grundlagen
liedzeit
Der deutsche Lawrence

Quellen zu
„GLUT. Siegfried von Arabien“
einem Stück von Albert Ostermaier
Nibelungen-Festspiele 2017


von Dr. Regina Urbach

Führer des deutschen Sprengkommandos, 1915..
Preußen-Museum NRW in Wesel..

Schon die Geschichte der Wiederentdeckung der Mission Klein klingt wie ein Märchen. Der Historiker und Direktor des Preußen-Museums Wesel, Veit Veltzke, wurde eines Tages von einem 95-jährigen Herrn mit einem großen Pappkarton angesprochen, dem Sohn jenes Hauptmanns Fritz Klein. In dem Karton befanden sich rund 500 Fotografien und mehrere verschnürte Packen Papier mit Aufzeichnungen, Briefen und Reisebeschreibungen. Bereits nach kurzer Durchsicht hatte Veltzke das Gefühl, „dass da ein Schatz zu heben ist“.  Die Ausbeute dieses Schatzes veröffentlichte Veltzke in mehreren Publikationen um das Weltkriegs-Gedenkjahr 2014. Am ausführlichsten liest sie sich im Buch “Unter Wüstensöhnen. Die deutsche Expedition Klein im Ersten Weltkrieg“, auf das sich die folgende Schilderung stützt.

Kaiserliche Orientpolitik

Die militärische Zusammenarbeit des Kaiserreichs mit dem Osmanischen Reich bestand 1914 bereits seit Jahrzehnten: in Form von Ausbildung für osmanische Militärs, Einsatz deutscher Offiziere und Ausstattung der Osmanen mit Waffen und Munition. Im Zuge der Orientreise Kaiser Wilhelms II. 1898 erteilte Sultan Abdülhamid einem Konsortium unter Führung der Deutschen Bank schließlich grünes Licht für den Bau der Bagdadbahn, die Istanbul mit Anatolien und Mesopotamien verbinden sollte. 1903 wurde mit ihrem Bau begonnen, 1914 klafften noch immer große Lücken auf ihren Strecken – fertiggestellt wurde sie erst 1940. 1914 fuhr sie bis Garabulus am Euphrat (heutige syrisch-türkische Grenze), noch nicht durchgehend bis Bagdad und erst recht nicht bis Basra am Persischen Golf (nicht in Persien!). Die Finanzierung galt zuvor in englischen wie auch deutschen Finanzkreisen als zu unsicher. Daher hoffte man in deutschen Wirtschaftskreisen auf belebende Impulse durch die Erschließung neuer Märkte.
Seit dem Krimkrieg 1853-56 bemühte sich besonders das deutsche Kaiserreich, mitunter aber auch Frankreich und England, um den Erhalt des Osmanischen Reiches als Puffer gegen ein russisches Vordringen zum Bosporus. Das hielt keinen der Player in diesem Großen Spiel davon ab, sich ein Stück vom immer schwächeren „Kranken Mann am Bosporus“ zu sichern, sobald sich die Gelegenheit dazu bot. Russland förderte Serben, Bulgaren und Griechen in ihren Unabhängigkeitskämpfen. Österreich annektierte 1908 Bosnien/Herzegovina, Italien 1911 Tripolitanien und den Dodekanes, Serbien und Bulgarien eroberten 1912/13 fast die gesamte europäische Türkei. Die oberflächliche diplomatische Entspannung 1911-14 in Westeuropa übertönte nur schwach ein ständig lavierendes, allseitiges Säbelrasseln. England, Frankreich und Russland, seit 1907 in der Triple Entente verbündet, waren sich über ihre Interessen auf osmanischem Gebiet einig: russischer Einfluss im Nordiran, englischer im Südirak und Südiran, in Ägypten und Palästina und französischer in Syrien und Libanon.
Am 2. August 1914 schloss das deutsche Kaiserreich ein Geheimabkommen mit dem Osmanischen Reich. Demnach würden die Osmanen für den Fall von Feindseligkeiten mit Russland an der Seite Deutschlands in den Krieg eintreten. Man wünschte sich von den Osmanen „Aktionen“ im Kaukasus und in Ägypten – die übrigens allesamt scheiterten. Doch zunächst erklärte das Osmanische Reich nur eine „bewaffnete Neutralität“. Erst am 29. Oktober griffen deutsche Schiffe unter osmanischem Befehl russische Schwarzmeerhäfen an. Alle Ententemächte erklärten den Osmanen den Krieg. Sultan Mehmed V. rief am 13. November alle Muslime zum gihad auf.

Der gihad der Deutschen

Die Idee, mit Hilfe eines gesamtmuslimischen heiligen Krieges die britische Kolonialmacht im Herzen zu treffen, geisterte schon einige Zeit in deutschen Köpfen herum. Besonders stark dafür machte sich aus einer jüdischen Bankiersfamilie stammende Orientalist Max von Oppenheim, der ab Frühjahr 1915 ein Nachrichtenbüro in Istanbul führte und dort eine Zeitschrift namens „gihad“ herausgab. Auch der deutsche Oberkommandierende der osmanischen Armee in Mesopotamien, Freiherr Colmar von der Goltz, hegte eine Schwäche für den gihad, allerdings eher im Rahmen einer düsteren Vorahnung von der Erhebung aller kolonialisierten Völker im Laufe des 20. Jahrhunderts. Kurz vor Kriegsausbruch soll sich Wilhelm II. in einer Notiz über England in folgenden Worten echauffiert haben:
[wir müssen…]„die ganze mohammedan. Welt gegen dieses verhasste, verlogene, gewissenlose Krämervolk zum wilden Aufstand entflammen (…) denn wenn wir verbluten sollen, dann soll England wenigstens Indien verlieren.“
In seinem kämpferischsten Sinn richtet sich ein gihad, der schon im Koran mehrfach vorkommt, gegen die Beherrschung der Länder des Islam durch Nichtmuslime. Neu beflügelt durch die Kreuzfahrer mit ihrer Idee eines Heiligen Krieges, wurde der gihad von muslimischen Herrschern immer wieder zur kämpferischen Motivation der Bevölkerung eingesetzt, zuletzt 1911 von den Osmanen in Tripolitanien zum Guerillakampf gegen die italienischen Besatzer. Warum begriffen sich die Deutschen nicht als Ziele eines gihad? Dazu trug sicherlich bei, dass man sich im Kaiserreich nicht vorbehaltlos als Teil des „Westens“ sehen mochte. Der „westliche“ Weg des ungebremsten Kapitalismus und der kolonialen Ausbeutung galt als den Engländern eigentümlich. Am (idealistischen, uneigennützigen) deutschen Wesen hingegen sollte bekanntlich die Welt genesen. Dieses Selbstverständnis existierte direkt neben einem unverblümten Neid auf das englische Kolonialreich.
Um der deutschen gihad-Euphorie im historischen Kontext gerecht zu werden, sollte auch folgendes im Blick bleiben. Seit dem 19. Jahrhundert hatten sich die Entente-Mächte zu Schutzmächten religiöser Minderheiten im Osmanischen Reich erklärt und leiteten daraus für sich Eingriffsrechte ab: Russland für orthodoxe Christen und Armenier, Frankreich für Maroniten und Katholiken und England für Protestanten, Drusen und für die Juden (Balfour Declaration 1916). So gesehen, hat es aus zeitgenössischer deutscher Sicht fast etwas Folgerichtiges, wenn man, um das Osmanische Reich zu schützen, eine Schutzrolle für dessen muslimische Bevölkerungsmehrheit anstrebte. Kaiser Wilhelm proklamierte sich persönlich auf mehreren Orientreisen zum Beschützer aller Muslime und richtete für muslimische Kriegsgefangene eine erste Moschee in Berlin ein. Das fand Resonanz und gälte bezeichnenderweise für einen heutigen westlichen Politiker gerade nicht als Zeichen einer imperialistischen Gesinnung. Hier stößt die von Ostermaier beanspruchte Aktualität der Mission Klein bereits an ihre Grenzen.
Übrigens schwankte Scherif Husain von Mekka vor dem endgültigen Losbruch des arabischen Aufstands gegen die Osmanen im Oktober 1916 noch kräftig zwischen Briten und Deutschen hin und her und nahm über einen seiner Söhne auch mit der Mission Klein im Irak Kontakt auf. Zeitweise soll er auf Drängen der Briten dann wieder über die Ausrufung eines arabischen gihads gegen ungläubige Deutsche und säkulare Jungtürken (seit 1909 in Istanbul an der Macht) nachgedacht haben (Veltzke S. 181).
Dass die Deutschen also den gihad in den Nahen Osten gebracht haben, wie es Ostermaiers Stück für seine aufrüttelnde Wirkung erscheinen lässt, ist historisch so nicht haltbar. Ebenso wenig ein zwangsläufiger Zusammenhang mit heutigen terroristischen Erscheinungsformen, quasi ein „Nibelungenfluch des Öls“, welcher einen dramaturgisch legitimen, aber historisch nicht beweisbaren Kunstgriff darstellt.
Bereits kurz nach Kriegsausbruch, im August 1914, wurde im Auswärtigen Amt über die Entsendung einer Mission ins Mündungsgebiet des Euphrat und Tigris am Persischen Golf nachgedacht. Von dort aus sollte der Boden für einen antibritischen Aufstand der Muslime in Indien bereitet werden. Schließlich waren auch viele der britischen Soldaten am Golf indische Muslime. Doch zunächst stimmte der osmanische Kriegsminister Enver Pascha der Entsendung einer ersten deutschen Mission nach Afghanistan unter Niedermayer und von Hentig zu, um den gihad nach Indien zu tragen.
Was den Start der Mission Klein in den Südirak ins Rollen brachte, waren wirtschaftliche Interessen, etwa der Hamburger Ballin-Reederei am Hafen Basra. Später geriet auch hier das Ziel eines gemeinsamen gihad von Sunniten und Schiiten in den Vordergrund. Insgesamt versprach man sich in Berlin von einem gihad wenig mehr als einen entlastenden Nebeneffekt, der britische und russische Kräfte band und von den Hauptkriegsschauplätzen im Westen und im Nordosten fernhielt.
Man suchte einen sprachkundigen, erfahrenen Expeditionsführer und fand ihn im iranbegeisterten Hauptmann Fritz Klein. Nach frustrierenden Kriegserlebnissen an der Westfront hatte dieser zufällig Tage zuvor um „Verwendung im Orient“ gebeten. Als Ziel seiner Expedition wurde ein „Anschlag“ auf britische Ölfördergebiete im Iran genannt, „ohne größere deutsche militärische Kräfte“. Klein selbst spricht von einer „Unternehmung gegen die Ölquellen“. Das ließ Interpretationsspielraum zu.

Fritz Kleins persönliche Vision

Geboren 1877 im siegerländischen Dahlbruch, war Klein vor dem Krieg, durch einen Kasinogewinn zu Geld gekommen, um die Welt gereist und 1912/13 als Militärattaché nach Teheran gegangen. Die Inspektion der dortigen Gendarmerie hatte ihn ebenso beeindruckt wie die fruchtbare Landschaft, die Küche und die Gastfreundschaft. Damit war der Grundstein gelegt für seinen Traum, durch eine Achse mit Persien könne Deutschland wirtschaftlich profitieren. Das ging konform mit damals üblichen Kolonialphantasien etwa des Alldeutschen Verbands. Für Kleins Mission zugunsten des Osmanischen Reiches zeichneten sich dadurch aber Konflikte ab. Zudem bleib Klein ein Freigeist, der Schwierigkeiten mit der Unterordnung unter osmanische Interessen hatte.
Offiziell erklärte sich der Iran am 1. November 1914 neutral, stand aber unter hohem militärischem Druck. Russische Truppen standen in den Nordprovinzen, britische in den Häfen des Persischen Golfes und osmanische in den Grenzstädten Aserbaidschans. Zeitweise musste sich die persische Regierung aus Teheran ins südlich davon gelegene Qom zurückziehen. Premierminister und Regierungskoalitionen wechselten, der junge Schah, der letzte aus der Dynastie der Qagaren, bevor diese 1921 von dem tatkräftigen Reza Pahlevi weggeputscht wurde, hielt sich vorzugsweise in Paris auf.
Am liebsten hätte Klein gemeinsam mit der iranischen Regierung zusammen ein Kontingent von Gendarmen und Stammesangehörigen als Ordnungsmacht aufgestellt. Doch die Osmanen setzten auf die Destabilisierung des Iran durch eine Aufwiegelung der Stämme und eine Bekämpfung der Russen auf persischem Boden. Unter den Qagaren hatte sich der Iran erst seit etwa 200 Jahren von der osmanischen Oberhoheit freigekämpft. Formal fühlte sich der osmanische Sultan noch immer als Kalif aller Muslime, auch derjenigen des Iran.
Die deutsche Diplomatie lavierte zwischen eigenen Kolonialgelüsten und der offiziellen Unterstützung des osmanischen Partners. Die Mission Klein litt von Anfang an unter einem unauflöslichen Widerspruch durch ihre Ambivalenz zwischen einander widerstreitenden politischen Zielen, emotionalen Vorlieben und Kolonialträumen. Sie trug ihr Scheitern im Kern eigentlich schon in sich. Vor Ort nutzte Klein viele Gelegenheiten zu eigenwilligem Handeln – nicht gerade zur Begeisterung seiner Auftraggeber, selbst, wenn er mit seinen Aktionen Erfolg hatte.

Die Abenteuer der Mission Klein

Wanderzirkus

Kleins erster Adjutant Edgar Stern, Sohn eines jüdischen Unternehmers, qualifizierte sich für die Teilnahme durch seinen Vorschlag ans Kriegsministerium, in geheimer Mission den Suezkanal sprengen zu wollen. Seine erste Aufgabe als Agent bestand dann aber darin, muslimische Kriegsgefangene von der Westfront, denen der Kaiser als Geste an den Sultan die Freiheit schenken wollte, nach Istanbul ausreisen zu lassen. Es handelte sich um Nordafrikaner. Stern sorgte dafür, dass sie, als Wanderzirkus getarnt, per Bahn über das neutrale Rumänien reisen konnten. Er selbst verkleidete sich als Zirkusdirektor. Diese Maskerade gefiel in Berlin so gut, dass später auch von Hentig im Rahmen seiner Afghanistanmission Paschtunenkämpfer als „Wanderzirkus“ durch Rumänien reisen ließ. Ostermaier gefiel sie wohl so gut, dass er gleich die ganze Mission Klein als Wanderzirkus in den Zug steckte.
In Wahrheit stellte sich Klein für seine Mission etwa 70 feste Teilnehmer zusammen: aus einer bayerischen Kavallerietruppe, Reservisten und Kriegsfreiwilligen, einen Arzt, Ausgrabungsexperten und Ingenieure – eine erfahrene Abenteurertruppe. Später kamen noch 300 Ungarn dazu, die aus russischer Kriegsgefangenschaft freigekommen waren. Bis November trafen immer mehr Teilnehmer in Istanbul zusammen, wo sie osmanischem Befehl unterstellt und mit osmanischen Uniformen eingekleidet wurden. Viele kamen dabei in den Genuss des nächsthöheren militärischen Rangs: Aus Hauptmann wurde Major Klein. Die nächste Station der Mission Klein lautete Aleppo.
Dort kümmerte man sich um Ausrüstung, Diener und Dolmetscher und reiste weiter nach Garabulus an der heutigen syrisch-türkischen Grenze – gegenüber übrigens von der Ausgrabungsstätte Karkemisch, wo kurz zuvor noch T. E. Lawrence („Lawrence von Arabien“), gegraben hatte. Von dort schiffte man sich im Januar 1915 auf Hausbooten auf dem Euphrat ein und fuhr 21 Tage lang bis Falluga 50 Kilometer vor Bagdad. Bevor es für den Großteil der Mission auf dem Landweg mit Lasttieren nach Bagdad weiterging, brach Klein mit Stern zu einem nicht abgesprochenen Abstecher nach Kerbela auf, einer der heiligen Stätten der Schiiten im Irak.

gihad-Aufruf der Mullahs von Kerbela

Der Impuls zu dieser eigenmächtigen Handlung soll angeblich auf Anregung von Kleins Dragoman, einem Istanbuler Teppichhändler mit guten Verbindungen zu den Mullahs von Kerbela zustande gekommen sein. Sie sollte sich als sinnvoll für die deutsche Mission erweisen. Denn die vornehmlich schiitische Bevölkerung des Irak und des Iran fühlte sich durch den gihad-Aufruf des osmanisch-sunnitischen Sultans nicht genügend für einen Aufstand gegen die Briten und Russen motiviert. Kleins Männer waren die ersten Westler überhaupt, die von den schiitischen Geistlichen empfangen wurden. Orientalische Gastmähler beeindruckten die Expeditions-Teilnehmer immer wieder. Vom Gastmahl bei Scheich Ali in Kerbela berichtet Expeditionsteilnehmer Heinrich Uth:
„Neben vielen pikanten Speisen fiel die originelle Geste Alis auf, der uns eigenhändig (!) die besten Bissen vorlegte. (…) Er sprach in einem prachtvollen Kanzelbass, flüssig und gewählt. Während der Rede kam ein blendend weißes Gebiss zum Vorschein, das er nach dem Essen ganz unbekümmert herausnahm und in unserem Beisein putzte. Er schien uns damit imponieren zu wollen, was er in gewissem Sinne auch tat.“
Ihren gihad-Aufruf bekamen die Deutschen– nachdem eine Zahlung von 50.000 Reichsmark, vornehmlich an Scheich Ali, dem Nachdruck verliehen hatte. Die Gelder sollten auch den angenommenen Ausfall englischer Zahlungen kompensieren. Doch wie sich später herausstellte, verließ man sich im Orient nicht gerne auf die Zahlungen eines einzigen Bündnispartners. Auch die Deutschen treiben ihr doppeltes Spiel. Bei ihren Zugeständnissen an die Mullahs, später noch einmal von Leutnant Stern auf einer weiteren Reise intensiviert, gingen sie sogar so weit, ihnen deutsche Unterstützung gegen die osmanische Vereinnahmung zuzusagen.

Machtlos in Bagdad

So waren die Osmanen – wie die Figur Envers bei Ostermaier – zu Recht misstrauisch gegen die Mission Klein. Das osmanische Kommando im Gebiet um Bagdad hatte seit Januar 1915 Süleiman Askeri Bey inne. Sofort nach dem Eintreffen der Deutschen pfiff er diese von sämtlichen Initiativen in Richtung Persien zurück und band sie an Bagdad. Neben der Rekrutenausbildung und militärischen Instandsetzung sollten sie Aufgaben der zivilen Verwaltung übernehmen.
Man hört Klein förmlich seufzen, wenn er seine Aufgaben schildert:

„Wir haben (…) eine Flussbarrikade gegen die englischen Kanonenboote (…) gebaut, 100 lenkbare Treibminen zum Teil selbst konstruiert (…). Weiterhin haben wir auf Kohle gemutet und jetzt eine schwunghafte Kohlenmine im Norden von Bagdad aufgemacht. Der Direktor ist ein österreichischer Schlosser, (…) der Transportunternehmer mit einigen 1.000 Kamelen ein deutscher Oberkellner(…). Unsere Minen baut ein deutscher Automobilingenieur (…). Dazu hatte ich in Bagdad und Umgegend alle Militärfabriken unter mir, machte Kleider, Stiefel, Zelte (…), die Bagdadbahn nach Samarra (…), alle Schiffe auf Euphrat und Tigris. Meine neueste Aufgabe ist, (…) Mittel gegen die Heuschreckenplage zu finden, zwangsweise die Pestimpfung durchzuführen, Propagandamaterial nach Persien und unter die angloindischen Truppen zu schaffen.“

Vor allem aus dieser militärischen „Zwangspause“ stammen die schönsten Schilderungen zum orientalischen Leben im Bagdad von 1915. Laut den Forschungen des Orientalisten Max von Oppenheim gab es in Bagdad um 1900  etwa 90.000 Schiiten, 60.000 Sunniten, 10.000 Christen und 40.000 Juden - ein märchenhaft buntes leben auf den Basaren. Besonders Stern, aus einer jüdischen Familie stammend, aber selbst gläubiger Katholik, war fasziniert vom bunten Volk im Bagdader Kino – einer Ruine unter freiem Himmel:

„So würdig und ruhig die türkischen Offiziere auf den Vorhang starren, so lebhaft ist die Damenwelt, die neben ein paar Mitgliedern der europäischen Kolonie, aus mehr oder minder schönen Armenierinnen besteht, die in vom Kopf bis zu den Füßen reichender seidener Abaja fast wie Mohammedanerinnen aussehen, würden nicht ihre feurigen Blicke und das von Zeit zu Zeit bewusst ausgeführte Entblößen des Gesichts die Andersgläubigen verraten, und aus den zierlichen, ganz pariserisch gekleideten Jüdinnen, meist Lehrerinnen und Schülerinnen (…). Die Mohammedanerinnen freilich, die sich nicht minder zahlreich allabendlich einfinden, sind auf den ersten Rang angewiesen, eine Art Balustrade, die (…) mit den verstohlen murmelnden und schauenden Frauen, die in ihre bunten Gewänder bis an die Augen eingemummelt sind, im Schein des silbrigen Mondlichts wie eine mit Eulen besetzte Mauer anmutet.“

Pest

Im Frühjahr 1915 wurde Bagdad wie damals fast jedes Jahr von der Pest heimgesucht. Sterns Schilderung der Epidemie nimmt sich aus wie eine Passage aus 1001 Nacht:
„Die Pestspitäler füllen sich, der gefürchtete schwarze Wagen eilt hin und her. Häuser werden geschlossen und mit dem Seuchensiegel versehen. Angst legt sich lähmend auf die Bevölkerung. (…) Einer schaut den anderen misstrauisch an, ob ihm nicht sein Gruß den Tod bringen wird. Die Mutter reißt erschreckt den Säugling von der Brust, an dem sie Symptome der Plage zu erkennen glaubt. (…) Selbst dem Europäer, der sich durch wiederholte und recht schmerzhafte Impfungen und durch das Tragen hoher Reiterstiefel gegen die Pest zu schützen weiß, wird unbehaglich. (…) Die Berührung eines Eingeborenen, die Benutzung eines Bettes oder Wagens, in die sich ein einziges Insekt verirrt hat, kann alle Vorsicht zuschanden machen. `Haben Sie schon gehört? Jetzt hat’s auch einen Europäer gepackt, einen Bahnbeamten. Er soll schon gestorben sein.´ Unwillkürlich fasst man sich verstohlen in die Achselhöhle, ob sich da nicht die verräterische Beule entwickelt.“

Die Einheimischen, deren „Aberglaube“, wie Stern es nennt, sich gegen Impfungen sträubt, schwören stattdessen auf andere Medizin:
„In Sumpfgegenden und bekannten Fieberkesseln wie die Gegend des heiligen Kerbela, trinkt man 20, 30 Tässchen des schwarzen `gachwa´, siebenmal über frische, gemahlene Bohnen destilliert und mit einem bitter-aromatischen Zusatz aus einem nadelholzartigen Wüstengestrüpp versetzt. Der Trank ist derartig stark, bitter und dickflüssig, dass sein Genuss auch in kleinen Mengen (…) auf den Europäer (…) berauschend wirkt. Schiitische Priester versicherten mir, dass dieser regelmäßige Genuss ebenso gut gegen Fieber schütze wie Chinin.“

Ursprünglich bedeutet das arabische Wort `qahwa´, von dem sich unser Wort `Kaffee´ herleitet, übrigens wirklich `berauschendes Getränk´ und wurde in frühen arabischen Schriften auch für `Wein´ verwendet. Der vermutlich gemeinte Zusatz – Kardamom, bis heute der am häufigsten dem arabischen Kaffee zugesetzte Aromastoff – enthält zahlreiche ätherische Öle, von denen einige antibakteriell wirken und in der ayurvedischen Medizin seit langem eingesetzt werden. Nur handelt es sich nicht um ein „Wüstengestrüpp“. Kardamom wächst an Bäumen in den tropischen Hochwäldern Südindiens.

Miltäroffensiven

Bereits im November 1914 hatten die Briten Basra im Südirak nahe des Persischen Golfs besetzt. Von dort waren sie vorgerückt bis Kurna direkt südlich vom Zusammenfluss von Euphrat und Tigris, ab hier „Schatt al-Arab“ genannt.
Süleiman Askeri plante einen selbstmörderischen Überraschungsvorstoß auf das britisch besetzte Zubair acht Kilometer stromaufwärts von Basra, von dem Klein und andere deutsche Militärs ihn nicht abbringen konnte. Dazu mussten die Osmanen 165 Kilometer durch die Wüste, ohne für Proviant sorgen zu können. Askeri verschloss sich allen Argumenten. Für ihn war nur wichtig, ein Versprechen an die verbündeten Muntefiq-Araberstämme zu halten. Obwohl er selbst vor militärischem Tatendrang brodelte, entzog sich Klein der Teilnahme an dieser Desperado-Aktion. Im April 1915 endete sie in einer verlustreichen Niederlage. Die 19.000 Stammeskrieger der osmanischen Truppe, immerhin zwei Drittel ihrer Gesamtstärke, desertierten bei den ersten Gewehrsalven. Gebrochen erschoss sich der seit langem durch eine Beinverwundung beeinträchtigte Askeri Bey nach der Katastrophe – stilgemäß in seinem Zweispänner auf voller Fahrt.
Bereits zu diesem Zeitpunkt hätten auch die Deutschen von ihrem Plan abkommen können, mithilfe von Stämmen und Guerillataktik einen erfolgreichen Aufstand gegen russische Truppen im Iran zu führen.

Das Sprengkommando

Doch die Idee, selbst Sprengungen an britisch kontrollierten Pipelines im südiranischen Karungebiet durchzuführen, gab Klein niemals auf, auch wenn er sich aus taktischen Gründen den misstrauischen Osmanen gegenüber diesen Anschein gab. Denn osmanische Militärs behaupteten gegenüber dem deutschen Botschafter von Wangenheim in Istanbul, die Osmanen selbst hätten bereits Anfang 1915 im Namen ihres gihad britische Ölleitungen in Brand gesetzt. Damit legten sie den Tatendrang der Mission Klein auf Eis. Doch da zur gleichen Zeit der osmanische Feldherr Rauf Bey in der westpersischen Provinz Kermanschah gegen kurdische Stämme wütete und plünderte, die sich dem osmanischen gihad nicht anschlossen, verlor diese gesamtmuslimische Idee bei der schiitischen Bevölkerung ihre Glaubwürdigkeit. Angeblich wollte Rauf Bey auch die Ölquellen am Tigris-Zufluss Karun im Westiran für die Osmanen besetzen.

sk

Führer des deutschen Sprengkommandos der Pipeline am Persischen Golf mit Kameraden, 1915
(c) Preußen-Museum NRW in Wesel


Ein osmanischer Trupp unter dem Unterbefehlshaber Fazil Pascha brach zum Angriff auf die britische Stellung bei Ahvaz im Karun-Gebiet auf, im Bündnis mit dem ansässigen Stamm der Bani Lam. Diese Gelegenheit ergriff Klein beim Schopf. Er gab Fazil Pascha eigenmächtig ein kleines deutsches Sprengkommando unter Hauptmann Hans Lührs mit, Grabungsfachmann, Diplomingenieur und des Arabischen mächtig. Es sollte dafür sorgen, dass die Deutschen den Zugriff auf die Pipeline nicht allein den Osmanen überließen. Lührs Geheimbefehl von Klein lautete, Ölleitungen in großem Stil zu sprengen. Augenscheinlich billigte Fazil diesen Plan – im Gegensatz zu seinen Vorgesetzten. Das hatte persönliche wie politische Hintergründe. Fazil war ein in Ehren ergrauter Osmane alter Schule, der sich von seinen jungtürkischen Vorgesetzten zurückgesetzt fühlte und die Tollkühnheit der deutschen Sprengfachleute bewunderte. Klein ging nicht selbst mit. Seine offizielle Funktion als Quartiermeister und Etappenchef (menzil müfettisch) in Bagdad ließ das nicht zu, es wäre zu auffällig gewesen.

Mit dem Sprengkommando setzte sich Klein explizit von seinen Direktiven ab. In Berlin hatte man sich im Februar 1915 mit Kriegsminister Enver Pascha darauf verständigt, osmanische Gebietsgewinne in Aserbaidschan und Nordpersien auf iranische Kosten zu unterstützen und sämtliche deutsche Aktionen im Südiran erst einmal zurückzufahren. Kleins persönlicher Ehrgeiz setzte sich also über die deutschen Interessen hinweg. Galt Deutschlands kolonialer Zukunft seine ganz persönliche Sorge?

Bis Mitte Juni 1915 führte Lührs mit einer Handvoll Männern im Karungebiet zwei Sprengungen auf zwölf britischen Meilen aus, weitere die verbündeten Stämme der Bani Turuf und Bani Lam. Dann wurden die Deutschen durch eine Ruhr-Epidemie geschwächt. Die Briten rüsteten ihre Stützpunkte entlang der Pipeline nach; Anschläge wurden schwieriger. Klein schätzte die britischen Gesamtverluste aus diesen Anschlägen später auf 320 Millionen Liter Öl beziehungsweise umgerechnet 400.000 Reichsmark.
Auch Fazil Pascha scheiterte mit seinem Angriff auf Ahvaz. Ein Deutscher kam beim Auslegen einer Mine im Wasser ums Leben. Fazil Pascha und die Reste des deutschen Sprengkommandos flohen vor der aufmarschierenden britischen Verstärkung bis Amara am Tigris, von der Ruhr geschwächt. Doch schon rückten britische Kanonenboote auf dem reißenden Strom bis zu der Stadt vor.
Auf ihrem Weg gingen die Briten hart ins Gericht mit proosmanischen Araberstämmen. Auf die Offiziere des deutschen Sprengkommandos setzten sie ein Kopfgeld aus.
Die Zeit drängte. Nicht alle fanden Platz auf Fazils Paschas letzten Fahrzeugen. Es war Überschwemmungszeit. Amara war von drei Seiten vom Tigris, dem zweiten Flussarm Mscharra sowie noch einem weiteren, 300 Meter breiten, stark strömenden Flussarm eingeschlossen. Ringsum lagen horizontweit Überschwemmungsgebiete. Die einzige Brücke war zerstört, sämtliche Fahrzeuge mittlerweile verschwunden. Lührs mit Back, Schadow und Müller blieb nichts übrig, als mit ihren Pferden die reißende Mscharra zu durchschwimmen:
„Müller und Back waren mit den Pferden (..) schon im Wasser. Ich sollte Schadow, der nicht schwimmen konnte, hinüberbringen. Die armen, aufgeregten Pferde hatten heftig gegen das reißende Wasser zu kämpfen. Backs feingliedriger Hengst schlug mitten im Strom wild um sich und verschwand (…) Da ich an den Anstrengungen der Freunde sah, wie gefährlich die Strömung war, suchte ich nach einem Schwimmkörper für Schadow. Gerade wollte ich einen Hof der nächsten Hütte betreten (…), als uns, wie ein rettender Engel, eine junge Araberin mit einem Bündel Schilf entgegenkam. Eine schönere Araberin habe ich nie (…) gesehen.“
Am anderen Ufer angekommen, haben sie noch zwei Pferde. Sie müssen durchs offene Feld, deutlich sichtbar für mehrere britische Geschützposten. Sie tarnen sich, so gut es mit ihren Kleidern geht, als Araber. Und haben mehrfach Glück. Ihre Wanderung, insgesamt über 100 Kilometer flussaufwärts bis zum osmanisch gehaltenen Kut al-Amara, führt sie durch Sumpf, lehmig-salzige Steppe und Dornenwüste.

„Mit unsäglicher Mühe schleppten wir uns weiter, den Palmen zu. Einmal musste doch diese höllische Planschwiese zu Ende sein. Wenn wir sie hinter uns hatten, würden uns einige Stunden Ruhe im Schatten der prachtvollen Ölbäume (..) bald wieder aufrichten. Mit diesem Hoffnungsgedanken gelangten wir auf ungefähr hundert Meter an unser ersehntes Ziel - Als ein Haufen Araber, vielleicht 75-100 Mann, mit dem Ruf `marhaba´ [willkommen] unter den Palmen hervorkam und durch das Wasser auf uns zu rannte. Wir glaubten, dass sie uns beistehen wollten und beglückwünschten uns schon(…). Da! Verrat! Auf 20 Meter an uns herangekommen, schwangen die Kerls plötzlich ihre Keulen und Dolche. (…) Die Hunde schossen!

Mehrmals werden sie ausgeraubt. Bei Einbruch der Dunkelheit bitten sie eine Gruppe von Frauen am Tigrisufer um Hilfe.
„Die Weiber sahen uns wegen unserer weißen Haut halb neugierig, wegen unseres verwahrlosten Zustands halb mitleidig an. (…)Dann schimpften sie einstimmig herzerfrischend auf die Inglesi [Engländer], nahmen uns bei der Hand und führten uns in ihr Zelt. (…) An dem Zelt erkannte ich, dass die Bewohner ganz arme Fellachen waren. Uns aber kam es wie ein Märchentraum vor. Vor Mattigkeit sanken wir sofort zusammen(…). Die Frauen reichten uns auch etwas Milch und Brot, aber wir waren außerstande, irgendetwas zu genießen. (…) Bald darauf erschien im Lichtschein des flackernden Lagerfeuers der Eheherr dieser arabischen Frauen. Er trug einige Militärgewehre und sonstiges Zeug.“

Lührs schwant Übles. Auch einer der am letzten Überfall beteiligten Männer tritt hinzu und bietet Lührs eine Zigarette an. Lührs ahnt, dass die Deutschen nicht mehr sicher bei den Beduinen sind und behauptet vorsorglich, sich den Engländern ausliefern zu wollen. Darauf bieten ihm die Araber bis zum Mondaufgang ihre Gastfreundschaft an. Lührs weiß, dass man eigentlich bei den Beduinen 48 Stunden Gastfreundschaft genießt. Doch der nächste Überfall ereilt die frisch Aufgebrochenen, noch im Anblick der Zelte ihrer Gastgeber, schon im Morgengrauen. Mittlerweile haben sie Übung darin, beim Überfall mit ihren Peinigern ironische Höflichkeiten und Lob über die beduinische Gastfreundschaft auszutauschen. Manchem bleibt nur noch ein Lendenschurz.

Die Tigrisufer werden baumlos, die Landschaft eine Dornenwüste. Back bricht zusammen. Zweimal trägt Müller Schadow über Kanäle. Verzweiflung macht sich breit:
„Durch die dürftige Kleidung brannte erbarmungslos die Sonne. Die Haut wurde heiß wie im tollsten Fieber. Die als Sonnenschutz auf die Köpfe gelegten Tamariskenzweige zogen zur Vollendung der Pein Moskitos und Sandmücken in Unmengen herbei.“

Sie betteln um Brot, da sie nur Schwarzwurzeln zu essen finden. Aus Angst vor den Engländern werden sie von Beduinen immer wieder fortgejagt oder mit dem Dolch zum Herausrücken letzter Habseligkeiten gezwungen. Unverständlich bleibt, dass Lührs unter seiner Kopfbedeckung noch tagelang unentdeckt Goldmünzen mit sich herumschleppt, diese aber schließlich lieber ins Wasser wirft, als sie beim nächsten Überfall herzugeben. Später wundert er sich:
„Es ist ein unfassbares Wunder, dass uns die Sonne (…) nicht tötete. Man bedenke, dass dort im Juni Hitzegarde von 45-50 °C im Schatten herrschen (…). Der Zufall, dass wir alle langes, dichtes Kopfhaar besaßen, hat sicher viel dazu beigetragen (…). Auf unseren Schultern, Armen und Schenkeln bildeten sich große, eiternde Brandwunden. (…) Durch den Marsch über den unerträglich heißen Lehmboden und die Dornenfelder waren die Fußsohlen vollkommen zerfetzt; eiternde Stellen bedeckten die aufgequollenen Füße und Beine. (…) Vor Schmerzen schlug der eine oder andere manchmal wie vom Blitz gefällt hin und wäre ohne die Hilfe der Kameraden liegengeblieben(…). Die Belästigungen und Todesdrohungen der Araber kamen uns bald gegenüber den körperlichen Schmerzen als tragikomische Ablenkungen vor.“

Grenzen der Gastfreundschaft

Sie kommen ins Gebiet der Bani Lam, ihren vormaligen Verbündeten unter Fazil Paschas Initiative. Doch die Ankunft im Zelt von deren Scheich Gasban, der persönlich Gast in Lührs‘ Feldzelt gewesen war, bringt nicht die erhoffte Rettung. Wie sich später herausstellt, erwartet er zur selben Zeit eine britische Verhandlungsdelegation. Gasbans offensichtlich unbehaglich-zwiegespaltenes Verhalten veranlasst ihn dazu, die Deutschen einem Unterscheich anzuvertrauen. Dieser will sie den Briten ausliefern. In einer nächtlichen Bootsaktion rettet sie jedoch dessen Sohn, dem sein Vater zuwider ist. Am Abend des vierten Tages wird Schadow immer wieder ohnmächtig, alle bleiben längere Zeit liegen.
Dennoch mobilisiert Lührs bei Überfällen erstaunliche Kräfte:
„Als nun ein Bursche mit seinem Dolch auf Müller losging, warf ich mich dazwischen und fragte den Arab mit erzwungener Ruhe, ob er seinen schönen Dolch verlieren wolle, der würde nämlich unrein werden durch diese Tat. (…) Im übrigen wären wir wie er gläubige Moslim, was ich durch das Herunterleiern einer Sure und durch einen Abschiedsgruß an die Herren bekräftigte. (…) So ließen sie uns weiterziehen.“

Am fünften Tag bleiben sie ganz liegen:
„Von den Vorgängen der letzten Stunde (…) weiß ich nur, dass wir alle vier einmal in haltloses Schluchzen (…) ausbrachen, als ein altes arabisches Mütterchen uns auf Umwegen aus einem Zeltlager nachgerannt kam, um uns zum besseren Schutz gegen die Sonne einige ihrer Lumpen zu schenken. Als wir in ihrem Zeltlager um etwas Brot gebettelt hatten, hatte man uns noch fortgeschickt.“

Kurz danach werden sie von osmanischen Reitern entdeckt und auf Umwegen zu Fazil Pascha nach Kut el-Amara gebracht. Dieser empfängt sie sowie den hinzugestoßenen Graeff (daher zeigen die Bilder fünf „Wüstenwanderer“) herzlich, lässt sie verarzten, arabisch einkleiden und per Sänfte und Boot nach Bagdad weiterreisen. Dort treten sie ihre wochenlange Genesung an. Bei Kaffee und Kuchen der Damen der deutschen Kolonie entwickeln sie Heimatgefühle. Das Bild der „abgerissenen“ Agenten, das Klein gerne verwendet hätte, um das Ausmaß des persönlichen Einsatzes seines Kommandos zu unterstreichen, erschien den deutschen Militärs denn doch zu „gewagt“ und wurde unter Verschluss gehalten.

Grenzerfahrungen und persönliche Wandlung

Dieser Marsch durch Sumpf und Steppe ist ein tiefer Einschnitt für die Abenteurer und Agenten. Sie sind den Menschen ihres Einsatzgebiets ausgeliefert. Von überlegenen Helfern werden sie zu hilflosen Kriegsverlierern. Kaiser und hochtrabende Kolonialträume verlieren ihre Bedeutung. Schwärmerei und Exotik sind passé, es geht nur noch um zwischenmenschliche Ethik. Schritt für Schritt enthüllt Lührs‘ Schilderung seine Ernüchterung über die Gastfreundschaft im Beduinenzelt. Später gibt er offen zu:
„Das Schicksal gab mir später Gelegenheit, mich an diesen feigen Lumpen gründlich zu rächen. Als ich nach zehn Monaten Flieger von Kut el-Amara wurde, habe ich nicht versäumt, alle die Araberlager, in denen die verräterischen Schufte wohnten, ausgiebig mit Bomben zu belegen.“

Furor teutonicus. Auch Back war übrigens später als Flieger an der Belagerung der Briten in Kut el-Amara beteiligt. Müller leitete in Bagdad die Konstruktion von Fliegerbomben.
Wie viele Frauen und Kinder den Bomben zum Opfer fielen, die den Deutschen gastfreundlich begegnet waren, fragt Lührs nicht. In seiner Notlage fehlt ihm das Verständnis für die Angst seiner Gastgeber vor einer Vergeltung der Briten. Weniger Gastfreundschafts-Romantik und mehr Realitätssinn dafür, dass man sich im Krieg befand und als Militär kam und nicht als einfacher Fremder, hätten vielleicht Erwartungen und daher auch Enttäuschungen niedriger gehalten. Abgesehen davon waren die Beduinen in dieser Gegend seit langem für ihre Plünderungen ohne Ansehen der Person berüchtigt.

Das Ende der Mission

Vom Hochsommer bis Dezember 1915 konnte die Mission Klein direkte gihad-Propaganda im Südwestiran betreiben, da dies mittlerweile von seinen deutschen Auftraggebern erwünscht und von den Osmanen nicht mehr behindert wurde. Über Expeditionen und Besuche bei Stammesführern im wildromantischen Bergland Lurestans suchten die Deutschen mit Versprechungen von militärscher Unterstützung kurdische und lurische Bergstämme für den gihad zu erwärmen. Etwa ein Viertel der iranischen Bevölkerung lebte in Stämmen, die sich jeglicher Ordnungsmacht oder politischer Grenze entzogen. Zugleich verhandelten sie oft auch mit Briten und Russen. Von modernem Geschützfeuer wollten sie sich nicht niedermetzeln lassen – was nach Kleins Westfronterfahrungen eigentlich hätte verständlich erscheinen können. Vereinbarungen hielten sie nicht ein, wenn das Wetter widrig war. Mehr als an einer Idee des gihad waren sie an materiellen Versprechungen interessiert, die die Deutschen nicht halten konnten. Innerhalb der Teheraner Regierung kooperierte Klein am ehesten mit der Partei der Demokraten. Diese sahen allerdings den gihad als etwas Überlebtes, Vormodernes an und blieben skeptisch gegenüber Stammesbündnissen. Zahlungen wurden nur in Gold akzeptiert. Dessen Heranschaffung auf dem Landweg war den Deutschen wegen der unvollständigen Eisenbahnverbindungen nicht im benötigten Ausmaß möglich. Sie behalfen sich mit der Plünderung eroberter britischer Safes oder russischer Teppichlager.

Einen Eindruck von den wechselseitigen falschen Erwartungen zwischen den Deutschen und ihren „Stammesfreunden“ erhält man aus dem Bericht Lührs von seinem Besuch beim Wali von Poscht-e Kuh:
„Der Wali versprach, im Frieden einmal nach Berlin zu kommen, um dort ein großes Trinkgelage mit uns abzuhalten. Er forderte uns auf, deutsche Lieder zu singen. So schallte denn `Deutschland, Deutschland über alles´ aus unserem Zelt ins Luristan hinaus.“

Insgesamt konnten die Osmanen mit Hilfe der Expedition Klein vorübergehende Landgewinne gegen die Russen im Iran verzeichnen. Sie besiegten im November 1915 auch die Briten bei Ktesiphon südlich von Bagdad. Dennoch erwies sich die deutsche gihad-Strategie mit Hilfe der Stämme als wenig erfolgreich. Anfang 1916 wurde Klein das Kommando für die Irak-Iran-Mission entzogen; er bat um Heimaturlaub und wurde danach zurück nach Forbach hinter die Westfront geschickt.

Die deutsch-persische Militärmission in seiner Nachfolge scheiterte ebenfalls. Klein begründet dies später mit der Weitsicht des zeitlichen Abstands:
„[Sie war] …nicht lebensfähig, da sie weder Geld, Munition, Transportmittel noch deutsche Truppen mitbrachte und so in allem auf die Türken angewiesen war. Durch die Betonung eines deutsch-persischen Unternehmens wähnten sich die Türken (…)übergangen und wurden misstrauisch.“

Major Hoffmann, an Kleins Mission im Iran beteiligt, meint genau umgekehrt:
„Unser Hauptfehler war, dass man schließlich geglaubt hat, die Türken als unsere Schrittmacher in Persien vorschieben zu können. Das Prestige, das wir im Anfang in Persien hatten, haben wir dadurch eingebüßt.“

Die Mission Klein verlor also auf beiden Seiten. Sie führte nicht zu einer allgemeinen Erhebung der Stämme und konnte den Vormarsch der Entente nur aufhalten. Unbestreitbar band sie eine Zeitlang deren Kräfte. Sie stabilisierte die osmanische Irakfront und sorgte dafür, dass viele arabische Stämme im osmanischen Bündnis verblieben. Nach manchen Schätzungen band sie im Kriegsverlauf 600.000 Mann der Briten am Golf.
Das britische Expeditionskorps in Mesopotamien wurde im Dezember 1915 in Kut al-Amara eingeschlossen und musste am 29. April 1916 kapitulieren. Mehr als 13.000 Soldaten, darunter mehr als 10.000 Inder, kamen in osmanische Gefangenschaft, zum Teil vollkommen ausgehungert. Doch nur 10 Monate später eroberten die Briten Kut zurück und marschierten am 11. März 1917 schließlich in Bagdad ein.

Nachleben: Um 180 Grad gedreht

Doch die unklaren bis offen widersprüchlichen Ziele der Mission Klein bewirkten vor allem bei Klein und Stern im Nachhinein eine äußerst kritische Einschätzung. Wie sein berühmter Gegenspieler Lawrence erfuhr auch Klein durch seinen Einsatz eine tiefgreifende Veränderung, eine Umwertung seines Weltbilds. Er schreibt später:
„Der Weltkrieg ist das Endkapitel des Zeitalters des Kapitalismus (…) Schuld an diesem Kriege trägt keine Einzelpersönlichkeit, er ist das Resultat des kapitalistischen Systems. (…) Der Grund unserer militärischen Niederlage fällt in erster Linie unserer Regierung zur Last, welcher vom ersten Tage an das feste Kriegsziel fehlte(…). Aus dem reinen Verteidigungskrieg erwuchsen ihr mit zunehmenden Chancen uferlose Wünsche. (...)Solange nur imperialistische Ideen (…) die Regierung von heute beherrschen, so lange müssen wir mit neuen Konflikten im Orient rechnen.“
Formulierungen wie diese müssen Ostermaier wie eine „Blaupause“ für die Aktualität von Imperialismus und Konflikten im Nahen Osten erschienen sein.  Fritz Klein führte dank einer günstigen Heirat bis zu seinem Tode 1958 das Leben eines Privatiers im heimatlichen Siegerland. Er entwarf später eine eigene westöstliche Philosophie. Auf zwischenmenschlichem Gebiet bescheinigt er darin der „orientalischen“ Kultur eine Überlegenheit über die westliche. Sein ehemaliger Adjutant Stern avancierte nach dem Krieg zum Chefredakteur des Ullsteinverlags und Berater von Gustav Stresemann. 1934 noch trotz seiner jüdischen Herkunft mit den anderen Expeditionsteilnehmern geehrt, wanderte er schon zwei Jahre später nach London aus. Der Titel seiner Erinnerungen „Playing Lawrence on the other side“ wurde von der Ausstellung des Preußenmuseums im Jahre 2014 übernommen. Stern starb erst 1972 und blieb bis zuletzt publizistisch tätig.

Fehleinschätzungen, die Geschichte schreiben

Die Mission Klein zeigt, in welchem Maße Weltgeschichte auch von persönlichen Fehleinschätzungen geschrieben wird. Womöglich ist Kleins Draufgängertum – oft diametral entgegen seiner Anweisungen – aus der Überschätzung seiner persönlichen Möglichkeiten oder aus persönlichem Geltungsbedürfnis zu verstehen. Durch seinen Besuch als erster Europäer bei den Mullahs von Kerbela glaubte er, die gesamte islamische Welt dauerhaft zum gihad inspirieren zu können. Zu anderen Gelegenheiten wähnte er, für deutsche Kolonialträume in Persien oder im Interesse von Persien selbst zu agieren.
Er war nicht der einzige Agent, der sich überschätzte, gerade, wenn er auf Gastmählern auf Augenhöhe mit den obersten Scheichs tafelte. Mancher Agent vergaß, dass er von seinen Gastgebern nur als Vertreter seines Staates wahrgenommen wurde – in Erwartung bedeutender materieller oder kriegerischer Gegenleistungen, die zumindest die Agenten der Mission Klein schuldig bleiben mussten. Auch Lawrence von Arabien und Gertrude Bell überschätzten ihren persönlichen Einfluss mitunter stark. Im Fall der Mission Klein war eine Enttäuschung absehbar.
Bis zur Karun-Expedition gab das Kaiserreich 370.000 Reichsmark für die Mission aus. Das klingt nach viel Geld. Doch damit konnten die Deutschen mit der Großzügigkeit der Briten bei den Stämmen nicht mithalten. Lawrence spricht von umgerechnet bis zu 220 Millionen Reichsmark für seine arabische Revolte ein Jahr später. Bei aller Liebe zum „ritterlichen“ Araberfreund Wilhelm II.: Für die handfesten Interessen der Stämme waren die deutschen Versprechungen ein Tropfen auf dem heißen Stein. Seit Jahrhunderten lebten die Stämme davon, eingezwängt zwischen mächtigen Kontrahenten, aus jeder Lage das Beste für sich auszuhandeln: Waffen, Geld, Munition. Eigentlich vorhersehbar, dass die deutsche Karl-May-Romantik enttäuscht werden musste.


Literatur
Veit Veltzke: Unter Wüstensöhnen. Die deutsche Expedition klein im Ersten Weöltkrieg. Nicolai-Verlag 2014
Christopher Clark. Die Schlafwandler. Wie Europa in den Ersten Weltkrieg zog. Deutsche Verlags-Anstalt 2013
Herfried Münkler: Der große Krieg. Die Welt 1914-1918. Rowohlt 2013