Sigurd) und Brünhild (in der Wölsungensaga: Brynhild) stehen in deutlicher Verbindung zum Göttervater Odin (Wotan). Brynhild ist in der Wölsungensaga eine von Odin wegen ihres Ungehorsams bestrafte Walküre. Sie gibt weise Ratschläge, vermag Träume zu deuten und die Zukunft vorauszuschauen.

Das Ethos des germanischen Kriegeradels prägt sehr stark das Geschehen. Als besonders hohe Tugend wird das Einstehen füreinander in Gefolgschafts- und Sippentreue bis in den heldischen Tod als höchste Form der Selbstbehauptung verherrlicht; dabei fordern die Helden oft trotz Untergangsgewissheit das Schicksal trotzig heraus. Geschildert wird oft ein ständiger Kampf um Macht. Charakteristisch ist das ausgeprägte Empfinden für die Verletzung der Ehre, deren Wiederherstellung notfalls die Ermordung des Entehrenden fordert, und das Pochen auf Recht zur Rache, wenn Sühne nicht geleistet wird. – Ein zutiefst unchristliches Ethos.


Das Nibelungenlied

Um 1200 im deutschen Sprachgebiet entstanden, ist seine Handlung zwar wie in der Wölsungensaga vom Ethos des germanischen Kriegeradels geprägt, aber germanische Götter und Göttinnen treten im NL nicht auf, werden an keiner einzigen Stelle auch nur erwähnt. – Der Nibelungenstoff wird an die Vorstellungswelt und die Realitätserfahrung der durch das Christentumm stark geprägten Adelswelt in Deutschland um 1200 angepasst.

Brünhild ist keine Walküre, sondern eine Amazone. – Siegfried kommt aus keinem Göttergeschlecht, sondern ist der Sohn des mächtigen Königs von Xanten.

Der NL-Dichter braucht das Schwert Balmung, den Nibelungenhort, den Tarnmantel, die Unverwundbarkeit Siegfrieds, seine übermenschliche Stärke für den Handlungsablauf. Aber er lässt den Erwerb bewusst im Halbdunkel, erwähnt ihn nur beiläufig - aus Hagens Perspektive.

Diesen mythischen Elementen, die vom NL-Dichter betont abgeschwächt werden, stehen im NL die christlichen Elemente gegenüber.

Eindeutig Nicht-Christen sind nur die Hunnen mit Etzel an der Spitze. Alle anderen Personen, insbesondere die Germanen, müssen als Christen angesehen werden. - Sie haben das Christentum übernommen, aber die meisten nur äußerlich, nicht innerlich erfasst. In ihrer Gesinnung und Haltung lebt das germanische Heidentum weiter. Meine Ausführungen über das unchristliche Ethos in der Wölsungensaga gelten fast ohne Einschränkungen auch für das NL. Deutliche Anzeichen christlicher Gesinnung gibt es nur bei zwei wichtigen Personen, bei Rüdiger von Bechelaren und Dietrich von Bern.



Hebbel: Die Nibelungentrilogie

(Hebbels „Die Nibelungen“ wurde nach der im Anhang angeführten Reclam-Ausgabe zitiert, jedoch der neuen Rechtschreibung angepasst)

Vorbemerkungen:

1. Hebbel hat den Nibelungenstoff in 3 Dramen gestaltet,
... die zu einer Trilogie zusammengefasst sind:

Der gehörnte Siegfried als Vorspiel in 4 Szenen: Von Siegfrieds Ankunft in Worms, Hinweisen auf seine Jugendtaten, bis zu den Vorbereitungen der betrügerischen Werbung um Brunhild (abgekürzt: gH)

Siegfrieds Tod als Trauerspiel in 5 Akten: Von Brunhilds Leben in Island, ihrer betrügerischen Bezwingung bis zu Siegfrieds Tod (abgekürzt: ST)

Kriemhilds Rache ebenfalls als Trauerspiel in 5 Akten: von Rüdegers Werbung um Kriemhild für Etzel bis zur Katastrophe (abgekürzt: KR)

2. Wenn ich den Begriff Heide/heidnisch gebrauche, benutze ich ihn so undifferenziert wie im NL und bei Hebbel als Bezeichnung für einen Nichtchristen/nichtchristlich, wissend, dass es sich um eine vereinfachte Darstellung handelt. Aber ein differenziertes Eingehen auf die germanische Mythologie in Hebbels „Die Nibelungen“ würde den Zeitrahmen dieses Vortrags völlig sprengen.

Vorbemerkung: Zeitpunkt der Handlung der Nibelungentrilogie

Sie spielt nicht in einem zeitlosen Raum, sondern in einer ganz bestimmten Epoche, nämlich in jener geistes- und religionsgeschichtlich wichtigen Zeitspanne, als die germanischen Stämme gerade das Christentum angenommen haben. Historisch weit auseinander liegende Ereignisse und Vorgänge im Rahmen der Christianisierung erscheinen in Hebbels „Nibelungen“ wie in einem Brennspiegel fast zeitgleich:

- der Kollektivübertritt des Burgundenstammes zwischen 415 und 443 (b)

- der Beginn der Missionierung der Angelsachsen um 600

- die Missionierung der germanischen Stämme durch den südenglischen Mönch Bonifatius,
. etwa 80-jährig 754 gestorben, also genau vor 1250 Jahren

- die sehr späte Missionierung Islands, wo das Christentum erst um 1000 Staatsreligion wird.

Hebbel hat große Mühe darauf verwandt, diese Umbruchzeit in seiner Trilogie zu gestalten, wobei er viele Anregungen aus dem NL und der nordischen Ausgestaltung des Nibelungenstoffes übernahm, aber durch eigene Hinzufügungen ergänzte. Er stellte heidnisch-germanische und christliche Elemente deutlich gegenüber.

Eindrucksvoll wird vom Hofkaplan der Burgunden in ST II,5 deren religiöse Einstellung charakterisiert. Auf die Frage des Hofkaplans vor Ankunft Brunhilds an Siegfried, ob sie getauft sei, antwortet dieser:

„Siegfried: Sie ist getauft!

Kaplan: So ist’s ein christlich Land, aus dem sie kommt?

Siegfried: Man ehrt das Kreuz.

Kaplan: Man ehrt’s wohl so, wie hier.

Wo man sich’s neben einer Wodanseiche

Gefallen lässt, weil man nicht wissen kann,

Ob ihm kein Zauber innewohnt, so wie

Der frömmste Christ ein Götzenbild noch immer

Nicht leicht zerschlägt, weil sich ein letzter Rest

Der alten Furcht noch leise regt,

Wenn er es glotzen sieht.“ (V.1060-69)


Man kann die Personen von Hebbels „Die Nibelungen“ grob in 3 Gruppen einteilen:

1. Personen, die weit in den heidnisch-mythischen Bereich hineinreichen
2. Personen, in denen sich Heidnisches und Christliches untrennbar vermischen
3. Personen, die aus christlicher Gesinnung handeln oder zumindest zu handeln versuchen.

Heidnisches und vor allem Christliches in den einzelnen Personen

Personen, die weit in den heidnisch-mythischen Bereich hineinreichen

Um die christlichen Elemente in ihrer Bedeutung zu verstehen und die Rolle des Christentums in Hebbels Nibelungentrilogie richtig einschätzen zu können, muss man sich vorher die heidnischen Elemente vor Augen führen.

Gestatten Sie mir daher, aus der Überfülle des Materials Wichtiges darzulegen, wenn auch im Rahmen dieses Vortrags notwendigerweise etwas undifferenziert.

Brunhild

Sie erfährt von ihrer früheren Amme, jetzt ihrer Vertrauten, Frigga, dass sie als Götterkind unter Mitwirkung Odins auf die Welt gekommen sei. Wenn sie eine Mutter habe, so müsse Brunhild sie sich „unter Nornen und Valkyrien“ suchen. (ST I,1)

Frigga ist eine Hinzufügung Hebbels; bei ihrem Namen hat er sich vielleicht vom Namen der Gemahlin Odins Frigg/Fricka inspirieren lassen.
Besonders eindrucksvoll erzählt Frigga von Brunhilds Taufe, die der Priester möglichst bald nach ihrem Erscheinen auf der Welt fordert: Dem ersten Priester wird vorher für immer der Arm lahm, der 2. Priester wird vor der Taufe stumm, der 3. Priester kann sie zwar taufen, fällt aber dann tot um. Brunhild opfert nicht mehr den alten Göttern, vermag auch nicht Odins Erscheinen wahrzunehmen. Aber durch Frigga reißt der Kontakt zur heidnisch-mythischen Welt nicht ab. Von ihr weiß sie, dass ihr auf einer Runentafel geweissagt ist, dass beim Erscheinen des „Recken mit der Balmungklinge“ , dem ihr vorbestimmten Gemahl, das Flammenmeer, das ihr Schloss umgibt, erlischt. Aber das Flammenmeer ist scheinbar grundlos erloschen. (ST I,1 V. 762ff.)

Nach dem Erscheinen der Burgunden mit Siegfried hat Brunhild eine Vision, von Frigga als Eingebung Odins gedeutet. Es ist die Vision einer Endzeit, in der sie als unsterbliche herrschaftsfreie Herrscherin mit den kosmischen Kräften in unmittelbarer Beziehung steht und dadurch, dass sie Rat und Hilfe spendet, alle Machtkämpfe auf der Erde beendet – die Vision eines ewigen goldenen Zeitalters. (ST I,2)

Siegfried nennt Brunhild ein Teufelsweib, glaubt aber, sie werde ihre übermenschliche Kraft verlieren, wenn der Priester sie mit Gunther verbinde.(ST II,6 V.1087ff.) Aber die kirchliche Handlung bleibt wirkungslos. Erst mit dem Verlust des Gürtels verliert sie ihre übermenschliche Kraft.

Nach dem Streit der Königinnen wird ihr klar, dass Siegfried der ihr vorbestimmte Gemahl ist, der sie nicht nur zweimal durch Betrug für Gunther besiegt hat, sondern sie verschmäht und als Tauschobjekt für Kriemhild instrumentalisiert hat. So erklärt sich ihre Hassliebe zu Siegfried. (ST vor allem III,11) Nach dessen Ermordung flucht sie den Mördern Siegfrieds grauenvoller als Kriemhild (KR I,2 V.2801), „stiert“ in die Runen (KR I,2 V.2816), verweigert sich Gunther, so dass ihre Ehe kinderlos bleibt. Nachdem Kriemhild Worms und Lorsch verlassen hat, um Etzel zu heiraten, zieht Brunhild in Siegfrieds Gruft und lebt dort als „Vampyr“, wie es die Boten Etzels aus Burgund Kriemhild anschaulich schildern. Kriemhild unterstellt ihr „Teufelskünste“. (KR III.1 V.3820/21) So endet Brunhild aus heidnischer Sicht, wenn auch nicht nach germanischer Mythologie, als Vampir, aus christlicher Sicht als jemand, der sich mit dem Teufel eingelassen hat.


Siegfried

Er ist nur vordergründig der mit übermenschlichen Kräften ausgestattete unbekümmerte, hilfsbereite, treu-liebende Märchenheld. Schon nach seinem eigenen Bericht von seinen Jugendabenteuern in der 4. Szene des gS muss er über gigantische Kräfte verfügen. Die Gegner Siegfrieds in der nordischen Mythenwelt werden deutlich in ihrer Dämonie und Urtümlichkeit überboten. Auf dem Gold des Nibelungenhortes und speziell dem Ring liegen seit Urbeginn der Welt bis nach dem Weltenbrand bei der Götterdämmerung grässliche Flüche. (erwähnt in: ST I,1; II,7, in KR I,2; IV,3; besonders in Volkers Lied KR IV,1) Man fühlt sich an Wagners „Ring“ erinnert. Siegfrieds Unverwundbarkeit durch das Baden im Drachenblut wird von Hagen dämonisiert:„Er war vom Drachen nicht zu trennen / Und Drachen schlägt man tot.“ (ST V,9 V.2659/60)

An anderer Stelle erklärt Hagen Brunhilds Beziehung zu Siegfried so:

„Ein Zauber ist’s,

Durch den sich ihr Geschlecht erhalten will,

Und der die letzte Riesin ohne Lust,

Wie ohne Wahl, zum letzten Riesen treibt.“ (ST IV,9 2165-68)

Auch Dietrich von Bern sieht in Siegfried einen Riesen, der zu Großem bestimmt ist. Der Berner verfügt nach einer von Hebbel später gestrichenen Stelle über geheimes Wissen von der radikalen Welterneuerung, am Nixenbrunnen erlauscht Danach wird alle tausend Jahre ein Riesenknabe gezeugt und ein göttliches Mädchen auf die Welt geschickt. Wenn sie sich verheiraten, entsteht ein Riesengeschlecht, das der Menschheit mit dem Untergang droht. Aber wenn eine 2. Braut die Verbindung des Riesenknaben mit der göttlichen Frau verhindern kann, besteht die Welt weitere tausend Jahre fort, aber alle Drei müssen sterben. Dietrich von Bern sieht in Siegfried und Brunhild also die füreinander bestimmten Partner, deren Verbindung durch Kriemhild verhindert wird. (c)

Zu dieser Geburt Siegfrieds passt auch Etzels Meinung:

„Es sind drei Freie auf der Welt,

Drei Starke, welche die Natur, wie’s heißt,

Nicht schaffen konnte, ohne Mensch und Tier

Vorher zu schwächen und um eine Stufe

Herabzusetzen.“ (KR III,3 V.3915-19)

Einer der Starken war Siegfried, der Zweite ist er, Etzel, und der Dritte Dietrich von Bern.
Siegfried reicht also stark in den heidnisch-mythischen Bereich hinein.


Hagen

Auch er kommt aus der mythischen Welt. Giselher erzählt, wie er ihn als Kind für Thor gehalten hat. (KR I,6 V.3125) Hagen sagt von sich:

„Ich bin ein Elfenkind und habe

davon die Totenaugen, die so schrecken,

doch auch das doppelte Gesicht.“ (KR IV,22 V.4943-45)

Hier sind mit Elfen nicht gutartige Naturgeister gemeint, sondern weibliche Unholde mit dämonischen Zügen (Männliche Form: Alben, vgl. Alberich, Albtraum)

In der 1. Szene der Trilogie erscheint Hagen als polternder Heide, der am Ostersonntag zur Jagd gehen will, der sich sehr abfällig über den Glauben an Christus und die christliche Festtagsheiligung äußert und den Hofkaplan mit den Worten verflucht:„Dass den Kaplan der Satan hole, / von dem er schwatzt.“ (V.52/53)

Er hat zu allem Heidnischen, Mythischen einen intuitiven Zugang. So erkennt er Frigga, Brunhild und Siegfried tiefer als die anderen Burgunden und kann auf dem Zug zu den Hunnen am Donauübergang „Meerweibern“, das sind Wassernixen, die Zukunft entlocken. Die Szene hat Hebbel dem NL entnommen.(KR II,1) Sie prophezeien ihnen:

„Ihr alle seht, wenn ihr ins Heunenland

Hinunter zieht, den grünen Rhein nicht wieder,

Und nur der Mann, den du am allermeisten

Verachtest, kommt zurück.“ (V.3422-25)

Hagen weiß sofort, dass damit nur der Hofkaplan gemeint sein muss, der mit seinen Messgeräten die Burgunden ins Hunnenland begleitet. Er wirft ihn brutal in die Donau und wundert sich, dass er trotz eines lahmen Armes nicht ertrinkt. Der Kaplan schwimmt zurück ans Ufer. So weiß Hagen, dass die Nixen richtig prophezeit haben, dass sie alle totgeweiht sind.

Eine Szene, die zeigt, wie er sich der christlichen Umwelt anpasst, spielt sich am Morgen vor der Katastrophe ab. Die Burgunden stehen früh auf, um zur Messe gehen zu können. Alle, also auch Hagen, folgen Dietrich in den Dom. Auf die Frage Rüdegers, weshalb sie so früh aufgestanden sind, antwortet Hagen:„Es ist ja Messezeit, / Und wir sind gute Christen, wie ihr wisst.“ (KR IV,11 V.4667/68) Diese Bemerkung zeugt von Hagens Zynismus, denn alle Burgunden sind voll bewaffnet, Volker tötet noch vor der Messe ohne Anlass einen Hunnen, um den Kampf zu provozieren.

„Bei den namenlosen Göttern“ als Ausdruck der Verwunderung (KR I,2 V.2801), „Höll und Teufel“ als Fluch (ST IV,10 V.2176), seine letzten Worte:„Nun ist der Ort [gemeint: wo der Schatz im Rhein versenkt ist] nur Gott und mir bekannt, / Und einer von uns beiden sagt dir’s nicht“ (KR V,14 V.5446/47) sollte man nicht überinterpretieren als Zeichen einer christlichen oder unchristlichen Gesinnung.

Hagen ist also durch seine Herkunft und sein Handeln und dessen Motivation, worauf ich hier nicht eingehen kann, der typische Vertreter des germanischen Heidentums.


Personen, in denen sich Heidnisches und Christliches untrennbar vermischen

Die Burgunden – wie alle Germanen – sind offensichtlich getauft. Die erste Szene der „Nibelungen“ spielt am Burgundenhof am Ostermorgen. Sie respektieren diesen kirchlichen Feiertag und gehen nicht zur Jagd. In Worms gibt es einen Dom. Es wird zwar kein Bischof erwähnt, aber der Hofkaplan, der an entscheidenden Stellen auftritt.

Kurz nach Brunhilds Ankunft gehen alle zum Dom, wo – das geht aus dem Kontext hervor – beide Paare kirchlich getraut werden. (ST II,6) Nicht am Fluss wie in der nordischen Überlieferung findet der Streit der Königinnen statt, sondern vor dem Dom. Brunhild verlangt den Vortritt beim Gang zum Gottesdienst, dabei beleidigt Kriemhild Brunhild tödlich und geht zuerst in den Dom. (ST III,6) Hier wird also ein Gottesdienstbesuch zur Austragung eines Rangstreits missbraucht.

Nach Siegfrieds Tod wird der Leichnam auf der Bahre in den Dom getragen. Dabei übernimmt Hebbel fast wörtlich das christliche Zeremoniell der Überführung der Leiche der österreichischen Kaiser in die Gruft. (ST V,9) (d)

Bei seiner Straffung der Handlung hat Hebbel die sehr ausführliche Darstellung der mittelalterlichen kirchlichen Trauerriten weggelassen mit Ausnahme der Bahrprobe, auf die ich noch zu sprechen komme. Aus gleichem Grund fehlen die Episoden mit dem Bischof Pilgrim von Passau aus dem NL.

Die Burgunden nehmen auf ihrem Zug ins Hunnenland den Hofkaplan mit, der aber – wie bereits erwähnt – von Hagen in die Donau geworfen wird, so dass die Burgunden ohne geistlichen Beistand ins Hunnenland ziehen. (KR II,1)

Am Tag, an dem an Etzels Hof die Katastrophe beginnt, gehen die Burgunden zur Messe, allerdings bewaffnet. Wie aus der Regieanweisung hervorgeht, handelt es sich auch dort um einen Dom. (KR IV,12)

Aber immer wieder finden sich Hinweise auf das Fortleben heidnischen Denkens und Fühlens.

So spricht Volker in der 1. Szene der Trilogie zu Gunther von Runen,

„die geheimnisvoll

Bei dunkler Nacht von unbekannten Händen

In manchen Bäumen eingegraben sind:

Wer sie erblickt, der kann nicht wieder fort,

Er sinnt und sinnt, was sie bedeuten sollen,

Und sinnt’s nicht aus, das Schwert entgleitet ihm,

Sein Haaar wird grau, er stirbt und sinnt noch immer.“

(gS 1. Szene V.120-25)

Siegfried lobt die Burgunden bei seinem Erscheinen mit den Worten:

„Ich hörte

ja doch, dass hier die Tapfersten der Recken

Versammelt seien, kühn genug, mit Thor

Zu kämpfen um den Donner, wenn sie ihn

In irgendeinem Eichenhaine träfen.“ (gS 2. Szene V.187-191)

Giselher berichtet, wie die Knechte am Hof den Königskindern von Thor erzählen:

„Und wenn die alten Knechte uns im Stall

Vom Donnrer Thor erzählten, dass wir glaubten,

Er dräue selbst beim fahlen Schein der Blitze

Durchs Bodenloch hinein, so sah er aus,

Wie Hagen, wenn er eine Lanze wirft.“ (KR I,6 V.3116-3130)

Iring, ein nordischer König als Vasall bei Etzel, tröstet sich über seinen Machtverlust folgendermaßen:

„Ich tröste mich

Mit unsern Göttern, denn derselbe Sturm,

Der uns die Kronen raubte, hat auch sie

Gestürzt, und wenn’s mich auch einmal verdrießt,

Dass dieser (er fasst an sein Diadem) Reif nicht länger blitzt, wie sonst,

So tret’ ich rasch in Wodans Eichenhain,

Und denk’ an den, der mehr verloren hat.“ (KR II,2 V.3561-66)

Giselher bemerkt - wohl ein wenig spöttisch – gegenüber dem Küchenmeister, er bereite zum Empfang Brunhilds in Worms ein Essen vor, „als kämen Mensch und Alf und Zwerg zugleich.“ (ST II,1 V.944)

Als Wassernixen Hagen den Untergang der Burgunden voraussagen, ist nicht nur er sehr betroffen. (KR II,1) Gunther fasst seine trotzige Todesbereitschaft in die Worte:

„Ich will

Nicht warten, bis der Heunenkönig mir

Ein Spinnrad schickt. Ja, wenn die Norne selbst

Mit aufgehobnem Finger mich bedräute,

Ich wiche keinen Schritt zurück.(KR II,11 V.3786-90)

An mehreren Stellen wird deutlich auf den Fluch des Nibelungenhortes angespielt, wie schon ausgeführt. Volker singt eindringlich davon vor dem Untergang. (KR IV,1).

Zwei Personen aus dieser Gruppe müssen ausführlicher dargestellt werden:
Etzel und vor allem Kriemhild.

Etzel

Er ist ein Heide, der die Burgunden natürlich zu einem heidnischen Fest einlädt, nämlich zur Sommersonnnenwende. In einem wichtigen Gespräch mit Kriemhild kurz vor der Katastrophe (KR IV,14) charakterisiert er sein früheres Leben als Vollstrecker eines „Zorngerichts“ (V.4745), blutig alle Völker unterwerfend, auf einem dämonischen Ross reitend. Man wird durch Details (V.4767) an die apokalyptischen Reiter erinnnert (Apokalypse Kap.6). Er habe zuletzt den Papst unterwerfen wollen, aber Etzel sei völlig verwandelt worden. Er erklärt es Kriemhild mit folgenden Worten:

„Ein Gesicht

Furchtbarer Art, das mich von Rom vertrieb!

Ich darf es keinem sagen, doch es hat

Mich so getroffen, dass ich um den Segen

Des Greises [gemeint ist der Papst] flehte, welchem ich den Tod

Geschworen hatte, und mich glücklich pries,

Den Fuß zu küssen, der den Heil’gen trug.“ (V.6752-58)

Die Schilderung dieses Erlebnisses geht auf ein historisches Ereignis zurück. 452 gelingt es einer Gesandtschaft Roms, der sich Papst Leo angeschlossen hat, Attila/Etzel zum Rückzug aus Italien zu bewegen, was später zur Legendenbildung führt. Diese Papstlegende dient Hebbel hier als Vorlage. (e)

Etzel wird bei Hebbel durch die Begegnung mit dem Papst zwar kein Christ, aber er führt keine Eroberungskriege mehr. An seinem Hof leben viele christliche Vasallen, freiwillig dient ihm Dietrich von Bern. Ich habe schon dargestellt, dass an seinem Herrschersitz ein Dom steht.

Etzel begründet seine Arglosigkeit gegenüber Kriemhilds Rachegedanken bei Hebbel damit, dass er an die Feindesliebe der Christen glaubt. (KR IV,7 V.4552/53) Aber in o.g. Gespräch macht er Kriemhild deutlich, dass er – um im Bild zu bleiben – wieder dieses geradezu apokalyptische Ross besteigt, um Kriemhilds zugefügtes Leid blutig zu rächen, allerdings erst, wenn das Gastrecht die Burgunden nicht mehr schützt. (KR IV,13) Durch die Ermordung seines Sohnes verwirken die Burgunden dieses Gastrecht. Erdrückt, angeekelt von seinen Herrschaftspflichten, gebrochen in der Katastrophe, übergibt er in der Schlussszene der Trilogie seine Herrschaft an Dietrich von Bern.


Kriemhild

Christliches und Heidnisches vermischen sich besonders stark bei Kriemhild. Kurz vor seinem Tod vertraut Siegfried Hagen an, Kriemhild wolle vor ihrer Abreise nach Xanten vor allem Volk Brunhild um Verzeihung bitten, was als Ausdruck ihrer christlichen Gesinnung gedeutet werden kann. (ST V,2 V.2410/11)

Dagegen den heidnischen Vorstellungen verhaftet, gesteht sie Hagen gegenüber ihre Angst um Siegfried sehr aufschlussreich mit folgender Begründung:

„Ich fürchte die Valkyrien! Man sagt,

Dass sie sich stets die besten Helden wählen,

Und zielen die, so trifft ein blinder Schütze.“ (ST IV,6 V.2027-29)

Kurz danach betet sie zwar nicht in ihrer Angst zu Gott, aber bittet den Hofkaplan, zu beten, dass Gott Siegfried beschütze. Für jedes Jahr, das er an ihrer Seite lebe, wolle sie zu Ehren eines Heiligen einen Altar erbauen lassen. (ST IV,9 V.2123ff.)

Bevor Kriemhild Siegfrieds Leiche im Morgengrauen vor ihrem Gemach findet, erfahren wir von ihr:

„Zur Messe ist’s gewiss noch eine Stunde!

Heut sehn’ ich mich nach dem Gebet im Dom.“ (ST V,3 V.2479/80)

Die letzte Szene von ST (V,9) ist eine entscheidende Szene für Kriemhilds Haltung. Nach dem kurzen kirchlichen Zeremoniell an der Bahre des ermordeten Siegfried verweist der Hofkaplan, ein Kreuz in der Hand, Kriemhild auf Christus, dem allein Rache vorbehalten sei. Aber Kriemhild kehrt sich vom Kreuz ab (V. 2611) und verlangt die Bahrprobe. Sie geht zwar auf die heidnische Vorstellung zurück, der als Dämon weiterlebende Tote könne den Mörder überführen, indem er bei dessen Annäherung die Wunde des Leichnams bluten lasse. Aber trotz kritischer Stimmen wurde die Bahrprobe im Mittelalter gelegentlich von der Kirche übernommen. Als sich Hagen der Leiche nähert, beginnt die Wunde zu bluten. Der Kaplan deutet den Vorgang aus christlicher Sicht:

„Es ist der Finger Gottes,

Der still in diesen heil’gen Brunnen taucht,

Weil er ein Kainszeichen schreiben muss.“ (V.2660-63)

Kriemhild hat durch die Bahrprobe die Gewissheit, dass Hagen der Mörder ist.

Der Schluss dieser Szene und damit von ST zeigt deutlich Kriemhilds Zurückweisung des christlichen Gebots des Verzeihens und ihre Bereitschaft zu maßloser Rache, wenn ihr nicht Gerechtigkeit zuteil wird.

„Kriemhild. (Gegen Gunther.) Ich bitte um Gericht.

Kaplan. Gedenke dessen, der am Kreuz vergab.

Kriemhild. Gericht! Gericht! Und wenn’s der König weigert,

So ist er selbst mit diesem Blut bedeckt.

Ute. Halt ein! Du wirst dein ganzes Haus verderben -

Kriemhild. Es mag geschehn! Denn hier ist’s überzahlt.“ (2703-08)

In den nächsten 13 Jahren weilt Kriemhild mehr im Kloster Lorsch an Siegfrieds Gruft als am Burgundenhof. (KR I,1 V.2752-54) Sie verteilt Gold aus dem Nibelungenhort an alle, die darum bitten. (KR I,2) Rüdiger sieht darin eine Mildtätigkeit, deren Beschreibung an das Wirken der hl. Elisabeth erinnert (KR V,9), Hagen dagegen Aufwiegelung zum Mord an ihm, so dass er den Hort versenkt.

Dass die Christin Kriemhild den Heiden Etzel heiratet, ist für sie offenbar kein größeres Problem. (KR I,8 V.3260/61) Aus einer rhetorischen Frage an Rüdiger kann man schließen, dass sie glaubt, durch den Vollzug der Ehe mit Etzel ihr Seelenheil verwirkt zu haben, aber weniger, weil sie die Ehe mit einem Heiden vollzogen hat, sondern weil sie es trotz ihrer Treue zu Siegfried getan hat. (KR V,11 V.5312ff.)

Am Schluss der Trilogie treten die christlichen Züge ganz zurück. Kriemhild ist zur Rachefurie geworden. Hildebrant sieht in ihr den leibhaftigen Teufel. Er erschlägt sie nach den Worten:

„Kommt hier der Teufel doch noch vor dem Tod?

Zurück zur Hölle.“ (KR V,14 V.5449/50)

Sie – wie übrigens alle Personen in Hebbels „Die Nibelungen“ - stirbt ohne einen Gedanken an ein ewiges Leben, eventuell mit ewiger Verdamnis.

Personen, die aus christlicher Gesinnung handeln oder zumindest zu handeln versuchen

Der Pilgrim

Der Pilgrim, der kurz vor der Katastrophe auftritt,ist eine Erfindung Hebbels. Es ist ein Herzog, der zur Buße für 10 Jahre Frau und Kind verlassen hat, danach glaubt, er habe noch nicht genug gebüßt und weiter von Hof zu Hof zieht, nichts verlangend außer „Brot“ und zur Buße einen „Schlag“ (KR IV,20-21) – eine merkwürdige Form christlicher Bußgesinnung.


Die Königinmutter Ute

Sie ist eine Christin, die sich durch große Herzenswärme als Mutter auszeichnet. In der 3. Szene von ST deutet sie Kriemhild ihren Falkentraum. Die Könginmutter nimmt Träume sehr ernst, denn sie sagt ihrer Tochter:„Wir sehen oft im Traum den Finger Gottes.“ (V.326) Mit „Großer Gott!“ (V.408) und „Gott Lob“ (V.421) kommentiert sie die Wettspiele mit Siegfried im Hof und mahnt Kriemhild: „Komm, wir vergessen, es ist Messezeit.“ (V.424)

Nach dem Streit der Königinnen drückt sie beim Hofkaplan die Hoffnung aus, dass er am Burgundenhof den Frieden zurückbringen könne. (ST IV,8 V.2146-48)

Sie ist zufällig bei Kriemhild, als diese die Nachricht von Siegfrieds Tod erfährt. Fürsorglich kümmert sie sich um ihre Tochter, kann aber nicht verhindern, dass Kriemhild ihr Recht fordert und mit maßloser Rache droht. Utes Reaktion darauf habe ich bereits zitiert:„Halt ein! Du wirst dein ganzes Haus verderben.“ (ST V,9 V.2707)

In den 13 Jahren, die Kriemhild am Burgundenhof und an Siegfrieds Gruft weilt, ist Ute ihre Vertraute. Giselhers Bitten und Utes Weinen führen zur Aussöhnung Kriemhilds mit ihrem Bruder Gunther. (KR I,2 V.2871-73) Ute weist Hagens Vorwurf zurück, Kriemhild benutze den Hort, um gegen ihn aufzuwiegeln, erklärt Kriemhilds Freigebigkeit damit, dass sie „zu Siegfrieds Angedenken“ so handle. (KR I,2 V.2920)

Als Kriemhild an den Hunnenhof zieht, will sie sie segnen, aber Kriemhild weist den Segen zurück. (KR I,9) Vor dem Zug der Burgunden zu Etzel träumt ihr, alle Vögel fielen vom Himmel. Tief beunruhigt gibt sie Etzels Bote eine greise Locke von ihr für Kriemhild mit, doch wohl eine deutliche Mahnung an sie, durch die Schonung der Brüder auch sie zu schonen.


Der Hofkaplan

Im Nibelungenlied kommt er nur bei der Überfahrt über die Donau vor, bei Hebbel tritt er mehrmals vorher auf.

Ute und Kriemhild erzählt er sein Bekehrungserlebnis. Als heidnischer „Angel“ war er mit 15 Jahren an der Ermordung des ersten Missionars beteiligt. Er gab ihm den „letzten Schlag“. Er führt weiter aus:

„Da hört ich sein Gebet.

Er betete für mich, und mit dem Amen

Verhaucht er seinen Geist: Das wandte mir

Das Herz im Busen um. Ich warf mein Schwert

Zu Boden, hüllte mich in sein Gewand

Und zog hinaus und predigte das Kreuz.“ (ST IV,8 V.2140-45)

Hier zeigt Hebbel unmissverständlich die Wirkung der Feindesliebe aus christlicher Gesinnung: der Mörder wird zum Verkünder der Botschaft vom Kreuz. - Als Beispiele für die Frucht des Glaubens nennt er in dieser Szene den hl. Stephanus, der vor seinem Martyrertod Gottes Herrlichkeit gesehen habe, und einen Jünger des hl. Petrus. Dieser Jünger habe im festem Glauben an Christus schließlich auf dem Wasser wandeln können.

Nach Siegfrieds Tod glaubt der Kaplan zunächst an die Lüge von den Schächern, die Siegfried ermordet haben sollen. Er führt die schon erwähnte kirchliche Zeremonie durch und ermahnt eindringlich Kriemhild, es Gott zu überlassen, zu richten. Er verweist dabei auf den Opfertod Christi, dessen „unergründlichem Erbarmen“ müsse das Erbarmen Kriemhilds folgen. (ST V,9 V.2609-40)

Die Deutung des Blutens der Leiche bei der Bahrprobe durch den Kaplan als Finger Gottes, der ein Kainszeichen schreiben muss (ST V,9 V.2660-63), habe ich bereits erwähnt, ebenso die Worte des Kaplans an Kriemhild am Schluss von ST, die ich wegen ihrer Wichtigkeit hier wiederhole:„Gedenke dessen, der am Kreuz vergab.“ (ST V,9 V.2704)

Ich erinnere schließlich an die Kaplan-Episode bei der Überfahrt über die Donau, auf die ich bereits bei der Charakterisierung Hagens eingegangen bin.

Der Kaplan, der am eigenen Leib die verwandelnde Kraft der Feindesliebe erfahren hat, ist ein unerschütterlicher Mahner zur uneingeschränkten Christusnachfolge.

Rüdeger von Bechelaren

Er ist im NL die einzige Person, die in ihrer Konfliktsituation einen schweren inneren Kampf durchstehen muss, die befürchtet, ihr Seelenheil zu verwirken und Gott um die rechte Entscheidung bittet. All das drückt Rüdiger in bewegenden Worten aus.

Die von Hebbel vereinfachte Darstellung hat das Ringen um sein Seelenheil beibehalten.

Der Markgraf Rüdeger von Bechelaren wirbt als Etzels Vasall für ihn um Kriemhild. Dabei schwört er ihr:„Was ich vermag,/ Ist dein bis auf den letzten Odemzug.“ (KR I,8 V.3274-75) Er führt Kriemhild Etzel zu, aber er empfängt auch die Burgunden auf ihrem Weg zu Etzel sehr gastlich in Bechelaren und verlobt seine Tochter mit Giselher. (KR II,9) Zusammen mit Dietrich von Bern bringt er die Burgunden an Etzels Hof. (KR III,6)

Er weigert sich, auf Anraten Kriemhilds unter einem Vorwand seinen künftigen Schwiegersohn Giselher vor der drohenden Katastrophe nach Bechelaren zu schicken. (KR IV,9-10)

Auf die Frage Dietrichs, wie er die Lage einschätze, antwortet er:

„Es steht in Gottes Hand,

Doch hoff’ ich immer noch.“ (KR IV,17 V.4809-10)

Nach der Ermordung von Etzels und Kriemhilds Sohn darf er mit dem Königspaar und Dietrich von Bern den Saal verlassen. (KR IV,23)

Etzel mit Verweis auf Rüdegers Vasallenpflicht und Kriemhild mit Verweis auf den ihr geleisteten Eid verlangen, dass er für sie gegen die Burgunden kämpft. Rüdeger rechtfertigt seine Neutralität damit, dass er die Burgunden gastlich empfangen, zu Etzel gebracht und seine Tochter mit Giselher verbunden habe. Den Eid habe er einer mildtätigen Kriemhild geleistet, keiner Rachefurie.

„Kriemhild. Das alles hättest du erwägen sollen,

Bevor der Bund geschlossen ward. Du wusstest,

Was du geschworen!

Rüdeger. Nein, ich wusst’ es nicht,

Und, beim allmächt’gen Gott, du hast es selbst

Noch weniger gewusst.“ (KR V,9 V.5187-91)

Etzel und Kriemhild bleiben bei ihrer Forderung. Rüdeger beklagt vor ihnen seine tragische Situation:

„So schwer, wie ich, ward noch kein Mensch geprüft,

Denn was ich tun und was ich lassen mag,

So tu ich bös und werde drob gescholten,

Und lass ich alles, schilt mich jedermann.“ (KR V,11 V.5261-64)

Rüdeger kniet vor Etzel und Kriemhild nieder. Er will nicht nur auf sein Lehen verzichten, sondern sogar „an einem Bettelstab die Welt durchziehn.“ (KR V,11 V.5310).

„Das alles fahre hin, ich fleh’ zu euch

Um meine Seele, die verloren ist,

Wenn ihr mich nicht von diesem Eide löst.“ (KR V,11 V.5291-94)

So durchsteht Rüdeger als Christ die Not der Entscheidung. Der verständnislose Etzel nimmt Rüdegers Erniedrigung nicht an, und Kriemhild erwidert auf seine Klage über das mögliche Verwirken seines Seelenheils bloß:

„Glaubst du, dass ich die Seele rettete,

Als ich [...]

Mit Etzel in das zweite Ehbett stieg?“ (KR V,11 V.5312-14)

So muss Rüdeger gegen die Burgunden kämpfen. Als Freund, wohl auch als Christ mildert er die Folge seiner Entscheidung gegen die Burgunden, indem er Hagen auf dessen Bitten hin einen Schild, seinen eigenen Schild gibt. (KR V,12) Er beginnt mit den Seinigen den Kampf gegen die Burgunden, bei dem er zuletzt sein Leben verliert. Vorher sind Gernot und Giselher umgekommen, wobei unklar bleibt, ob sie von Rüdeger selbst getötet worden sind.


Dietrich von Bern

Dietrich von Bern ist zwar wie Brunhild, Siegfried und Hagen dem Mythischen verbunden. Nicht nur nach der später gestrichenen Szene erlauscht er am Nixenbrunnen Zukünftiges – ich bin darauf bei der Darstellung Siegfrieds eingegangen - , sondern auch in einem Gespräch mit Rüdeger (KR IV,17) nimmt er auf geheimes Wissen, erlauscht am Nixenbrunnen, Bezug. Jetzt wisse er, dass eine Weltenwende mit gewaltigen Veränderungen komme.

Aber von diesem Bezug zum Mythischen abgesehen, erscheint Dietrich von Bern stärker noch als im NL als übermächtiger idealisierter christlicher Fürst.

Etzel stellt Dietrich von Bern Kriemhild mit folgenden Worten vor:

„Etzel. Es sind drei Freie auf der Welt,

Drei Starke, welche die Natur, wie’s heißt,

Nicht schaffen konnte, ohne Mensch und Tier

Vorher zu schwächen, und um eine Stufe

Herabzusetzen.

Kriemhild. Drei?

Etzel. Der erste ist –

Vergib! Er war! Der zweite bin ich selbst.

Der dritte und der mächtigste ist er!“ (KR III,3 V.3915-21)

In der Szene III,3 von KR, dem Gespräch Etzels mit Kriemhild, erfahren wir Wesentliches über Dietrich, was an anderen Stellen nur angedeutet wird: Dietrich ist aus eigenem Entschluss mit abgelegter Krone und gesenktem Degen vor Etzel getreten. Er dient ihm freiwillig. In selbstgewählter Armut nimmt er als Lehen nur einen Meierhof an „und auch von diesem schenkt er alles weg.“ (V.3961) Etzel vermag sein Verhalten nicht zu verstehen, aber er vermutet, dass er sich so aus christlicher Überzeugung verhält, wie ein Heiliger und Büßer.

Dietrich von Bern ist aus freien Stücken den Burgunden bis Bechelaren entgegengezogen. (KR III,3 V.3911) Er glaubt, dass die Burgunden umkehren, wenn sie auf seine Winke achten. (KR II,2 V.3587/88) So warnt er sie vor Kriemhild:„Frau Kriemhild weint noch Tag und Nacht.“ (KR II,9 V.3758). Doch die Burgunden ziehen trotzig weiter, auch von Dietrich begleitet. Er bekennt sich vor Kriemhild dazu, die Burgunden gewarnt zu haben. Trotz scharfer Zurechtweisung durch sie steht er für die Burgunden ein, will den kleinsten Streit vermeiden, begleitet sie.

Etzel erklärt seine Arglosigkeit Kriemhild gegenüber damit, dass er von Dietrich von Bern erfahren habe, dass die Christen ihre Feinde lieben. Dietrichs Antwort:

„So sollt es sein,

Doch ist nicht jeder stark genug dazu.“ (KR IV,7 V.4554/55)

Als Kirchenvogt (f) leitet er die Burgunden vor der Katastrophe in den Dom zur Messe. (KR IV,12)

Nach der Ermordung des Sohnes von Etzel und Kriemhild gebietet Dietrich von Bern Volker, das Herrscherpaar den Saal verlassen zu lassen. Mit ihnen dürfen auch Dietrich, sein Waffenmeister Hildebrant, Rüdeger und 2 nordische Könige als Vasallen Etzels abziehen.

Dietrichs „Gott helfe uns“ (KR V,3 V.5000), als er das Leiden der Burgunden nach dem Saalbrand aus nächster Nähe in seiner ganzen Grausamkeit wahrnimmt, ist sicher keine nichtssagende Floskel, sondern Ausdruck seiner tiefen Überzeugung.

Hildebrant, Dietrichs Waffenmeister, befürchtet, dass die Burgunden umkommen, „die Gott bis jetzt so wunderbar verschont.“ (KR V,5 V.5020). So fleht er Dietrich an, dem Gemetzel ein Ende zu bereiten, indem er vor Etzel für die Burgunden eintritt. Aber Dietrich fühlt sich Etzel zur Treue verpflichtet, da er sich „freiwillig und aus bloßem Herzensdrang / ihm unterwarf.“ (KR V,5 V.5014/15) Er kann auch deswegen nicht eingreifen, weil er als Einziger erkennt, dass beide Seiten in Schuld verstrickt sind und keine Seite auf ihr Recht auf Rache zu verzichten bereit ist. So sagt er zu Hildebrant:

„Wenn ich auch wollte, wie vermöcht ich’s wohl?

Hier hat sich Schuld in Schuld zu fest verbissen,

Als dass man noch zu einem sagen könnte:

Tritt du zurück! Sie stehen gleich im Recht.

Wenn sich die Rache nicht von selbst erbricht

Und sich vom letzten Brocken schaudernd wendet,

So stopft ihr keiner mehr den grausen Schlund.“ (KR V,5 V.5037-43)

Als Rüdeger sich nach schwerem Seelenkampf für den Kampf gegen die Burgun-den entschließt, glaubt Hildebrant immer noch, Dietrich könne das Blutbad beenden, denn er sei für 7 Jahre in Etzels Dienste getreten. Diese Zeit sei um. Aber Dietrich antwortet ihm, er habe jetzt Etzel Treue bis zum Tod geschworen. (KR V,13 V.5339-49)]

Sobald Etzel den Tod Rüdegers erfährt, greift er nach dem Helm, aber Dietrich fühlt sich jetzt verpflichtet an Etzels Stelle gegen die Burgunden zu kämpfen.

Die kurze letzte Szene der Trilogie (KR V,14) beginnt damit, dass Dietrich Hagen und Gunther erschöpft und schwer verwundet als Gefangene Etzel ausliefert und ihn bittet:

„Begnadigt sie

So weit, dass Ihr’s dem Tode überlasst,

Ob er ein Wunder dulden will.“ (V.5420-22)

Etzel sagt ihm zu:„Sie sollen / Bis morgen sicher sein! Dann steht’s bei ihr!“ (= Kriemhild) (V.5422/23)

Aber wie im NL übt Kriemhild unverzüglich ihre Rache aus und Hildebrant schlägt sie tot.

Mit dem Tod Kriemhilds endet das Nibelungenepos. Hebbel erfindet eine kurze Fortführung der Szene, die dadurch besonderes Gewicht erhält: Etzel, vom Herrschen in einem „Blutmeer“ „angewidert“, übergibt die Krone Dietrich von Bern.

Die letzten Worte der Trilogie gehören Dietrich von Bern, der die Krone annimmmt mit den Worten:„Im Namen dessen, der am Kreuz erblich.“ (V.5456)

Abschließende Beurteilung
der Bedeutung der heidnischen und christlichen Elemente aus der Sicht Hebbels

Wenn man vom eindrucksvollen Schluss ausgeht, wo Dietrich von Bern die von Etzel angebotene Krone übernimmt und die Herrschaft antritt „im Namen dessen, der am Kreuz erblich“, gewinnt man den Eindruck, Hebbel habe darstellen wollen, wie das Heidentum, das in den blutigen Untergang führt, durch das Christentum überwunden wird, in dem - wie bei Dietrich - Demut an die Stelle von Hochmut, Dienen an die Stelle von Herrschaft, Einsatz zur Vermeidung blutiger Auseindersetzungen an die Stelle trotziger Gewaltbereitschaft tritt, wo – wie nach dem Kaplan, dem lebenden Beweis der verwandelnden Kraft christlicher Feindesliebe – Rache der Versöhnung um Christi willen weichen soll.

Bestärkt wird man in dieser Deutung durch Hebbel selbst, wenn er einem befreundeten Pfarrer 1861 schreibt:„ Diese (= Nibelungentrilogie) wird Ihnen gewiss zusagen,denn sie schildert den Sieg des Christentums über das Heidentum.“ (g)


Stutzig aber wird man, wenn man in einem Brief von 1857 an einen Freund, der nach der Lektüre einiger Fragmente das Stück für unchristlich hält, bereits liest:„Ich will sehr zufrieden sein, wenn man die ganze Tragödie nur nicht zu christlich findet.“ (h) Hebbel will also nicht zu stark die Überwindung des Heidentums durch das Christentum herausstellen.

Noch deutlicher wird er gegenüber dem gleichen Adressat in einem Brief von 1862 nach der Aufführung und Veröffentlichung der Trilogie. Dort heißt es: „Das Christentum ist mir, was es war, eine Mythologie neben anderen, und wie ich jetzt, nach abermaliger jahrelanger Beschäftigung mit den Akten, leider hinzufügen muss, nicht einmal die tiefste.“ (i)


Kehren wir noch einmal kurz zur Trilogie zurück, um uns über die Autorintention mehr Klarheit zu verschaffen.

Der These, Hebbel habe die Überwindung des Heidentums durch das Christentum darstellen wollen, steht sein Werk in vielem entgegen.

Da sind zum Ersten die geschichtsmythische Vision Brunhilds, ihrer ewigen herrschaftslosen Herrschaft im Einklang mit allen Menschen, und Dietrichs von Bern mythisches Wissen vom Entstehen eines bedrohlichen Riesengeschlechts, einer Weltenwende.

Zum anderen zeigt eine Untersuchung der Handlungsmotive der Hauptpersonen ihr menschliches, allzu menschliches Verhalten, allerdings in einer für Hebbel auch in anderen Dramen typischen Maß- und Kompromisslosigkeit, die Instrumentalisierung von Frauen durch Männer mit katastrophalen Folgen. Hebbel hat am NL bewundert, „wie rein menschlich trotz der blutigen Ungeheuerlichkeit des Stoffes sich alles entwickelt.“ (j)

Die geradezu vorbildlichen Christen können die Katastrophe nicht mindern, geschweige denn aufhalten.

So erscheint Dietrichs Übernahme der Herrschaft am Schluss „im Namen dessen, der am Kreuz erblich“ in den Augen Hebbels bestenfalls als das Aufleuchten einer christlichen Utopie, vielleicht nur als eine fast leere Hoffnungsphrase.


Kommentierung der Aufführung der Trilogie vor dem Wormser Dom 2004
unter dem Aspekt der Rolle des Christentums

Natürlich habe ich beim Besuch der Aufführung auf diesen Aspekt besonders geachtet. Nach meiner spontanen Reaktion habe ich mir überlegt, wie wohl Hebbel diese Inszenierung beurteilt hätte, hätte er die Gelegenheit gehabt sein Grab zu verlassen und eine Aufführung mitzuerleben. Ich stellte mir einen Hebbel vor, der Verständnis für die besondere Aufführungssituation hat und vor allem weiß, was uns heute so umtreibt, sorgenvoll beschäftigt, der unsere Einschätzung des Weltgeschehens kennt. Vielleicht hätte er folgendermaßen die Inszenierung kommentiert:

„Ich kann verstehen, dass man mein Werk mit einer Aufführungsdauer von 10 Stunden auf eine von 3 Stunden verkürzt hat, dass man angesichts der hohen Gagen dabei Nebenpersonen gestrichen hat, obwohl es mich traurig macht, dass so manche von mir mit so viel Herzblut geschriebene Stelle dem Rotstift zum Opfer gefallen ist.

Überrascht bin ich, dass zentrale Probleme meines Stückes heute noch so aktuell sind, und erfreut, dass sie so eindrucksvoll in Szene gesetzt worden sind.

In der Inszenierung sind die mythischen Elemente stark zurückgedrängt, insbesondere bei Siegfried und Hagen. Der Zuschauer erfährt wenig über das Weiterleben mythischer Vorstellungen bei den Burgunden. Schade, dass Frigga, die ungebrochen aus der germanischen Mythenwelt lebt, weggefallen ist, dass der Zuschauer nichts über die mythische Geburt Brunhilds erfährt, nichts über die Vorgänge bei ihrer Taufe in Island. Ich kann mein Befremden über die hinzuerfundene Szene nicht verbergen, in der die bereits getaufte Brunhild beim Abwaschen ihrer Körperbemalung mit einem Schwall Waschwasser auf Burgundisch ein 2. Mal getauft wird. – Aber entschädigt wurde ich durch die Darstellung des Lebens Brunhilds in Island, die große schauspielerische Leistung bei der Inszenierung ihrer Vision. Wie da meine Verse zum Klingen gebracht wurden! So wird deutlich, welch ungeheueren Sturz sie erlitten hat, als sie Gunthers Frau wurde.

Während ich mit der Darstellung der mythischen Elemente einigermaßen zufrieden sein kann, trifft das leider für die der christlichen nicht zu. Dass so manche Anspielung auf das Christentum bei den Streichungen verloren ging, dass die Gestalt der warmherzigen christlich geprägten Mutter Kriemhilds weggekürzt wurde, mag noch angehen. Immerhin wird das Stück vor der Fassade eines Domes unterhalb einer Skulptur eines mittelalterlichen christlichen Kaisers aufgeführt, immerhin erklingen bei passenden Gelegenheiten feierliche Kirchenweisen. Und Kriemhild kann sogar – im Gegensatz zu meinem Stück – vor Siegfrieds Tod beten. Sie murmwelt 2 Vaterunser.

Aber dass man den Kaplan weggestrichen hat, ärgert mich sehr. In ihm habe ich nämlich einen wahren Christen dargestellt, der – selbst beredtes Zeugnis der verwandelnden Kraft christlicher Feindesliebe – den christlichen Glauben verkündet und unmissverständlich christliche Gesinnung anmahnt, der zu Kriemhild sagt:

„Du suchst die Rache, doch die Rache hat
Der Herr sich vorbehalten.“ (ST V,9 V.2613-14)

Wenn in der Wormser Inszenierung diese Worte Gunther an Kriemhild richtet, so geschieht das nicht aus christlicher Überzeugung, sondern aus Eigennutz: er will Hagen und sich der gerechten Strafverfolgung entziehen.

Zur Streichung des Kaplans passt auch die Streichung der Verse, in denen Etzel von der Ausstrahlung des Papstes spricht, der ihn, seinen Gegner, bewegt, keine Kriege mehr zu führen.

Als Dietrich von Bern im weißen Anzug auf die Bühne trat, war ich erstaunt, dass ein so kleiner Schauspieler diese riesenhafte Figur spielte. Versöhnt wurde ich aber, als ich erkannte, wie seine christlichen Züge deutlich hervortraten. Dann aber kamm der große Schock für mich am Schluss: Im Gegensatz zu meiner Trilogie setzte sich Dietrich mitten zwischen den Leichen regungslos eine Krone auf, umhüllte die fast erstarrte Kriemhild in seinem Herrschermantel und erstach sie emotionslos, wobei er unmissverständlich die letzten Worte meiner Trilogie sprach:„Im Namen dessen, der am Kreuz erblich.“

Ich weiß, diese Schlussworte gaben Anlass dazu, in meinem Stück eine Glorifizierung des Christentums zu sehen, gar eine Rechtfertigung des Gemetzels. Wer aber meine Trilogie aufmerksam liest, merkt, dass das nicht meine Absicht sein konnte. Aber ich wollte auf gar keinen Fall zeigen, dass nach der Katastrophe das Morden weitergeht: durch einen Usurpator, dessen christliche Gesinnung im Stück dann nur Mittel war, die Katastrophe zu überleben und im günstigen Moment die Macht an sich zu reißen und das Morden fortzusetzen, diesmal „im Namen dessen, der am Kreuz erblich.“

Mittlerweile habe ich mich von diesem Schock einigermaßen erholt, und ich kann mich wieder freuen, dass bei dieser Inszenierung so viele meiner Lieblingsthemen so eindrucksvoll zum Tragen kommen. Viele gelungene Szenen bleiben mir in bester Erinnerung, leider aber bleibt auch ein bitterer Nachgeschmack. – Schade!“


Anhang

1. Zitierte Literatur:

- Hebbel, Friedrich. Die Nibelungen. Ditzingen Reclams Universalbibliothek Nr. 3171 2001
(Hebbels „Die Nibelungen“ wurde nach dieser Ausgabe zitiert, jedoch der neuen Rechtschreibung angepasst)

- Hebbel, Friedrich. Die Nibelungen. Mit ausführlichen Erläuterungen für Schulgebrauch und Selbstunterricht von Carl Schmitt. 4. Aufl. Paderborn Schöningh 1918 (zitiert: Hebbel – Schmitt)

- De Boor, Helmut (Hg.). Hebbel. Die Nibelungen. Dichtung und Wirklichkeit.
Frankfurt/M. – Berlin Ullstein 1966 (zitiert: Hebbel – De Boor)

- Hebbel, Friedrich. Briefe in 8 Bänden Berlin 1904ff. - Zitate der neuen Rechtschreibung angepasst (zitiert: Hebbel-Briefe)

- Emrich, Wilhelm. Hebbels Nibelungen – Götzen und Götter der Moderne,
in: Kreuzer, H. – Koch, R. (Hg.). Friedrich Hebbel. Wissenschaftliche Buchgesellschaft Darmstadt 1989

- Schork, Josef. Zu den spätantiken Anfängen des Christentums im Raum Worms.
in: Wormsgau 2002

2. Fußnoten:

(a) Hebbel – De Boor S.20

(b) Schork S.12, dort auch weiterführende Literaturangaben

(c) Hebbel – De Boor Textsequenz S.274-76
Hebbel hat zwar diese Sequenz aus Kriemhilds Rache (II,2) gestrichen, weil er das Stück durch Kürzungen auf Theaterabend-Länge bringen wollte, obwohl er die Ausführungen über Siegfrieds Geburt für ebenso wichtig hielt wie die über Brunhilds Geburt (Siegfrieds Tod I,1). Allerdings fehlt diese Sequenz auch in der Veröffentlichung der Trilogie als Buch. dazu Brief an Dingelstedt vom 14.3.1861 in: Hebbel-Briefe Nr.712 Bd.7 S.28-30

(d) Hebbel – Schmitt S.127

(e) Hebbel – De Boor S.253

(f) Die Aufgabe des Kirchenvogts besteht darin, den Zug zur Kirche zu leiten und für Ordnung im Gottesdienst zu sorgen – Hebbel – Schmitt S.218

(g) Brief an Pfarrer Luck vom 21.01.1861 in: Hebbel-Briefe Nr.702 Bd. 7 S.12

(h) Brief an Uechtritz vom 03.06.1857 in: Hebbel-Briefe Nr.570 Bd.6 S.45

(i) Brief an Uechtritz vom 25.10.1862 in: Hebbel-Briefe Nr.828 Bd.7 S.266

(j) Brief an Julius Campe vom 17.11.1859 in: Hebbel-Briefe Nr. 667 Bd.6 S.291