Die Nibelungenfresken
am Marmorpalais in Potsdam

ein Beitrag von Rainer Schöffl, München

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Marmorpalais in Potsdam..

Die Nibelungenfresken in Potsdam wurden bereits etwa 20 Jahre vor den berühmten Fresken in der Münchener Residenz vollendet. In achtzehn großformatigen, schmalen Wandbildern erzählen sie die Geschichte des Nibelungenlieds. Im Gegensatz zu den Münchener Fresken befinden sich die Fresken am Marmorpalais an den Außenwänden und waren deshalb von Anfang an der Öffentlichkeit frei zugänglich. Trotzdem blieben sie bis zum heutigen Tage weitgehend unbeachtet. Mit dem vorliegenden Bericht soll der kunstgeschichtlichen Bedeutung der Potsdamer Nibelungenfresken Rechnung getragen werden. Die Fotos zeigen den Zustand der Fresken im März 2014.








Brünhild auf der Jagd
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Das Marmorpalais wurde unter König Friedrich Wilhelm II. von 1787 bis 1792 als Sommerresidenz im Potsdamer Neuen Garten am Ufer des Heiligen Sees errichtet.
Das im Stil des Frühklassizismus erbaute Schloss erwies sich bald als zu klein, und so begann der König 1797, in seinem Todesjahr, einen Erweiterungsbau durch zwei Seitenflügel. Sein Sohn und Nachfolger Friedrich Wilhelm III. setzte zwar die Bauarbeiten fort, ließ allerdings nur den Außenbau fertigstellen. Erst Friedrich Wilhelm IV. veranlasste den Innenausbau der Seitenflügel unter Leitung von Hofbaurat Hesse. Die Hofseite beider Flügel erhielten Säulenreihen, deren von Türen und Fenstern durchbrochene Rückwände Fresken mit Szenen aus dem Nibelungenlied schmücken. Das nachfolgende Foto zeigt den 1848 vollendeten Bau in seiner heutigen Gestalt.

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Das Marmorpalais in Potsdam (Hofseite)

Es gibt verschiedene Ansichten dazu, warum Friedrich Wilhelm IV. ausgerechnet Nibelungenfresken anbringen ließ. So war er, noch als Kronprinz, 1833 zu Besuch in München und hatte dabei Gelegenheit, im Königsbau der Residenz den ersten bereits mit Nibelungenfresken ausgemalten Saal zu sehen. Andererseits war er ganz offensichtlich auch am Nibelungenlied interessiert, wenn nicht sogar davon fasziniert. Die 1841 in Druck gegebene Prachtausgabe des Nibelungenlieds durch den Verlag Otto und Georg Wigand enthält nämlich ein Verzeichnis der in- und ausländischen Subskribenten, in dem auch Seine Majestät Friedrich Wilhelm IV., König von Preußen aufgelistet ist.

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Wie der Grundriss des Schlosses zeigt, beginnen die Fresken am gartenseitigen Ende des Nordflügels und verlaufen gewissermaßen im Uhrzeigersinn. Die Fresken liegen in einer Flucht mit den Säulen, und da die Rückwand einen nur geringen Abstand zu den Säulen hat, sind sie schwierig zu fotografieren, vor allem im oberen Bereich.
Über den Türen und Fenstern sieht man Landschaften und Orte an Rhein und Donau, welche allerdings nicht immer im Zusammenhang mit dem Nibelungenlied stehen, wie z.B. Aachen, Trier oder Aggstein. Die Aufteilung der Fresken auf Nord- und Südflügel folgt der häufig angewandten Zweiteilung des Nibelungenlieds in „Siegfried“ und „Kriemhilds Rache“. Entsprechend den Orten der Handlung befinden sich am Nordflügel nur Landschaftsbilder aus der Rheingegend und am Südflügel nur solche aus dem Donauraum.

Ulrich Schulte-Wülwer beschreibt in seinem Buch „Das Nibelungenlied in der deutschen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts“ die Fresken wie folgt:
Die schmalen, senkrechten Wandfelder unterliegen alle dem gleichen Aufbau, ein jedes ist einem Helden oder einer Heldin zugeordnet. Arabesken fassen immer fünf Einzelbilder innerhalb eines Feldes zusammen. Auf einem mittleren Schild oder Medaillon sehen wir das Idealbild der jeweiligen Person, in der Szene darüber und darunter befindet sie sich in charakteristischer Aktion. An die untere Szene schließt sich eine allegorische Figur - wie Treue und Tapferkeit - an, die das Wesen des einzelnen Helden bzw. der einzelnen Heldin umschreiben soll. Den unteren Abschluss bildet wieder eine szenische Darstellung aus dem Nibelungenlied.





Freskenpaar 12 und 13 (siehe Tabelle)
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Die nachfolgende Tabelle enthält eine Übersicht über sämtliche Szenen der insgesamt 18 Fresken. Diese Tabelle wurde der Schrift von Wilhelm Riehl von 1850 entnommen, wobei sämtliche Namen der heute üblichen Schreibweise angepasst sowie zwei Fehler korrigiert wurden. Da der ausführenden Maler Ossowsky persönlich Wilhelm Riehl die Fresken erläutert hatte, ist deren Beschreibung in oben genannter Schrift sehr authentisch. Die Landschaftsbilder wurden hier nicht in die Tabelle aufgenommen, da ihr Zusammenhang mit dem Nibelungenlied meist nicht gegeben ist.

Szenenübersicht der Nibelungenfresken (Download als PDF)

tabelle

Kriemhild sind gleich zwei Fresken gewidmet - einmal als Königstochter in Worms und Siegfrieds Gattin, das zweite Mal als Etzels Frau und Königin der Hunnen. Die unterschiedliche Schreibweise ihres Namens auf den Medaillons mag Zufall, kann aber auch Absicht sein.

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Kriemhild in Worms / Kriemhild bei den Hunnen

Sämtliche Fresken sind in bräunlichem Ton gehalten, mit blauem Hintergrund. Am Nordflügel, dessen Fresken der Sonne eher ausgesetzt sind (man sieht dies sehr gut am Foto des Marmorpalais, welches zur Mittagszeit aufgenommen wurde), sind die Farben teils stark verblasst, wie man an den beiden Portraits von Kriemhild gut erkennen kann (links: Nordflügel, rechts: Südflügel).
Die Entwürfe zu den Freskobildern stammen von dem Berliner Historienmaler Karl Wilhelm Kolbe d.J. (1781-1853), nicht zu verwechseln mit dessen Onkel Carl Wilhelm Kolbe d. Ä. (1757-1835), welcher hauptsächlich Landschaftsmaler war. Die Ausführung der Fresken erfolgte durch den Maler Ossowsky im nazarenischen Stil (die Landschaftsbilder malte Karl Lompeck).
Vorbilder für Kolbes Entwürfe waren die Buchillustrationen, die Julius Schnorr von Carolsfeld und Eugen Napoleon Neureuther für die 1843 von Gustav Pfizer gestaltete Ausgabe des Nibelungenlieds angefertigt hatten. Kolbe übernahm diese Illustrationen teils mit nur geringen Änderungen. Das Auffälligste daran ist oft, dass sie im Vergleich zu den Buchillustrationen seitenverkehrt sind (siehe unten den Streit der Königinnen).

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Karl Wilhelm Kolbe d.J.
/ Julius Schnorr von Carolsfeld

Die nachfolgenden Abbildungen zeigen den Bildzyklus des „Siegfried-Freskos“, aufgelöst in die fünf Einzelbilder.

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Karl Wilhelm Kolbe d.J. / Julius Schnorr von Carolsfeld

Die obige Bildkomposition zeigt Siegfrieds Kampf mit dem Drachen, das Bad im Drachenblut sowie, völlig aus dem Zusammenhang, den gefesselten Zwerg Alberich. Daneben ist die entsprechende Buchillustration von 1843 zu sehen.

Das Siegfried-Fresko setzt sich im Medaillon mit Siegfrieds Portrait und anschließend mit der Ermordung Siegfrieds durch Hagen fort.

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Das Fresko schließt mit der Allegorie „Stärke“ und dem Leichenzug mit Siegfried, aus dessen Brust noch die Speerspitze ragt, ab. Zum Vergleich ist wiederum ausschnittsweise die entsprechende Szene aus dem Nibelungenbuch gezeigt.

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Karl Wilhelm Kolbe d.J.


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Julius Schnorr von Carolsfeld

Zusammenfassend lässt sich feststellen, dass die Nibelungenfresken am Marmorpalais in Potsdam trotz ihres Alters (fast 170 Jahre) und der wechselvollen Geschichte des Schlosses in einem noch verhältnismäßig guten Zustand sind. Dennoch sind altersbedingte Schäden und, leider, auch Beschädigungen durch Vandalismus nicht zu übersehen (siehe unten).

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Etzel und Dietrich von Bern beweinen die von Hildebrand erschlagene Kriemhild. Daneben der Leichnam von Hagen.

Literatur

Marbach, Gotthard Oswald:
Das Nibelungenlied, Otto und Georg Wigand, Leipzig 1840 /1841 (mit Verzeichnis der Subskribenten)

Pfizer, Gustav:
Der Nibelungen Noth, Stuttgart und Tübingen 1843

Riehl, Wilhelm:
Die Freskobilder aus dem Nibelungenliede am Marmorpalais im Neuen Garten bei Potsdam, Selbstverlag, Potsdam 1850

Schulte-Wülwer, Ulrich:
Das Nibelungenlied in der deutschen Kunst des 19. und 20. Jahrhunderts, Anabas-Verlag, Gießen 1980