Die Rolle der Frau
im Orient zur Stauferzeit


von Cita Lindemann

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Illustration, Mohammed und die heiligen Frauen / Grünes Buch..


Die für mich federführende Autorin zu diesem Thema ist Fatema Mernissi. 1940 in Fes/Marokko geboren, wuchs sie in einem Harem auf und studierte später Politikwissenschaft und Soziologie an der Sorbonne in Paris. Danach promovierte sie in den USA. Zur Zeit lehrt sich an der Universität in Riad / Saudiarabien Soziologie. Ihr Arbeitsgebiet ist die Rolle der Frau im Islam.
Sie schreibt in französisch und englisch, weil sie sich in diesen Sprachen frei ausdrücken kann. Sie lehnt es ab, in Marokko zu publizieren.

Kaiser Friedrich II und seine Begegnungen mit dem Islam
Frauen – die Bewahrerinnen der Geschichten
Der Schleier
Frauen im Sufismus
Der Prophet und die Frauen
Harun ar-Rashid, der erotische Kalif von Bagdad und sein Harem (1258)
Hintergründe



Kaiser Friedrich II. und seine Begegnungen mit dem Islam


Im hohen Mittelalter, zur Zeit der Kreuzzüge, war das Verhältnis des islamischen Orient und des katholischen Europa geprägt von einem zivilisatorischen und kulturellen Gefälle, das von Ost nach West verlief.
Zwischen dem 7. Jh. und dem 13. Jh. war der islamische Kulturkreis die am höchsten entwickelte Zivilisation der mediterranen Welt. Er war uns weit überlegen. Sowohl technisch als auch ökonomisch als auch in der Toleranz gegenüber Andersgläubigen. Der Einfluss der arabischen Gelehrten auf die Entwicklung von Mathematik, Medizin und Philosophie war beachtlich.
Alles, was gut, luxuriös und teuer war, stammte aus den arabischen Ländern. Auf abenteuerlichen Wegen, per Schiff und über Land, wurden die begehrten Waren des Ostens nach Europa gebracht:
Feinste Stoffe (Seide), Edelsteine, Gewürze und ein Sortiment an Wohlgerüchen, wie man sie in unseren Breitengraden nicht kannte.
Man schrieb das Jahr 1198, Kaiser Friedrich war gerade 4 Jahre alt, als seine Mutter, Kaiserin Konstanze starb, (Tochter des sizilianischen Königs Roger II). Friedrich wurde Vollwaise und kam nach Palermo. Er wurde der Vormundschaft Papst Innocenz III. unterstellt. Es ist in orientalischen und westlichen Quellen sicher belegt, das arabisch-islamische Persönlichkeiten die Erziehung des jungen Staufer mitgestaltet haben. Palermo war eine lebendige, weltoffene und lebensfrohe Stadt. In diesem bunten Treiben verbrachte Friedrich seine Kindheit und Jugend.
Die orientalischen Einflüsse belebten das Stadtbild und prägten das Alltagsgeschehen und so entwickelte sich eine einzigartige, kulturelle Vielfalt, die später Friedrichs Lebensstil und Denkweisen prägen sollten.
Er lernte die italienische Volkssprache und durch den Umgang mit den dort lebenden, teils hoch gebildeten Muslimen wurde er vertraut mit der arabischen Sprache, die ihm den Zugang zu islamischen Weisheiten und Lebensformen ermöglichte.
Neben seinem ausgeprägten Wissensdrang gestaltete Friedrich seinen kaiserlichen Alltag nach orientalischem Lebensstil. Eine arabische Leibgarde war verantwortlich für seine Sicherheit. Muslimische Bogenschützen und arabische Soldaten bildeten die Elite seiner kaiserlichen Truppen. Er trug Gewänder, mit Schriftzeichen und Ornamenten bestickt.
Auch in der Verwaltung besetzte Kaiser Friedrich wichtige Positionen mit Muslimen. So holte er sich Gelehrte islamischer Herkunft in seine unmittelbare Umgebung, Mathematiker, Astronomen, Wissenschaftler. Michael Scotus, er stammte aus der über die Grenzen hinaus bekannten Übersetzerschule von Toledo, war bis zu seinem Lebensende der Hofphilosoph und wichtigster Vermittler der aristotelisch – arabischen Philosophie.

Aus tiefer, innerer Überzeugung glaubte Kaiser Friederich sein Leben lang an Gott, er akzeptierte das Christentum. Die Kirche war für ihn unentbehrlich, weil der Staat mit seinen Gesetzen auf dem katholischen Glauben beruhte. Im Laufe seines Lebens stand er den Lehren der katholischen Kirche allerdings kritisch gegenüber. Das Erfassen und Erkennen der Gottheit musste aus seiner Sicht in Unabhängigkeit von der Kirche geschehen, ohne Vorurteile und frei von Glaubenssätzen. Für ihn war Gott kein alter Mann mit Bart, sondern das „regierende Prinzip der Welt an sich.“ Mit den Jahren hat er sich unweigerlich auf den Islam zu bewegt. Er folgte den Worten der zweiten Sure.
„Egal ob Juden, Moslems oder Christen, wenn sie an Gott glauben und ihn loben, haben sie nichts zu befürchten und werden nicht traurig sein.“ Sein Respekt und seine Achtung vor dem Andersgläubigen kommt hier sehr stark zum Ausdruck.

Interessant ist das Zitat, mit dem er auf die Exkommunikation von Papst Innozenz geantwortet hat. Er nimmt das Bild der zwei von Gott gesetzten Lichter am Firmament, die Sonne und den Mond. Zitat: „So haben beide Lichter wohl besondere Aufgaben, so dass, wenn sie sich auch oftmals von der Seite anblicken, doch das eine das andere nicht stört. Ebenso hat dieselbe ewige Vorsehung auf der Feste der Erde zwei Herrschaften haben wollen: das Priestertum nämlich und das Kaisertum.“

Hof Friedrichs II. in Palermo nach Michael Zeno Diemer

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Friedrich II war ein außergewöhnlich kluger Mensch, sein freier Geist, sein ausgeprägter Wissensdrang, seine große Toleranz Andersgläubigen gegenüber bildeten die Grundlagen seiner wissenschaftlichen und philosophischen Gespräche mit der geistigen und intellektuellen Elite des Orient. Seine Vertrautheit mit der arabischen Mentalität war ihm eine große Hilfe. Er galt als multikultureller, toleranter Monarch. „Was ihn im Orient überwältigte, war die alle Schranken aufhebende Weite und Unbegrenztheit des gelösten und freien Geistes.“ Sein großes Interesse galt den existentiellen Fragen über das Dasein des Menschen, die Unsterblichkeit der Seele, die Erschaffung der Welt und die Bedeutung der Ewigkeit für die Welt. Ein Zitat des Propheten Mohammed begleiteten seinen Wissensdrang: „Die Tinte des Gelehrten ist heiliger als das Blut des Märtyrers“

Zitat: „Kaiser Friedrich war der einzige abendländische Fürst und Monarch, der sich dem Orient und den Arabern nicht mit dem gezogenen Schwert näherte, sondern durch die Kunst der Überredung und damit durch Einfühlungsvermögen und gewiss auch durch feinsinnigen Takt zu erreichen versuchte, was bisher stets Ströme von Blut gekostet hatte.“
Zu Kaiser Friedrich und seinen Frauen bzw. seine Einstellung zu ihnen habe ich wenig in der Literatur gefunden. Was man über seinen angeblichen sarazenischen Harem erzählte, war sicherlich übertrieben. Seine Freude an orientalischer Prachtentfaltung aber auch seine arabische Lebenshaltung erregte die Phantasie des Volkes. Es gibt Geschichten und Vermutungen über sein Harem. Zu seinem Hof in Palermo gehörten männliche Sklaven und von Eunuchen bewachte Sarazeninnen.

Beschrieben wird sein ungewöhnlicher und außerordentlicher Aufwand, wenn er auf Reisen ging. „Es gehörten Sänften dazu, in denen verschleierte/geheimnisvolle Frauen getragen wurden. So wurde berichtet, der Kaiser habe eine Tochter des Sultans und 50 Sarazeninnen geheiratet. Als er den Orient verlassen habe, sollen die arabischen Frauen getrauert haben und trügen seit dem schwarze Gewänder.“ Er war nachweislich 4x verheiratet und hatte mehrere Kinder aus außerehelichen Affären. Für den sexualfeindlichen Vatikan ein ewiger Dorn im Auge.
Während er seine erste Frau, Konstanze v. Aragon, die er 17jährig heiratete, geliebt hat, verschwand Jolande, die junge Königin im Harem. Auch Isabella von England, die er 1235 heiratete, wurde nach der Hochzeit in der Öffentlichkeit nicht mehr gesehen. Sie lebte in der Obhut seiner sarazenischen Eunuchen.
Also, sein Umgang mit und seine Einstellung zu den Frauen war eher zeitgemäß. Er hat aber erkannt, das den Frauen ebenfalls Anerkennung und Respekt in der Gesellschaft zustehen. Die folgende Anmerkung unterstreicht diese Vermutung:
„Friedrich II erließ strenge Gesetze zur Erhaltung der Natur und zum Schutz von Frauen und Minderheiten.“


Frauen - die Bewahrerinnen der Geschichten



Die islamische Kultur war im Mittelalter vor allen Dingen eine Kultur des Hörens, der Poesie, der Musik, eine Kultur der Erzählungen. Dieses mündliche Medium des Geschichtenerzählens ist das Fundament, auf dem sich das Rollenbild der Frau im Orient aufbaut. Darum werde ich genauer darauf eingehen.
Geschichten erzählen war die intellektuelle Ebene, der geistige Raum für Frauen, sich mit der Gewaltherrschaft der Männer auseinander zu setzen.
Die Wahrnehmungen über das geöffnete Auge sind die Wahrnehmungen des Tages, sind Realität. Mit dem geschlossenen Auge haben wir Träume, Visionen, Phantasien, das ist die Nacht.

Beide, Tageserleben und Nachttraum sind in gleicher weise gut und lebendig erzählbar. Über das Hören nehmen wir allerdings andere Wirklichkeiten war als mit dem Auge. Viel intensiver, lebendiger. Erinnern Sie sich an einen Märchenerzähler, was für Empfindungen und Bilder wurden durch Sprache, Stimme und Gestik frei gesetzt, was passiert mit ihnen, wenn Sie in diese Phantasiewelt eintauchen.

Ruhende Frau mit Hund,
um 1640 (Britisches Museum, Iran)

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Die wortgewaltigen Sportjournalisten, die früher die Weltmeisterschaften im Radio kommentierten, als das Fernsehen noch nicht Einzug in die Wohnstuben gehalten hat. Man war live auf dem Fußballplatz. Oder die Krimiserie Paul Tempel, das Ohr klebte am Äther.
Mit diesen Vorstellungen fühlen sie, was Erzählkunst auslösen kann. „In unserem Kulturkreis ist professionelle Erzählkultur für uns, das lesende Publikum und für den Autor, der schreibt, unvorstellbar geworden.“
Gefühl, Fiktion, die Phantasie, die Mystik, der seelisch/geistige Bereich, aber auch das Reich des Begehrens und damit die Nacht wurde der Frau zu geordnet, das ist das Weibliche im Islam. Hier blühte die Erzählkunst mit seinem unerschöpflichen Erfindungsreichtum. Dieses verbale Medium konnte von den Männern nicht zensiert, kontrolliert oder dokumentiert werden.
In diesem inneren Raum konnte der Machtanspruch der Männer sabotiert werden.
In diesen Geschichten war die Frau oft intelligenter, gebildeter, weise, kultivierter und klüger als der Mann.

Die männliche Elite verband aus diesem Grund Geschichten erzählen mit dem ungebildeten Volk. Sie hielten Geschichten für kulturell wertlos. Man erkannte natürlich die Gefahr, die sich hinter dem Geschichten erzählen verbarg. Die Überlegenheit der Frau. Schließlich haben sie als Kinder die gleichen Geschichten gehört. Jungen wie Mädchen waren gebannt und verzaubert, wenn die Großmutter erzählte.
Damit hielt die Frau im Inneren die Macht in den Händen. Eine Macht, die den Frauen Selbstbewusstsein gegeben hat und gibt. Sie konnten sich auf diesem Weg mit der Rolle der Frau in der islamischen Gesellschaft auseinanderzusetzen. Und die Männer, früher die Knaben, sahen von früh auf ihren Machtanspruch gefährdet.
Das Tagesgeschehen mit dem Auge wahrzunehmen, war/ist Realität, ist Wissenschaft, schafft Wissen, ist der Verstand, ist männlich, ist im Islam die heilige Wahrheit, sind die Gesetze, die der Koran vorschreibt.
Zwischen diesen beiden Polen, Verstand/Gefühl – Realität/Fiktion,Mystik – Außenwelt/Gesellschaft – Innenwelt/Familie spiegelt sich der spannungsgeladene Konflikt in der islamischen Kultur wieder. Der Mann, der die Definitionsautorität des Korans für sich beansprucht, der die Rechte der Frau aus den heiligen Texten herausliest und festlegt und damit die Frau aus dem öffentlichen Leben verband. Der einer Hälfte der muslimischen Bevölkerung – den Frauen - den Zugang in die Außenwelt verwehrt.
Der „1001 Nacht“ Experte der Gegenwart Bencheikh vertritt ebenfalls den Standpunkt, das die Geschichten in der frühen Zeit von der männlichen Elite absichtlich als „Aberglaube und wirres Zeug“ herabgewürdigt und teilweise auch verboten wurden, da die Frauen scharfsinniger und klüger da gestellt wurden als die Männer.
Die Geschichten aus „1001 Nacht“ sind ein gutes Beispiel für die Erzählkunst im Orient und gleichzeitig eine Offenbarung, mit wie viel Einfühlungsvermögens, Intelligenz und Scharfsinn Frauen mit ihrer Erzählkunst Veränderungen herbeiführen konnten, Einfluss gewannen bzw. politische Macht übernehmen konnten.

Zur Erinnerung an Scheherazade in 1001 Nacht
Eines Tages kam der König in seinen Palast und fand seine Frau in den Armen eines Küchenjungen. Er tötet beide und hat von diesem Moment an jeden Tag eine junge Frau abends geheiratet um sie dann morgens enthaupten zu lassen. Scheherazade bat daraufhin ihren Vater, den König heiraten zu dürfen, damit das Morden ein Ende hat.
Der Name Scheherazade kommt aus dem persischen und heißt „von adeliger Geburt“. Scheherazade wird beschrieben: „als eine muslimische Religionsautorität, sie beherrschte die heiligen Texte und verschiedene Interpretationsrichtungen des Korans. Sie hatte die Texte der Literatur, der Philosophie und der Medizin gelesen. Sie galt als umfassend gebildet. Wir hingegen kennen Scheherazade nur als Märchenerzählerin aus 1001 Nacht.
Also, gesagt, getan, sie heiratete den König und erzählte ihm jeden Abend eine fesselnde Geschichte, so dass der König in der nächsten Nacht und jede weitere Nacht neugierig war, die Fortsetzung zu hören. Und der König hörte ihr sechs Monate - nur zu. Sie hat mit ihren Geschichten letztendlich das verbrecherische Handeln des Königs beendet. Und sie musste nach jeder Geschichte damit rechnen, das ihr Gemahl auch sie töten lassen würde. Scheherazade hat erkannt, das ihr Mann, in Erinnerung an die Untreue seiner Frau, beim Beischlaf nur Schmerz empfand und keine Freude daran hatte. Dieser Mann brauchte keinen Sex sondern eine Psychotherapeutin. Ihr Erfindungsreichtum und ihre Phantasie ist Erzählkunst, ist ein Beispiel für die Fähigkeit der Frau, mit ihren Geschichten, ihrer Strategie und ihren psychologischen Fähigkeiten das Verhalten des Mannes, in dem Fall des Königs, zu verändern. Er wird durch ihren wachen Geist angehalten, sich ihren Vorstellungen entsprechend zu verhalten.
Zitat: „Oh Scheherazade, du hast mich an meiner königlichen Macht zweifeln lassen und du hast mich dazu bewegt, meine frühere Gewalt gegen Frauen und den Mord an den jungen Mädchen zu bereuen“.

Hier wird die Welt auf den Kopf gestellt. Der Täter wird zum Opfer und das Opfer zur Täterin . Alle Werte sind verdreht, es regiert das Weibliche, es regiert die Nacht. Jede Geschichte in 1001 Nacht endet immer mit dem gleichen Satz: „Der Morgen überraschte Scheherazade, und sie verstummte“. Die Geschichtenerzählerin Scheherazade wurde später zum Symbol der Menschenrechte im modernen Orient. Das kann man nur verstehen, wenn man weiß, dass die konservative Elite über hunderte von Jahren die 1001 Nacht Geschichten als kulturell wertlos einstuften. Die arabische Elite hat verächtlich auf die Geschichten herabgesehen und sich nicht die Mühe gemacht, sie schriftlich festzuhalten. Erst im 19. Jh. wurden die Geschichten in arabischer Sprache aufgeschrieben (arabisch ist die Sprache des Korans) Damit erhielten sie einen höheren Status. Sind Texte erst einmal aufgeschrieben, bekommen sie eine akademische Glaubwürdigkeit. Scheherazade war eine politische Kämpferin gegen ungerechte Hierarchien und Despotenherrschaft.
Fatema Mernissi schreibt dazu: „Die Moderne hat Scheherazade zu einer zentralen Figur der arabischen Intellektuellenszene des zwanzigsten Jahrhunderts gemacht.
Scheherazade hat im Bagdad des Mittelalters wichtige philosophische und politische Themen deutlich angesprochen und Fragen gestellt, auf die die politischen Führer auch heute noch keine Antwort haben. Warum sollte ein ungerechtes Gesetz befolgt werden? Weil es von Männern erlassen ist? Wenn die Wahrheit in den Gesetzbüchern so offensichtlich ist, warum dürfen Poesie, Einbildungskraft, Emotion und Fiktion dann nicht ungehindert gedeihen?“
So erhielt Scheherazade – und mit ihr alle Frauen – den Status einer zivilisierenden Macht. Taba Hussein, ein einflussreicher ägyptische Denker, hat vorhergesagt Zitat: „dass die Gewalt in den Zielen und Handlungen der Männer durch Frieden und Gleichmut ersetzt werde, wenn die Liebe einer Frau die Männer erlöst.
Unter Erlösung versteht Taba Hussein, wenn es zwischen den Mächtigen und den Machtlosen zum Dialog kommt und auf Gewalt verzichtet wird.

Geschichten erzählen ist also eine alte Tradition in der orientalischen Welt und ist ein fast heiliges Privileg der Frauen, Mütter und Großmütter. Vor dem Hintergrund, das die Frauen abgegrenzt von den Männern, hinter verschlossenen Türen lebten, war diese Art der Kommunikation das Wertvollste, um die Hierarchie der Männer zu ertragen oder zu unterlaufen. Geschichten erzählen war das mündliche Medium, geistige Lebendigkeit in diesem eingegrenzten Raum aufrecht zu halten.
Dieser Dialog unter den Frauen hatte ein gewaltiges, inspirierendes Potenzial an Kraft und Aufklärung. Junge Frauen wurden ermutigt, Grenzen zu überschreiten, sich mit dem Problem der Machtlosigkeit dem Mann gegenüber auseinander zu setzen.

Fatema Mernissi, die in einem Harem in Marokko groß geworden ist, berichtet in Ihrem Harem-Buch von der Großmutter und ihren Geschichten. Die Geschichte „Von der Frau im Federkleid“ begleitet F.M. auf Ihrem Weg durch das Studium und auf Ihren Lesereisen. In ihrem eng begrenztem Lebensraum hat die Großmutter ihr immer wieder ins Ohr geflüstert, das Frauen Flügel haben, und das es schmerzhaft ist, wenn man sie nicht benutzt. Eine Frau, die beschließt, ihre Flügel auszuprobieren (ihre Freiheit sucht), geht große Risiken ein und sie empfindet Angst, wenn sie Meere und Flüsse überquert, Grenzen überschreitet.
Wie eine Gebetsmühle hat sie ihr immer wieder gesagt, das es eine wunderbare Chance für Frauen ist, Grenzen zu überwinden, sich der Angst vor dem Fremden zu stellen. So lernen wir fremde Menschen verstehen. In dieser Reflexion finden wir heraus, wer wir selbst sind und wie unsere Kultur mit uns umgeht.
Erzählt wird oft in Bildern, die Freiheit, geistige Freiheit vermitteln sollen, sie zu fühlen und zu leben. Frauen fanden oder finden Selbstvertrauen und entdeckten ihre Macht.
„Während muslimisches Recht es den Männern erlaubt, über die Frauen zu herrschen, scheint in mündlich weitergegebenen Geschichten das Gegenteil der Fall zu sein.“
Zitat: Fatema Mernissi meint abschließend dazu: „Im Islam können Politiker fast alles nach ihrem Willen beeinflussen, aber sie können niemanden dazu bringen, das Prinzip der absoluten Gleichheit zwischen allen Menschen ohne Rücksicht auf Geschlecht, Rasse oder Glauben, aufzugeben.“
Die Geschichtenerzählerin steht für die moderne, rebellische und intelligente Frau im Orient. In diesem inneren Raum findet sie Zugang zu den Kräften und Mitteln, die die heutige arabische Welt bewegen.


Der Schleier


In dem Buch, „Der wahre Schleier ist das Schweigen“ schildern diverse Autorinnen an Hand ihrer Geschichte die Situation in Arabien. Eine unvorstellbare Frauenverachtung und Unterdrückung wird hier beschrieben.
Das Rollenbild der Frau im Orient ist ohne den Schleier nicht vermittelbar. Bei der Recherche im Internet oder in der Literatur finden sich unzählige Hinweise zu dem Ursprung des Schleiers. Unterschiedliche Koranverse werden zitiert, die Definitionen sind vielfältig. Der Text über den Schleier in Fatema Mernissi`s Buch „Der politische Harem“ erschien mir umfassend und informativ.

Der Begriff „Schleier“ hat im sprachlichen eine dreidimensionale Bedeutung. Einmal die visuelle, dem Blick entziehen, verstecken. Die zweite ist die räumliche Dimension, trennen, eine Grenze ziehen, den Raum in zwei Bereiche teilen. Es bedeutet Isolierung. Und die Dritte Dimension ist von ethischer Natur, sie gehört dem Bereiche des Verbotenen an. Der hinter dem Schleier verborgene Raum ist ein verbotener Raum.

Aus religiöser Sicht bedeutet der Schleier das Abgrenzen des Erleuchteten von seinen Schülern, damit sie von dem Erstrahlen des Propheten nicht geblendet werden. Und wenn der Mensch unfähig war, Gott war zunehmen, er schwerhörig war für Gottes Worte, dann war der Schleier eine Strafe. Er wurde hinter dem Schleier von der Gnade Gottes ausgeschlossen.
„Der Schleier oder Vorhang ist nicht herab gekommen, um sich zwischen Mann und Frau zu stellen, sondern zwischen zwei Männer“.


Straßenszene in Afghanistan, Foto: Steve Evans

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Im Vers 53 der Sure 33 ist zu lesen, dass der Schleier vom Himmel gefallen ist, um die Privatsphäre des Propheten und seiner Braut vor den Blicken eines letzten Hochzeitgastes zu schützen. Dieser letzte Gast war ein Schüler des Propheten. „Welch ein geringfügiger Vorfall - ein Hochzeitgast hat sich länger aufgehalten, als gewünscht – ruft so eine bedeutsame Konsequenz hervor, wie die Spaltung des muslimischen Raumes in zwei Welten. Die Welt des Innen (das Heim) und die Welt des Außen (die Öffentlichkeit).“
Wenn man sich die Geschichte von der Entstehung des Schleiers bis hin zur kontroversen Auslegung des 20. Jh. anschaut, dann erlebt der Schleier eine Renaissance.
Die konservativen Islamisten fordern über den Schleier die Ausgrenzung der Frau aus dem öffentlichen Leben. Für die muslimische, moderne Frau ist er das Symbol der muslimischen Identität, das Manna der muslimischen Frau. Ist bewusste Abgrenzung aber nicht Ablehnung.



Frauen im Sufismus


Sufismus ist die Mystik im Islam und entstand im 8. Jh., 100 Jahre nach dem Tode des Propheten. Sufismus leitet sich von dem arabischen Wort „safu“ ab, das bedeutet Reinheit. „suf“ heißt aber auch im arabischen Wolle. Ein weißes Wollkleid, das die ersten Mystiker als Zeichen der Demut trugen.
Auch wenn sich die Rolle der Frau seit den Tagen des Propheten verschlechtert hat, im Sufismus spielte die Frau eine wichtige Rolle.
Der Islam breitete sich rasant aus und in den Händen der ersten Kalifen häufte sich ein unermesslicher Reichtum an. Das ging einher mit Dekadenzerscheinungen. Um dieser zunehmenden Weltlichkeit der Muslime entgegenzuwirken, entstanden asketische Gemeinschaften. Ein Sufi will nicht nur ein Leben nach dem Koran führen, sondern will die Hingabe zu Gott vollständig erfüllen. Islam bedeutet Hingabe – Hingabe zu Gott. Zitat: „Das Ziel des Sufi ist die Vereinigung mit dem Geliebten, mit Gott. Diese Vereinigung wird als Zustand der Reinheit, der Ganzheit oder der Vollkommenheit beschrieben. Um das zu erreichen, muss das Ego, der eigenmächtige Trieb, bekämpft und überwunden werden.“
Eine der ersten Sufimeisterinnen war eine Frau aus Basra, ihre Heimatstadt. Ihr wird die Verwandlung des düsteren Asketentums in eine echte Liebesmystik hin zu Gott zugeschrieben. Man hat ihr in der Literatur lange Abschnitte gewidmet: Zitat: „sie war in menschlicher Vollkommenheit deutlich vielen Männern überlegen, weshalb sie auch „Krone der Männer“ genannt wurde."
Sie soll Wunder bewirkt haben und ihre Fingerspitzen sollen wie Lampen geleuchtet haben.
Um sie rankt sich die Geschichte, wie sie mit einem Eimer Wasser und einer brennenden Fackel durch Basra lief. Als man sie nach dem Sinn ihres Vorhabens fragte, antwortete sie: „Ich will Wasser in die Hölle gießen und Feuer ans Paradies legen, damit diese beiden Schleier verschwinden und die Menschen Gott nicht aus Furcht vor der Hölle oder aus Hoffnung aufs Paradies anbeten, sondern allein um Seiner urewigen Schönheit willen.“
Diese frommen Frauen waren geschätzt und geachtet und konnten einen hohen Rang erreichen. Sie nahmen an Zusammenkünften mit Koranrezitationen teil und sangen Lieder über die wahre Gottesliebe. Unter ihnen waren Expertinnen in der Auslegung mittelalterlicher persisch/ mystischer Texte. Sie lebten in einem Konvent und traten u. a. als Wohltäterinnen auf, durch finanzielle Zuwendungen und gewähren von Unterkunft.
Im 12. Jh. gab es in Bagdad einige Frauen-Konvente. Die Vorsteherinnen leiteten die Frauen im Gebet an und unterwiesen sie in der mystischen Weisheit. Die Konvente waren Aufenthaltsstätten für Witwen und für Frauen während ihrer Wartezeit auf die neue Ehe, die sie eingehen sollten oder wollten. Damit war sichergestellt, dass die Frau nicht schwanger war.


Der Prophet und die Frauen


„Mir wurden lieb gemacht in eurer Welt die Frauen und der Duft, und mein Augentrost ist im Gebet:“ Dieser Ausspruch des Propheten wurde oft zitiert.
Da fragt man sich: Wie kann es dann möglich sein, dass der Islam eine frauenfeindliche Religion ist? Die erste Frau Mohammeds war eine verwitwete Kauffrau die ihrem jüngeren Mitarbeiter, nämlich Mohammed, die Ehe angeboten hat und ihm später viele Kinder schenkte.
In der Zeit, als der Prophet die ersten Erscheinungen in der Höhle Hira hatte, überzeugte sie ihn, das seine Erscheinungen nicht dämonischen, sondern göttlichen Ursprungs waren. Sie stand ihm zur Seite, wenn Unsicherheiten und Ängste ihn zweifeln ließen. Mit ihrem Verständnis und ihrer Unterstützung war sie wegweisend für seine Entwicklung.
Man gab ihr mit Recht den Ehrentitel, „Mutter der Gläubigen“ und „Beste der Frauen.“
Moderne Muslime und Musliminnen betonen immer wieder die entscheidende Rolle der Frau in der Frühgeschichte des Islam. Mohammeds Wirken ermöglichte den Frauen in der frühen Zeit des Islams eine herausragende Bedeutung im öffentlichen Leben. Sie waren aktiv, nahmen an Diskussionen teil, am kulturellen Leben. Sie zeichneten sich aus durch Klugheit, waren redegewandt. Frauen und Mütter der Kalifen waren in der Politik tätig, wenn auch nicht so offensichtlich.
In der türkischen Tradition herrschten Frauen ungehindert. Der türkstämmige Herrscher von Dehli hat 1236 seine Tochter als Nachfolgerin eingesetzt. Und der berühmteste Grabbau der Welt, der „Tadsch Mahal“ ist für eine muslimische Königin errichtet worden, für „Mumtaz Mahal“. In Gedenken an seine Gemahlin hat der Schah Jahan es bauen lassen.

Mohammed hat nach 25 jähriger glücklicher Ehe mehrmals wieder geheiratet, andere Frauen, Witwen und Sklavinnen. Und sein Respekt vor der Frau, seine Verehrung und seine Sinnlichkeit ist in vielen Versen des Korans nachzulesen.
Die Empfehlung im Koran, sich züchtig zu verhüllen wurde damals als Ehre angesehen, um sich von den leicht bekleideten Frauen der Unterschicht abzugrenzen.


Geburt Mohammeds
(das Gesicht des Propheten ist verborgen)
Osmanische Miniatur, 1595, Topkapi-Museum, Istanbul

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Der Prophet ging sehr zärtlich mit seinen Frauen um: „Sprich zu mir Du kleine Rötliche“ Für die Muslime war es immer eine Freude, das diese Sinnenwelt Gottes Schöpfung war. Und der Prophet liebte Frauen, weil Gott sie ihm liebenswert gemacht hatte. Er wusste die Gefühle und das Sexuelle der Frauen zu schätzen. Für ihn bestand Gleichheit zwischen Mann und Frau.
Zärtliche, liebende Worte des Propheten wurden später von den Muslimen als Anrede des Liebenden an Gott gedeutet. Als Verherrlichung Gottes.
Mohammed hatte viele Kinder unter anderem vier Töchter. Hier finden sich wieder Geschichten über Geschichten, die erzählt und weiter erzählt wurden. Wie sich zeigt, ist die Bedeutung der Frau in der Geschichte des Islam recht eindrucksvoll.


Harun ar-Rashid, der erotische Kalif von Bagdad und sein Harem (1258)


Es gibt keine entsprechende Literatur zu einem Harem im Umfeld von Friedrich II. Fatema Mernissi beschreibt jedoch ein Harem im Bagdad des 12. Jh.
Bagdad war im Mittelalter mit seiner multikulturellen Atmosphäre das kulturelle Zentrum im Orient. Der Sklavenhandel blühte. Aus neu eroberten Gebieten kamen Frauen als Kriegsbeute nach Bagdad. Die Vielfalt ihrer ethnischen und kulturellen Herkunft erhöhte noch die Anziehungskraft dieser Frauen. Aber die Schönheit allein war nicht das Merkmal einer begehrten Frauen. Gefragt waren ebenso ihre Fähigkeiten. Wenn sie gute Sängerinnen werden wollten, mussten sie sich der harten Aufgabe stellen, arabisch zu lernen. Sie sollten redegewandt sein, schnell und witzig, im Gespräch mit unerwarteten Sprachspielen überraschen.
Sprachspiele sind eine Fähigkeit, die heute noch in der arabischen Konversation geschätzt wird. Die arabische Sprache und ihr reicher nuancierter Wortschatz lädt dazu ein. Zitat: von Roland Barthes über die sinnliche Aufladung der Worte: „Sprache ist eine Haut: Ich reibe meine Sprache an der eines anderen. Es ist, als hätte ich Worte anstelle von Fingern – oder Finger an den Spitzen meiner Worte.“ Zitat Ende.
Eine geballte Sinnlichkeit über die Wirkung von Worten wird hier zitiert.“
Eleganz, Intelligenz und eine Vielzahl an Talenten zeichnete die begehrenswerte Frau aus. Es erregte den Mann, von einer Frau intellektuell herausgefordert zu werden. Verstand und Körper einzusetzen war die Quelle großen Vergnügens. Die Haremsfrau im Orient war also nie passiv und das erotische Vergnügen baute sich auf dem intellektuellen Austausch auf. In den moslemischen Harems ist die geistige Auseinandersetzung mit den Frauen unerlässlich, um einen Orgasmus zu erreichen.

Der Kalif von Bagdad, dessen Harem beschrieben wird, war Harun ar Rashid – Die Beschreibung seiner Person beflügelt die Phantasie. Harun ar Rashid , der Kalif von Bagdad, war, ich zitiere: „... gut aussehend, ohne oberflächlich oder selbstverliebt zu sein. Übrigens eine seltene Kombination auf der anderen Seite des Mittelmeers. (die Bemerkung gehört zum Zitat, keine persönliche Anmerkung). Er war eine Mischung von körperlichen Vorzügen und intellektuellen Eigenschaften. Er war sehr hellhäutig, groß gewachsen, männlich schön, von einnehmender Erscheinung und großer Sprachgewandtheit. Er war bewandert in den Naturwissenschaften und auf dem Gebiet der Literatur. Er war überzeugt, dass geistige Flexibilität von der Beweglichkeit des Körpers abhängt, und das dass trainiert werden müsse.“

Jedenfalls wurde er zum Helden, weil er eine starke erotische Seite hatte. Er hatte keine Angst vor dem tiefen Gefühl der Liebe. Harun ar Rashid hat oft zugegeben, dass ein Mann, der sich verliebt und seine Gefühle zeigt, sich verletzlich macht und die Fähigkeit gefährdet, Frauen zu kontrollieren. In seiner Verletzlichkeit konnte er auch lächerlich wirken, ohne seinen Glanz zu verlieren. In der arabischen Sprache gibt es an die 60 Ausdrücke für: „Ich liebe Dich“
Ein arabischer Schriftsteller hat im 14. Jh. in seinem Buch „Garten der Liebenden“ diese Liste zusammengestellt. Wenn man allerdings genauer diese Begriffe studiert, dann erkennt man, das viele Bezeichnungen einen Augenblick gefährlicher geistiger Verwirrung beschreiben bzw. Desorientierung.
Er spricht von einem „Sprung ins Leere“. Der Engländer sagt: “to fall in love“ und die Deutschen sagen, sich „Hals über Kopf verlieben“
Für die Liebe waren zwei Dinge unverzichtbar: Man(n) musste viel freie Zeit in die Liebe investieren und man(n) brauchte den Mut, sich zu öffnen um sich verlieren zu können. Liebe wird als eine Energie beschrieben. Eine Energie, die den Betroffenen über sich hinaus wachsen lässt.:
Zitat: „Ein Mann, der liebt, gibt großzügig, er gibt alles, bis an die Grenzen seiner Möglichkeiten.
Der Geizhals, der seine Geldbörse öffnet, der Bauernlümmel, der sich zum perfekten Gentleman wandelt, der Schmutzfink, der sich zum eleganten Dandy entpuppt, der Altersschwache der seine verlorene Jugend wieder findet.“

Eine Randbemerkung
Mein Thema ist die Rolle der Frau und ich erzähle Ihnen im Moment nur etwas vom Mann, von dem Kalifen. In den Kapiteln zu diesem Thema in Mernissi`s Harembuch fällt auf, dass sie, wenn sie von der Liebe spricht, ausschließlich den Mann beschreibt. Nicht, wie die Frau ist, wenn sie liebt.
Bei der Frau beschreibt sie immer wieder die Fähigkeiten und Talente, die sie erlernen muss, um geliebt zu werden.
Ein Kapitel in ihrem Harembuch hat die Überschrift: „Das Hirn ist die mächtigste erotische Waffe der Frau“ Ein interessanter Aspekt aber auch ein tolles Thema.

Vergnügen war ein heiliges Ritual.
Vergnügungen wurden nach einem festgelegten Plan gestaltet, wie bei einer Schlacht. Die Beteiligten und das Terrain (also Garten oder Ausflug) wurden genau ausgewählt, ebenso Essen und Wein. Sich zu entspannen, nur zum Vergnügen, wenn nichts uns drängt. Sich angenehm unterhalten und es sich wohl sein lassen. Es wurde musiziert und diskutiert. Frauen und Männer kamen zusammen, um von einander zu lernen, um ihren Beitrag dazu zu leisten. Wenn man sich im Haus traf, war alles festlich und edel geschmückt.
Wein und die Vermischung der Geschlechter steigerte das wunderbare Gefühl bei diesen Begegnungen. Wein ist im Islam verboten. Das beruht auf einem Zitat Mohammeds. Im Koran wird der Wein nicht erwähnt.
Die Muslimen wussten auch damals schon, das Wein trinken sündig ist, das heißt aber nicht, das die heilige Vorschrift nie verletzt werden darf, dann wären sie ja Engel.
Eben, weil Wein verboten war, verband die muslimische Vorstellung ihn mit Vergnügen und unerlaubtem Genuss.
Aus dieser Region kamen wunderbare Weine. Mit ein Grund, warum die Römer jahrhunderte lang diesen Teil der Welt besetzt hielten.
Eine arabische Besonderheit war das tragen eines Schleiers, hinter dem sich der Kalif verbirgt, wenn er sich mit einer Frau vergnügt. Er wollte seine Gefühle nicht zeigen. Nur wenn ihn etwas sehr bewegt hat, drückte er seine Freude aus, aber immer in Maßen. Eines der Probleme eines Haremshalters war die Öffentlichkeit seiner Gefühle, denn alle wussten dann, wer gerade die Dame seines Herzens war. Sie sehen, die emotionale Offenheit des Kalifen Harun ar Raschid war kein Standard.
Diese Vergnügungen dauerten den ganzen Tag, bis in die Nacht rein oder die ganze Nacht bis in den frühen Morgen. Es gab verborgene Fallen im Harem. Ein Mann, der sich verliebte, konnte von seiner Lieblingsfrau versklavt werden.
Kluge Sklavinnen wurden zu Herrscherinnen über die Gedanken ihrer Herren und bekamen immensen Einfluss, der unabhängig war von der Fähigkeit der Frau, Kinder zu gebären. Es war irrational zu glauben, eine begabte Frau würde ihre Fähigkeiten nicht dazu verwenden, Macht über ihren Herrn zu gewinnen.
Dazu ein Vers von Harun ar Rashid:

„Die Damen führen mich am Zügel
und füllen jeden Winkel meines Herzens.
Ist es nicht seltsam, dass ein ganzer Planet mir Gehorsam zollt,
aber ich unterwerfe mich den Frauen,
deren Ziel der Aufstand ist?
Schuld daran ist allein die mächtige Liebe,
die eine stärkere Macht ist noch als meine Herrschaft.“

Die Grenzen im Harem waren durchlässig und zerbrechlich. Sie konnten leicht verwischt und ausgelöscht werden. Männer, als Frauen verkleidet konnten unbemerkt den Harem betreten und auf ihrer Herrin liegen.
Fatema Mernisse schreibt, das die Untreue der Frau ihrem Herrn gegenüber bereits in der Struktur des Harems angelegt ist.
Zitat: „Die Hierarchien, die Männer aufbauen, und die Grenzen, die sie errichten, um die Frauen zu beherrschen, sind es, die das Verhalten der Frauen auslösen, mit Sklaven oder Bediensteten das Bett zu teilen.“
Hohe Bildung und ihre vielfältigen Talente brachte den Haremsfrauen eine innere Freiheit. Die Männer fühlten sich von dieser scheinbaren Freiheit einerseits unwiderstehlich angezogen und verliebten sich unsterblich. Hatten aber gleichzeitig Angst, von ihnen verlassen zu werden.
Warum haben also muslimische Männer Paläste gebaut mit hohen Mauern und innen gelegenen Gärten? Zitat: „Nur grenzenlos unsichere Männer, die glaubten, ihre Frauen hätten Flügel, (hier ist diese innere Freiheit gemeint, die die Männer gespürt haben) diese Männer konnten sich etwas so Drastisches wie den Harem ausdenken, ein Gefängnis, das aussieht wie ein Palast. Von diesen Frauen Gehorsam zu erwarten, nur weil das Gesetz das Vorschrieb, war vermessen.“

In der Epoche des Orientalismus kreierten Künstler mit solchen Bildern einen Phantasieorient, in dem sich primär ihre eigene Gedankenwelt wieder spiegelte.

Das türkische Bad" von Jean Auguste Dominique Ingres, 1863, Louvre/Paris

Für Fatema Mernissi ist der Harem eine historische Realität und gleichbedeutend mit der Institution Familie. Eine Quelle der erotischen Beglückung hat es im Harem nie gegeben.

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Ich habe bewusst das Bild ausgesucht. Hier kommt zum Ausdruck, das in der westlichen Vorstellung vom Harem der Intellekt der Frauen ersatzlos gestrichen wurde. Die Frauen in dem Bild sitzen da, teilnahmslos und nackt, völlig inaktiv. Das entsprach nicht dem orientalischen Harem, indem neben der Schönheit Intelligenz und Talent gefragt war.

Der Franzose (Jean Antoine de Galland) hat „1001 Nacht“ 1717 übersetzt. Allerdings waren die Damen von Versailles sein Zielpublikum. Diese Übersetzung war auf Profit angelegt und erregten Europas Phantasien.
In seiner Übersetzungen fehlt die intellektuelle Scheherazade. Die Herausgeber und westlichen Leser interessierten sich für zwei Dinge, Abenteuer und Sex.
Die Frauen waren sich ihrer Ungleichheit im Harem vollkommen bewusst (hier ist der sexuelle Unterschied gemeint). Sie hatten nicht nur Interesse, die Wünsche der Männer zu erfüllen, die sie gefangen hielten. Die Unterwürfigkeit der Frauen und ihre Bereitschaft zu dienen war sichtbar, aber nur scheinbar.
Es gibt einen scheinbaren Widerspruch in ihrem Haremsbuch. Sie schreibt, das in der Neuzeit die grundsätzliche Gleichheit von Mann und Frau niemand in Frage stellt, sie wird als gottgegeben betrachtet. Gleichheit meint hier, das die Frau nicht weniger Wert ist als der Mann.
Frauen wachsen im Harem mit einem starken Geflühl der Gleichheit auf. Vielleicht lässt sich so erklären, warum trotz der in der Sharia begründeten Ungleichheit der Frauen in vielen muslimischen Ländern Frauen studieren, an den Universitäten lehren.
Diskutiert wird, ob das Gesetzbuch, das auf den Koran beruhende Gesetz, verändert werden kann, oder nicht. Die Diskussion reduziert sich letztendlich auf die Frage, wer das Gesetz gemacht hat. Sind es die Menschen, die das Gesetz geschrieben haben, die bemüht waren, den göttlichen Text richtig auszulegen, dann ist eine Reform möglich. Die Extremisten, die Alleinherrscher über die Gesetze bleiben wollen, behaupten, das Gesetzbuch sei ebenso von Gott geschrieben wie der Koran und könne deshalb nicht verändert werden, also keine Reform möglich.
Die Lage der Frau im Orient hat sich unweigerlich im Laufe der Jahre verschlechtert. „Die koranische Feststellung (Sura 2:228), dass die Männer über den Frauen sind – wurde zunehmend im Sinne einer Erniedrigung der Frauen ausgelegt.“


Hintergründe


Betrachtet man den Prozess der Unterdrückung der Frau, so können wir annehmen, das das islamische Gesetzbuch die Ursache für diese Entwicklung ist. Die zerstörerische Kraft gesellschaftsinternen Strukturen blockiert die Entwicklung einer jeden Gesellschaft.
Im Vergleich zur Gegenwart waren die Frauen zu Lebzeiten des Propheten unbestrittene Partnerinnen, ihre Stellung im Koran war gleichberechtigt. Im 8. Jh. ist dann der Samen für eine folgenschwere Umwandlung im Orient gesät worden.
Muslimische Gelehrte mussten unter Aufsicht des Abbasiden-Kalifen Mansur Hadith, die Religionswissenschaft und die Auslegung des Korans zusammen führen und schriftlich fixieren. So entstand das auf den Koran beruhende Gesetz, das Gesetzbuch, die Sharia. Hadithe sind Worte und Taten des Propheten, die geprüft und bewiesen worden sind, ob man sie dem Propheten zu ordnen konnte. Über die echten oder falschen Hadithe herrscht bis heute Uneinigkeit zwischen den orthodoxen und den modernen Islamisten.
Umma ist die Glaubensgemeinschaft der Islamisten. Ulemas sind Religions- oder Rechtsgelehrten. In diesem Gesetzbuch wurden die Koran-Verse so ausgelegt und schriftlich fixiert, das Frauen von der Öffentlichkeit aus zu schließen sind. Die Teilnahme an Entscheidungsprozessen wurde ihnen verweigert. Die Sichtbarkeit blieb ihnen verwehrt.
Dieser Vorgang war ein MUSS für die Fundamentalisten. Nach ihren Vorstellungen musste die Glaubensgemeinschaft homogen sein. Die Frau ist das Fremde, das Andere bringt Heterogenität, zerstört die Fiktion der Homogenität.
Durch die Verknüpfung des Islams als persönlicher Glaube und dem Islam als Gesetz und Staatsreligion entstand ein unglaublicher Einfluss des Religiösen auf die Menschen im Orient und damit auf ihre Denkprozesse.
Mit der Entstehung des islamischen Gesetzbuches wurde gleichzeitig die Kontrolle der Kleidervorschriften institutionalisiert. Extrem ist diese Situation im Iran zu beobachten.
Die strenge Handhabung und Kontrolle der Schleier- oder Kleiderpflicht hat die Frauen allerdings mobilisiert, hat sie politisiert. Frauen finden Wege, das Gesetz zu achten und gleichzeitig zu überschreiten.
Sie schminken sich die Lippen oder lackieren sich die Fingernägel, sie lassen Haarsträhnen unverschleiert. Der Schleier ist gesetzlich vorgeschrieben, wird aber auch modisch gestaltet/getragen und kann Schmuckstück sein.

Zu den möglichen, gesellschaftlich internen Ursachen schreibt Fatema Mernissi: „Der Islam, sowohl als rechtliches System wie als Kultur, ist durchdrungen von der Vorstellung, das Weibliche sei eine unkontrollierbare Kraft.“ (F. M.) Die tief verwurzelte Kontrolle der Weiblichkeit zeigt sich in der Reduzierung der moslemischen Gesellschaft auf den männlichen Teil. Das intellektuelle Potenzial der Frauen ist aus dem öffentlichen Leben verdrängt worden. Ein Prozess und ein Verlust, der über Jahrhunderte statt gefunden und nachhaltig die Gesellschaft im Innenverhältnis geprägt hat.
Kraft und Stärke der Frauen haben Männer schon in jungen Jahren, quasi mit der Muttermilch, kennen gelernt. In den Geschichten, denen Jungen wie Mädchen andächtig gelauscht haben, waren Frauen klug und scharfsinnig, Die Erzählkunst, das Geschichten erzählen beinhaltet offensichtlich ein unglaubliches Machtpotential, das der Kontrolle bedarf.
Vielleicht war das mit ein Grund, sich als Mann zu behaupten, indem man die Frau in die Innenwelt verbannte.

In ihrem Buch „Der politische Harem“ , in dem Kapitel „Das heilige Buch als politische Waffe“ schreibt Mernissi, dass die Muslime die Gegenwart, die Veränderungen ablehnen und sich in die Vergangenheit zurück ziehen. Aus ihr wollen sie Kraft schöpfen. Dieser Wunsch, abwesend zu sein kann in der Todessehnsucht enden, was auf die Selbstmordattentäter zutrifft.
Zitat: „Den Politikern und Imams ist bewusst, dass sie die Gegenwart nur dann fest im Griff haben, wenn sie das Alte, das Vergangene zum heiligen Vorbild erklären.“ Hier ist die Rolle der Frau festgeschrieben.“
Die genannten Hintergründe haben sich gesellschaftsintern abgespielt, in der Glaubensgemeinschaft des Islam.
Als Ursachen, die das Land von außen beeinflusst haben, werden Kriege und Kreuzzüge genannt. Die europäisch-christliche Kreuzzugsherrschaft des 12. und 13 Jh. waren und sind ein Trauma für die arabisch-muslimische Welt, bis zum heutigen Tag. Vorurteile, eine starke religiöse Hierarchie und ein entsprechendes Sendungsbewusstsein im katholischen Europa waren die Auslöser.
Der Sturm der Mongolen Mitte des 13. Jh., ein zweites traumatisches Erlebnis für diese Region. Tatsächlich hatten diese Horden eine unglaubliche Zerstörungsgewalt inne. Sie verwüsteten ganze Landstriche, legten Städte in Schutt und Asche. Ein kolossaler Elitemord hat statt gefunden. Mehr als 24.000 Religions- und Rechtsgelehrte wurden ermordet sowie 15.000 Wissenschaftler und Dichter. Die in London lebende Religionswissenschaftlerin Karen Armstrong schreibt dazu, das der aufgestaute Hass der Nomaden auf die städtische Kultur in diesem morden zum Ausdruck kam.
War es das Erbe der Vorfahren, die das wirksame System der Kontrolle in Politik und Religion überliefert hat? War es das fehlende geistige Potenzial der Frauen in der Gesellschaft? Waren es die traumatischen Kriegserlebnisse, die die islamische Welt in die Isolation getrieben haben? Oder war es die Angst vor der unkontrollierbaren weiblichen Kraft? Die möglichen Gründe, die ich ihnen hier genannt habe, sind in Aufsätzen und Büchern ausführlich erläutert, aber, es sind Theorien.
Letztendlich ist nicht klar zu erkennen, was die Wurzeln, was die Anlässe oder was die Beschleuniger dieser gesellschaftlichen Umbrüche waren.
Mernissi schreibt:
„... das die Globalisierung Staaten und Menschen in der muslimischen Welt dazu zwingt, sich selbst neu zu definieren um eine neue kulturelle Identität zu entwickeln.
Diese neue Identität wird sich stärker auf wirtschaftliche Visionen als auf religiöse Diskurse konzentrieren und langfristig den Frauen ihre Individualität geben.
Der Islam weiß, dass das Leben ohne die Polarität von Mann und Frau nicht bestehen kann. Im Koran (Sura 2:187) steht, „Die Frauen sind ein Gewand für euch und ihr seid ein Gewand für sie.“ Das Gewand steht stellvertretend für die Person.

Literaturliste:

1. „Harem, westliche Phantasien, östliche Wirklichkeit“, Fatema Mernissi Verlag: Herder
2. „Der politische Harem – Mohammed und die Frauen“, Fatema Mernissi Verlag: Herder
3. „Meine Seele ist eine Frau – Das Weibliche im Islam“, Annemarie Schimmel Verlag: Bertelsmann
4. „Der wahre Schleier ist das Schweigen“, Suleman Taufiq / Jutta Szostak Verlag: Fischer
5. „Deutscher Kaiser und Muslim? – Über die Beziehungen Friedrichs II. von Hohenstaufen zu Islam“, Gerhard Goldmann ISBN 978-3-8334-6821-6

Bernhard Jussen vom Max-Planck-Institut in Göttingen hat eine hervorragende Studie über Bedeutung und Status der Witwe im Mittelalter geschrieben, interessant recherchiert und anspruchsvoll geschrieben.
„Der Name der Witwe“, Ruprecht Verlag Göttingen, 2000 erschienen