Fluch & Erlösung

in Richard Wagners
"Der Ring des Nibelungen"


Ein Vortrag von Erwin Martin

.....
Richard Wagner ..


Als es nach vielhundertjährigem Dornröschenschlaf im 18. Jahrhundert erweckt wurde, fand das Nibelungenlied unter den deutschen Poeten bald Liebhaber, die seinen Stoff, seine erzählte Handlung auf die Bühne brachten, aber alle frühen Nibelungendramen gerieten bald in Vergessenheit. Es mussten sich größere Talente des Stoffes annehmen, und dazu war die Zeit erst gegen Mitte des 19. Jahrhunderts reif. Da entstanden nun gleich zwei Bühnenwerke von höchstem künstlerischen Anspruch und monumentalem Umfang.

Friedrich Hebbel verfasste eine dreiteilige Tragödie, die den Inhalt des Nibelungenliedes als Vorlage benutzte und in einer siebenstündigen Spielhandlung vor Augen führte. Richard Wagner überbot das gewaltige Werk Hebbels. Er holte seinen Stoff aus mehreren nordischen Quellen und formte daraus ein mehrdimensionales Bühnenwerk, das sich nicht mit einem Medium zufrieden gab, sondern opernhaft Worttext in Gesang wiedergab und in Orchestermusik einband. So entstand ein Oeuvre, das mit einer fünfzehnstündigen Aufführungszeit den Tagesrahmen sprengte.

Das Exorbitante des Wagnerschen Rings ist damit noch nicht hinreichend benannt. Wagner hat seinen Text selbst verfasst, und zwar in einer besonderen poetischen Gestaltung. Er gab dem heidnisch-germanischen Stoff eine adäquate Versform, indem er neuhochdeutsche Wortzeilen nach althochdeutschem Muster nicht mit Endreim, sondern mit Stabreim ausstattete: Sinntragende Wörter werden in Dreiergruppen mit dem gleichen Anfangslaut verbunden.

Winterstürme wichen dem Wonnemond.

Die plötzlich aufbrechende Liebe Siegmunds und Sieglindes wird in Gestalt dieses Stabreimverses mit der Metaphorik des erwachenden Frühlings besungen:

Winterstürme wichen
dem Wonnemond,
in mildem Lichte
leuchtet der Lenz;
auf linden Lüften
leicht und lieblich,
Wunder webend
er sich wiegt;
durch Wald und Auen
weht sein Atem,
weit geöffnet
lacht sein Aug’.
Aus sel’ger Vöglein Sange
süß er tönt,
holde Düfte
haucht er aus;
seinem warmen Blut entblühen
wonnige Blumen,
Keim und Spross
entsprießt seiner Kraft.
Mit zarter Waffen Zier
bezwingt er die Welt.
Winter und Sturm wichen
der starken Wehr …

(Die Walküre, 1. Aufzug)


Der poetische Reiz dieser Verse wird noch überhöht durch den Gesang der vom Orchester begleiteten Tenorstimme, die sie zu Gehör bringt, dazu im Zusammenspiel mit der Darstellung des Bühnengeschehens.

Drei Gestaltungsformen schließen sich bei Wagner in besonderer Weise zusammen: der gesungene Text, die begleitende Orchestermusik und die schauspielerische Handlung. Diese Teile fügen sich zu einem sogenannten Gesamtkunstwerk zusammen. Wagner legte auch mit Regieanweisungen die optische Seite der Aufführung fest. Von daher ist eine moderne Inszenierung problematisch, die mit dem Bühnenbild und der Kostümierung der Schauspieler von den Anweisungen des Autors abweicht und dadurch einen Widerspruch schafft zwischen den Teilen, die ja auf ein harmonisches Ganzes angelegt sind.

Unvermeidlicherweise sorge ich mit meinen Vortrag auch dahingehend für einen Bruch mit dem Ganzen, wenn ich die Musik, den Gesang und das Bühnenbild unberücksichtigt lasse und mich auf das Geschehen konzentriere, das im reinen Text zum Ausdruck kommt. Da sich aber Text und Musik in besonderer Weise verknüpfen, muss ich doch auf das Charakteristikum der musikalischen Kompositionstechnik Wagners hinweisen, die Leitmotivik.

Wagner ordnet den einzelnen Vorgängen der Bühnenhandlung und des gesungenen Textes musikalische Sequenzen, melodische Elemente zu, die die jeweilige Textaussage angemessen vertonen. Diese Tonfolgen ziehen sich als Leitmotive durch das ganze Werk und kommen im Einzelnen immer wieder zu Gehör, wenn das jeweils entsprechende Textelement zur Sprache kommt oder im Hintergrund mitschwingt: das Naturmotiv, das Ringmotiv, das Liebes- und das Entsagungsmotiv und eine riesige Zahl weiterer Motive, auch das Fluchmotiv und das Erlösungsmotiv. Auf diese Weise entsteht ein Geflecht von musikalischen Ausdruckselementen, die den eingeweihten Zuhörer Zusammenhänge erkennen und mitempfinden lassen.

Von nun an widme ich mich ausschließlich der Besprechung des reinen Worttextes, dessen lyrische Form immer wieder auch zu Gehör kommen soll. Die gesamte Handlung ist aufgeteilt in ein Vorspiel und eine Trilogie mit den Titeln Das Rheingold, Die Walküre, Siegfried und Götterdämmerung.

Im Vorspiel Das Rheingold entfalten sich die Handlungselemente, die schließlich über eine lange Kette von Ereignissen zur Endkatastrophe führen werden. Der Anfang spiegelt das Goldene Zeitalter, in der die Natur noch unversehrt ist. Drei Töchter des Vaters Rhein tummeln sich mit natürlicher Anmut im lichten Gewässer, das sich nach unten in finsteren Schlüften verliert. Daraus steigt aus dem Nachtreich Nibelheim der Zwerg Alberich hervor, der an den reizenden Wassermädchen Gefallen findet. Aber diese entziehen sich seinen Annäherungsversuchen, sie machen sich über ihn lustig und bringen ihre Abscheu wegen seiner Hässlichkeit zum Ausdruck.

Von seiner Wut über die schmähliche Abfuhr wird er plötzlich abgelenkt von einem zauberisch goldenen Licht, das an einem Riff glänzt. Alberich erfährt von den Rheintöchtern, was es damit auf sich hat: Es ist das Rheingold, das die Mädchen im Auftrag des Vaters zu bewachen haben. Aber indem sie davon sprechen, durchbrechen sie bereits ihren Auftrag, denn der abgewiesene Liebhaber richtet seine Lüsternheit auf dieses Rheingold mit seinen wunderbaren Versprechungen:

Der Welt Erbe
gewänne zu eigen,
wer aus dem Rheingold
schüfe den Ring,
der maßlose Macht ihm verlieh’.

Aber damit ist eine fatale Bedingung verknüpft:

Nur wer der Minne
Macht versagt,
nur wer der Liebe
Lust verjagt,
nur der erzielt sich den Zauber,
zum Reif zu zwingen das Gold.

Alberich sieht seine Stunde gekommen:

Das Licht lösch ich euch aus,
entreiße dem Riff das Gold,
schmiede den rächenden Ring;
denn hör’ es die Flut –
so verfluch’ ich die Liebe!

(Das Rheingold, 1. Szene)


Mit dem Fluch auf die Liebe, die ihm so beleidigend verweigert wurde, raubt Alberich das Rheingold mit dem Ziel, daraus den Ring zu schmieden, der unermessliche Macht über die Welt verleiht.

Dieser Vorgang der 1. Szene des Vorspiels zum Rheingold bleibt ganz im Mythischen wie auch die gesamte Handlung der Oper, aber dahinter lässt sich die reale Welt des 19. Jahrhunderts und auch der Folgezeit erkennen, deren Allegorie sie ist. Menschen kommen in der dargestellten Frühstufe der Entwicklung noch nicht vor, es erscheinen nur Naturwesen. Aber es ist die Rede von Machtgier auf Kosten der Liebe, und damit ist ein Grundthema der menschlichen Gesellschaft angeschlagen, das zur Diskussion steht.

Die doppelte Ebene des Verstehens, die des mythischen Spiels auf der Bühne und diejenige, auf der die Reflexion des Zuschauers stattfinden soll, ist letztlich Sinn und Zweck des gewaltigen Werkes: Was Mythos und Musik emotional vermitteln, verlangt Ergänzung durch verstandesmäßige Reflexion seiner Spiegelung im säkularen Alltag.

Die Spielhandlung setzt sich fort auf Bergeshöhen über dem Rheintal, wo sich die Götter aufhalten. Es sind germanische Gottheiten, die wie die der griechischen Antike menschenähnlich sind; sie denken und fühlen wie Menschen.

Wotan, der Göttervater, ist die höchste Autorität. Er hat sich gerade eine mächtige Burg errichten lassen von zwei Riesen, Fasolt und Fafner, und diesen als Lohn die liebliche Göttin Freia versprochen. Fricka, seine Gemahlin, macht ihm deshalb Vorwürfe. Aber Wotan denkt nicht daran, Freia den beiden Kerlen auszuliefern, sie sollen mit Hilfe des schlauen Feuergottes Loge um den ausbedungenen Lohn betrogen werden.

Als die beiden Riesen nun Freia einfordern und dabei auf den geschlossenen Vertrag pochen, erklärt ihnen Wotan, es sei ihm damit nicht ernst gewesen, man habe das nur zum Scherz beschlossen. Die beiden Riesen lassen sich aber damit nicht abwimmeln, und so muss endlich der listige Loge eingreifen. Er bringt die Nachricht von Alberichs Goldraub ins Spiel und lenkt dadurch Fasolt und Fafner von ihrer Forderung der Freia ab, sie lassen sich mit der Aussicht auf Reichtum und Macht verlocken. Aber als Wotan von dem Ring erfährt, den Alberich aus dem Rheingold geschmiedet hat, erhebt er selbst Anspruch darauf.

Wotans Handeln ist zwiespältig. Er ist kein egoistischer Tyrann, der rücksichtslos nach Macht strebt, sondern zunächst eine Gottheit, die das Wohl der Welt im Auge hat. Diese humane Zielsetzung verlangt Maßnahmen, die Ordnung an die Stelle von Chaos und Barbarei setzen. Ordnung, Zivilisation, Kultur werden erreicht und erhalten durch Gesetze und Verträge, auf die sich die Vertragspartner verlassen können. Das ist die formale Seite. Es erweist sich aber, dass sich formale Gesetze nicht widerspruchsfrei anwenden lassen. Es entstehen Konflikte.

Wotan hat mit den Riesen einen Vertrag geschlossen, der sie zum Bau der Burg Walhall verpflichtet und Wotan zur Auslieferung Freias an sie als Entgeld. Für Wotan stand von vornherein fest, dass er sich an diese Abmachung nicht halten wird. Er ist gezwungen, die Dienstleistung der Spezialarbeiter in Anspruch zu nehmen, weil er die Burg braucht, und zwar als sichtbares Zeichen seiner göttlichen Macht, die wiederum Voraussetzung ist für die Durchsetzung der Ordnung. Zur Gesetzmäßigkeit dieser Ordnung gehört aber, dass Verträge eingehalten werden – auch und gerade von dem, der die Ordnung mit ihren Gesetzen geschaffen hat, wenn er sich nicht durch willkürlichen Vertragsbruch in Frage stellen und disqualifizieren will.

Damit ist der wunde Punkt freigelegt. Wotan musste den Vertrag mit den Riesen schließen, weil nur sie die Burg zu bauen vermochten, aber Freia, die sich die Riesen ausbedungen hatten, durfte nicht zur Bezahlung dienen. Sie ist Frickas Schwester, die Göttin des Lebens. Die goldenen Äpfel aus ihrem Garten sind tägliche Nahrung der Götter, ohne die sie ihre Kraft verlieren und sterben. Es muss also Ersatz für den Lohn gefunden werden. Nun zeigt sich ein gradueller Unterschied zwischen Göttern und Riesen. Die Götter sind die Überlegenen, weil sie zu großen Gedanken und Entwürfen fähig sind, während die Riesen sich im engen Denkrahmen von Dienst und Lohn bewegen. Deshalb ist es dann auch möglich, sie von der göttlichen Person der Freia auf den materiellen Reichtum umzulenken.

Doch vorerst verfügen die Götter noch nicht über das Gold und den Ring, und so behalten die beiden Riesen Freia als Pfand. Als Freia ihrem Blick entschwindet, werden die Götter bleich und verblühen, so dass Wotan nichts anderes übrig bleibt, als schleunigst mit Loge in die Tiefe nach Nibelheim zu fahren, um sich das nötige Gold zu besorgen.

Sie treffen dort in einer unterirdischen Kluft die beiden Brüder Alberich und Mime an. Alberich hat den kunstreichen Schmied Mime gezwungen, einen Helm anzufertigen, der seinen Träger unsichtbar macht. Außerdem schuf er sich aus dem Rheingold den Macht verleihenden Ring. Mit beidem zwingt er die ihm untergebenen Nibelungen zur Schürfung der Schätze im Berge.

Die unterirdische Schmiede, in der Alberich seine Sklaven schuften lässt, steht für alle Stätten der menschlichen Gesellschaft, in denen Menschen Ausbeutern ausgeliefert sind, die, unsichtbar für sie wie Alberich unter der Nebelkappe (man denke an Industriebarone, Bankiers, Aktionäre), erbarmungslos ihre Peitsche schwingen. Alberich hat sich zum Ziel gesetzt, mit seinem Reichtum die ganze Welt zu unterwerfen.

Doch dazu soll es nicht kommen. Der listige Loge wendet einen aus Märchen bekannten Trick an: Er bringt Alberich dazu, sich mit Hilfe des Tarnhelms in eine Kröte zu verwandeln, die Loge ergreift und ihr dabei den Tarnhelm abstreift, so dass Alberich wieder in seiner Gestalt erscheint. Er ist nun in der Hand der beiden Götter, die ihm seine Freiheit nur wiedergeben wollen, wenn er ihnen seine Schätze aushändigt. Alberich versucht, den Ring zu behalten, aber gerade darauf hat es ja Wotan abgesehen. So bleibt Alberich nur eines: den Ring zu verfluchen. Zu seinem Fluch auf die Liebe kommt sein Fluch auf die Macht des Rings:

Wie durch Fluch er mir geriet,
verflucht sei dieser Ring!
Gab sein Gold
mir – Macht ohne Maß,
nun zeug’ sein Zauber
Tod dem – der ihn trägt.

(Das Rheingold, 4. Szene)


Im Grunde ist dieser Fluch ein Bühneneffekt. Er kommt nicht von außen, auch nicht unbedingt von der Person Alberichs. Der Fluch haftet am Ring selbst, der als Symbol des Reichtums den Besitzer in seinem Bann hält. Wer von der Gier nach Reichtum völlig durchdrungen ist, hat in seinem Inneren keinen Raum mehr für die Emotionen, die auf das Wohl seiner Mitwesen gerichtet ist, seien es Götter, Natur oder Menschen. Diese Besitzgier wirkt in der Gegenrichtung zur Liebe, nämlich zu Hass und Vernichtung. Das ist der eigentliche Sinn dieses Fluches.

Mit dem gewonnenen Raubgut setzen die Götter den Handel mit den Riesen fort. Wotan versucht den Ring zu behalten, von dem er sich die Macht verspricht, die er zur höchsten göttlichen Herrschaft braucht, aber da erscheint die allwisssende Erdgöttin Erda und beschwört ihn, vom fluchbeladenen Ring zu lassen. So überlässt er ihn den Riesen. Sogleich wird der Fluch des Rings bei diesen wirksam: Die beiden goldgierigen Riesen geraten in Streit bei der Teilung des Goldes, und Fafner erschlägt seinen Bruder.

Die Götter ziehen nun triumphierend über eine Regenbogenbrücke in Walhall ein. Aber gleichzeitig melden sich zwei Kontraststimmen. Loge, der mit seiner List den Göttern aus ihrem Dilemma herausgeholfen hat, bleibt zurück und verkündet ihr Schicksal:

Ihrem Ende eilen sie zu,
die so stark im Bestehen sich wähnen.
Fast schäm’ ich mich,
mit ihnen zu schaffen;
zur leckenden Lohe mich wieder zu wandeln,
spür’ ich lockende Lust,
sie aufzuzehren,
die einst mich gezähmt,
statt mit den Blinden
blöd zu vergeh’n,
und wären’s göttlichste Götter.

(Das Rheingold, 4. Szene)


Loge offenbart sich hier als das elementare Feuer, die Naturmacht, die die Götter in ihren Dienst genommen haben, die sie aber überleben wird. Das gilt auch für die Rheintöchter, die Wotan vergeblich gebeten haben, das Gold zurückgegeben in seinen Ursprung, und sie sprechen das Schlusswort:

Traulich und treu
ist’s nur in der Tiefe:
Falsch und feig
ist, was dort oben sich freut!

(Das Rheingold, 4. Szene)


Nach diesen Querelen unter Göttern, Riesen und Zwergen kommen im ersten Teil der Trilogie mit dem Titel Die Walküre Menschen ins Spiel, die sich allerdings als Halbgötter erweisen. Ein von seinen Feinden Verfolgter sucht in einem Haus Zuflucht, in dem er von der Hauswirtin gastfreundlich aufgenommen wird. Als der Herr des Hauses, Hunding, eintrifft, gibt der Aufgenommene Auskunft über sein hartes Schicksal: Sein Vater Wälse, der niemand anders war als Wotan, lag im Streit mit vielen Widersachern. In seiner Abwesenheit brannten diese sein Haus nieder und töteten seine Frau. Die Tochter, Zwillingsschwester des Erzählers, war verschwunden. Vater und Sohn lebten lange im wilden Wald, bis der Vater von den Feinden aufgespürt wurde und plötzlich verschwand. Der allein gebliebene Sohn geriet seinerseits in höchste Gefahr, als er eine junge Frau, die von ihren Brüdern in eine Ehe ohne Liebe gezwungen wurde, von ihren Bedrängern zu befreien versuchte, dabei aber nicht nur ihre Verwandten erschlug, sondern auch erleben musste, dass die junge Frau dabei ums Leben kam.

Nach diesem Bericht erkennt Hunding, dass er in dem Fremden den von seiner Sippe gesuchten Frevler jetzt in seinem eigenen Hause vorfindet. Er gewährt ihm Gastfreundschaft für die Nacht, fordert ihn aber für den nächsten Tag zum Zweikampf.

Sieglinde, die Frau des Hauses, die ihrerseits ohne Liebe von Hunding zur Ehe gezwungen wurde, sorgt durch einen Schlaftrunk, dass Hunding ihre Annäherung an den Fremden nicht stört. Sie erzählt diesem, bei ihrer Hochzeit sei ein einäugiger Wanderer erschienen (niemand anders als Wotan), der in den Stamm der Esche, der Stütze des Hauses, ein Schwert gestoßen habe, das keiner herausziehen könne als der, für den es bestimmt sei. Beide begreifen nun, wer sie sind, nämlich Sohn und Tochter von Wotan-Wälse, das früh getrennte Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde. Aber sie finden sich nicht nur als Geschwister, sondern als Liebespaar. Siegmund zieht das Schwert aus der Esche, das für ihn von dem Wanderer (Wotan) einst dort eingerammt worden war, und gibt ihm den Namen Nothung.

Die weitere Handlung wechselt zu den Göttern über. Wotan hat vor, im bevorstehenden Kampf zwischen Siegmund und Hunding seinen geliebten Sohn siegen zu lassen. Aber da meldet sich eine andere göttliche Instanz zu Wort: Fricka, die Gemahlin Wotans, die ihre Aufgabe darin sieht, die Ehe als moralische Institution zu schützen. Die Auseinandersetzung darüber macht den Kern der gesamten Ring-Handlung aus. Während Wotan sein Gefallen an dem Liebespaar erklärt, hält Fricka ihm vor, dass er als Gottheit in der Pflicht steht, seinen eigenen Gesetzen treu zu bleiben und Ehebrechern und Blutschändern seinen Schutz zu verweigern. Vergeblich versucht Wotan einen Ausnahmefall zu rechtfertigen, zum einen weil die innige Liebe der beiden seinen Segen verdiene, zum anderen aus einem gewichtigen Grund, der für den Fortbestand der Welt maßgeblich sein wird: Sie werden einen Helden gebähren, der frei und unabhängig ist von den Göttern, der nicht wie diese als Walter von Verträgen an Gesetz und Sitte der Weltordnung gebunden ist. Siegfried, der Sohn des Wälsungenpaares, soll durch diese Eigenschaft Götter und Welt vom Fluch des Goldes befreien. Für dieses göttliche Ziel hat aber Fricka keinen Sinn, sie sieht darin nur ein Täuschungsmanöver ihres Gatten und besteht darauf, dass Wotan zur Wahrung ihres eigenen göttlichen Ansehens im bevorstehenden Kampf dem Ehebrecher und Blutschänder den Sieg verwehrt.

Mit dem demütigenden Zugeständnis, zu dem sich Wotan zähneknirschend entschließt, ist aber sein Leid nicht beendet. Seine Lieblingstochter und Walküre Brünnhilde wird ihm mit einer massiven Gegenhaltung hart zusetzen. Sie macht ihm den Vorwurf, dass er sich bereit erklärt hat, gegen seinen Willen und seine Liebe zu Siegmund dessen Tod zu verlangen. Wotan sieht sich nun gezwungen, seiner vertrauten Walküre seine göttliche Not zu klagen.

In eig’ner Fessel
fing ich mich: -
ich unfreister Aller

Und er offenbart Brünnhilde den Zwang, dem er untersteht: dass er Alberich zu fürchten habe, der Walhall zu zerstören trachte, falls er den Ring, den dieser aus dem Rheingold geschmiedet hat, in seinen Besitz bringen könne. Diesen Ring benötige Wotan selbst, um seine Macht zu behaupten, aber den hüte Fafner, mit dem er durch einen Vertrag gebunden sei:

doch mit dem ich vertrug,
ihn darf ich nicht treffen;
machtlos vor ihm
erläge mein Mut.
Das sind die Bande,
die mich binden:
der durch Verträge ich Herr
den Verträgen bin ich nun Knecht.

Und auch jetzt benennt er wie vor Fricka die Gestalt, auf die er seine einzige Hoffnung setzt:

Nur Einer könnte,
was ich nicht darf:
ein Held, dem helfend
nie ich mich neigte;
der fremd dem Gotte
frei seiner Gunst,
unbewusst,
ohne Geheiß
aus eig’ner Not
mit der eig’nen Wehr
schüfe die Tat,
die ich scheuen muss,
die nie mein Rat ihm riet,
wünscht sie auch einzig mein Wunsch.

Siegmund vermag diese Hoffnung nicht zu erfüllen. Fricka hat sie durchkreuzt mit ihrer Forderung, ihn als Frevler zu strafen. Wotan sieht darin bereits die Wirkung des Fluchs:

Ich berührte Alberichs Ring -
gierig hielt ich das Gold!
Der Fluch, den ich floh,
nicht flieht er nun mich: -
was ich liebe, muss ich verlassen,
morden, wen je ich minne,
trügend verraten
wer mir traut

Als Brünnhilde fragt, was sie nun zu tun habe, antwortet Wotan bitter:

Fromm streite für Fricka,
hüte ihr Eh’ und Eid!
Was sie erkor,
das kiese auch ich:
was frommte mir eig’ner Wille?
Einen Freien kann ich nicht wollen –
Für Frickas Knechte
Kämpfe nun du!

Fällen sollst du Siegmund,
für Hunding erfechten den Sieg!

Auf Brünnhildes Weigerung zu gehorchen droht ihr Wotan seinen göttlichen Zorn an, und das Gespräch, das so vertrauensvoll begann, endet mit Wotans Befehl:

Siegmund falle! –
Dies sei der Walküre Werk.

(Die Walküre, 2. Aufzug)


Siegmund und Sieglinde haben Hundings Haus verlassen. Sieglinde wird sich der Schuld bewusst, die sie durch den Ehebruch auf sich geladen hat. Sie fürchtet nun Hundings Zorn und sinkt in Ohnmacht. Da naht sich Brünnhilde und verkündet Siegmund seinen Tod im bevorstehenden Kampf mit Hunding. Doch als sie Siegmunds tiefe Liebe zu Sieglinde wahrnimmt, lässt sie sich erweichen und erklärt sich bereit, Wotans Anweisung in den Wind zu schlagen und Siegmund zum Sieg zu verhelfen. Als es aber dann zum Kampf kommt, greift Wotan selbst ein und zerbricht Siegmunds Schwert mit seinem ausgestreckten Speer. Darauf fällt Siegmund, aber Wotan lässt auch Hunding tot zu Boden sinken.

Nun aber bricht Wotans Zorn über den Ungehorsam Brünnhildes aus, die von der Kampfstätte geflohen ist und Sieglinde auf ihrem Ross mit sich geführt hat. Sieglinde, die zunächst dem toten Geliebten nachsterben will, wendet ihren Sinn, als sie von Brünnhilde die Botschaft erhält:

Denn eines wisse
und wahr’ es immer:
den hehrsten Helden der Welt
hegst du, o Weib,
im schimmernden Schoß.

Brünnhilde reicht ihr die Stücke von Siegmunds Schwert mit den Worten:


Verwahr’ ihm die starken
Schwertes-Stücken;
seines Vaters Walstatt
entführt’ ich sie glücklich:
der neu gefügt
das Schwert einst schwingt,
den Namen nehm’ er von mir –
„Siegfried“ erfreu’ sich des Siegs.

(Die Walküre, 3. Aufzug)


Doch dann trifft Wotan ein mit maßlosem Grimm. Aber Brünnhilde stellt sich ihm und lässt seinen Strafenkatalog über sich ergehen: Von allem, was ihr Dasein an Wotans Seite ausmachte, wird sie ausgeschlossen, aus Wotans Angesicht ist sie verbannt. Und er verhängt ein grausames Schicksal über sie:

Hieher auf den Berg
banne ich dich;
in wehrlosen Schlaf
schließ’ ich dich fest;
der Mann dann fange die Maid,
der am Wege sie findet und weckt

dem herrischen Manne
gehorcht sie fortan;
am Herde sitzt sie und spinnt,
aller Spottenden Ziel und Spiel

Doch Brünnhilde erfleht von Wotan eine Abwandlung der verhängten Strafe:

Die Schlafende schütze
mit scheuchenden Schrecken:
dass nur ein furchtlos
freiester Held
hier auf dem Felsen
einst mich fänd’!

Beim Abschied von Brünnhilde wandelt sich der göttliche Zorn Wotans in rührende Trauer:

Leb’ wohl du kühnes
herrliches Kind!
Du meines Herzens
heiligster Stolz

muss ich verlieren
dich, die ich liebe,
du lachende Lust meines Auges: -
ein bräutliches Feuer
soll dir entbrennen,
wie nie einer Braut es gebrannt!
Flammende Glut
umglühe den Fels;
mit zehrenden Schrecken
scheuch’es den Zagen,
der Feige fliehe
Brünnhildes Fels; -
Denn einer nur freie die Braut,
der freier als ich, der Gott!

(Die Walküre, 3. Aufzug).


Dieser Freie, der Hoffnungsträger Wotans, betritt nun im 2. Teil der Trilogie die Bühne: Siegfried. Er lebt mit Mime, dem kunstreichen Schmied, in einer wilden Felsenhöhle. Siegfried ist ungestümen Wesens. Er beschimpft Mime mit harten Worten. Sein Verhalten ist eine einzige Auflehnung gegen den hässlichen Zwerg, der sich als sein Vater ausgegeben und ihn aufgezogen hat und nun Dankbarkeit dafür erwartet. Doch Siegfried ist aufgegangen, dass Mime nicht sein Vater sein kann, und er zwingt ihn, die Wahrheit über seine Abstammung preiszugeben. So erfährt Siegfried, dass die flüchtige Sieglinde ihn einst bei Mime zur Welt gebracht und sterbend diesem das Kind anvertraut habe.

Als Siegfried auch von den Stücken von Siegmunds Schwert Kunde erhält, die seine Mutter Mime übergab, verlangt er, dass der Meisterschmied die Teile zusammenfügt. Während er in den Wald stürmt, trifft Wotan als Wanderer ein.

In diesem Zusammenhang bringt Wagner Märchenmotive in die Handlung. Siegfried ist einer der auszog das Fürchten zu lernen wie der Held des Grimm-Märchens. Siegfried ist der von Wotan ersehnte neue Mensch, der den Göttern überlegen ist, weil er frei ist von konventionellen Bindungen, die Wotan nicht abschütteln kann, und deshalb auch frei von Furcht nicht nur vor irgendwelchen Ungeheuern, sondern auch vor Einschüchterungen, die von realen Machtinstanzen ausgehen. Hier liegt das sozialpsychologische Moment, das ihn als Hoffnungsträger der Gesellschaft ausmacht: als Revolutionär, den die Machthaber mit ihren Apparaten nicht schrecken können, seien es Justiz und Militär des Staates oder die Höllendrohungen der Kirche.

Ein zweites Märchenelement kommt hinzu. Als Wotan bei Mime erscheint, schlägt er ihm ein Ratespiel vor, bei dem Mime seinen Kopf verpfändet. Mime hält sich für klug und möchte sein Wissen unter Beweis stellen. Bei den Fragen Wotans muss er erkennen, dass sein Wissen begrenzt ist: Er weiß nicht, wer das zerbrochene Schwert Siegmunds wieder erneuern wird. Von Wotan erfährt er die Antwort:

nur wer das Fürchten
nie erfuhr,
schmiedet Notung neu

(Siegfried, 1. Aufzug)


So kann es nur Siegfried sein, der das Kunstwerk vollbringt. Während Mime Siegfried zusieht, wie der Jüngling mit genialer Technik die Schmiedekunst seines Meisters übertrifft, offenbart er seine bösen Absichten: Er wird den jungen Helden, dazu bringen, den in einen Drachen verwandelten Fafner zu töten, dann aber Siegfried mit einem Gifttrank betäuben und mit Nothung den Kopf abschlagen, um in den Besitz des Schatzes zu gelangen, und er träumt bereits von der Macht und ihrem Genuss, den ihm der Ring verschaffen wird. Doch auch ein anderer harrt auf den Hort, Mimes feindlicher Bruder Alberich. Auch bei ihm erscheint Wotan als Wanderer und teilt ihm mit, dass einer kommt, Fafner zu töten.

Mime und Siegfried treffen ein, und der junge Held tötet den Drachen. Als er dessen Blut an seiner Hand leckt, versteht er die Sprache der Vögel. Er erfährt, dass er nun Besitzer des Schatzes ist, vor allem auch des Tarnhelms und des Rings, der ihn zum Herren der Welt macht. Er nimmt nun beides an sich, ohne besonders davon beeindruckt zu sein. Mime will seinen bösen Plan ausführen, aber der Waldvogel, dessen Sprache Siegfried versteht, warnt ihn vor dessen Mordabsicht, und Siegfried erschlägt Mime.

Eine dritte Botschaft vernimmt er vom Waldvogel: dass ihn die Liebe erwartet, nach der er sich sehnt. Er erfährt von Brünnhilde, die im Schlaf darauf wartet, von dem erweckt zu werden, der keine Furcht kennt. Mit dem Geleit des Vogels macht sich Siegfried auf den Weg.

Wiederum erscheint Wotan als Wanderer. Zwiespältig ist seine Absicht. Er weiß, dass seine Macht zu Ende ist, wenn Siegfried furchtlos das Flammenmeer durchbricht. Als Siegfried ihm den Respekt verweigert, sperrt er ihm den Weg mit dem Speer, aber Siegfried zerschlägt Wotans Waffe. Dem Gott bleibt nur zu sagen:

Zieh’ hin! Ich kann dich nicht halten!

(Siegfried, 3. Aufzug)


Siegfried durchquert den Feuerwall, findet die Schlafende, die er zunächst für einen Mann hält. Als er ihre Rüstung mit seinem Schwert aufschneidet, findet er die erwachende Brünnhilde und verfällt in Liebe zu ihr. Beide erkennen sich als ein Paar, das für einander bestimmt ist. Für Brünnhilde wächst diese Liebe weit über die Vorzüge hinaus, die sie als Walküre genossen hat:

himmlisches Wissen
stürmt mir dahin,
Jauchzen der Liebe
jagt es davon!

Fahr’ hin, Walhalls
leuchtende Welt!
Zerfall’ in Staub
deine stolze Burg!
Leb’ wohl, prangende
Götter-Pracht!

(Siegfried, 3. Aufzug)


Zu Beginn der Götterdämmerung bricht der junge Held auf zu neuen Taten, und Brünnhilde lässt ihn ziehen. Helden bleiben nicht zu Hause. Zu ihrem Status gehört, dass sie ausziehen, um sich in der Welt zu bewähren, und daran hindert sie auch die größte Liebe nicht. Siegfried und Brünnhilde versichern sich ewiger Treue. Siegfried übergibt seiner Geliebten den Ring, dessen Fluch ihm nicht bewusst ist, als Pfand seiner Liebe.

Die Handlung des dritten Teils der Trilogie, der Götterdämmerung, springt dann über zur Halle der Gibichungen in Worms am Ufer des Rheins. Gunther und seine Schwester Gutrune sprechen mit Hagen, ihrem Halbbruder, dem Spross aus der Verbindung, die sein Vater Alberich durch List mit der Mutter der Gibichungen erschlich. Hagen macht den ehelosen Gunther auf Brünnhilde aufmerksam und die ebenfalls noch freie Gutrune auf Siegfried, der sich auf seiner Fahrt dem Wormser Hof nähert. Hagen hat den ganzen Plan im Voraus ausgedacht, wie Siegfrieds Tarnhelm einen Gestaltentausch mit dem zur Bewältigung des Flammenwalls unfähigen Gunther möglich macht. Voraussetzung dafür ist Siegfrieds Wunsch, Gutrune zur Frau zu gewinnen.

Der ankommende Siegfried schließt sogleich Blutsbrüderschaft mit Gunther und verliebt sich in Gutrune, nachdem der listige Hagen für ihn einen Vergessenstrunk bereitet hat, der seine Erinnerung an Brünnhilde und seine Verbindung mit ihr löscht. Sogleich begeben sich die Brautwerber auf die Fahrt zum Feuerfelsen. Hagen hat mit seinem Plan nichts anderes im Sinn, als den Ring zu erwerben, den Siegfried Brünnhilde überließ.

Bevor Siegfried und Gunther am Feuerwall eintreffen, sucht die Walküre Waltraute Brünnhilde auf, um diese vor dem Unheil zu warnen, das von dem Ring ausgeht. Sie fleht Brünnhilde an, den Ring den Rheintöchtern zurückzugeben, um den daran haftenden Fluch aufzuheben. Aber Brünnhilde denkt nicht daran, auf das Liebespfand Siegfrieds zu verzichten.

Da trifft Siegfried ein dank seiner Tarnkappe in Gunthers Gestalt. Brünnhilde ist entsetzt, dass ein anderer als Siegfried den Flammenwall durchschreiten konnte. Siegried zieht ihr den Ring vom Finger und erklärt sich in der vorgetäuschten Gestalt Gunthers als ihr Gatte. Er teilt mit ihr das Lager, legt aber sein Schwert zwischen sich und Brünnhilde, da er seinen Blutsbruder nicht betrügen will.

Als nach der Ankunft in Worms Brünhildes Blick auf Siegfried fällt und sie den Ring, den er ihr in Gunthers Gestalt abgenommen hat, an seinem Finger erblickt, erkennt sie den Verrat. Siegfried streitet die Beschuldigung ab, die Brünnhilde an ihn richtet, denn der Trank des Vergessens verwehrt ihm ja die wahre Erkenntnis. Als Brünnhilde aussagt, mit Siegfried vermählt zu sein, schwört er, das Schwert zwischen sich selbst und die Braut Gunthers gelegt zu haben. Damit schwört er einen Eid und einen Meineid zugleich.

Hier setzt nun Hagen seinen Vernichtungsplan an. Er bietet der betrogenen Brünnhilde seine Hilfe zur Rache an. Brünnhilde verrät ihm, dass Siegfried am Rücken verwundbar ist. Auf der Jagd gelangt Siegfried auf einem Irrweg zu den Rheintöchtern, die ihm den Tod verkünden, wenn er ihnen nicht den Ring an seiner Hand übergibt, aber Siegfried ahnt nicht die Bedeutung dieser Warnung und behält den Ring.

Als er zur Jagdgesellschaft zurückfindet, erzählt Siegfried von seinen Taten. Hagen reicht ihm einen Trank, der die versunkene Erinnerung in ihm weckt, und der Ahnungslose spricht unversehens von seiner Verlobung mit Brünnhilde. Darauf hat Hagen gewartet. Siegfrieds Meineid ist jetzt offenbart, und damit verfällt Siegfried der Rache. Hagen stößt ihm seinen Speer in den Rücken.

Bei der Ankunft in Worms fordert Hagen den Ring als sein Beuterecht, und als Gunther es ihm verweigert, weil er selbst dieses Mittel der Macht beansprucht, tötet ihn Hagen. Aber letztlich fordert Brünnhilde den Ring als ihr Erbe. Sie beendet den langen Kampf um das Machtsymbol durch ihren Freitod. Sie lässt einen mächtigen Holzstoß errichten, um Siegfrieds Leiche zu verbrennen. Sie selbst reitet mit ihrem Ross Grane in die Flammen, um sich im Feuertod mit dem Geliebten zu vereinen. Ihre letzten Worte verkünden das Ende allen Übels.

Verfluchter Reif!
furchtbarer Ring!
Dein Gold fass’ ich
und geb’ es nun fort.
Der Wassertiefe
weise Schwestern,
des Rheines schwimmende Töchter,
euch dank’ ich redlichen Rat!
Was ihr begehrt,
ich geb’ es euch:
aus meiner Asche
nehmt es zu eigen!
Das Feuer, das mich verbrennt,
rein’ge vom Fluche den Ring!
Ihr in der Flut
löset ihn auf,
und lauter bewahrt
das lichte Gold,
das euch zum Unheil geraubt.

Hagen will verhindern, dass die Rheintöchter den Ring an sich nehmen, aber sie ergreifen ihn und ziehen ihn in die Tiefe.

Brünnhilde verkündet aber auch den Untergang Walhalls mit allen Göttern:

Verging wie Hauch
Der Götter Geschlecht,
lass’ ohne Walter
die Welt ich zurück:
meines heiligsten Wissens Hort
weis’ ich der Welt nun zu. –
Nicht Gut, nicht Gold,
noch göttliche Pracht;
nicht Haus, nicht Hof
noch herrlicher Prunk:
nicht trüber Verträge
trügender Bund,
noch heuchelnder Sitte
hartes Gesetz:
selig in Lust und Leid
lässt – die L i e b e nur sein.

(Götterdämmerung, 3. Aufzug)


Mit diesem Erlösungsgedanken schließt Wagners Ring-Dichtung.


Soweit der inhaltliche Ablauf der Handlung in den Hauptlinien über die vier Teile hinweg. Nun ist aber wohl das Ganze erklärungsbedürftig.

Wagners Ring-Dichtung ist ein Werk des 19. Jahrhunderts und zunächst in diesem Zeitkontext zu begreifen. Seit der Renaissance griffen die Künstler jedes Genres die Erinnerung an die klassische Antike auf, um in diesem Spiegel ihre Anliegen zu reflektieren. Das 19. Jahrhundert kehrt sich im Besonderen der germanischen Mythologie zu, deren Götter in ihrer Beschaffenheit gar nicht so weit von den griechischen abweichen. Wagners Gottheiten im Ring des Nibelungen handeln wie Menschen, und sie bewegen sich nicht in einem fernen mythischen Raum, sondern in der Vorstellungswelt des 19. Jahrhunderts und werden bestimmt von gesellschaftlichen und individuellen Bedürfnissen, die die Menschen dieses Jahrhunderts bewegen. Da aber im 19. Jahrhundert die Weichen zur Folgezeit gestellt werden, gelten diese menschlichen Anliegen auch weiter bis heute. Wagners mythisch-germanische Opernfiguren und ihre Handlungen wären – von ihrer Verbindung mit einer genialen Musik einmal abgesehen – längst passé, wenn sie nicht transparent wären für moderne, heutige Lebensverhältnisse und deren Problematik.

Es gilt nun, die Gestalten als Trägerfiguren der Opernhandlung und als Repräsentanten des zeitgenössischen Geistes zu sehen. Wagner hat an keiner Stelle den mythischen Zusammenhang durchbrochen, und doch hat er in einer zweiten Bedeutungsebene moderne Gesellschaftsverhältnisse dargestellt.

Wotan ist kein allmächtiger Gott. Er ist eingespannt in ein vorgegebenes System von Gewalten, die verschiedene Ebenen der Welt repräsentieren. Es gibt die chthonische Welt in der Tiefe, in der das Wissen um das Schicksal aller verborgen ist. Erda und die den Schicksalsfaden spinnenden Nornen besetzen diese Sphäre. Wotan ist nicht allwissend, er benötigt die Hilfe der wissenden Erda, wenn er Entscheidungen fällen muss. Hier liegt nun für Wotan das zentrale Problem: Er muss Entscheidungen fällen, weil er nicht über der Welt steht, über die er nach göttlichem Willen verfügen kann, wie es der jüdisch-christlichen Glaubensauffassung entspricht, er ist vielmehr Zwängen unterworfen, die sich aus seiner Gesetzgebung ergeben.

Wotan ist ein Gott der Humanität, der das Wohl seiner Untergebenen im Auge hat. Zu diesem Zweck hat er Gesetze für das menschliche Gemeinschaftsleben erlassen. Fricka, seine göttliche Gattin, versteht sich als Hüterin dieser Gesetze und tritt auf den Plan, als Wotan im Begriff ist, sie zu brechen. Wie der griechische Zeus geht er Liebesverbindungen außerhalb seiner Ehe ein: mit der weiblichen Gottheit Erda, die ihm seine Lieblingswalküre Brünnhilde gebiert, und mit einer menschlichen Frau, die das Zwillingspaar Siegmund und Sieglinde zur Welt bringt. Das bedeutet eine mehrfache Umgehung seines von ihm verordneten Schutzes der Ehe. Dieser problematische Tatbestand wird mit erweiterter Dimension fortgesetzt, als seine Kinder Siegmund und Sieglinde die Ehe Sieglindes mit Hunding brechen und dazu noch das weitere Verbot der Blutschande missachten.
Wotan gerät damit in einen Widerspruch, aus dem er sich sest nicht befreien kann. Er unterliegt dem Zwang, aus Rücksicht auf seine eigene Weltordnung, die ein harmonisches Gesellschaftlsleben erst möglich macht, Menschen zu vernichten, deren Liebe er bejaht und die er selbst liebt. Und dieser Widerspruch erweitert sich auf Brünnhilde, seine über alles geliebte Tochter und göttliche Helferin, als sie seinem Befehl zuwiderhandelt, indem sie paradoxerweise gerade das tun will, was er selbst am meisten wünscht, aber aus formalem Zwang heraus nicht anordnen darf: nämlich seinen Sohn im Kampf gegen Hunding siegen zu lassen. Zu dieser Zwangslage gehört dann konsequenter- und widersinnigerweise, dass er Brünnhildes Ungehorsam bestrafen muss.

Aber der entscheidende Widerspruch in Wotans Handeln geht dem Beginn des Bühnenvorgangs voraus. Die drei Nornen, die im Vorspiel zum letzten Teil der Trilogie erscheinen – ich erwähne sie jetzt erst - , sprechen von einem Initialakt Wotans, mit dem das Gute und das Fatale gleichzeitig in Gang gesetzt werden. Wir erfahren von den Nornen, dass Wotan aus der Weltenesche seinen Speer geschnitten hat. Dieser Speer bewirkt als Machtmittel Ordnung und Gesetz, also Gesittung. Gleichzeitig aber bedeutet das Herausschneiden dieses Speers einen Frevel an der Natur: Der Weltenbaum verdorrt, und die Nornen klagen:

In langer Zeiten Lauf
zehrte die Wunde den Wald;
falb fielen die Blätter,
dürr darbte der Baum:
traurig versiegte
des Quelles Trank

(Götterdämmerung, Vorspiel)


Die Übernahme der Macht, die die menschliche Gesellschaft kultivierte, vernichtete die ursprünglich heile Natur und wirkte wieder zurück auf Götter und Menschen. Dieser Umschlag von einer Leben ermöglichenden Humanität zu einer tödlichen ist das eigentliche Thema der Wagnerschen Ring-Dichtung. Spätestens jetzt dürfte klar werden, wie nah dieses Thema unserer heutigen brandaktuellen ökologischen Sorge ist. Es heißt nichts weniger, als dass Kultur auf Kosten der Natur geht.

Diesem Dilemma am Anfang der Welt folgen alle Zwänge, die sich in Wotans Regierung unvermeidbar einstellen. Daraus wieder entsteht der Wunsch des in die Klemme geratenden Gottes nach einem Helden, der nicht Gott, wenn auch göttlichen Ursprungs, sondern Mensch ist. Damit ragt der Mensch mit seinen Möglichkeiten über Gott hinaus. Er ist frei, während der Gott gebunden ist. Als Idealgestalt vermag er alle konventionellen Schranken zu durchbrechen, jede Bevormundung zurückzuweisen und nur seinem starken, selbstbewussten Inneren zu folgen.

Aber Siegfried erfüllt Wotans Sehnsucht nicht. Er erlöst die Welt nicht vom Fluch des Rings. Zwar ist er frei von Gier nach Reichtum und Macht, aber er handelt nicht für die Welt, die er erlösen soll, sondern für sich selbst. Die großen Taten, die er auf Grund einmaliger Voraussetzungen, nämlich Kampfkraft und Furchtlosigkeit, vollbringt, dienen seinem egoistischen Interesse.

Siegfried erreicht den Höhepunkt seines außerordentlichen Entwicklungswegs in der Liebesvereinigung mit der von ihm auferweckten Brünnhilde. Aber dabei verharrt er nicht. Er verlässt diese Idealsituation und vergisst Brünnhilde.

Das bewirkt äußerlich der Vergessenstrank Hagens, aber der tiefere Sinn liegt in etwas anderem: Siegfried ist, nachdem er als unverdorbener Naturbursche im Wald gelebt und mit Brünnhilde einen mythischen Bereich weitab von der menschlichen Gesellschaft gefunden hat, in Kontakt geraten mit einer Gesellschaft, in der Lug und Trug das Leben und Handeln bestimmen. Hagen, der Sohn Alberichs, führt hier die Zügel. Nicht das Wohl des Königshauses hat er im Auge, sondern seine eigene Macht durch den Erwerb des Rings. Siegfrieds verfällt dieser Welt, er passt sich ihr an und wird durch sie verwandelt, seinem wahren Wesen entfremdet. Und so handelt er im Widerspruch zu sich selbst. Er lässt sich auf ein fundamentales Betrugsunternehmen ein, und er nimmt die Chance zur Rettung nicht wahr, die sich ihm bietet: Er hätte es in der Hand gehabt, den Ring an die Rheintöchter zurückzugeben und damit den Fluch aufzuheben, aber er erschöpft sich in Neckereien mit den Mädchen und verweigert ihre Bitte um den Ring, obwohl sie ihm den Tod voraussagen. Es ist nicht derselbe Siegfried, der im Wechselgesang mit Brünnhilde die hohe Liebe preist

Prangend strahlt
mir Brünhildes Stern!
Sie ist mir ewig,
ist mir immer,
Erb’ und Eigen…
Ein und All …

(Siegfried, 3. Aufzug)


während er in völliger Verkennung seiner Bedrohtheit den davonschwimmenden Rheintöchtern den Wunschgedanken nachsendet:

trüg ich nicht Gutrun’ Treu,
der zieren Frauen eine
hätt’ ich mir frisch gezähmt!

(Götterdämmerung, 3. Aufzug)


Hagen, der Sohn Alberichs, der wie sein Vater alles darauf anlegt, in den Besitz des Rings zu gelangen, hat deshalb leichtes Spiel mit dem naiven Siegfried. Er braucht ihn nur mit einem Erinnerungstrank dazu zu bringen, aus seinem früheren Leben zu erzählen, und schon legt der aus der Täuschung Erwachende den Widerspruch an den Tag, in den er sich mit der betrügerischen Werbung um Brünnhilde für Gunther und seiner eigenen um Gutrune hat hineintreiben lassen. Seine Erzählung endet mit den Worten

Den Helm löst’ ich
der herrlichen Maid;
mein Kuss erweckte sie kühn! –
o wie mich brünstig da umschlang
der schönen Brünnhilde Arm

Erst durch seinen Tod gewinnt er seine Größe wieder, wenn er Brünnhilde anruft:

Brünnhilde –
heilige Braut –
wach’ auf! öffne dein Auge!

Brünnhild’ bietet mir – Gruß!

(Götterdämmerung, 3. Aufzug)


Aber nicht Siegfried, Wotans Hoffnungsträger, hat die Welt vom Fluch befreit, sondern Brünnhilde, die durch ihr Selbstopfer dafür sorgt, dass der Ring wieder in die rechten Hände gelangt: Die Rheintöchter holen ihn aus ihrer Asche in die allheilende Tiefe des Wassers zurück.

Die Erlösung der Welt, wie sie hier gemeint ist, kommt in Brünnhildes Abschiedsworten zum Ausdruck, die das Lebenselement wieder zur Wirkung bringen, das am Anfang von Alberich aus der Welt geschafft wurde zugunsten des gefühlskalten, herzlosen Strebens nach Macht: die Liebe.

Selig in Lust und Leid
lässt – die Liebe nur sein.

Es bleiben damit aber Fragen offen. Was ist mit dieser Liebe gemeint, die in Lust und Leid selig sein lässt? Erotische Liebe zwischen zwei Individuen oder Hinwendung zum Mitmenschen, Agape? Ist damit die Welt erlöst? In der Götterdämmerung wird eine versagende Weltherrschaft durch einen Weltenbrand vernichtet. Was wird aber die Folge sein? Ist damit die Aussicht auf eine neue Ära verknüpft, in der alles besser wird? Nicht alle Wesen werden vom Weltenbrand erfasst. Übrig bleiben die Nibelungen, ein arbeitsames Volk, das unter Tag sich abschuftet, um für seinen Herrn, den ebenfalls überlebenden Alberich, Gold zu schürfen, ohne selbst am Gewinn beteiligt zu werden?

Damit sind wir bei Wagners sozialer Einstellung. 28 Jahre hat Wagner am Ring gearbeitet, und während dieser langen Zeit ist seine Position nicht unverändert geblieben. Die erste Fassung des Stoffs erfolgte in Zusammenhang mit Wagners Beteiligung an der 1848er Revolution. Sie entstand gleichzeitig mit dem Kommunistischen Manifest von Marx und Engels, und auch andere sozialistische Programme bestimmten die Hoffnungen der politisch engagierten jungen Menschen dieser Zeit in Deutschland. Wagner hatte seine eigene Vorstellung, die sich im ersten Entwurf des Opernstoffes von 1848 unter dem Titel Siegfrieds Tod niederschlug. Er hielt nichts von einer Diktatur des Proletariats. Brünnhildes Abschiedsworte lauten:

Ihr Nibelungen, vernehmt mein Wort!
Eure Knechtschaft künd’ ich auf:
Der den Ring geschmiedet, euch Rührige band, -
nicht soll er ihn wieder empfah’n, -
doch frei sei er wie ihr!

Nur einer herrsche:
Allvater, Herrlicher du!

Es ging Wagner offenbar darum, die feudale Herrschaft durch eine humane Regierung zu ersetzen. Aber diese optimistische Lösung ließ sich nicht halten. Unter Schopenhauers Einfluss wendet sich in Wagners Konzept das aktive Handeln in ein passives Dulden. Wotan soll nicht mehr herrschen, sondern den Weg in die Zukunft für den neuen Menschen freigeben. Siegfried ist der neue Mensch, Aber er macht seinerseits nicht den Weg frei für neue Entfaltungen der Götter und Menschen. Er verspielt seine Chancen durch Verstrickung in eine zweifelhafte Gesellschaft.

Wagner hat der zitierten Abschiedsrede Brünnhildes weitere Verse hinzugefügt, die nicht komponiert wurden:

Führ’ ich nun nicht mehr
nach Walhalls Feste,
wisst ihr, wohin ich fahre?
Aus Wunschheim zieh’ ich fort,
Wahnheim flieh’ ich auf immer;
des ewigen Werdens
off’ne Tore
schließ’ ich hinter mir zu:
nach dem wunsch- und wahnlos
heiligsten Wahlland,
der Welt-Wanderung Ziel,
von Wiedergeburt erlöst,
zieht nun die Wissende hin.
Alles Ew’gen
sel’ges Ende,
wisst ihr, wie ich’s gewann?
Trauernder Liebe
tiefstes Leiden
schloss die Augen mir auf:
enden sah ich die Welt.-

Wagner hat im Laufe seiner Beschäftigung mit dem Ring einen enormen Bogen geschlagen von sozialen Revolutionär, der seine Hoffnung auf die Ablösung der feudalen Willkürherrschaft durch eine humane Regierung setzte, zur philosophischen Auffassung Arthur Schopenhauers, die den Leidcharakter des Lebens in den Mittelpunkt rückt mit der Konsequenz der Überwindung des Willens zum Leben, der Loslösung von der leidbringenden Welt. Dieser Bogen umspannt eine Fülle von Perspektiven zum menschlichen Dasein, die von ihrer Gültigkeit bis heute nichts eingebüßt haben. Aber nicht sie sind es eigentlich, die das Werk Wagners ungebrochen weiterleben lassen.

Ich muss daher abschließend betonen, dass mein Vortrag leider nur eine halbe Sache war, wenn nicht noch weniger, denn ich habe nur die gedruckten Worte des Librettos besprochen. Über diesen Worttext legt sich aber mit unermesslicher Wirkungsbreite die Wagnersche Musik. Musik, sagte Robert Schumann, ist Sprache über den Sprachen, sie sagt das Unsagbare durch Melodie, Harmonie, Rhythmus und Klangfarbe.

Ich wünsche Ihnen nach meiner Bemühung um das Sagbare eine gute Gelegenheit zum Genuss dieses Unsagbaren.