Die
historischen Nibelungen

Eine Serie der Wormser Zeitung
von Dr. Jürgen Breuer

7.
Die Eheprojekte der Nibelungen:
Die Normannin Brünhild

.....


Bligger von Steinach, Codex Manesse, um 1330 ...



Die Eheprojekte der Nibelungen nehmen einen umfassenden Teil der Gesamterzählung des Liedes ein; sie reizen in ihrer ehrgeizigen Zielsetzung den Leser dazu, Vergleiche mit der Ehepolitik der wichtigen Dynastien des Mittelalters zu ziehen. Im Epos wie in der politischen Welt des Dichters geht es um die Rolle der frouwen, der Herrinnen, die nach erfolgreicher Werbung die eigene Königsfamilie verlassen und zu ihrem Gatten in das für sie fremde Reich ziehen. Siegfrieds und Etzels Reich sind mit den Niederlanden und Ungarn auch auf der politischen Karte als Nachbarländer des Reiches leicht zu identifizieren, bestätigt durch die Nennung der Stadt Xanten einerseits und Kriemhilds Reiseweg, die Donau entlang, andererseits.

Anders sieht es mit dem Reich Brünhilds aus, das als Island bezeichnet ist. Politisch und historisch ist Island um 1200 bedeutungslos, die Insel ist halbwegs durch die Darstellung Adams von Bremen und durch einige Missionierungsversuche bekannt, gar nicht vorstellbar erscheinen der im Lied beschriebene Reichtum, der Glanz der Paläste, die edle Brokat- und Seidenkleidung ihrer Bewohner, die von einer stolzen Königin beherrscht werden. Die kämpferische Brünhild, die Gunther bezwingen möchte, tritt in der 7. Aventiure hingegen nicht nur als das wohl gerüstete Machtweib auf, sondern der Dichter nimmt trotz des anstehenden Wettbewerbs sich die Zeit, ihre modische Gewandung zu erwähnen:

"Vernemt noch von ir waete; der hete si genuoch.

Von Azagouch der siden einen waffenroch si truoch,

viel edel un vil riche; ab des varwe schein

von der kunniginne vil manec herlicher stein." (NL C 448)

Das, was der Kunstverstand Kriemhildes in Worms erst aus dem Stoff zu schaffen vermochte, ist bei Brünhilde im Überfluss vorhanden: Die arabische Seide als Stoffmaterial, mit Edelsteinen besetzt. Dass die frouwen, die Herrinnen, als Protagonistinnen des Nibelungenliedes, ihre Männer bzw. sich selbst mit der Gold- und Brokatkunst des sizilianischen Königreiches und seiner Werkstätten ausstatten, hebt diese Insel " die im Focus der Zeitgeschichte um 1200 gestanden hat " als Platz der Auseinandersetzungen " neben Worms - zwischen den beiden Königinnen Kriemhild und Brünhild heraus. Mit anderen Worten: Ist mit Island im Nibelungenlied Sizilien gemeint, das nach dem Tode Königs Wilhelm II. aus dem Hause Hauteville (1189) durch die Gattin Heinrichs VI., Konstanze, ebenfalls eine Normannin, regiert wurde?

Die Ähnlichkeiten zwischen der historischen Gestalt der Königin von Sizilien, Konstanze, und der epischen Figur der Brünhild sind frappierend: Konstanze war 11 Jahre älter als ihr Gatte, als beide 1184 in Troja (Italien) vor den sizilianischen Baronen verlobt wurden. Sie hat das Königreich Sizilien weitgehend selbständig regiert und die Geburt des Thronfolgers, des späteren Kaisers Friedrich II., fand erst 1194 statt, böse Zungen behaupteten schon zu dieser Zeit, das Kind sei ihr untergeschoben worden. Ihr Verhältnis zu ihrem Ehemann und zu den Deutschen war immer äußerst kritisch, selbst an den Aufständen gegen Heinrich VI. und an seinem Tod soll sie nach der Ansicht einiger Chronisten mitgewirkt haben; diese Haltung ist vielleicht von daher verständlich, dass ihr Gatte Heinrich 1195 den normannischen Kronschatz in die Wormser Region, auf die Reichsfeste Trifels, verbringen ließ. Jedenfalls stellt sich Konstanze von Sizilien in der Tat als jene emanzipierte Königin dar, die den mit Heinrich gezeugten Sohn zunächst Konstantin nennen ließ. In ihrer Haltung als Königin ist diese Frauengestalt durchaus vergleichbar mit jener streitbaren merowingischen Burgunderkönigin Brunhild, die 613 auf grausame Weise hingerichtet wurde.

Gunthers erfolgreiche Brautwerbung als Abbild der konkreten Politik des Wormser Hofes lässt sich nur verstehen, wenn die Mitwirkung Siegfrieds erklärt werden kann. In der Siegfried-Funktion scheint die historische Rolle von Richard Löwenherz, des englischen Königs, plausibel, denn dieser kannte Sizilien durch seinen Aufenthalt 1191 zu Beginn seiner Kreuzfahrt früher und genauer als Heinrich VI., hatte sich dort mit der "Zwergengestalt" Tancret von Lecce ( = Alberich, Petrus di Ebulo stellt Tancret in seiner Bilderhandschrift von 1195 so dar) erfolgreich geschlagen und war zudem zeitweise mit der Schwester Heinrichs VI. verlobt. Über seine Kreuzfahrt und seine Gefangenschaft im Wormser Raum wurde er schließlich zum Vasallen des Burgundenkönigs Heinrich VI.

Der Kampf um Brünhild, um die starke Königin des Nordens, die mit Hilfe Siegfrieds für den Wormser Hof gewonnen wird, sich aber sträubt, ist für den Zuhörer oder Leser um 1200 hoch aktuell, die Skandale und Bettgeschichten des englischen Königshauses sind es bis heute geblieben.


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Kontakt zum Autor: DrJBreuer@t-online.de

Veröffentlichungen:

Dieter Breuer und Jürgen Breuer: Mit spaeher rede: Politische Geschichte im Nibelungenlied.
München (Fink-Verlag)1995. 2.Aufl. 1996

Hans-Jürgen Breuer: Die politische Orientierung von Ministerialität und Niederadel des Wormser Raumes im Mittelalter
(Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 111)
Darmstadt und Marburg 1997.

Dieter Breuer und Jürgen Breuer: Das Nibelungenlied, die Reichsgeschichte und der Hof Kaiser Heinrichs VI. in Worms.
In: Nibelungenlied und Klage, Ursprung - Funktion - Bedeutung
Symposium Kloster Andechs 1995, München 1998, S. 245 - 263.

Jürgen Breuer: Bligger II. von Steinach, der Dichter des Nibelungenliedes.
Horb a. Neckar 1999.

Jürgen Breuer: Das historische Umfeld des Nibelungenlieds in Worms.
In: Ein Lied von gestern? Wormser Symposium zur Rezeptionsgeschichte des Nibelungenliedes
Worms 1999, S. 15 - 36.

Jürgen Breuer: Die Burgunden und ihr Wormser Hof im Nibelungenlied.
In: Die Nibelungen in Burgund, Symposium 2000
Worms 2001, S. 25 - 49.