Worms
und die Nibelungensage

von Eichfelder

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Kloster Maria Münster, Hamman, um 1689 (SAW) ..



Worms zählt mit seiner mehr als 7.000 jährigen Geschichte zu den ältesten Städten Deutschlands. Das Gebiet von Worms ist, bedingt durch seine günstige und hochwasserfreie Lage am Rhein, schon seit den frühesten Zeiten ein Ort, an dem sich Menschen niedergelassen haben.

Worms ist aber nicht nur eine sehr alte Stadt, nein, es war auch eine sehr „heilige Stadt“.

Der älteste uns überlieferte Stadtname von Worms ist Borbetomagus, das Wort ist echt keltisch und bedeutet soviel wie „Borbet´s Feld“. Borbet ist eine sehr alte Sonnengöttin, die stets in der Trinität zusammen mit Embet und Wilbet auftritt und sie hatten hier in der Frühzeit mit allergrößter Wahrscheinlichkeit ihr Heiligtum. In der Taufkapelle des Wormser Doms können sie ein gotisches Flachrelief sehen, welches die drei Jungfrauen abbildet, dieser sog. Dreijungfrauenstein diente auch als Vorlage für das Fensterbild, das Sie hier hinter mir sehen können.

Dann kamen die Römer, die wiederum ihre eigenen Tempel bauten ... es wurden viele Tempel und Kirchen hier gebaut, die Stadt war einst hunderttürmig.

Es war auch eine heilige Stadt der Juden, sie selbst nannten Worms „Klein Jerusalem“. Über Jahrhunderte war diese Stadt das westeuropäische Zentrum der jüdischen Kultur, wenige Hundert Meter von hier finden Sie den ältesten Judenfriedhof Europas, ... die jüdische Chronik behauptet sogar, dass die Juden hier noch vor den Römern waren.

An der Stelle der römischen Tempel legte angeblich die Merowingerkönigin Brunichildis die Fundamente für den späteren Dom, den später Bischhof Burchard zu einem der bedeutensten romanischen Kathedralen des Abendlandes ausbaute. Hier wurde mehr als einmal Religionsgeschichte geschrieben, z.B. die Beilegung des Investiturstreites zwischen Kaiser und Papst durch das Wormser Konkordat, 1122 oder die Verurteilung Martin Luthers vor Kaiser und Reich ... und somit quasi der endgültige Beginn der Reformation 1521. Etwa 150 Jahre später, im Jahre 1689 wird „varmatia sacra“, das „heilige Worms“ bis auf die Grundmauern niedergebrannt und an diesem Tag endet auch ihre Geschichte.

Das ist ja alles irgendwie schon sehr spannend, nur macht das die Stadt natürlich noch nicht sagenhaft, aber das ist sie ja, wie wir alle wissen, denn hier ist der Schauplatz der großen Heldenepen, neben dem Nibelungenlied und der Klage wären zumindest noch das Rosengartenlied, das Waltharilied, das Rolandslied, der Biterolf und das Seyfridslied zu nennen ... und das sind nicht alle.

Die meisten dieser Epen zählen zur Gruppe der Nibelungensage.

Diese Sage ist sehr vielfältig und über große Teile Europas verbreitet. Worms ist zumeist der Schauplatz dieser Epen und wird die Stadt nicht explizit genannt, so lässt sie sich doch mit etwas Phantasie erschließen. In der isländischen Edda z.B. steht "Verniza" an Stelle von Worms bzw. wie es früher hieß "Varmacia", ob es sich dabei wirklich um Worms handelt, darüber können sich die Gelehrten streiten. Unzweifelhaft aber liegt die Stadt des Geschehens im Rheinland, und das bestätigt sogar die ältere skandinavische Dichtung, denn schon dort versenkt Hagen den Nibelungenschatz im Rhein.

Leider besitzen wir hier an dem wahrscheinlichen Ausgangspunkt der Sage nur sehr wenige Zeugnisse dieser Tradition, denn die kirchlichen Institutionen legten selbstverständlich alle Zeit sehr großen Wert darauf das Heidnische zu eliminieren - nur irgendwann verlor auch die Kirche ihre Vormachtstellung und infolge dessen konnten sich - wenn auch spät - bei uns Fragmente der wirklich alten Erzähltraditionen - die bis dahin nur mündlich überliefert wurden - manifestieren.

1477 erschien im Anhang der Straßburger Ausgabe des Heldenbuchs erstmals die "Historie des hürnen Seyfrid". Obwohl das Lied knapp 300 Jahre nach dem Nibelungenlied niedergeschrieben wurde, ist es kein Zeugnis der Nibelungenlied-Rezeption, denn der Text enthält gerade Züge, die in dem Nibelungenlied nicht vorkommen, sondern mit der nordischen Sagengestaltung übereinstimmen.

Seyfrid geht bei einem Schmied in die Lehre; er tötet einen Drachen; erwirbt die Hornhaut sowie (durch Verspeisen des Drachenherzes) das Verständnis der Vogelsprache. Die Vögel warnen ihn vor dem Schmied, den er daraufhin erschlägt.

Nun kommt unser Held nach Worms und erfährt, dass die Jungfrau Kriemhild von einem Drachen entführt wurde. Er besiegt zuerst den Riesen Kuperan, erbeutet dabei den Schlüssel zu Krimhilds Verließ, erschlägt dann den Drachen (der sich zu Ostern in einen Mann verwandelt) und kann schließlich Kriemhild befreien. Seyfrid bekommt einen Kuss, sie versprechen sich die Ehe und feiern Hochzeit. Zu einem Streit der Königinnen kommt es hier übrigens nicht, denn Brunhild taucht überhaupt nicht auf.

Dies ist knapp umrissen, die Version der Sage, von der wir wissen, dass sie im ausgehenden Mittelalter bekannt war.

Für das Früh- und Hochmittelalter fehlen uns leider die Angaben zum Stand der mündlichen Überlieferung. Die Chroniken des Spätmittelalters - auf die ich gleich noch zu sprechen komme - vermitteln uns jedoch eine massive Verbreitung dieser Seyfridtradition. Vom Nibelungenlied hingegen fehlt jede Spur, als wäre es in Worms nie von Bedeutung gewesen, die ersten zaghaften Hinweise, dass es hier überhaupt bekannt war stammen - man glaubt es kaum - aus dem frühen 18.Jh.!!!

Im Jahre 1144 wird zwar eine Hagenstraße in Worms erwähnt, aber allein der Name lässt sich keiner bestimmten Tradition zuordnen, wenn es überhaupt eine Verbindung zu den Nibelungen gibt. Gleiches gilt für die in Worms auffallend häufige Verwendung des Linddrachens als Symboltier.

Erst im Jahre 1488 werden die Hinweise konkret und zwar in Zusammenhang mit dem Aufenthalt Kaisers Friedrich III. in Worms.

Der Kaiser hatte schon viel gehört - so berichten die Chroniken - von dem Riesen Seyfrid, den die Bauern besingen und auch von seinem berühmten Grab welches sich damals noch in der südlichen Vorstadt befand.

Es muss ein wirklich sakraler Ort gewesen sein, der heutige Abfallwirtschaftshof, denn dieses Grab stand dort keineswegs isoliert, es befand sich kurioserweise inmitten eines christlichen Friedhofs - in unmittelbarer Nachbarschaft zu römischen und fränkischen Gräberfeldern - und es wurde zusätzlich umringt von kirchlichen Bauten u.a. auch von dem Kloster Maria Münster, welches angeblich auf eine Gründung von Ludwig dem Frommen, also den Sohns Karls des Großen zurückgeht.

Das Grab selbst war - soweit wir dies heute beurteilen können - schon etwa 3000 Jahre vor dieser Zeit an jenem Ort.

Aber zurück zu Kaiser Friedrich III., er ließ nach den Gebeinen des hürnen Seyfrid graben, leider wissen wir nicht, ob er auch fündig wurde, denn hierüber berichten die Chroniken sehr unterschiedlich, nach kirchlicher Ansicht verlief die Suche ergebnislos, die etwas ältere städtische Chronik weis hingegen von einem Schädel und mehreren Knochen zu berichten, die größer waren, als die von normalen Menschen ... und das kommt natürlich nicht von ungefähr, denn man dachte sich Seyfrid damals als einen Riesen.

Genau so wurde er auch von Nicolaus Nivergalt 1493 am Haus zur Münze, dem alten Rathaus der Stadt dargestellt und nicht nur er war dort zu sehen, auch Krimhild und etliche Riesen. Die Malereien bildeten, soweit wir dies heute bestimmen können, Inhalte des Rosengartenliedes, des Seyfridliedes oder einer uns unbekannten weiteren Lokaltradition ab.

Die Erinnerung an das Nibelungenlied fehlt gänzlich, dies kann natürlich damit zusammenhängen, dass zwischen der Liedzeit und dem Zeitpunkt, da Nivergalt die Geschichte der Nibelungen auf die Rathausfassade bannte ... also in diesem Zeitraum von knapp 300 Jahren ... das Lied völlig vergessen wurde, aber das glaube ich nicht, ... ich glaube vielmehr, dass das Nibelungenlied hier in Worms weder zur Liedzeit noch in den darauffolgenden Jahrhunderten überhaupt bekannt war.

Hingegen ist mit großer Sicherheit anzunehmen, dass die Seyfridsage vor ihrer Verschriftlichung z.T. auf einer mündlichen Überlieferung basiert, deren tatsächliches Alter und deren Dynamik wir noch nicht einmal erahnen können.

Deshalb wird hierüber auch nur sehr ungern spekuliert, aber gerade die eigenartige Situation der Wormser Überlieferung wirft Fragen auf, die von der Forschung bis heute noch nicht zufriedenstellend beantwortet werden konnten.

Ein weiteres kurioses Beispiel: In den Arkaden unterhalb der eben erwähnten Malereien am Rathaus hingen die Gigantenknochen, "daz gebein von den Reisen vnd Trachen, welche Seyfrid vberwunden vnd in eiserne ketten gefasset".

Ich möchte jetzt nicht beurteilen ob dies das archäologische Verständnis der damaligen Zeit widerspiegelt oder ob es sich um einen frühen Marketinggag handelt. Es ist mir nur wichtig festzuhalten, dass wir es hier nicht mit dem Nibelungenliedstoff zu tun haben, sondern mit der Sage von Siegfried, dem Drachentöter.

Diese Drachenknochen (vermutlich Fossilienfunde von dem nahen Rheinsand) waren im Spätmittelalter in Worms sehr beliebt, man begegnete ihnen nicht nur an dem alten prächtigen Rathaus, sondern auch noch an so manchem anderen Ort - nicht alle sind uns überliefert.

Der erste Hinweis auf das Vorhandensein der Riesenknochen stammt aus dem Jahre 1540. Um die Wende des 17. Jahrhunderts z.B. sah man derartige Knochen im Tannerischen Haus. Und in der Mohrenapotheke konnte man den Schenkelknochen eines Giganten bestaunen.

Aber auch im Zeughaus sollen Riesenknochen aufbewahrt worden sein. Neben tatsächlichen Gigantenknochen werden auch Schädel, Rippen und anderes Gebein von Stieren und sonstigen Ungetümen genannt. Es erweckt wirklich den Anschein, als wären sie in der ganzen Stadt verbreitet gewesen, viele riesenhafte Knochen.

Eine ähnliche späte Ausformung der Sage finden wir bei dem Siegfriedsstein am Wormser Dom, es ist ein massiver Kalkmonolith, und er wurde von dem Riesen Siegfried über den Dom geschleudert mittels einer Riesenstange, die noch lange im ehemaligen Kreuzgang des Domes gezeigt wurde.

Heute wissen wir allerdings, dass es sich bei diesem Stein um einen Kelterstein gehandelt hat, bei der Stange um die dazugehörige Kelterstange

Aber es beweist einmal mehr, wie sehr diese Sage präsent war, sie war auch Gegenstand der ältesten uns überlieferten Nibelungenfestspiele. Im Jahre 1616 wird uns nämlich von einem Brauch erzählt, nach dem ein nicht auf uns gekommenmes Lied über den hürnen Seyfrid alljährlich von den Meistersingern der Stadt frei vorgetragen wurde, um eben die alten Traditionen zu pflegen.

Nur, wie alt waren diese Traditionen? Wie weit reichen Sie in der Zeit zurück? Wir können es leider nicht sagen.

Die mythische Struktur des Seyfridsliedes ist jedoch noch deutlich erkennbar. Es ist der Kampf mit dem Drachen und die Befreiung bzw. Erweckung der Jungfrau ... genauso, wie wir sie auch u.a. aus der Gerogslegende kennen oder aus der alten nordischen Überlieferung.

Neben der Seyfridstradition gab es nur einen weiteren Sagenstrang, der einen ähnlichen Bekanntheitsgrad genoss, und das war, ich habe es schon angedeutet, das Rosengartenlied.

Hierbei handelt es sich um eine eher volkstümliche Erzählung des 13.Jh.. Dieses Lied zählt zu den im deutschen Hochmittelalter geläufigsten Versionen der Nibelungensage, denn wer in jener Zeit von Kriemhild sprach, meinte damit weniger die Jungfrau des Nibelungenliedes, sondern vielmehr die Königin des Rosengartens. Der Inhalt dieses Liedes steht dem des großen Epos konträr gegenüber. Hier übernimmt Siegfried nicht die heldenhafte Rolle des Drachentöters, denn er ist selbst derjenige, der bezwungen wird. In einer ursprünglichen Version starb Siegfried möglicherweise sogar im Rosengarten. Kriemhild hingegen tritt nicht als holdes Mägdlein auf, sondern besitzt noch die "grimmigen" Qualitäten, denen sie ihren Namen verdankt (Kriemhild/Grimhild gilt als Ableitung von grimmige Hild). Ich gebe hier kurz den Inhalt wieder:

Zu Worms am Rhein legt Kriemhild einen, von einer goldenen Borde umzogenen, Rosengarten an. In seinem Zentrum steht eine große Linde, auf deren Ästen kunstvoll geschmiedete Vögel sitzen. Der Garten wird von den 12 Wormser Helden behütet, dies sind u.a. Gunther, Gernot, Hagen und Siegfried.

Kriemhild sendet Dietrich von Bern eine Herausforderung; er solle mit seinen elf besten Rittern im Wormser Rosengarten um die Ehre kämpfen. Der Siegerpreis ist in erster Linie ein Kuss der Prinzessin sowie ein Kranz aus Rosen, beiläufig geht es auch um Krone und Reich. Dietrich nimmt die Herausforderung an. Es finden zwölf Einzelkämpfe im Rosengarten statt, die alle zu Gunsten der Berner enden. Kriemhild muss küssen, der Garten wird zerstört und Worms bekommt einen neuen Herrscher.

Der Begriff Rosengarten war lange Zeit hindurch in erster Linie ein Synonym für eine Begräbnisstätte. Im süddeutschen Sprachraum und insbesondere in der Schweiz hat sich diese Bedeutung z.T. bis in unsere Zeit erhalten.

Auf Grund der weiten geographischen Verbreitung dieser Tradition lässt sich ein sehr hohes Alter erschließen, insbesondere bei Grabstätten, die schon lange nicht mehr als solche erkennbar sind und dennoch als Rosengarten bezeichnet werden.

Neben seiner Eigenschaft als Friedhof kam dem Rosengarten auch die Funktion der Rechtsstätte zu. Es waren Asylorte mit früher Immunität, aber auch die Stätten der peinlichen Gerichtsbarkeit und der Exekution wurden als Rosengarten bezeichnet. Bereits 815 wird ein Rosengerichtsplatz dieser Art - "Rosmalen" in Brabant - erwähnt. Später waren es auch die Orte an denen der Henker wohnte und letztendlich gibt es auch nicht wenige Fälle, in denen sogar das Gefängnis Rosengarten genannt wird.

Mit dem Rosengarten in seiner Funktion als Spiel- und Festplatz sind wir bei der dritten Bedeutungsebene. Das Rosengartenlied selbst dient als Hinweis dafür, dass in der Mitte des 13. Jh. Tunierplätze als Rosengarten bezeichnet wurden. In dem 1288 erstmals erwähnten Rosengarten von Rostock feiert der Marktgraf 1311 seine Verlobung, im darauf folgenden Jahr findet an gleicher Stelle ein Tunier statt. Dies ist aber nur eines von sehr vielen Beispielen. In Eisenach lag der Rosengarten vor dem Georgentor, hier wird noch heute zu Latäre eine Sommerpuppe aufgestellt. In Marburg war es bis zu Beginn des 19. Jh. Brauch im Frühling mit einem Mayen zu dem Rosengarten zu ziehen und dort einen sinnbildlichen Scheinkampf abzuhalten (ähnliches gibt es auch von Worms zu berichten, doch hierzu später mehr). Sehr häufig wird auch von einem Ring- oder Rolandsreiten im Rosengarten berichtet.

Die volkstümliche Überlieferung aber wurzelt in erster Linie im Totenglauben, diverse Sagen von verborgenen Schätzen, schlafenden Königen und von Zwergen ranken sich um die Rosengärten. Auf der anderen Seite gibt es aber auch die Sagenvariante von dem "weißen Fräulein", häufiger noch sind es drei Jungfrauen, die darin vor langer Zeit lebten.

Kurt Ranke vermutet hinter dem Wort "Rosengarten" den "Roten Garten", durch die etymologische Ableitung von ros zu rot. "So ist "ros(en)gart" der seinen Namen von der roten Kultfarbe tragende, umfriedete Sakralbezirk."

Das ist eine plausible Theorie, vorausgesetzt, man könnte den Namen rosgart noch über das 9. Jh. hinaus zurückverfolgen, denn sowohl das Wort Rose, als auch die Pflanze selbst haben die Germanen erst um diese Zeit von den Römern übernommen, evtl. auch deren Rosenkult (Rosenfest, Totenfest im Mai).

Vor dem 9. Jh. gab es in unseren Breiten lediglich die Heckenrose (rosa canina) und die hatte den ahd. Namen *hagen im Sinne von Dornbusch. *hagen ist eine Ableitung von dem Stamm *hag, was soviel heißt wie Gehege, ähnlich wie *gart Umfriedung, eingehegter Platz oder Hof bedeutet, deshalb sind die Begriffe rosenhag / rosengart auch synonym zu gebrauchen.

Im Rosengartenlied wird der Anger mehrfach mit dem Paradies verglichen und somit quasi als heiliger Ort beschrieben. Die goldene Borde, die den Wormser Rosengarten umgibt lässt sich als Tabulinie oder Tabuband interpretieren und deutet ebenfalls (nach Eliade) auf eine sehr alte Tradition, die ja nicht zwangsläufig an eine Umhegung mit Heckenrosen gebunden sein muss.

Den ältesten Hinweis auf einen Rosengarten in Worms gibt das Rosengartenlied, also Mitte des 13. Jh.

Bereits 1324 wird in Worms ein "Haus zum Rosengarten" und 1339 eine hierzu gehörige Rosengasse in unmittelbarer Nachbarschaft des Nonnenklosters Maria Münster erwähnt.

Der Kampfplatz des Rosengartenliedes ist definitiv linksrheinisch gedacht (also auf Wormser Seite), denn Dietrich musste mit seinen Männern über den Rhein setzen.

Der Rosengarten als Gewanname bei Lampertheim hingegen wurde erstmals 1422 urkundlich erwähnt - damals wie heute rechtsrheinisch.

Christ vermutete (1904) den Rosengarten bei dem Nonnenkloster Maria Münster, etwas außerhalb der Stadt. Dafür spricht natürlich neben der lokalen Nähe der "Rosengasse" und des "Hauses zum Rosengarten" auch das Vorhandensein eines ausgedehntes Gräberfeldes, welches quasi gekrönt wurde von einem Tumulus, der seit dem 15. Jh. als Seyfrids Grab überliefert ist. Das Grab habe ich bereits erwähnt.

Die Römer haben diesen Ort offensichtlich schon als Bezugspunkt gewählt, denn ihre Stadtmauer grenzte mit dem spitz zulaufenden südlichsten Punkt unmittelbar an die prähistorische Nekropole.

Bei Ausgrabungsarbeiten in diesem Gebiet stieß man unter anderem auf römische und fränkische Gräber, Grabanlagen aus anderen Epochen dürfen dort ebenfalls vermutet werden.

Im 9. Jh. entstand dort das älteste Wormser Nonnenkloster Maria Münster und im 13. Jh. wurde der Tumulus selbst umbaut von zwei Kapellen.

Hügelgräber dieser Art dienten seit Alters her sehr häufig als Orte für Rechtssprechungen. Diese räumliche Übereinstimmung von Gerichts- und Grabstätte ist vielerorts belegt. Ähnlich wie wir es von den Rosengärten im Allgemeinen kennen, wurden auch - insbesondere bei großen, die Landschaft beherrschenden Hügelgräbern - Feste abgehalten.

Der Wormser Tumulus war durch seine Größe und lokale Seltenheit sicher als solcher prädestiniert gewesen, es gibt allerdings keine Hinweise auf festliche Begehungen oder ähnliches.

Da es aber durchaus üblich war, prähistorische Begräbnisstätten dieser Art als Rosengarten zu bezeichnen (es gibt eine schier unendliche Sammlung von Einzelbelegen) könnte auch diese Grabstätte – insbesondere unter Berücksichtigung des „Hauses zum Rosengarten“ - jenen Namen getragen haben.

Die Wormser Geschichtsschreibung kennt einen Ort namens "Lobwiese" - außerhalb der Stadt, zum Rhein hin -an dem u.a. auch 1122 das Wormser Konkordat verkündet wurde, dieser Platz wird in mehreren Urkunden genannt, ohne ihn näher zu lokalisieren; sicher ist lediglich, dass er linksrheinisch, zwischen dem Rheinufer und der Stadt gelegen haben muss. Der Name des Ortes leitet sich nach Kranzbühler von einem dort abgehaltenen Maifest ab, bei dem die Laube eine zentrale Rolle spielte.

Der älteste Hinweis auf ein Maifest auf den Wormser Rheinwiesen stammt aus dem Jahre 1540. In diesem Zusammenhang wird von einer "uralten Tradition" gesprochen.

Das Fest verlief jeweils über 3 Tage im Anfang des Mai. Zuerst wurde eine Laube auf dem Platz errichtet, in der die hohen Herren der Stadt während der Festlichkeit ihre Speisen einnahmen. Die Schulkinder rangierten sich nun kreisförmig um die Laube. Einer der Schüler fungierte als Vorbeter, die anwesende Gemeinde ging auf die Knie und betete laut mit. Daraufhin liefen die Schüler 3 mal singend um das Zelt herum und zuletzt einzeln hindurch. Ein jeder Schüler erhielt beim Austritt von dem Schützen eine May.

Die Prozession wurde täglich wiederholt.

Hierbei handelt es sich noch gut erkennbar um die Beschreibung eines altertümlichen Kultspiels wie es in ähnlicher Art vielfach belegt ist.

Das mehrmalige Umlaufen des Zentrums, welches letztendlich durchschritten wird, deutet ebenso darauf, wie der Termin des Festes im Mai oder das Geschenk am Ende ... sei es ein Kuss, oder ein Blumengebinde - Im Rosengartenlied ist es beides.

Besonders auffällig aber ist der Schütze, er wirkt recht fremdartig in dieser merkwürdigen kirchlichen Prozession auf den Wormser Rheinwiesen.

Im Seyfridslied wird lediglich auf ein Hochzeitslied verwiesen, im "Hürnen Siegfried", der aus dem 17.Jh. stammenden Nachfolgeerzählung des Seyfridsliedes wird diese Hochzeit im Rosengarten lokalisiert.

Hier gibt der Dichter eine Beschreibung desselben analog zum Rosengartenlied, erwähnt darüber hinaus aber eine Laube, die ja im Rosengartenlied fehlt, wohl aber bei dem beschriebenen Maifest eine zentrale Rolle spielt.

Im Jahre 1616 schreibt Staricius, "dass der Rosengarten, in welchem bey seiner zeit viel Helden erschlagen worden, vnd er (also Siegfried) selbsten vmbs leben kommen, außerhalb der Stadt daselbsten noch heutiges Tags gezeigt wird". Ob Staricius damit die Gegend um Maria Münster meinte wissen wir leider nicht und wir werden es auch wohl nie erfahren und das ist ja eigentlich auch ganz gut so, denn könnten wir uns alles erklären, wären unsere Sagen und Märchen nicht mehr so geheimnisvoll und spannend. Es ist sehr wichtig, denke ich, dass unsere Phantasie noch Räume hat.