Siegfried und
die Nibelungen

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in Kleinplastiken und Denkmälern
vom 19. Jahrhundert
bis zum Ersten Weltkrieg


von Dr. Busso Diekamp

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"Eiserner Siegfried", 1915, Stadtarchiv Wiesbaden..

Im 19. Jahrhundert kam es in Deutschland zu einer wahren Denkmalflut. Dabei ging es neben der Anerkennung individueller oder kollektiver Leistungen, etwa in den Denkmälern zum Gedenken an den Deutsch-Französischen Krieg oder in den zahlreichen Denkmälern für Reichsgründer Bismarck und  Wilhelm den Großen, wie der erste Hohenzollernkaiser glorifiziert wurde,  auch um die Manifestation nationaler Größe und nationalen Ruhms.
Bereits 1837 sprach der Kulturpessimist Arthur Schopenhauer von „herrschender Monumentensucht“ und 1838 - anlässlich des Baubeginns von Ernst Bandels Hermannsdenkmal, das erst 1875 eingeweiht wurde, -  diagnostizierte der spätere Jenenser  Medizinprofessor  August Siebert  eine „Denkmalwuth“ (vgl. D.Schubert, „Paris… ein Pantheon der Lebenden!“ Denkmal-Kritik bei Heinrich Heine, in: Heine-Jahrbuch, 24.1985, S. 80).
Im Zuge des erwachenden deutschen Nationalbewusstseins während der Befreiungskriege  gegen Napoleon waren erstmals auch ‚Bürgerliche‘ als ganzfigurige Freiplastiken zu Denkmalehren gekommen:  Zum Reformationsjubiläum 1817 erfolgte auf königlichen Befehl die Grundsteinlegung für Johann Gottfried Schadows  Lutherdenkmal auf dem Marktplatz des gerade erst auf dem Wiener Kongress dem Königreich Preußen zugeschlagenen sächsischen Provinzstädtchens Wittenberg.

Luther - Hermann - Siegfried
Parallel zur nationalen Überhöhung Martin Luthers entwickelte sich der römisch assimilierte Cheruskerhäuptling zur nationalen Symbolfigur, zur Inkarnation des deutschen Gründungsmythos, obwohl er bei Tacitus nur unter seinem lateinischen Namen Arminius überliefert ist -  in Luthers Umfeld war um 1530 der dux belli in „Heer-mann“ eingedeutscht worden.
Das Präludium zum Hermann-Mythos lieferte der Lutherfreund Ulrich von Hutten mit dem 1529 posthum veröffentlichten Dialog Arminius. Hutten feierte den Sieger der Varusschlacht als „ersten unter den Vaterlandsbefreiern“, der „das römische Joch“ abgeworfen und Germanien von der Fremdherrschaft befreit habe.

Der mecklenburgische Germanist Adolf Giesebrecht, der 1813/15 an den Befreiungskriegen teilgenommen hatte, versuchte 1837 zu zeigen, dass das Nibelungenlied seinen historischen Ursprung in der Arminiusgeschichte habe, dass Arminius und Siegfried, der Drachentöter, ein und dieselbe Person seien (Über den Ursprung der Siegfriedsage. in: Germania. 2, 1837, S. 203ff.) -  Tatsächlich trugen von acht bekannten Mitgliedern der Cherusker-Sippe fünf die Vorsilbe Segi (Sieg) im Namen. Hermanns Vater nannte sich Segimer, der Schwager Segimund.
Bereits der Burschenschaftler und Theologiestudent Karl Ludwig Sand hatte Hermann-Siegfried politisch und ästhetisch vereinnahmt: „Will uns die deutsche Kunst einen erhabenen Begriff von Freiheit bildlich geben, so soll sie unsern Hermann, den Erretter des Vaterlandes, darstellen, stark und groß, wie ihn das Nibelungenlied unter den Namen Siegfried nennt, der kein anderer als unser Hermann ist.“ (Acten-Auszüge aus dem Untersuchungs-Proceß über Carl Ludwig Sand; nebst andern Materialien zur Beurtheilung desselben und Augusts von Kotzebue, Altenburg u. Leipzig 1821, S. 302)

Diese Aussage traf Sand am 18. Mai 1820 vor Gericht - zwei Tage vor seiner Hinrichtung wegen Mordes an dem äußerst erfolgreichen Dramatiker August von Kotzebue. Der russische Staatsrat Kotzebue, erklärter Gegner demokratischer Umtriebe deutschtümelnder Burschenschaftler und Turner, hatte sich gegen deren Propagierung des Nibelungenliedes als patriotische Schullektüre gewandt. In Siegfried und seiner Heroisierung im Nibelungenlied sah Kotzebue ein gefährliches Vorbild zur Militarisierung der männlichen Jugend. Der Mannheimer Mord an Kotzebue führte bekanntlich zu den Karlsbader Beschlüssen des Deutschen Bundes und verursachte damit Restauration und Biedermeier.


hermann-luther

Holzstich anlässlich der Enthüllung des Hermanndenkmals am 16. August 1875 im Kladderadatsch

Gemeinsam treten Luther und Hermann-Siegfried nach der Reichsgründung 1871 auf einem Holzstich auf, der anlässlich der Enthüllung des Hermanndenkmals am 16. August 1875 im Kladderadatsch veröffentlicht wurde:  die Nationalhelden, vereint im (Kultur)Kampf gegen Rom und den Ultramontanismus der deutschen Katholiken, in dem Kampf, den Bismarck 1872 in einer Reichstagsrede mit seiner antirömischen Canossa-Formel angeheizt hatte. Unverkennbar erscheint auf dem Holzstich des Kladderadatsch der Luther von Ernst Rietschels Wormser Lutherdenkmal (eingeweiht 1868).

Hermann und die Nibelungen in der Ikonographie des 19. Jahrhunderts
- z.B. der Flügelhelm

Was die Gestaltung des Hermannsdenkmals betrifft, stand Bandel vor einem ähnlichen Problem wie die Maler und Bildhauer, die sich mit Siegfried und dem Nibelungenlied auseinandersetzten:  Es gab für diese nationalen Bildthemen keine ikonographischen Vorbilder, auf die die Künstler hätten zurückgreifen können. Wie haben Hermann und seine Germanen, wie Siegfried und die Nibelungen ausgesehen? Auf Adaptionen der antiken und christlichen Ikonographie – etwa Apoll und  Herkules, die Python bzw. Hydra erledigen oder die heiligen Drachentöter Georg und Michael als ikonographische Vorbilder für den Drachentöter Siegfried, die Beweinung des toten Helden als Pietà-Darstellung -  ist hier nicht einzugehen (vgl. K. Lankheit, Nibelungen-Illustrationen der Romantik. Zur Säkularisierung christlicher Bildformen im 19. Jahrhundert, in: J. Heinzle / A. Waldschmidt (Hrsg.), Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum, Frankfurt a. M. 1991, S. 193-218), vielmehr soll die bildnerische Lösung an einem markanten  Accessoire gezeigt werden, das sowohl die ,Kostümierung‘ der Nibelungen als auch des Hermann, der ‚germanischen‘ Bühnenfiguren Richard Wagners, der Wikinger schließlich auch der Kelten bestimmen sollte: der Flügelhelm.

fellner

Ferdinand August Michael Fellner, links: Siegfried mit Gunther, Hagen und Dankwart auf ihrem Ritt zur Brünhildenburg Isenstein; rechts: Wie Hagen und Volker Schildwache halten (Archiv Nibelungenmuseum)


Erstmals hat wohl der Heidelberger Jurastudent und Burschenschaftler Ferdinand Fellner (1799-1859) die Nibelungen, insbesondere den grimmen Hagen und Volker von Alzey, mit dem Flügelhelm ausgestattet bzw. mit Helmen, auf denen Schwäne oder Drachen sitzen, die ihre Flügel ausbreiten. Fellner stand im Austausch mit Julius Schnorr von Carolsfeld, der den Flügelhelm dann in seinen Entwürfen zum Nibelungenzyklus im neuen Flügel der Münchner  Residenz übernahm (ab 1829). (Diesen Auftrag hatte der Nazarener im Sommer 1826 vom bayerischen König Ludwig I. in Rom erhalten, wo bereits gut zehn Jahre zuvor der Lukasbruder Peter Cornelius neben einem Faust- einen Nibelungenzyklus gezeichnet hatte, der 1817 in sieben Kupferstichblättern in Berlin erschienen war.) Schnorr profitierte für seine Entwürfe von Fellners Kenntnissen auf dem Gebiet der Kostüm- und Waffenkunde. 
Woher aber der Flügelhelm? – Zunächst ist der Flügelhelm eine aus der antiken Kunst überlieferte heroische Kopfbedeckung, etwa in Darstellungen des Götterboten Hermes oder des Halbgottes Perseus, der nicht  nur - wie Siegfried - mit einer Tarnkappe, sondern auch mit Flügelsandalen und einer Flügelhaube ausgestattet ist, die ihm zur schnellen Flucht verhelfen, nachdem er der Gorgo Medusa das Haupt abgeschlagen hat. In Benvenuto Cellinis Bronzestatue für die Loggia dei Lanzi in Florenz (um 1550) steht ein nackter Perseus ausgestattet mit Flügelhaube und Flügelschuhen auf der enthaupteten Medusa, eine Figurenkonstellation, die an den jugendlichen Siegfried mit dem besiegten Drachen unter seinen Füßen erinnert. (Allerdings hält Siegfried nicht - wie Perseus - im Triumph ein abgeschlagenes Haupt in die Höhe.) Ein weiterer Renaissance-Perseus mit Flügelhelm steht in der Münchner Residenz: Er wurde 1585/90 von dem Niederländer Hubert Gerhard als Bekrönung für den zentralen Brunnen im  Grottenhof der Münchner Residenz geschaffen.
Ganz direkt könnte Fellner, was den Flügelhelm bei den Nibelungen betrifft, während seines Jurastudiums in Heidelberg in einer spätmittelalterlichen Bildquelle fündig geworden sein: In der Heidelberger Universitätsbibliothek liegt eine Straßburger Handschrift des Rosengartens zu Worms aus dem Anfang des 15. Jahrhunderts, in der ritterliche Kampfszenen dargestellt sind: Kriemhild, die Tochter des Burgundenkönigs Giebich, ist in dem volkstümlichen Versepos des 13. Jahrhunderts die Hüterin eines Rosengartens, der von zwölf Helden bewacht wird, darunter ihr Verlobter Siegfried. Sie lädt Dietrich von Bern und elf seiner Recken ein, gegen ihre eigenen Helden anzutreten. Der Siegerpreis ist ein Kuss der Prinzessin sowie ein Kranz aus Rosen. (Es gibt sehr unterschiedliche Versionen des Rosengartenliedes, worauf hier nicht näher eingegangen werden kann.)  Dem Höhepunkt des Geschehens, dem Kampf zwischen Dietrich und Siegfried, der von dem Berner besiegt wird, ist in der Straßburger Handschrift eine ganzseitige Illustration gewidmet. Die beiden Ritter führen ihr Wappentier als Helmzier; bei Siegfried ist es natürlich der Drache, der in den Nibelungendarstellungen des 19. Jahrhunderts mit Siegfrieds Ermordung  häufig auf Hagens Helmzier übergeht. In der Tat führen Adelsgeschlechter häufig ein Tier bzw. Fabelwesen im Wappen - als Helmzier über dem eigentlichen Wappen; der Drache ist in der Heraldik weit verbreitet.
Dagegen gibt es für Flügelhelme bei den Germanen, erst recht bei dem Germanenstamm der Burgunden, keine historischen Quellen oder archäologischen Belege. Möglicherweise beruht die Vorstellung von Flügelhelmen bei den Germanen auf einer Schriftstelle in der Βιβλιοθήκη Ἱστορική, der Universalgeschichte des späthellenistischen Geschichtsschreibers Diodor:
„Sie setzen metallene Helme auf, mit großen Schnärkeln versehen, die denen, welche sie aufhaben, ein ausserordentlich grosses Ansehen. An einigen sitzen Hörner, an andern Gesichter von Vögeln und vierfüßigen Thieren.“ (Diodors von Sicilien  Bibliothek der Geschichte. 2. Bd. Aus dem Griechischen übersetzt von Friedrich Andreas Stroth, Frankfurt am Main 1782, S. 207)
Diodor bezieht sich hier allerdings nicht auf die Germanen, sondern auf die Kelten (Gallier). Da sich deren Siedlungsgebiet teilweise mit dem Verbreitungsgebiet mit den später in Mitteleuropa eingedrungenen Germanen überschneidet - zur Zeit Cäsars lassen sich die Siedlungsräume kaum voneinander abgrenzen -, scheinen die Mythen- und Trachtenforscher der Romantik über diesen feinen Unterschied hinweggesehen zu haben. Tatsächlich lassen sich aber auch bei den Kelten die von Diodor angedeuteten Flügelhelme archäologisch nicht nachweisen; die keltische Blattkrone, eine blattverzierte lederne Kopfbedeckung mit seitlichen, fischblasen- oder blattförmigen Ansätzen, mag aber an die von Diodor beschriebenen Flügelhelme erinnern. Die Blattkrone diente allerdings wohl zu kultischen, nicht - wie die Helme der Nibelungen - zu kriegerischen Zwecken. Mit dem 1903 - wohl in Konkurrenz zum Hermann - in Clermond-Ferrand enthüllten Reiterdenkmal des Vercingetorix, einem Spätwerk des aus Colmar stammenden Bildhauers Frédéric-Auguste Bartholdi, Schöpfer der New Yorker Freiheitsstatute, zieht der Flügelhelm auch in die Darstellung von Galliern ein – bis hin zu Asterix und Obelix.
Auf den frühen Zeichnungen von Fellner sitzen geflügelte Wesen auf den Helmen der Nibelungen, bei Volker von Alzey ist es ein Schwan, womit der sprichwörtliche Schwanengesang als Vorahnung über das Ende der Nibelungen gemeint sein dürfte. Nach der griechischen Mythologie (Metamorphosen des Ovid, Aeneis des Vergil) stimmen Schwäne vor ihrem Tode mit trauriger, jedoch wunderschöner Stimme ein letztes Lied an. In einer Fassung dieses Mythos wanderte der trauernde Kyknos, König von Ligurien, in einem Pappelhain am Ufer des sagenhaften Flusses Eridanus, in den sein Freund Phaëton mit dem Sonnenwagen gestürzt war, da er von der Bahn, die ihm sein Vater Helios angewiesen hatte, abgewichen war. Apoll hatte Mitleid mit Kyknos und verwandelten ihn in einen Schwan aus leuchtenden Sternen. Bevor Kyknos aus Trauer über den geliebten Freund starb, sang er in einer von keinem anderen Gesang an trauriger Schönheit übertroffenen Weise. - In Platons Phaidon erklärt Sokrates den besonders eindrucksvollen und fröhlichen Gesang der Schwäne vor ihrem Tod mit deren Vorkenntnis des Guten in der Unterwelt. 

Die Nibelungen in Tafelaufsätzen für die Wittelsbacher
Die Nibelungenbegeisterung der Wittelsbacher manifestierte sich noch während der Ausführung von Schnorrs Fresken in der Residenz, die sich bis 1867 hinzog, in der dritten Dimension; nämlich 1842 anlässlich der Hochzeit von Kronprinz Maximilian mit seiner Cousine, Prinzessin Marie von Preußen, gestaltete Ludwig Schwanthaler, bekannt als Schöpfer der erst nach seinem Tod auf dem Oktoberfest 1850 enthüllten Bavaria, die  erste plastische Interpretation der Nibelungen: einen fünfteiligen, von Leuchtern und Fruchtschalen begleiteten Tafelaufsatz aus feuervergoldeter Bronze, der heute zu den Publikumsmagneten des Museums der bayerischen Könige in Hohenschwangau gehört. 1832 hatte Kornprinz Maximilian die Burgruine Hohenschwangau erworben und sie zu einem neugotischen Schloss ausbauen lassen. Den Heldensaal ließ er nach Entwürfen des Romantikers Moritz von Schwind mit Motiven aus der nordischen Wilkina- bzw.Thidrekssaga ausmalen, die ab 1814 in Übersetzung von Friedrich Heinrich von der Hagen unter dem Titel Die Thidrekssage, oder Dietrich von Bern und die Niflungen verbreitet worden war.
Wie Schwind bei den Hohenschwangauer Wandbildern konnte auch Schwanthaler Vorstellungen des Kronprinzen und des Münchner Männerbundes zu den Drei Schilden übernehmen, in dem Romantiker aus vornehmen Kreisen die Erinnerung an vergangene Ritterherrlichkeit pflegten. Ähnlich wie in der Künstlervereinigung, die sich in der von Schwanthaler neben seinem Atelier eingerichteten sogenannten Humpenburg traf, wurden im Drei- Schildenkreis Ritterspiele veranstaltet, bei denen Maximilian gern als König Artus auftrat. In dem Tafelaufsatz wird nun diese Artus-Runde in die mittelalterliche Sagenwelt übersetzt. Die Figuren des Tafelaufsatzes weisen auf die Hochzeit von Siegfried mit Kriemhild hin und heben so die Gäste der bayerisch-preußischen Prinzenhochzeit gleichsam in den Rang der Nibelungen.
Die einzelnen Aufsätze, als Lebensbäume gebildet, tragen, in Etagen übereinander gestaffelt, Gestalten der Nibelungen und der Dietrich-Sage. Die Figuren wirken trotz ihres Kleinformats (23-25 cm) nicht dekorativ goldschmiedehaft, sondern wie kleine Modelle für Monumentalstatuen. Zu Gruppen geordnet sind sie im Gespräch miteinander verbunden oder erscheinen vereinzelt träumerisch auf sich selbst bezogen. Schwanthaler schuf eine ritterliche Gesellschaft, die sich familiär um den Lebensbaum versammelt hat. Im Liebespaar Siegfried-Kriemhild wird das Heldenideal des Rittertums mit der romantischen Sehnsucht nach inniger Liebe zweier Menschen verknüpft und sentimental überhöht. Jede Figur  - jeweils am Schildzeichen erkennbar - ist Repräsentant und Dokument der Sage: So erscheint Hagen stolz und kühn, Gunther milde, Dietrich von Bern besonnen, der Zwerg Alberich hässlich usw. - Statt des heroischen Ritters, statt der Hervorhebung des Heldenhaften oder Tragischen  - wie es in den Nibelungensälen der Münchner Residenz zu finden ist - hebt Schwanthaler das Intime, Beschauliche und Vertraute, das individuell Menschliche hervor (vgl. F. Otten, Ludwig Michael Schwanthaler 1802-1848.Ein Bildhauer unter König Ludwig I von Bayern. Monographie und Werkverzeichnis, München 1970,S. 149f.) Der Schwanthaler-Freund Franz Graf von Pocci, Hofzeremonienmeister Maximilians I., dichtete:

Willst du die alten Helden kennen,
So lies der Nibelungen Not,
Es wird sie dir der Sänger nennen,
Der selber längst erlag dem Tod.
Den Siegfried, Günther, Gieselherrn,
Thronecker und Dietrich von Bern;
Und Etzel, auch Dankwaarten mit;
Die nahen da mit wildem Schritt,
Chriemhild, Brunhild und andere Frauen
Siehst auch gleich hohen Blumen der Auen -
O herrlich Lied der Nibelungen,
Dem Sänger Heil, der dich gesungen!“

(zit. nach: Gunter E. Grimm (Hrsg.), Nibelungen-Gedichte. Ein Lesebuch, Marburg 2011, S. 114)

Bei der Mittelalterbegeisterung seines Vaters Maximilian nimmt es nicht Wunder, dass sich Ludwig II., der fern der Hauptstadt München in der romantisch- mythischen Bilderwelt von Schloss Hohenschwangau aufwuchs, mit Wagners Schwanenritter Lohengrin und einem königlichen Namensvetter aus der Glanzzeit des Rittertums, Ludwig dem Heiligen, identifizierte; Kinis unzeitgemäßes Herrscherideal entsprach allerdings eher dem Absolutismus Ludwigs XIV. Auf die sagenhafte Ausstattung von Schloss Neuschwanstein, das erst nach dem Tode des Märchenkönigs 1884 fertiggestellt wurde, ist hier nicht näher einzugehen: Der Vorplatz zu den Königsgemächern ist mit Wandmalereien zur Sigurd-Sage ausgestattet; der Vorraum zum Sängersaal, dessen Wandbilder Wagners Tannhäuser und Parzival gewidmet sind, zeigt Wandmalereien zur Gudrunsage.

An plastischem Schmuck mit Bezug zur Nibelungen- bzw. Siegfriedsage ist ein Tafelaufsatz im Speisezimmer hervorzuheben: Mit den Wandmalereien zum Sängerstreit auf der Wartburg korrespondiert Siegfrieds Kampf mit dem Drachen (1885/86) -  nach einem Wachsmodell  des Oberammergauer Bildschnitzers Ludwig Bierling, ausgeführt vom Münchner Hofjuwelier Eduard Wollenweber. Der in ein Bärenfell gehüllte jugendliche Muskelprotz stützt sich in Ausübung seiner Heldentat an einer knorrigen deutschen Eiche ab. Der Kraftakt kommt allerdings im fein ziselierten, filigranen Gold kaum zur Geltung. - Der sensible Schwanenritter, der sein Schloss kaum mehr in Besitz nehmen konnte, bekam diesen Siegfried nicht mehr zu Gesicht.

Jung-Siegfried auf Stolzenfels
Der Mittelalterbegeisterung der Wittelsbacher stand der preußische Hohenzoller Friedrich Wilhelm IV. in nichts nach. Von 1832 bis 1837 ließ er die im Pfälzischen Erbfolgekrieg zerstörte kurtrierische Burg Stolzenfels, die er 1815 als Kronprinz von der Stadt Koblenz geschenkt bekommen hatte, unter Mitwirkung von Friedrich Schinkel durch dessen Schüler Friedrich August Stüler zum Schloss ausbauen - unmittelbar nachdem Kronprinz Maximilian, ein Neffe von Friedrich Wilhelms Gemahlin Elisabeth Ludovika von Bayern und Ehemann seiner Cousine Marie von Preußen, Schloss Hohenschwangau in ähnlichem Stil hatte wieder aufbauen lassen. 
Zur Ausstattung  von Stolzenfels gehört eine Steinplastik von Jung-Siegfried bzw. -Sigurd als Schmied am Amboss, der mit der Rechten stolz sein Meisterwerk, das Schwert Gram respektive Balmung, emporhält. Die Figur ist im Pergolagarten an der Nordflanke des Schlosses zu besichtigen. Die Skulptur des Koblenzer Bildhauers Johann Hartung, eines Schülers des bekannten französischen Bildhauers François Rude (La Marseillaise am Arc de Triomphe), entstand 1846, zwei Jahre bevor Friedrich Wilhelm die Kolonnaden des Marmorpalais in Potsdam durch den Berliner Historienmaler Karl Wilhelm Kolbe mit Szenen aus dem Nibelungenlied ausmalen ließ.
Siegfried in Rüstung mit dem aufgerichteten Schwert begegnet uns bereits in einem  der weitgehend erhaltenen mittelalterlichen Freskenzyklen  auf Schloss Runkelstein (am Eingang des Sarntales bei Bozen): Ein Bild des Triadenzyklus im Sommerhaus des Schlosses, der um 1400 entstanden ist, zeigt Die drei berühmtesten Schwerter: Dietrich von Bern mit Sachs  - Siegfried mit Balmung - Dietleib von Steier mit Welsung (Dietleib, in nordischen Sagas Thetleif der Däne beziehungsweise Detzlef der Däne genannt, der Held aus dem mittelhochdeutschen Heldenepos Biterolf und Dietleib, spielt als Kampfgenosse Dietrichs von Bern auch eine wichtige Rolle in der Thidrekssaga und in der Sage von König Laurins Rosengarten.)

‚Nibelungendenkmäler‘ in und aus Worms, gestiftet von der Familie von Heyl
In Stolzenfels blicken wir auf den Rhein, an dessen Ufern der Genius loci auch im jungen Finanzadel, der sich am Lebensstil der alten Adelsgeschlechter orientierte, zur Identifikation mit den Nibelungen beitrug.
Die Nibelungen-Rezeption in Worms wurde maßgeblich gefördert von Cornelius Wilhelm Heyl (1843-1923), dem 1886 vom hessischen Großherzog zum Freiherrn von Heyl zu Herrnsheim nobilitierten Inhaber der führenden Wormser Lederwerke.
Als Heyl 1867 die Kölner Bankierstochter Sophie Stein (1847-1915) heiratete, ließ er seinen Wohnsitz am Schlossplatz neben dem Dom ausbauen, das Heylsschlösschen. Dieses Stadtplalais wurde nach der Kriegszerstörung - seines plastischen Schmucks weitgehend beraubt - in vereinfachten Formen wiederaufgebaut. Dem Genius loci huldigend, kamen an der Gartenseite in zwei Fassadennischen Sigfrid und Krimhild zu stehen, Skulpturen des Kölner Dombildhauers Peter Fuchs. Der grimmig blickende, eher gesetzte Recke, trägt einen Panzer mit Drachenornament; auf seiner Helmkrone hockt ein Miniaturdrache; seine Linke hält recht entspannt das mächtige Schwert, die Rechte fasst lässig die zerknüllte Tarnkappe; unter Siegfried erscheint auf dem Sockelmedaillon der bärtige Zwerg Alberich, der den Nibelungenhort bzw. das Heylsche Familienvermögen bewacht; ihm konnte Siegfried ja die Tarnkappe (eigentlich einen Mantel) entwenden, um dann in den Besitz des Schatzes zu gelangen. Kriemhild präsentiert den Gürtel ihrer Rivalin Brünhild, während an ihrer Seite der gestalterisch verunglückte, zahme Falke sitzt, der - eine Präfiguration Siegfrieds - in ihrem vorehelichen Traum von zwei Adlern zerrissen wird; unter Kriemhild im Medaillon eine fischschwänzige Nixe, die den Schatz im Rhein bewacht. In der Gegenüberstellung von Alberich und der Rheintochter ist wohl nicht Wagners Sagenversion Rheingold gemeint, denn die Oper wurde erst 1869 uraufgeführt. Eine der beiden Donaunixen, denen Hagen begegnet, kommt hier am Rhein wohl auch nicht in Frage. (Zwei einerseits menschen-, andererseits vogelgestaltige Wassergeister, durch Hagen ihrer Kleider beraubt, erkaufen sich deren Rückgabe durch die Prophezeiung, von der Fahrt zu Etzels Hof werde nur ein einziger zurückkehren. Hagen, dem Schicksal höhnend, wirft den Kaplan bei der Überfahrt in die Donau; dieser, des Schwimmens unkundig, erreicht jedoch glücklich das Ufer und erfüllt so die Prophezeiung.)
Wie auch immer: Siegfrieds und Kriemhilds Attribute - Tarnkappe und Gürtel - sollten sich glücklicherweise nicht als Menetekel für das frisch vermählte Ehepaar Heyl erweisen.
Auf Cornelius Wilhelms Stiftungen von steinernen und erzenen Nibelungendenkmälern für seine Heimatstadt - das Hagen-Denkmal (1906), den Siegfriedbrunnen von Adolf von Hildebrandt (1913, 1921 aufgestellt), und die Bauplastik des Dresdner Akademieprofessors Georg Wrba am Cornelianum, von der sich das Relief Siegfrieds Einzug in Worms und die Sitzfigur des Volker von Alzey (1910/12) am Haus zur Münze erhalten haben, muss hier nicht näher eingegangen werden (vgl. dazu zuletzt B. Diekamp, Cornelius Wilhelm von Heyl als Förderer der Nibelungenrezeption in Worms, in: Worms und die Nibelungen. Illustrierte Beiträge der Nibelungenlied-Gesellschaft; 1. Aufl., Worms 2016, S. 32-44). Auch einige weitere plastische Werke zu den Nibelungen, vor allem aus dem späten 20. Jahrhundert, die in Worms sowie entlang des Rheins und der Donau zu finden sind, werden hier nicht berücksichtigt, soweit sie Rainer Schöffl in dem Beitrag Die Nibelungen in Metall und Stein. Werke der Bildhauerei an Rhein und Donau abgehandelt hat (veröffentlicht auf dem von Gunter Grimm und Uwe Werlein, Universität Duisburg-Essen, betreuten Internetportal www.nibelungenrezeption.de/).
Es versteht sich von selbst, dass Cornelius Wilhelm von Heyl, der als Reichstagsabgeordneter mit dem konservativen Flügel der Nationalliberalen (der rechten, sogenannten Wormser Ecke der Partei) fest an Bismarcks Seite stand, auch ein Bismarckdenkmal stiftete: Die Porträtbüste des lokalen Bildhauers Johann Hirt, Schöpfer des Hagen-Denkmals, wurde erst 2015 wieder aus der Versenkung hervorgeholt, um sie im Heylspark auf eine Säule zu heben. - Und mit Bismarck sind wir schon wieder bei Siegfried: Der Juraprofessor Felix Dahn, der in seinen Bestsellerromanen (Ein Kampf um Rom, 1876) mythomanisch in der germanischen Vergangenheit wühlte, identifizierte Reichsgründer Bismarck mehrfach mit Siegfried, wobei aus den einst von Hermann-Siegfried besiegten Römern die von Bismarck, dem „Held von echtem Siegfried-Mute“ (Der Bundestag, Gedicht 1856), niedergezwungenen Franzosen werden. Der radikaldemokratische 48er und Sozialist Georg Herwegh leitete im Frühjahr 1871 sein Gedicht Den Siegestrunkenen mit folgenden ironischen Zeilen ein: „Vorüber ist der harte Strauß, Der welsche Drache liegt bezwungen, Und Bismarck-Siegfried kehrt nach Haus  Mit seinem Schatz der Nibelungen…“ ,  wobei wahlweise Elsass-Lothringen, die französischen Reparationszahlungen oder die an das Hohenzollernreich angeschlossenen süddeutschen Staaten als Nibelungenschatz in Frage kommen.
Bismarck-Siegfried auf der Säule passt also ausgezeichnet in den Heylshofpark als einer exklusiven Location der Nibelungenfestspiele.

Was in Worms weniger bekannt ist: Maximilian von Heyl, der Bruder des Lederfabrikanten, der als hessischer Offizier im Stab des nachmaligen Großherzogs Ludwig IV. am Deutsch-Französischen Krieg teilgenommen hatte, brachte 1905 bei der Eheschließung von dessen Sohn, Großherzog Ernst Ludwig, mit Prinzessin Eleonore von Solms-Hohensolms-Lich sich und seine Heimatstadt mit einem Hochzeitsgeschenk in Erinnerung: „Zum 2. Februar aus der Nibelungenstadt Frh. Heyl zu Herrnsheim und Ehefrau“ lautet die Inschrift am Sockel der kleinen Bronzeplastik (63 cm) des Darmstädter Jugendstil-Bildhauers Ludwig Habich: ein nackter Siegfried-Knabe, der in klassischem Kontrapost posiert. Der niedliche Vogel auf der Hand von Jung-Siegfried hat nun allerdings nichts mit dem Nibelungenlied bzw. der Nibelungenstadt zu tun, sondern ist Richard Wagners Siegfried (2. Aufzug) aus der Ring-Trilogie entlehnt, die sich an die nordische Sagentradition der Edda hält: Siegfrieds Hand wird vom Blut des getöteten Drachen Fafner benetzt. Der Held saugt das Blut von der Hand ab und kann plötzlich den Gesang des Waldvogels verstehen, der ihm von Fafners Hort erzählt, ihn vor Mimes List warnt und schließlich zur Brünnhilde führt. In dem Hochzeitsgeschenk dient der Vogel wohl als Anspielung auf Liebe und Reichtum und zugleich als Warnung vor den Fährnissen des Lebens.  Auf der Sockelschulter der Kleinplastik erscheint der getötete Drache. Als der Siegfried-Knabe 1906 auf der Deutschen Kunstausstellung in Köln, die unter der Schirmherrschaft des hessischen Großherzogs stand, gezeigt wurde, fiel er bei der Kunstkritik durch: „Die Bronzestatuette… vertritt ihren Schöpfer nicht besonders gut. Zwar ist die Figur äußerst fein modelliert; aber das Motiv des wippenden Vögleins, das der jugendliche Recke auf seinen Fingern balanciert, ist etwas allzu kindlich; und vollends unkünstlerisch, geschmacklos ist der in den Steinsockel eingemeißelte Molch, der den Drachen vorstellen soll…“  (A. Fortlage zit. nach: P. Weyrauch, Der Bildhauer Ludwig Habich (1872-1949), Darmstadt u. Marburg 1990, S. 37) Offensichtlich wurde Habich mit dem knabenhaften Siegfried nicht der tradierten Vorstellung vom virilen Drachentöter gerecht.

Siegfried an der Drachenburg über Königswinter
Ein anderes Mitglied der rheinischen Geldaristokratie ließ die Nibelungen etwa 200 Kilometer flussabwärts in Werken der Monumentalkunst - Wandmalerei und Bauplastik - wiederauferstehen.
Um die Ruine Drachenfels, ursprünglich eine Burg der Kölner Kurfürsten, deren Burggraf den Drachen im Wappen führte, entspann sich im Zuge der Rheinromantik zu Beginn des 19. Jahrhunderts die Sage, hier habe Siegfrieds Kampf mit dem Drachen stattgefunden -  erstmals nachweisbar in einem Handbuch für Rheinreisende (2. Aufl. 1818): Der Verfasser, Aloys Schreiber, siedelt den Kampf des „hörnernen Siegfrieds“ am Drachenfels an, allerdings mit der Einschränkung, der pfälzische „Drachenfels“ (bei Bad Dürkheim) sei der wahrscheinlichere Ort. 1881 erwarb der Bonner Gastwirtssohn und Ex-Bankier Stephan von Sarter, der durch private Börsenspekulationen in London und Paris (insbesondere beim Bau des Suezkanals) einen ,Nibelungenschatz‘ in Staatsanleihen und Aktien anhäufen konnte, den Nordhang des Drachenfels, um hier in einer Parkanlage für sich und seine Bonner Jugendliebe ein rheinisches Neuschwanstein nach Entwürfen des exklusiven Düsseldorfer Architekturbüros Tüshaus und von Abbema errichten zu lassen. Kurz zuvor  hatte sich der künftige Schlossherr mit 40.000 Mark (umgerechnet ca. 600.000 €) - offiziell einer Spende - den Freiherrntitel vom Herzog von Sachsen-Meiningen-Hildburghausen erkauft. Unter dem am Nordturm der Drachenburg angebrachten Wappen des rheinisch-katholischen Finanzjongleurs, das im Schild und als Helmzier jeweils einen Drachen zeigt, erscheint die Devise Wäge - wage, während unter dem etwas später entstandenen freiherrlichen Wappen der Heyls, dessen Helmzier ein Drache mit dem Petrusschlüssel aus dem Wormser Stadtwappen bildet, die Devise Laboremus steht  - passend zum calvinistischen Arbeitsethos der Familie, die von Rheinschiffern zu schwerreichen Lederfabrikanten aufgestiegen war.

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Schloss Drachenburg, Bonn (wikimedia.commons)


Die Hauptburg der neugotischen Drachenburg bildet eine verwirrende Vielfalt von Türmen, Türmchen, Erkern, steilen Dächern, Giebeln, Gauben, Treppen und Terrassen, deren überbordender plastischer Schmuck - Ornament und Skulpturen - von einem wahren horror vacui zeugt, während die dreiflügelige Vorburg eher maßvoll dekoriert ist. Die ursprünglich veranschlagte Bausumme von 80.000 Mark (über eine Million Euro) wurde um das 15fache übertroffen, wogegen die Kostensteigerungen bei heutigen öffentlichen Bauten - etwa um das Doppelte beim Wormser oder das 5fache bei der Elbphilharmonie, Flughafen Schönefeld und Stuttgart 21 noch ungewiss  - beinahe moderat erscheinen. Da seine Geliebte noch vor Vollendung der Drachenburg starb, verlegte Sarter seinen Wohnsitz nach Paris und nahm die französische Staatsbürgerschaft an. Durch Fehlspekulationen verlor der Baron einen Großteil seines Vermögens, blieb aber bis zu seinem Tode 1902 Eigentümer des Schlosses. Im Dreikaiserjahr 1888 hatte er vergeblich versucht, die Drachenburg als Kaiser-Wilhelm-Burg an den Staat zu verkaufen. Man entschied sich stattdessen für das Kaiser-Wilhelm-Denkmal am Deutschen Eck.
Herzstück der Schlossgemächer bildet das Nibelungenzimmer mit den zehn großen Wandgemälden des Münchner Historienmalers Frank Kirchbach (1859-1912), darunter das bekannte Bild Streit der Königinnen vor dem Münster zu Worms, worauf hier nicht weiter einzugehen ist.
Überlebensgroße Statuen von Peter Fuchs, eben von jenem Kölner Dombildhauer, der sich bereits am Heylsschlösschen in Worms verewigt hatte, beherrschen die Fassade der Hauptburg: Drei Cäsaren - Julius Caesar, Karl der Große und Wilhelm I., hier als Begründer einer - fragwürdigen - Ahnenreihe von den beiden römischen Reichen zum preußisch-deutschen Kaiserreich, bewachen seit 1884 die Südfassade der Hauptburg, während Siegfried, begleitet von den Giebelreliefs der Jungfrau vom Drachenfels und der Loreley (vermutlich gestaltet von Wilhelm Albermann), auf einem Sockel vor der Ostfassade neben dem Eingangsrisalit steht. „Der kraftstrotzende Held erscheint als Mann der Tat, dessen Vollbart allerdings nicht zum jugendlich agilen Drachentöter passt. In Siegerpose reckt er mit dem rechten Arm das Schwert empor, in der linken Hand hält er die Schwertscheide seitlich nach unten. Zu seinen Füßen windet sich der erlegte Drachen, dessen Kopf über das Podest ragt. Der Held trägt eine Ritterrüstung mit Kettenhemd, halblangem Waffenrock und Schwertgürtel, darüber einen faltenreichen Umhang, der von einer Fibel zusammengehalten wird. Das Kettenbeinkleid reicht bis zu den Fußspitzen. Siegfried steht im klassischen Kontrapost, den linken Fuß leicht nach vorn auf die rechte Vordertatze des Drachen gesetzt. An den Füßen trägt der Recke Sporen, an seiner rechten Seite hängt ein Jagdhorn. Lange wallende Locken umgeben den Kopf, von einer Art Diadem gehalten. Ein kräftiger lockiger Bart umspielt das Kinn, der geschwungene Schnauzbart suggeriert aus der Untersicht ein tatsächlich nicht vorhandenes Lächeln.“  (A.Schyma, Die Skulpturen am Außenbau - Kaisertreue, Drachentöter und Heroen der Kunst,  in: Nordrhein-Westfalen-Stiftung (Hrsg.): Schloss Drachenburg. Historistische Burgenromantik am Rhein, Berlin 2010, S. 64ff.) ,Unpassenderweise‘ blickt Siegfried nach Osten, nicht nach Westen auf den Erzfeind Frankreich. Ob auf diese Ausrichtung der frankophile Bauherr Einfluss genommen hat, ist allerdings eher zweifelhaft.

Die Nibelungenhalle in Königswinter
Bleiben wir noch unter dem Drachenfels: 1913, zum 100. Geburtstag von Richard Wagner, wurde in Königswinter die Nibelungenhalle errichtet. Der Maler Hermann Hendrich (1854-1931), der 1907 den völkischen Werdandi-Bund (benannt nach der nordischen Schicksalsgöttin Werdandi) gegründet hatte, stattete den klotzigen Weihetempel  mit Wandbildern zum Ring des Nibelungen aus. Die äußeren Wandpfeiler, die die mächtige Kuppel der Halle abstützen, bekrönte der örtliche Bildhauer Franz Josef Krings mit figürlichen Halbreliefs, den Gesichtern der Götter Wotan und Loki, der Riesen Fasolt und Fafner sowie der Nibelungen-Helden Hagen und Siegfried; die maskenhaften Gesichter wirken hier wie apotropäische Zeichen. In der 1933 im Außenbereich geschaffenen Drachenhöhle führt ein Gang zu einem heute von Efeu umrankten ummauerten Platz, wo ein 13 Meter langer, moosbewachsener Drache aus Beton liegt, ebenfalls ein Werk von Krings.

Die ehemalige Kaiserbrücke in Mainz
Verweilen wir noch kurz am Rhein der späten Kaiserzeit: In Mainz stand bis 1945 an der Stelle der heutigen Nordbrücke eine Kaiserbrücke - eingeweiht am 1. Mai 1904 durch Kaiser Wilhelm II. in Anwesenheit des hessischen Großherzogs Ernst Ludwig und des Reichskanzlers Bernhard von Bülow, der 1909 in einer Reichstagsrede erstmals die verhängnisvolle deutsch-österreichische „Nibelungentreue“ beschwören sollte. An den Schlusssteinen der Brückenbögen auf der nordwestlichen Mainzer Seite, die den Krieg überlebt haben, wird es nibelungisch: In drei Reliefs  erscheinen ein Siegfriedkopf mit gehörntem Helm, der Drache Fafnir und Siegfried der Drachentöter, wobei die letztere Darstellung stilistisch zwischen Neobarock und ornamentalen Flachreliefs der Wikingerzeit changiert. Die im Zweiten Weltkrieg weitgehend zerstörte ursprüngliche Konstruktion der Eisenbahnbrücke mit ihren imposanten Brückentürmen entstand nach Plänen des Berliner Architekten Franz Schwechten, bekannt für seine Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche. Schwechten arbeitete häufig mit dem Berliner Bildhauer Gotthold Riegelmann (1864–1935) zusammen, von dem der aufwändige Reliefdekor der Kaiserbrücke stammt. 

Eine Anekdote am Rande: Bei den Bauarbeiten an der Kaiserbrücke kam es zu einer Messerstecherei unter italienischen Wanderarbeitern; einer der Rädelsführer - so das Polizeiprotokoll - war ein gewisser Benito Mussolini, der seine 1910 geborene Tochter Edda nennen sollte (vgl. B. Grischow, Kasteler Polizeichef inhaftierte Mussolini, in: Allgemeine Zeitung / Lokales, 24.4.2015).Dass der damalige sozialistische Parteiagitator sich bei der im Grunde unpassenden Namensgebung für eine hoffnungsvolle Tochter (altisländisch Edda bedeutet Urgroßmutter) -   noch an die Reliefs der Mainzer Brücke erinnerte, ist unwahrscheinlich. Hermann Göring - das ist hingegen gewiss - nannte seine 1938 geborene Tochter Edda nach der Lieblingstochter des Duce.

Siegfried in Berlin
Epizentrum der Denkmalwut des Wilhelminischen Reiches war selbstredend die Reichshauptstadt - und  Siegfried durfte hier nicht fehlen.

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Bismarck-Nationaldenkmal, Berlin (Foto: Wladyslaw Sojka/www.sojka.photo, wikimedia.commons)


Am Großen Stern im Tiergarten, der in der Mitte von der Siegessäule beherrscht wird, steht heute das 1897-1901 geschaffene Bismarck-Nationaldenkmal, das kurz vor dem Zweiten Weltkrieg im Zuge von Albert Speers Plänen für die Welthauptstadt Germania vom Vorplatz des Reichstagsgebäudes hierhin versetzt wurde. Das Denkmal des Reichskanzlers ist ein typisches Werk der staatlichen Auftragskunst des Kaiserreichs. Mit der Ausführung wurde Reinhold Begas beauftragt, dessen neubarocker, von Wilhelm II. geschätzter Stil, zur Jahrhundertwende längst überholt war. Das Denkmal besteht aus fünf überlebensgroßen Bronzefiguren. Der auch zu Lebzeiten die meisten Zeitgenossen überragende Reichskanzler im Waffenrock - Bismarck hatte ein Gardemaß von 1,90 m, worin er allerdings vom Kanzler der Einheit um 3 Zentimeter übertroffen wird - steht auf einem Granitsockel, um den sich vier allegorische Darstellungen der Reichsgründung gruppieren. Die Allegorien dienen der Heroisierung Bismarcks zu einem Übermenschen, der nicht mehr allein durch sein Standbild verkörpert werden kann, sondern der Erklärung durch weitere Figuren bedarf. Vor dem Sockel kniet auf dem Unterbau vorne Atlas, die Weltkugel auf dem Rücken tragend, „Bismarcks Titanenkraft andeutend“ und ein „Symbol der erdumspannenden Größe Bismarcks“. (Griebens Reiseführer. Berlin und Umgebung, Berlin 1909.) Hinten kniet Siegfried, das (Reichs)-Schwert schmiedend, „mit dem Bismarck des Reiches Feinde bezwungen“. (Hermann Müller-Bohn, Die Denkmäler Berlins in Wort und Bild, Berlin 1905.) - Ins Wohnzimmer  stellte man zu Kaisers Zeiten einen kleinen Bismarck als Reichsschmied in bemalter Terrakotta oder in Bronze. 
Auf der linken Seite des Denkmalunterbaus reitet eine Sibylle, auch als Allegorie der Staatsweisheit gedeutet, auf dem Rücken einer Sphinx, ins Buch der Geschichte schauend, das sie in ihrer linken Hand hält als „Symbol der geistigen Bedeutung Bismarcks“. Auf der rechten Seite des Unterbaus drückt eine weibliche Herrschergestalt mit Zepter und Krone, Germania oder eine Allegorie der Staatsgewalt, den Leoparden der Zwietracht und des Aufruhrs mit dem Fuß nieder, was die „unbezwingliche Kraft“ (Grieben) Bismarcks symbolisieren soll. Der Leopard, der vielleicht auch die vermeintlich subversiven, national unzuverlässigen Katholiken und Sozialdemokraten verkörpert, ist ein Frühwerk des bekannten Tierbildhauers August Gaul.
Nach der Aufstellung des Denkmals bemängelten Kritiker vor allem die begleitenden Figuren und die heute nicht mehr vorhandenen Bronzereliefs - was deren künstlerische Qualität, aber auch das Missverhältnis der Figuren untereinander betrifft. Der eher zurückhaltende Baedeker Berlin und Umgebung von 1921 bezeichnet sie als „weniger verständlich, inhaltlich z. T. unbedeutend und skizzenhaft ausgeführt.“ (vgl. www.berlinstadtservice.de/xinh/Bismarck-Nationaldenkmal.html)

Siegfried im Siegerentwurf
für das geplante Bismarck-Denkmal auf der Elisenhöhe bei Bingerbrück
Die direkte Verwandlung des Reichsschmiedes in „Jung-Siegfried, die Schärfe seines Schwertes Balmung prüfend“ finden wir in dem preisgekrönten Denkmalentwurf des späteren Nazi-Architekten German Johann Bestelmeyer und des Bildhauers Hermann Hahn, der seit 1912 als Professor an der Münchner Akademie eine ganze Generation von Bildhauern, die so genannten „Münchner Archaiker“, schulen sollte. 1911 wurde ein Wettbewerb für ein Bismarckdenkmal auf der Elisenhöhe über Bingerbrück als Pendant zum Niederwalddenkmal ausgeschrieben. Unter dem Motto „Siegfried-Dolmen“ verband der Siegerentwurf germanisch-mythische und prähistorische Assoziationen: Dolmen ist ein Grabtypus der Megalithkultur; seine tischförmige Gestalt setzt sich aus Trag- und Decksteinen zusammen, die ursprünglich von einem Stein- oder Erdhügel bedeckt waren. Die ringförmige, oben offene Pfeileranlage des Bismarck-Denkmals, die nicht zufällig an Stonehenge erinnert, sollte aus Granitstelen mit umlaufenden Decksteinen bestehen. In der Mitte des Steinkreises sollte zwischen vier Linden und einem Wasserbecken ein neun Meter hoher nackter Siegfried im Bärenfell zu stehen kommen. Das Motiv der Schwertprüfung kann als Zeichen von Wachsamkeit und Wehrhaftigkeit - aber auch als unverhohlene Drohgebärde gegen Frankreich verstanden werden.

Gegen den Siegerentwurf setzte sich aber letztlich der Entwurf von Wilhelm Kreis und Hugo Lederer durch, der in einem massiven Kuppelbau die zyklopische Gestalt des thronenden Bismarcks, eine Art Kultbild im Tempel, vorsah. Der Erste Weltkrieg zerschlug das Projekt; auch spätere Entwürfe aus der Weimarer Zeit und dem Dritten Reich kamen nicht zur Ausführung. (vgl. E.Mai (Hrsg.), Das letzte Nationaldenkmal. Bismarck am Rhein. Ein Monument, das nie gebaut wurde, Köln u.a. 2013)

Siegfried-Statuen
von Constantin Dausch, Emil Cauer d. J., Rudolf  Maison und Wilhelm Lehmbruck

In Bremen-Schwachhausen, an der Westseite des Parkhotels am Bürgerpark, steht eine Marmorskulptur von Siegfried als Drachentöter, 1875 aus Marmor gemeißelt von Constantin Dausch (1841-1908). 1890 wurde der Drachentöter aus Anlass der Nordwestdeutschen Gewerbe-und Industrieausstellung als Brunnenfigur auf einem runden Sandsteinsockel hergerichtet; bei dem provisorischen Springbrunnen kam der Wasserstrahl aus dem Drachenmaul. 1892 wurde die Marmorgruppe vor und später neben das Parkhotel umgesetzt. (s. www.kunst-im-oeffentlichen-raum-bremen.de/werke/kior_art/show/siegfried.html)
Auf dem 1905 angelegten Rüdesheimer Platz im Zentrum des Rheingauviertels von Berlin-Wilmersdorf steht seit 1911 eine Brunnenanlage, die in ihrer Mitte von Siegfried - höchst ungewöhnlich als Rosselenker - überragt wird. Flankiert wird der nackte Jüngling von zwei allegorischen Skulpturen: zur Rechten von einer Weinkönigin, oft auch Mosel bezeichnet, zur Linken von einer männlichen Skulptur – dem Vater Rhein. Flussallegorien eignen sich immer für Brunnenanlagen. Mit Siegfried und den beiden Allegorien setzte Emil Cauer d. J. (1867-1948), der aus der bekannten Kreuznacher Bildhauerfamilie stammte, seiner Heimat ein Denkmal. Welcher Künstler oder ,Mythologe‘ zuerst auf die Idee kam, das um 1900 weit verbreitete Denkmalmotiv des nackten Rosselenkers, das wohl auf antike Darstellungen der Dioskuren Castor und Pollux zurückgeht, auf Siegfried zu übertragen, entzieht sich meiner Kenntnis. (Zum Wettbewerb 1911 für die Gestaltung des Rüdesheimer Platzes s. www.ruedi-net.net/historie-rheingau-viertel/der-wettbewerb-r%C3%BCdesheimer-platz/)

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Siegfried von Rudolf Maison, Historisches Museum Regensburg (wikimedia.commons)

Von der Hauptstadt an die gefährdete Westgrenze des Reiches: Der bayerische Bildhauer Rudolf Maison (1854-1904), ein Protegé des Märchenkönigs, entwarf 1896 für Aachen, denkwürdiger Ort deutsch-französischer Geschichte, ein Denkmal für Kaiser Wilhelm den Großen als wachsamer Siegfried, das nicht ausgeführt wurde.  Der auf sein Schwert gestützte germanische Bodybuilder unter dem Flügelhelm hat - entgegen der Version des Nibelungenliedes - in weiser Voraussicht  seine einzige verwundbare Stelle an der Schulter weiträumig mit einem Schild abgeschirmt. Neben Siegfried sollten auf dem Denkmal die Rheintöchter erscheinen, die „dem ersten Kaiser des neuen Reiches die sagenumwobene Krone [überreichen], die so lange tief unten im Rheine verborgen geruht.“ Noch heute  geistert dieser Siegfried als kleiner Bronzeguss (25 cm Höhe) nach Maisons Modell von 1897 durch Internethandel und Auktionshäuser. Je nach Gusto wird dieser polierte Staubfänger fürs Sideboard auch unter dem Titel Arminius der Cheruskerfürst angeboten.

Ganz offensichtlich an Maisons bezopftem Edelgermanen im Lendenschurz orientiert sich die um 1902 entstandene, nicht erhaltene kleine Gipsplastik Siegfried, ein Frühwerk des Meidericher Bergmannssohnes Wilhelm Lehmbruck, der stilistisch damals noch ganz unter dem Einfluss der naturalistischen Bildhauerei seines Düsseldorfer Akademielehrers Karl Janssen, eines charakteristischen Vertreters des Neobarock, stand. (vgl. D. Schubert, Die Kunst Lehmbrucks, 2.Aufl., Worms u. Dresden 1990, S. 106)

Zwei Nibelungenbrunnen in Karlsruhe
Auf dem Richard-Wagner- Platz in der Karlsruher Weststadt wurde 1909 ein Siegfriedbrunnen des Karlsruher Bildhauers Wilhelm Sauer (1865-1929) eingeweiht. Die ursprüngliche Figur, bei der Siegfried mit einem Bärenfell bekleidet auf einem erlegten Drachen stand, wurde 1912 mutwillig zerstört und 1914 durch eine neue Figur, ebenfalls von Wilhelm Sauer, ersetzt: ein nackter Jüngling in klassischem Kontrapost. Links am Postament  befindet sich eine Inschrift:
Dieser Brunnen, errichtet auf ehemaligem Stammgute der Freiherren von Seldeneck, wurde verfertigt von Wilhelm Sauer und der Stadt Karlsruhe geschenkt von Wilhelm Freiherr von Seldeneck, Großherzoglicher Oberschlosshauptmann. 1909. (https://ka.stadtwiki.net/Siegfriedbrunnen)
Ab 1909 war Wilhelm Sauer Lehrer für Modellieren an der Malerinnenschule in Karlsruhe, wo Frauen, denen damals noch der Zugang zu den Kunstakademien verwehrt war, die Möglichkeit hatten, einen künstlerischen Beruf zu erlernen. Von 1903 bis 1915 schuf Sauer auch Entwürfe für die bekannte Karlsruher Majolika-Manufaktur.

1915 wurde im Karlsruher Rosengarten, dem südlichen Teil des Stadtgartens, der Brunnen im Rosengarten aufgestellt - nach einem Entwurf des lokalen Bildhauers Otto Feist (1872-1939), ausgeführt von dem Grabmalsteinmetz Dominik Schoch in Treuchtlinger Marmor. Eine offizielle Einweihung fand wegen der Kriegsereignisse nicht statt. Im Rahmen der Umgestaltung des Rosengartens für die Bundesgartenschau 1965 verschwand dieser Brunnen nicht - wie andere Gartenplastiken - auf einem Bauhof, sondern wurde auf den südlichen Teil des Durlacher Schlossgartens versetzt.

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Nibelungenbrunnen im Schlosspark, Karlsruhe-Durlach (Foto: Günter Josef Radig, wikimedia.commons)


Aus dem inneren runden und außen oktogonalen Brunnenbecken erhebt sich ein Zweischalenbrunnen mit acht Abläufen pro Schale. Zwischen der oberen und der unteren Schale sind sechs in Zweiergruppen einander zugeordnete Figuren - vier weibliche und männliche Figuren in mittelalterlicher Tracht - zu erkennen. Sie erinnern an das Turnier, das im Rosengartenlied (Heldengedicht 2.Hälfte 13. Jh.) beschrieben wird. Dietrich von Bern besiegt Siegfried, der mit seinen Recken Kriemhilds Wormser Rosengarten bewacht. Der Sieger wird mit Küssen der Königin belohnt. Die Inschrift am Schalenrand ist an das Rosengartenlied angelehnt:
AVF. SETZTE. SIE. DEM. BERNER. EIN. ROSENKRÄNZELEIN.
EIN. HALSEN. VND. EIN. KÜSSEN. MVSST. AVCH. BEREIT. IHM. SEIN.
(Signatur) FEIST FEC. 1915
Heute hat sich - nicht ganz korrekt - die Bezeichnung Nibelungenbrunnen für diese Karlsruher Kreation durchgesetzt. (https://ka.stadtwiki.net/Nibelungenbrunnen)

Siegfriedbrunnen im Odenwald

Unter den Siegfriedbrunnen bzw. -quellen im und am Odenwald, Wikipedia nennt acht, fallen nur wenige durch bildhauerische Gestaltung auf.

Am Alten Rathaus zu Jugenheim an der Bergstraße steht ein auf dem ersten Blick unscheinbarer Siegfriedbrunnen. Der Brunnentrog trägt die Inschrift Gewidmet vom Verschönerungsverein aus Anlass seines 50jährigen Bestehens 1913. Über den drei Brunnenröhren erscheint ein kleines, etwa quadratisches, farbig glasiertes Keramikrelief: Siegfrieds Kampf mit dem Drachen, eine  ungewöhnliche Darstellung in der Ikonographie des Drachentöters. Der nackte muskulöse Held ringt in gebeugter Haltung mit dem Drachen, dessen Krokodilmaul er mit beiden Händen aufreißt, während er das abgewinkelte linke Bein bei diesem Kraftakt auf dem Hals des Untiers abstützt. Die heraushängende Zunge des Drachen verweist darauf, dass er bereits in den letzten Zügen liegt. Geschickt hat der Künstler das kleine, in seinem quadratischen Format gestalterisch schwierig zu bewältigende Bildfeld mit den beiden Figuren gefüllt.
Das Relief stammt von Daniel Greiner (1872-1943), der als Sohn eines Schuhmachers und Laienpredigers in Worms aufwuchs. Nach dem Abitur in Worms studierte er in Gießen Theologie und Philosophie (Dissertation Der Begriff der Persönlichkeit bei Immanuel Kant, 1896). Während seiner anschließenden Tätigkeit als Rektor und Hilfsgeistlicher in Schotten geriet Greiner in Konflikt mit der hessischen Kirchenleitung. Seit 1901 studierte er an der Berliner Bildhauerschule und der Pariser Kunstakademie. Eine erste Ausstellung 1903 in der Darmstädter Kunsthalle ebnete ihm den Weg in die Darmstädter Künstlerkolonie. 1906 ließ sich Greiner in Jugenheim an der Bergstraße nieder, wo er eine Werkstätte für Grabmalkunst und den Felsberg-Verlag für seine eigenen Schriften und Graphikeditionen gründete. Greiner betätigte sich als Bildhauer, Medailleur, Grafiker und Schriftsteller. Die sogenannte Greiner-Bibel mit 147 Holzschnitten ist sein bekanntestes Werk. Waren seine Kunstwerke zunächst vom Jugendstil geprägt, wurde er später ein Vertreter des expressiven Realismus. Mit Ehefrau (zeitweilig mit zwei Frauen) und zehn Kindern wohnte Greiner bis zu seinem Tod 1943 in der Drachenmühle am Eingang zum Stettbacher Tal bei Jugenheim. Als ehemaliges SPD- bzw. USPD-Mitglied, dann hessischer Landtagsabgeordneter der KPD (1924-1927) - zu seinen politischen Leistungen zählt die Einrichtung einer Künstlersozialkasse - lebte Greiner seit 1933 in Isolation und materieller Armut, obwohl seine späten Holzschnitte zur Edda bei Nationalsozialisten durchaus Anklang fanden. Trotz seines Kirchenaustritts und einer eigenwilligen Religiosität, die Christentum und Kommunismus zu verbinden suchte, worüber er sich mit der eigenen Partei überwarf, wurde Greiner von der streng protestantischen Industriellenfamilie von Heyl mehrmals durch Auftragswerke unterstützt.
(Zur Biographie von D. Greiner vgl. Geschichtswerkstatt Geschwister Scholl (Hrsg.), Opfer des Nationalsozialismus in Seeheim-Jugenheim. Eine Dokumentation im Auftrag der Gemeinde Seeheim-Jugenheim, Bensheim 2012, S. 713-795)

Der Eiserne Siegfried von Wiesbaden
Am 6. März 1915 stellte man in Wien einen Ritter, den Eisernen Wehrmann, zum Benageln auf. Die Idee geht auf den Stock im Eisen zurück, einen 1533 urkundlich erwähnten Nagelbaum. Seit dem Mittelalter wurden in der Donaumonarchie und in Südosteuropa Nagelbäume aufgestellt - anfangs vielleicht  als Votivgaben gegen Krankheiten, ab dem 18. Jahrhundert als Brauch unter Reisenden und Fahrenden. Ursprünglich wurden wohl lebende Bäume benagelt - und nach dem Absterben stehengelassen. Nach dem Muster dieses im Bewusstsein der Wiener Bevölkerung sehr präsenten Denkmals wurde der Wehrmann im Eisen gestaltet. Das Nageln griff von Wien zunächst auf Darmstadt (23. April) und Heilbronn (7. Mai) über. Bald nagelte man nicht nur im ganzen Deutschen Reich und in der Donaumonarchie, sondern auch in Istanbul, der Hauptstadt des verbündeten Osmanischen Reiches. In Braunschweig hämmerte man mit Nägeln auf Heinrich den Löwen ein, in Offenbach auf Götz von Berlichingen und in Budweis auf die Heilige Barbara - besonders häufig diente - wie in Darmstadt - ein gestalterisch anspruchsloses, großes Eisernes  Kreuz aus Holz zum Benageln. Eisern sollten die Ritterfiguren und Kreuze erst werden, nachdem sie komplett mit Nägeln bestückt waren. Auf diese Weise sammelte man Geld für bedürftige Kriegshinterbliebene.

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„Wiesbadener Honoratioren vor dem "Eisernen Siegfried", 1915“, in: Historische Bilddokumente 


In Wiesbaden verkörperte ab 26. September 1915 der sagenhafte, kaum verwundbare germanische Recke, der Eiserne Siegfried, die Nagelfigur, die man gegenüber dem Kaiser-Friedrich-Denkmal am Bowling Green aufstellte. Die Einweihung vollzog sich unter den Klängen der Ersatzregimentskapelle und mit vaterländischen Liedern der Wiesbadener Sängervereinigung. Beim Ausruf "Jung-Siegfried, zeige Dich!" ließ Oberbürgermeister Karl Glässing, umgeben von zahlreichen Honoratioren, die Hülle des hölzernen Helden fallen. Elisabeth Prinzessin von Schaumburg-Lippe schlug den ersten Nagel ins Holz. "Ist Gott für uns, wer mag wider uns sein", soll sie gerufen haben.
Wiesbadens Jung-Siegfried trägt den vermeintlich germanischen Flügelhelm, einen Brustpanzer, einen bis zu den Knien reichenden Waffenrock und einen weiten, bis auf den Boden fallenden herrschaftlichen Umhang. Die streng achsensymmetrische Figur, ein überdimensionierter Siegfried, trägt einen Brustpanzer und einen bis zu den Knien reichenden Rock. Die 3,80 Meter, mit Sockel 4,20 Meter hohe Figur konnten die Nagelwilligen über eine Treppe erreichen. 30 Zentner wog dieser Jung-Siegfried, den der Bildhauer Carl Wilhelm Bierbrauer (1881- 962) aus Bierstadt bei Wiesbaden entworfen hatte. Die Herstellungskosten von 3000 Mark sollten sich bald lohnen. Für einen eisernen Nagel zahlten die Wiesbadener eine Mark, für einen versilberten fünf bis 20 Mark, für einen vergoldeten 200 bis 300 Mark. Am Ende war der Siegfried mit 60 000 Nägeln beschlagen. Die Spender durften sich in ein Eisernes Buch  eintragen und erhielten eine Urkunde. Darin hieß es: "Wie Siegfried stark / treu bis ins Mark / in blanker Wehr / kämpft Deutschlands Heer / um Sieg und Frieden."
Seit seiner Positionierung am Rande des Bowling Green hat der Eiserne Siegfried eine nun fast ein Jahrhundert dauernde Odyssee hinter sich. Noch Oberbürgermeister Karl Glässing ließ ihn in die Eingangshalle des Rathauses bringen, später lagerte er nacheinander in einem Museumskeller, im Wasserturm, in einer stillgelegten Gasreglerstation. (vgl. M. Gerber, Nägel für den „Eisernen Siegfried“. Vor 100 Jahren sammelte Wiesbaden für Kriegshinterbliebene, in: Wiesbadener Kurier, 24.9.2015; www.monumentum.net)

Der Rüdiger-Brunnen von (Neu)Gablonz
Wie die bisherigen Beispiele zeigen, wurden Einzeldenkmäler zum Nibelungenlied fast ausschließlich Siegfried gewidmet. Die Nibelungenstadt Worms bildet insofern mit der verschwundenen Kriemhild vom Heylsschlösschen und dem Hagendenkmal eine Ausnahme. Soweit ich sehe, wurde bis zum Ersten Weltkrieg nur in einem weiteren Fall einer Gestalt des Nibelungenliedes ein Einzeldenkmal gewidmet.

Zwischen 1931 und 1945 bildete ein Rüdiger-Brunnen das Wahrzeichen der Stadt Gablonz an der Neiße (heute: Jablonec nad Nisou), der 1970 unter Verwendung der originalen Rüdiger-Skulptur und der originalen Reliefs im Kaufbeurer Stadtteil Neugablonz rekonstruiert wurde. Skulptur und Reliefs waren 1904 von dem aus Böhmen stammenden Berliner Bildhauer Franz Metzner (1870-1919) geschaffen worden. In dem Brunnenbecken steht die überlebensgroße Bronzeplastik des Rüdiger von Bechelaren auf einem Granit-Sockel, der mit sechs Relieftafeln ummantelt ist, auf denen männliche Torsi abgebildet sind. Rüdiger scheint im Gebet vertieft, das Schwert auf seinen Armen ruhend, im Moment vor der Entscheidung, ob er den Hunnen oder den Burgunden die Treue halten soll. - Den symmetrischen Aufbau der Monumentalfigur wiederholte Metzner in den Totenwächtern, die er für die Krypta des 1913 eingeweihten Völkerschlachtdenkmals in Leipzig schuf.
Metzner hatte den Auftrag zu einem Nibelungen-Brunnen, der seinen Platz an der Wiener Ringstraße vor der Votivkirche erhalten sollte, 1904 von der Stadt Wien erhalten. Als sich das Vorhaben noch in der Vorbereitungsphase zerschlug, erwarb die Gesellschaft zur Förderung deutscher Kunst und Wissenschaft in Prag die einzige bereits fertiggestellte Teilfigur des Brunnens, Rüdiger von Bechelaren. 1924 (fünf Jahre nach Metzners Tod) kaufte die Stadt Gablonz den Markgrafen. Ende der 1920er-Jahre fand der Rüdiger bei der Bauplanung für die gerade entstehende Herz-Jesu-Kirche Berücksichtigung: Auf der Bastei vor der Kirche wurde ein neuer Aufstellungsort gefunden. Die Gablonzer Stadtverwaltung ließ zur Ergänzung die Reliefplatten nach Metzners ursprünglichen Entwürfen anfertigen. Der Brunnen mit Skulptur und Reliefs wurde 1931 eingeweiht. Nach Ende des Zweiten Weltkriegs wurde die Rüdiger-Skulptur entfernt und durch ein Kriegsdenkmal sowjetischer Prägung ersetzt. Die heimatvertriebenen Gablonzer hatten sich mehrheitlich im Kaufbeurer Stadtteil Neugablonz angesiedelt. Seit 1954 gab es wiederholt Versuche, das alte Gablonzer Wahrzeichen für die neue Heimat zu erwerben, doch erst im Zuge des Prager Frühlings ergab sich die Möglichkeit:
Die Museumsverwaltung der Tschechoslowakei bot im Rahmen einer Maßnahme zur Devisenbeschaffung über einen Münchner Kunsthändler den Erwerb für 10.000 US-Dollar an. Die Aufstellung der Rüdiger-Skulptur auf dem Brunnensockel erfolgte am 30. August 1970 in der Parkanlage vor der Herz-Jesu-Kirche in Neugablonz.
Vorausgegangen war eine hauptsächlich über die Presse geführte Debatte, in der versucht wurde, die Wiedererrichtung zu verhindern: Der Rüdiger sei ein „Revanchistendenkmal“ und stehe für Rache und Vergeltung seitens der Vertriebenen. Bei allem Vorbehalt gegen Vertriebenenverbände: Der Vasall des Hunnenkönigs eignet sich nicht zur Deutschtümelei. Im bayerischen Kaufbeuren, nicht weit entfernt von der Donau, dem Weg des Nibelungenzuges an Etzels Hof, ist der Margraf aus der österreichischen Donaugemeinde Pöchlarn geographisch besser aufgehoben als an der Neiße.
(www.kreisbote.de/lokales/kaufbeuren/wahrzeichen-wird-gefeiert-2569951.html;
http://dittert-online.de/neugablonz/ruediger2.htm)