DIE NIBELUNGEN
IN BURGUND


Zweites wissenschaftliches Symposion
der Nibelungenlied-Gesellschaft
und des Stadtarchivs Worms

vom 29. September bis 1. Oktober 2000





Ausgesprochen europäisch,
das zweite Nibelungenlied-Symposion:

Die engen Beziehungen zu Burgund. Das Tympanon der zerstörten Kirche St. Bénigne in Djion und das Daniel-Motiv aus dem Wormser Dom, vereint auf dem Flyer zum 2. Nibelungenlied- Symposion, machten deutlich, worum es den Veranstaltern ging: War das Epos vom Nationalismus Ende des letzten Jahrhunderts als typisch deutsches Heldenlied okkupiert und missbraucht worden, so sollte diese Tagung erweisen, dass es gerade im Gegenteil ein ausgesprochen europäisches Produkt ist, gewachsen in staufischer Zeit auf dem Boden des alten fränkischen Reichs. Blick über Grenzen Dass hier noch ein weites Feld zu beackern ist, zeigte Volker Gallé, Vorsitzender der veranstaltenden Nibelungenliedgesellschaft, und spannte den Bogen zum vielfältigen Programm des Tages. Dr. Jürgen Breuer schlüsselte das Werk über die "Vorstellungswelt des Dichters" auf und beschrieb, welche Strukturen und Gegebenheiten dieser vorgefunden habe und welche Quellen ihm zur Verfügung standen. Auch wenn sich der Dichter alter Mären bedient habe, so Breuer, so habe er die Reichsthematik verschlüsselt aufgegriffen und kommentiert. Schuld, nicht Sühne Seinen Ansatz bestätigte auch Dr. Birgit Boge aus Aachen, die über den Forschungsstand der französischen Germanistik in den 30er Jahren berichtete. Dr. Ellen Bender aus Worms verglich in einem sehr dichten Vortrag Herkunft, Übermittlungswege und Sinnstrukturen des Nibelungenlieds mit der Artusepik, die im gesamten westeuropäischen Raum verbreitet war. Während in den Artusliedern vor allem die Läuterung des ritterlichen Helden durch Bewährung thematisiert wird, geht das Nibelungenlied weit über den individuellen Ansatz hinaus. Nicht die Sühne stehe am Ende, sondern der Untergang als Folge der Schuld, die die Protagonisten auf sich geladen hätten. Dr. Richard Kreidler aus Köln zeigte anhand von Dias, welchen Einfluss die Musik Richard Wagners auf die französische Malerei des 19. Jahrhunderts genommen hatte. Einen ganz anderen, grenzüberschreitenden Aspekt wies Wolfgang Freund aus Paris auf. Er berichtete nicht nur, welche Blüten der Nationalismus vor der Haustür getrieben hatte, im pfälzischen Donnersberggebiet, wo die Arbeitsgemeinschaft "Nibelungenland" unter Vorsitz von Friedrich M. Illert nach "germanischem Ahnenerbe" forschte, sondern legte anhand zahlreicher Beispiele die erschreckenden Expansionspläne der Nazis im Burgund dar. Enge Beziehungen. Wie eng verflochten die historischen Wurzeln waren, zeigte nach einem umfassenden Programm ein abschließender Dia-Vortrag über die kulturellen Beziehungen zwischen Worms und Burgund sowie eine Ausstellung über glückliche Ehepaare: selbstverständlich handelte es sich um grenzüberschreitende Verbindungen.

Wormser Zeitung, 2. Oktober 2000, von Ulrike Schäfer



Fruchtbarer Boden der Kulturgeschichte Burgund
als Schwerpunktthema des zweiten Nibelungenlied-Symposions in Worms.

Unter dem programmatischen Titel "Die Nibelungen in Burgund" trat das zweite Nibelungenlied-Symposion in Worms mit dem Anspruch an, die westeuropäischen Aspekte der Nibelungenliedforschung in den Blick zu nehmen. Denn, wie der Vorsitzende der veranstaltenden Nibelungenlied-Gesellschaft, Volker Gallé, in seiner Einführung betonte: nach den gegenläufigen Entwicklungen seit Beginn der Nationalstaatlichkeit Ende des 19. Jahrhunderts könne man heute das Epos "eingebettet in die gesamteuropäische Tradition" betrachten. Vielleicht könne dies der Anfang einer grenzüberschreitenden Forschung und Grundlage für eine große Burgunderausstellung sein, die auch die Franzosen "back to the roots" bringe. Denn die westlichen Nachbarn haben, wie in Dr. Birgit Boges Referat über den Stand der Nibelungenliedforschung in Frankreich zu hören war, nach 1945 ihre rege Beschäftigung mit dem Nibelungenlied völlig eingestellt. Das nimmt nicht wunder, wenn man sich die Expansionpolitik der Nazis vor Augen führt. Der Historiker Wolfgang Freund aus Paris konnte in seinem Vortrag "NS-Volksforschung im Nibelungenland" detaillierte Pläne für die Einverleibung des alten Burgund ins deutsche Nazi-Reich präsentieren. Unter anderem hatte man die feste Absicht, die dortige Bevölkerung zu vertreiben und Südtiroler anzusiedeln. Die Wissenschaft lieferte dazu, wie Freund anhand vieler Beispiele zeigte, auf allen Ebenen Argumente. Das Burgund, auf welches die Nazis spekulierten, war jenes europäische Zwischenland, so Volker Gallé, das aufgrund seiner besonderen historischen Bedingungen zwischen Ost und West eine "nachhaltige Kulturkompetenz" entwickelt hatte. Auf diesem "fruchtbaren Boden" entstand nicht nur das Nibelungenlied, sondern auch die Artusepik, die an den Adelshöfen jener Zeit gefördert und verbreitet wurde. Die Germanistin Dr. Ellen Bender entwickelte in ihrem vergleichenden Vortrag eine Fülle von Denkansätzen bezüglich der Motivik, des Mäzenatentums und der Sinnstruktur beider Formen, die Gemeinsamkeiten, aber auch Unterschiede deutlich machten. Diese betreffen vor allem den geradezu apokalyptischen Untergang des Nibelungenreichs. Dass der Dichter damit das Stauferreich meinte, beschrieb der Wormser Historiker Dr. Jürgen Breuer bis hin zum bisher noch nicht gehörten Vergleich des Paares Gunther und Brunhilde mit Heinrich VI. und Konstanze von Sizilien. Wichtiges Indiz für seine These ist die Bezugnahme des Dichters auf das historische Geschlecht der Nibelungen, das Anfang der 30er Jahre von Levillain in Frankreich erforscht wurde, wie Dr. Boge in ihrem sehr detaillierten Bericht darlegte. Eine weitere grenzüberschreitende Beschäftigung mit dem Stoff, wenn auch nicht mit dem Epos, konnte schließlich der Kölner Kunsthistoriker Dr. Richard Kreidler zu der Tagung in Worms beisteuern. Er zeigte, wie die Pariser Kunstszene, nach anfänglicher Verspottung der deutschen Germanentümelei, inspiriert durch die Musik Richard Wagners, das Thema neu aufgriff und in romantischen Gemälden von großer Leuchtkraft (J.T. Fantin-Latour und Odilon Redon) ausbreitete.

Feuilleton, 2. 10.2000, von Ulrike Schäfer