Die
historischen Nibelungen

Eine Serie der Wormser Zeitung
von Dr. Jürgen Breuer

3.
Der Schatz der Nibelungen


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Bligger von Steinach, Codex Manesse, um 1330 ...



Eine Wormser Bischofsurkunde aus dem Jahr 1140 wird vom Kustos des Wormser Domstiftes Nibelung mit unterzeichnet; als Amtstitel nennt der Schreiber für Nibelung hier die Funktion des Thesaurarius, des Schatzmeisters; Nibelung wird in derselben Urkunde als Archidiakon der Kirche St. Paul bezeichnet. Die Aufgaben eines Archidiakons lagen damals in der geistlichen Gerichtsbarkeit und in der Leitung der kirchlichen Verwaltung; im Zusammenhang mit dem Nibelungenlied lässt aber die Bezeichnung "Thesaurarius" - Schatzmeister aufhorchen. Nibelung war somit Herr der quadratischen, zweigeschossigen Schatzkammer des Wormser Doms, die noch im 11. Jahrhundert neben dem Chor zwischen dem nördlichen Querschiff und dem Nordostturm in den Baukörper des Doms eingefügt worden war. In der 19. Aventiure des Nibelungenliedes wird geschildert, wohin der Schatz in Worms geschafft wurde: "kamern und turne sin wurden vol getragn" – mit dem Schatz wurden die Schatzkammern und Türme gefüllt, eine Beschreibung, die präzise mit der Lage der Domschatzkammer übereinstimmt.

Die Aufgaben des Schatzmeisters, allerdings des englischen Königs, beschreibt sehr ausführlich Richard von Ely - selbst Inhaber dieses verantwortungsvollen Amtes -, ein Zeitgenosse unseres Thesaurarius Nibelung und des Dichters des Nibelungenliedes (Richard lebte von 1130 bis 1198). Der Schatzmeister trägt die Verantwortung bei Fragen der Auszahlung, er hat die Aufsicht über das Schatzhaus und über einen eventuellen Schatztransport und die Abrechnung von Pacht und Schulden. Ein solcher Schatztransport war 1193 das Großereignis in der Reichsgeschichte, denn der englische König Richard Löwenherz hatte als Staatsgefangener des Kaisers Heinrich VI. für seine Freilassung die unvorstellbare Summe von 150.000 Mark reinen Silbers zu zahlen. Dieser Vertrag wurde nach dem Bericht des Chronisten Roger von Hoveden am 29.6.1193 in Worms geschlossen, am 4.2. 1194 konnte König Richard seine Gefangenschaft von über einem Jahr, die er zumeist auf der Reichsburg Trifels verbrachte, beenden, allerdings erst, nachdem er dem Kaiser Heinrich den Lehnseid für das Königreich England geleistet hatte. Der Silberschatz wurde über die See zum Niederrhein verschifft und dann unter Heinrichs eigener Aufsicht weiter rheinaufwärts. Auf diesen Transport spielt der Dichter wohl an, wenn er berichtet: "den schazze man truge dan nider zu den unden an diu schiffelin, den furt man uf dem sewe uf ze berge unz in den Rin." -den Schatz trug man zu den Schiffen und transportierte ihn über das Meer bis in den Rhein, dann stromaufwärts. Auch die neue Lehensabhängigkeit Richards scheint in der Zusatzstrophe der Handschrift C angesprochen, die davon berichtet, dass die Recken des Landes und die Burgen den Wormser Königen zum Dienst verpflichtet wurden (C1138).

Mit den Silberbarren des Richard Löwenherz konnte Heinrich VI. seinen wichtigsten Feldzug, den nach Sizilien, ins Königreich seiner Gattin Konstanze finanzieren. Konstanzes normannische Vorfahren hatten in Sizilien die heidnischen Araber vertrieben und ein mächtiges Königreich mit der Hauptstadt Palermo begründet, das Heinrich nunmehr mit Konstanze übernahm. Mit diesem Normannenreich fiel ihm gleichzeitig der gewaltige Normannenschatz zu, den er – wohl nicht im Einverständnis mit seiner Gattin – von Sizilien in den Wormser Raum, ebenfalls in die Reichsburg Trifels bringen ließ. Das bekannteste Stück des normannischen Schatzes ist der Krönungsmantel von Konstanzes Vater Roger II., der in Palermo im Jahr 1134 mit Gold, Steinen und Seidenstoffen gefertigt und von den Staufern den Insignien des Reiches zugeordnet wurde. Der normannische Kronschatz soll von Sizilien aus auf 150 Saumtieren zum Trifels transportiert worden sein.

Der Dichter des Nibelungenliedes würdigt nicht nur den Schatzmeister Nibelung, sondern auch den Schatz selbst, wenn er ihn und den Transport in der genannten 19. Aventiure beschreibt: 12 Kanzwägen, die Lastwagen des Mittelalter, hätten an 4 Tagen pro Tag 3 mal den Transport von Steinen und von Gold durchgeführt und unter dem Schatz liege das goldene Rütelin, mit dem man der Herr der Welt werde. Als Siegfried in der 3. Aventiure den Nibelungenschatz erwarb, waren es noch 100 Kanzwägen, die ihn tragen konnten. Die Zahlensymbolik in der 19. Aventiure und die Erwähnung des goldenen Rütelin spielen wohl auf die Reichskrone und das Szepter als Herrschaftszeichen der Könige an, denn 3 Reihen à 4 Edelsteine, insgesamt 12, entsprechen genau der Gestaltung der Stirnplatte der Reichskrone, die das himmlische Jerusalem der Johannes-Offenbarung abbilden soll. Als Reichsinsignien liegen diese Nibelungenschätze – Krone, Szepter, Mantel – heute noch in der Wiener Schatzkammer; zur Zeit des Dichters befanden sie sich auf dem Trifels.

Die Schatzkammer des Wormser Nibelungenmuseums zeigt nur einen Ring, Richard Wagners Ring des Nibelungen aus dem 19. Jahrhundert, nicht den Schatz der Nibelungen des 12. Jahrhunderts. Schade!



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Veröffentlichungen:

Dieter Breuer und Jürgen Breuer: Mit spaeher rede: Politische Geschichte im Nibelungenlied.
München (Fink-Verlag)1995. 2.Aufl. 1996

Hans-Jürgen Breuer: Die politische Orientierung von Ministerialität und Niederadel des Wormser Raumes im Mittelalter
(Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 111)
Darmstadt und Marburg 1997.

Dieter Breuer und Jürgen Breuer: Das Nibelungenlied, die Reichsgeschichte und der Hof Kaiser Heinrichs VI. in Worms.
In: Nibelungenlied und Klage, Ursprung - Funktion - Bedeutung
Symposium Kloster Andechs 1995, München 1998, S. 245 - 263.

Jürgen Breuer: Bligger II. von Steinach, der Dichter des Nibelungenliedes.
Horb a. Neckar 1999.

Jürgen Breuer: Das historische Umfeld des Nibelungenlieds in Worms.
In: Ein Lied von gestern? Wormser Symposium zur Rezeptionsgeschichte des Nibelungenliedes
Worms 1999, S. 15 - 36.

Jürgen Breuer: Die Burgunden und ihr Wormser Hof im Nibelungenlied.
In: Die Nibelungen in Burgund, Symposium 2000
Worms 2001, S. 25 - 49.