Ein kleiner Abriss über die
Wormser Nibelungenkunst
zwischen1880 und 1920

von Busso Diekamp

......

Hagendenkmal, Foto: Heinz Angermüller ...



Das Nibelungenlied und die Wormser - nicht erst heute eine schwierige Begegnung:
Im geschichtsbewußten 19. Jhdt, als das Nibelungenlied zum deutschen Nationalepos avancierte, gab es in der langsam aufstrebende Industriestadt offenbar wichtigeres zu tun, als sich der Tradition als sagenhafter Hauptstadt der Nibelungen zu besinnen Bezeichnend für das dürftige Interesse an dem Thema ist z.B. die Tatsache, dass sich für die Ausgabe einer Nibelungenliedübertragung nach der Handschrift C, die 1840 anläßlich der 4. Säkularfeier der Buchdruckerkunst in opulenter Ausstattung mit Illustrationen nach Originalzeichnungen der bekannten Düsseldorfer Maler Bendemann, Hübner, Rethel und Stilke in Leipzig erschien, in Worms kein Subskribent fand. Selbst aus der näheren Umgebung von Worms ist in dem mehrere hundert Namen umfassenden "Verzeichniß der Subscribenten" am Ende des Buches nur eine Person aufgeführt: der evang. Pfarrer Dechent aus Westhofen. Ein größeres Interesse ist offenbar erst nach der Reichsgründung 1871 festzustellen - unter dem Mäzenatentum der Industriellen-Familie Heyl, die sich auch für die Verwurzelung des Nibelungenliedgedankens in ihrer Heimatstadt engagierte:  Hierzu zunächst eine kleine Episode: Für die Geschädigten der Hochwasserkatastrophe 1882/83 richtete Cornelius Heyl eine Benefizveranstaltung aus, auf der als lebendes Bild, eine beliebte Repräsentationsform des 19. Jahrhunderts, "Siegfrieds Abschied von Kriemhilde beim Aufbruch zur Jagd" gegeben wurde. Arrangeur war der in der feinen Berliner Hofgesellschaft bestens eingeführte, aber heute fast unbekannte Düsseldorfer Historienmaler Wilhelm Beckmann, der im selben Jahr auch den Luther-Festzug in Eisleben gestaltete. Kostüme und Requisiten besorgte Beckmann am Darmstädter Hoftheater. Hauptdarsteller waren Sophie Heyl als Kriemhild und der Freiherr von Gagern als Siegfried (der damalige Wormser Kreisrat Maximilian von Gagern, zweitältester Sohn des Paulskirchenpräsidenten). "In strahlender Schönheit stand das Paar vor dem begeisterten Publikum" - so der Künstler, der das Spektakel in seinen etwas wehmütigen Erinnerungen "Im Wandel der Zeiten" 1930 ausführlich würdigt. Nach der ausverkauften Vorstellung traf man sich noch im kleinen Kreis im Park des Heyls-Schlößchens. Beckmann: "Das Paar ging voraus. Silbern schien das Mondlicht in das wallende Goldhaar der Kriemhilde. Es war mit dem Hintergrunde des Domes ein zauberhaftes Bild, hier auf dem historischen Boden der Gunthersburg die hehren Nibelungengestalten leibhaftig in königlicher Pracht wandeln zu sehen."  Auf dieses flüchtige Nibelungen-Ereignis folgen dann seit der Jahrhundertwende die bleibenden Nibelungen-Manifestationen der inzwischen geadelten Familie von Heyl: Zu erwähnen sind hier zunächst die Prachtausgabe des Nibelungenliedes, gestaltet von dem Jugendstilkünstler Joseph Sattler, die als kunsthandwerkliches Produkt der Berliner Reichsdruckerei 1900 auf der Pariser Weltausstellung gezeigt wurde, und das bekannte Hagen-Denkmal des heimischen Künstlers Johannes Hirt von 1905 - ebenfalls eine Stiftung von Heyls. Auf Veranlassung von Cornelius W. Freiherrn von Heyl zu Herrnsheim erschien die bekannte "Geschichte der rheinischen Städtekultur" (1897-1901) des Schweizer Historikers Heinrich Boos, illustriert von dem Jugendstilkünstler Joseph Sattler. Boos widmete ein Kapitel der Burgunderzeit und erwähnt dort das Nibelungenlied. Mit den Illustrationen zu dieser monumentalen Wormser Stadtgeschichte empfahl sich Sattler als Buchkünstler für die Prachtausgabe des Nibelungenliedes, die als kunsthandwerkliches Produkt der Berliner Reichsdruckerei 1900 auf der Pariser Weltausstellung vorgestellt wurde.
Der teure Druck des Folianten wurde vom Freiherrn unterstützt, der eines der vier Pergamentexemplare für Worms erwarb. Auch das bekannte Hagen-Denkmal am Rhein, das heute in monumentaler Untersicht im Internet zur weltweiten Vermarktung der Nibelungenstadt und ihrer Errungenschaften dient, ist eine Stiftung des Freiherrn von Heyl. Es entstand 1905 für den die Stadtparkanlage im Wäldchen; die Idee, in Verbindung mit dieser Parkanlage den sagenhaften Rosengarten zu reanimieren, wurde nicht umgesetzt.

......

Der Schöpfer des Hagen-Denkmals, Johannes Hirt, der nur eine lokale Künstlergröße in seinen Wohnorten Worms und später Karlsruhe blieb, dürfte zur Darstellung des im Nachen stehenden Gewichthebers mit dem sagenhaften Schatz durch die gleiche Darstellung in dem berühmten Nibelungenzyklus der Münchner Residenz von Julius Schnorr von Carolsfeld (um 1845) angeregt worden sein.  

Johannes Hirt in seinem Atelier, Bild: Stadtarchiv Worms


Der Nibelungenfoliant von Sattler und Hirts in natura überraschend kleine Statue - auf Fotos sieht man sie ja fast immer nur in monumentaler Untersicht - waren aber nur schwache Fanale des edlen Wettstreits um ambitionierte Nibelungen-Denkmäler, der um die Jahrhundertwende in Deutschland entbrannte und in dem nun Worms nicht zurückstehen wollte:


Für Wien z.B. entwarf der Secessions-Künstler Franz Metzner, Mitgestalter des Leipziger Völkerschlachtdenkmals, einen nicht ausgeführten Nibelungen-Brunnen mit krönender Figur des "Rüdiger von Bechelaren" (1904), worüber der in Worms aufgewachsene Darmstädter Jugendstilkünstler Daniel Greiner ausführlich in der Zeitschrift "Deutsche Kunst und Dekoration" berichtete. Der Neoklassizist Hermann Hahn entwarf für ein Bismarck-Denkmal des Architekten German Bestelmeyer auf der Elisenhöhe bei Bingerbrück 1911 die Statue "Jung-Siegfried versucht die Schärfe seines Schwertes Balmung" die Ausführung dieses Denkmales wurde durch den 1. Weltkrieges verhindert.

In dieser Konkurrenzsituation lag es nahe, in Worms einen Siegfried-Brunnen zu errichten, der an den Ort des heim- tückischen Mordes im Odenwald erinnern sollte, wie in der Nibelungenliedhandschrift C beschrieben wird. Der Freiherr von Heyl hegte diesen Plan bereits seit Anfang der 90er Jahre und wünschte sich eine Aufstellung an zentraler Stelle in der Altstadt. Für die Ausführung wurde - auf Vermittlung Cosima Wagners - 1895 der bekannte Münchner Bildhauer Adolf von Hildebrand gewonnen, der allerdings bei der Ortsbesichtigung eine passende urbane Situation für den Brunnen vermisste. Hier nun beginnt die Baugeschichte des "Cornelianums" von Theodor Fischer und - in deren Folge - die Entstehung der Wandmalereien zum Nibelungenlied von Karl Schmoll von Eisenwerth.

Siegfriedbrunnen, Bild: Stadtarchiv Worms

......

Am Neumarkt klaffte eine städtebauliche Lücke, dort wo bis zur Stadtzerstörung 1689 das alte Rathaus, vormals Haus zur Münze, gestanden hatte. Hier bot sich der Anschluss an den Nachfolgebau einschließlich der Erweiterung des Münchner Historismus-Architekten Gabriel von Seidl an. Hildebrand entwarf eine Renaissancefassade als Folie für den Brunnen. Dieser Vorschlag wurde allerdings von der Stadt Worms verworfen, die sich vom Stifter des Brunnens übergangen fühlte. Stadtbaumeister Karl Hofmann hatte schon 1891 eigene Pläne zur Gestaltung eines Nibelungenbrunnens in dem von Hildebrand vorgesehnen Baubereich vorgelegt. Cornelius von Heyl, der 1900 zum Ehrenbürger der Stadt ernannt worden war, stiftete schließlich im Einvernehmen mit der Stadt einen ganzen städtischen Festsaalbau an der Stelle des 1689 untergegangen Hauses zur Münze. Dieser Festsaalbau wurde - ganz in der Tradition fürstlicher Repräsentationsbauten - von seinem Stifter nach dem Firmengründer der Heylschen Lederwerke "Cornelianum" benannt. Die Stadt wünschte den renommierten Stuttgarter Professor Theodor Fischer als Architekten, da er als Garant erschien, das Öffentliche Gebäude in dem erwünschten "deutsch-romanischen" Stil zu errichten, wie es Fischer in einem Brief an Hildebrand im Jan. 1904 ausdrückte. Fischers Gebäudegruppe, die sich geschickt in die Baulücke zwischen Gabriel von Seidls Rathauserweiterung und der Dreifaltigkeitskirche einpasst - mit dem vermittelnden Vorbau, in dem das städtische Trauzimmer untergebracht war, - ist ein blockhafter Historismusbau, der sich der Stilelemente der Romanik und Renaissance bedient.

Siegfrieds Einzug in Worms, Bild: Stadtarchiv Worms

Der Haupteingang befand sich übrigens an der Hagenstraße und wurde von dem Nibelungenrelief des Dresdner Bildhauers Wrba überhöht, das sich heute unter der Vorhalle des Nachkriegsbaues befindet.
Ebenso von Wrba stammte die Sitzfigur des Volker von Alzey unter einem Baldachin mit musizierenden Kindern an der Ecke des Cornelianums zum Neumarkt, die dem Architekten "zu derb" erschien und die dann - ebenfalls aus der Kriegsruine des "Cornelianums" gerettet - ohne architektonischen Zusammenhang an die Fassade des Nachkriegsbaues geklatscht wurde. Fischers Bauzeichnungen und aquarellierte Ansichten des Cornelianums haben sich in der Architektursammlung der TH München erhalten. Das Gebäude wurde in der damaligen Fachliteratur ausführlich gewürdigt - positiv, aber auch kritisch: Der bekannte bayerische Kunsthistoriker und Volkskundler Hans Karlinger bezeichnete das Gebäude in seiner Monographie über Theodor Fischer (München 1932) als "zu viel Worms", womit er auf den neo-romanischen "Nibelungenstil" von Karl Hofmanns Stadtgestaltung anspielte. Zur Einweihung 1910 erschien eine Denkschrift - ein buchkünstlerisches Erlebnis - gestaltet von Josef Sattler (Typographie und Feder-Zeichnungen) und Attilio Sacchetto (Kohle-Zeichnungen des Baues). Den Text verfasste kein geringerer als Georg Swarzenski, Direktor des Städelschen Kunstinstituts und der Städt. Galerie in Frankfurt, der die Familie von Heyl als Kunstexperte beriet und später - ab 1920 - als Ehrenkustos für die Umwandlung des Heylshofes zu einer öffentlich zugänglichen Kunststiftung zuständig war. Im Anhang der Denkschrift ist auch die Stiftungsurkunde des Ehepaares von Heyl für das Cornelianum abgedruckt: Am Tage der Stiftungseinsetzung, dem 11. April 1907, hatten sich der älteste Sohn des Paares, Dr. Cornelius Freiherr von Heyl zu Herrnsheim mit der Prinzessin Mathilde von Isenburg-Büdingen vermählt. Das noch junge Freiherrngeschlecht verband sich also mit dem Hochadel - eine Karriere, die nun durch eine angemessene Stiftung sozusagen untermauert wurde. Zeitgleich mit dem Cornelianum wurde bezeichnenderweise auf der Darmstädter Mathildenhöhe der Hochzeitsturm von Josef Maria Olbrich errichtet - zur Erinnerung an die Eheschließung des Großherzogs Ernst Ludwig mit Prinzessin Eleonore von Solms-Hohensolms-Lich am 2. Feb. 1905.  Wie aus Fischers Aquarellentwürfen für den großen Festsaal hervorgeht und wie er auch in einem Brief an Swarzenski (17.11.1910) berichtet, sah er für die sechs, nur 1 Meter 70 hohen, querrechteckigen Felder unter der Kassettendecke eine dekorative Gestaltung mit Konzentration jeweils in der Mitte der Felder vor, um somit die architektonische Raumteilung optisch zu unterstreichen. Eine friesartige, horizontale Gestaltung der Felder wollte Fischer auf jeden Fall vermeiden. Als das Gebäude 1908 fertig gestellt war und der vertäfelte Festsaal 1910 feierlich eingeweiht wurde, waren die sechs Felder aber lediglich mit Tapeten beklebt, die in der Mitte Rundmedaillons zeigten.

......

Hier nun betritt der Maler Karl Schmoll von Eisenwerth die Wormser Bühne: Fischer hatte - wie er in dem Brief an Swarzenski berichtet - schon mal vorsorglich - ohne Absprache mit dem Stifter bzw. der Stadt Worms - seinen Malerkollegen an der Technischen Hochschule Stuttgart Skizzen zum Nibelungenthema für die Wandbilder anfertigen lassen. Swarzenski sollte nun Überzeugungsarbeit bei dem Stifter leisten; die Finanzierung der zunächst sechs Seitenbilder durch den Baron.

Brunhildes Empfang in Worms, Schmoll v. Eisenwerth, 1912


konnte schließlich gesichert werden. Der genius loci spielte eine bestimmende Rolle bei der Themenwahl; die Stadt hatte bereits 1493, nachdem sie das Haus zur Münze erworben hatte, die äußeren Wandflächen über den gotischen Arkaden von dem Maler Nicolaus Nievergalt schmücken lassen - mit Darstellungen Kaiser Friedrichs III., Siegfrieds und anderer Helden der Nibelungensage, die 1689 mit dem Gebäude zerstört worden waren.  

(
weiter zur Abhandlung über den Maler Karl Schmoll von Eisenwerth)