Weibes Wonne
und Wert


Die Frauen in Richard Wagners "Ring des Nibelungen"

von Doris Schweitzer

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Walküre, Postkarte (Ausschnitt), um 1900..



Am 13. August 1876 hob sich zum ersten Mal der Vorhang für Richard Wagners Bühnenfestspiel "Der Ring des Nibelungen" im eigens dafür gebauten Bayreuther Festspielhaus. Kaiser Wilhelm I., Dom Pedro II., Kaiser von Brasilien und zahlreiche fürstliche Häupter waren angereist, um diesem spektakulären Ereignis und seinem Urheber die Reverenz zu erweisen. Auch Musiker und Pressevertreter aus aller Welt befanden sich unter den Premierengästen. Von Anfang an tobte ein Meinungsstreit um Wagners Hauptwerk, der bis heute anhält. Wie könnte das auch anders sein bei einem Werk, das so vielfältig gedeutet und vielfach missdeutet wurde, wie Wagners "Ring". George Bernhard Shaw sah in ihm ein sozialistisches Revolutionsstück, Wapnewski zumindest teilweise ein Ausdruck persönlicher Künstler- und Lebensproblematik, Chamberlain bezeichnete den "Ring" als Inkarnation deutschen Geistes und Adorno als präfaschistische Bedenklichkeit. Von den Zeitgenossen wurde das Werk als Blendwerk, Blödsinn, Chaos, musikalisch-poetisches Katzengold und liederliches Machwerk beschimpft. Bei Ernst von Pidde erscheint der "Ring" als "Abfolge orchestral aufgeputzter Straftatbestände." Nach gültigem Strafrecht bekäme das Nibelungen-Personal fünfmal lebenslänglich und 64 Jahre Haft.

"Wer den Ring begreifen will, muss die Geschichte des Werkes kennen", meinte 1970 der Musikwissenschaftler Carl Dahlhaus.
Voraussetzung für das Interesse des Komponisten an dem Stoff, der wie für die Bühne geschaffen erschien, war die Renaissance des um 1200 verfassten Nibelungenlieds im 18. und 19. Jahrhundert. In der Romantik avancierte es durch die 1807 erschienene Übertragung von Friedrich von der Hagen aus dem Mittelhochdeutschen zum Nationalepos. Ohne die wissenschaftliche Aufbereitung des Stoffes durch August Wilhelm Schlegel, der bereits 1802 auf die nordischen Quellen der Lieder-Edda hingewiesen hatte und nicht zuletzt durch die Gebrüder Grimm hätte Wagner die Ring-Dichtung allerdings nicht in Angriff nehmen können. Aber auch zeitgeschichtliche Ereignisse spielten wohl eine Rolle. Es war die Zeit des Goldrausches in Amerika und Wagner informierte sich intensiv über das dortige Geschehen. Er trug sich auch mit dem Gedanken der Auswanderung. Ein Umstand, mit dem er gern seine Gönner, wenn sie ihm ihre Zuwendungen versagen wollten, erpresste. Wagners Interesse am Gold war so groß, dass er Sympathie für Alberich empfand, und Alberich daher die einzige Figur aus der Götterwelt ist, die die Götterdämmerung überlebt. Zunächst aber plante Wagner im Herbst 1848 lediglich eine einzige Oper: Siegfrieds Tod. Wagner rollte die Handlung mit den Versdichtungen zur "Walküre" und zum "Rheingold" also rückläufig auf. Dabei bevorzugte er ganz eindeutig die nordischen Quellen, so die Völsungasaga bei der "Walküre". Da das Nibelungenlied stark seine Entstehungszeit im Hochmittelalter widerspiegelt, wandte sich Wagner den Helden- und Göttermythen in den skandinavischen Dichtungen zu, die er für seine Zwecke benutzte. Wagners kühne Mythen-Uminterpretation zeigt sich auch noch auf einer anderen Ebene: der dichterischen Form. Er hat die gesamte Ring-Dichtung in Stabreimen verfasst, dabei gebrauchte er die Alliteration derart flexibel, dass kein festes Versmaß entstand, sondern freie Rythmen. Prosa war zu jener Zeit in deutschen Operntexten unüblich. Wagner wollte aber ein Klangverlauf, in dem die gewohnte Folge von in sich abgeschlossenen, durch Rezitative verbundenen Gesangsnummern keine Rolle mehr spielte. Für den musikalischen Zusammenhang wählte Wagner daher die Leitmotivtechnik.

Richard Wagner war, wie viele Literaten seiner Zeit, ein psychologisch orientierter Mensch, und hat sich in seinen Werken mit menschlicher Liebe und Machtwillen und deren Zusammenhänge und Motivationen für Beziehungen beschäftigt. Seine Figuren sehnen sich nach Liebe, aber Nähe ist zu gefährlich für sie, so dass Macht- und Erfolgsstreben als Rettung vor der Liebe, die Oberhand gewinnen. Die Liebes- und Machtproblematik in seinen Werken, hat immer wieder Regisseure inspiriert, seine Opern neu zu interpretieren. Thomas Mann schrieb über Wagner und Ibsen: "Sie waren Männer des Werkes ganz und gar, Macht-, Welt- und Erfolgsmenschen durch und durch, politische Menschen in dieser Bedeutung (...) nordische Magier, schlimm verschmitzte alte Hexenmeister waren beide, tief bewandert in allen Einflüsterungs- und Faszinationskünsten (...)." Die Wagnerschen Männerfiguren opfern die Frau und die Liebe für Macht und Konvention. Intimität mit einer Frau erscheint ihnen zu gefährlich, weil es ihr männliches Selbstbild bedroht. Bei den Frauen hingegen werden Tendenzen zur Idealisierung, die bis zur Selbstaufgabe und Unterwerfung führen, deutlich. Der Verzicht auf Liebe und Sexualität bei einigen der Wagnerschen Frauengestalten gehört zum selbstquälerischen Beziehungsmuster der Selbstbestrafung. Grenzenlos ist die Erniedrigung, Unterwerfung und die Bereitschaft zum Leiden, die da auf sich genommen wird. Gleichzeitig wird damit aber auch Kontrolle und Druck auf den Partner ausgeübt. Eine Lösung für beide, Mann und Frau, ist bei Wagner nur im Tod gegeben.

Auch Wagners Privatleben war in Bezug auf Frauen kompliziert. Ihm ging es nicht nur um die Eroberung einer Frau, sondern mehr noch um den Sieg über einen Nebenbuhler. Grund dafür war vermutlich eine starke Mutterbindung und ein Rivalitätsverhalten gegenüber dem Stiefvater. Als solchermaßen "geschädigter Dritter" neigte Wagner notorisch dazu, anderen Männern die Frauen wegzunehmen. Mit Erfolg, wie seine lebenslange Tour d'amour bewies. Minna Planer war mit Alexander von Otterstedt verlobt - bis sie Wagner im Juli 1834 kennenlernte. Der verführte und heiratete sie. Nun betrog Minna ihn und er sie. Eine seiner Geliebten war Jessie Laussot, die Frau eines Weinhändlers, mit der Wagner die "gänzliche Flucht aus der Welt" plante, was immer er damit auch meinte. Jedenfalls drohte der betrogene Ehemann erst Wagner zu erschießen und verreiste anschließend mit seiner Frau, nicht ohne Wagner noch die Polizei auf den Hals zu hetzen. Diese Episode zeigt wie chaotisch und mitunter auch kurios Wagners Liebesleben war. Mathilde Wesendonck lernte er 1852 kennen. Auch sie war verheiratet, ihr Mann war ein Bewunderer und spendabler Mäzen des immer von Geldsorgen geplagten Wagner. Diese Liebe inspirierte ihn zu "Tristan und Isolde", die Geschichte von Richard und Mathilde. Beide Paare wohnten nun in unmittelbarer Nachbarschaft in Zürich und Mathilde las täglich was Wagner schrieb. Eine verbotene Liebe, skandalös und schuldbeladen, eine Liebe voller Sehnsucht und ohne Hoffnung. Am 18. September 1857 schrieb Wagner den Schluss von "Tristan und Isolde": König Marke verzeiht, will die Liebenden vereinen, doch Tristan vom Verräter Merlot verletzt, stirbt in Isoldes Armen, und sie sinkt sterbend über ihn. Eine Lösung bringt im Werk nur der Tod. In Wagners realem Leben flog das Liebespaar im April 1858 auf und Minna zog daraufhin nach Dresden. Otto Wesendonck verzieh seiner Frau. Wagner ging nach Venedig und komponierte dort weiter am "Tristan". Seine zweite Ehefrau Cosima, die erst mit Wagners Freund Hans von Bülow verheiratet war, war neben Mathilde eine der wenigen Frauen, die nachhaltigen Einfluss auf sein Werk nahmen. "Der Fluch seines Lebens sei Armut und Ehe", hat er einmal zu Cosima gesagt - "beides ist in gleichem Maße schrecklich." Cosima wurde dennoch zur Mutter seiner Kinder, zu seiner wichtigsten Mitarbeiterin und nach seinem Tod zur "Herrin von Bayreuth".

Bereits im "Rheingold" muss die urzeitliche Macht des Matriarchats der Macht des Patriarchats weichen. Wotan, das Oberhaupt der Lichtalben stellt die Verkörperung von Macht, Gesetz und Ordnung dar. Seine Macht verdankt er Verträgen. Vom Matriarchat bleiben nur einige wenige Frauen übrig. Fricka, die als Schutzgöttin die Ehe verteidigt, ihre Schwester Freya, die durch ihre goldenen Äpfel den Göttern ewige Jugend schenkt und die Walküren, die einzigen bewaffneten Frauen in Wagners Werken. Auch sie müssen sich in der nun dominierenden Männergesellschaft deren herrischen Prinzipien unterwerfen und das Gesetz über die Liebe stellen. Liebe und Macht verhindern sich gegenseitig. "Nur wer der Minne Macht versagt, nur wer der Liebe Lust verjagt, nur der erzielt sich den Zauber, zum Reif zu zwingen das Gold." (Alberich 1.Szene)

In Wagners Werken findet man nur sehr wenige Ehepaare und die wenigen sind nicht glücklich miteinander. Im "Ring" raubt Hunding Sieglinde und nimmt sie mit Gewalt zur Frau, Fricka und Wotan leben in Dauerstreit. In diesen Eheproblemen liegt bereits der Ursprung für den Untergang der Götter. Die Göttin Frigg war, so steht es in Snorri Sturlusons Mythographie aus dem 12. Jahrhundert, die Tochter von Fjörgwin und gebar Odin einen Sohn. Sie war die oberste und vornehmste Göttin aus dem Geschlecht der Asen, die das alte Asgard bewohnten. Als Beschützerin der Ehe sorgte sie ähnlich wie Freya für Fruchtbarkeit und leistete Geburtshilfe. Sie war nicht die Treuste und teilte auch nicht immer die Meinung ihres Göttergatten, wobei sie in Auseinandersetzungen nicht immer den Kürzeren zog. Die Änderungen, die Wagner für seine Fricka vornahm, sind beträchtlich. Im "Ring" ist sie notorisch eifersüchtig und hat eine Schwäche für schönen Hausrat und Schmuck. Ihre Moral und Prinzipien sind eisern, aber nicht völlig gegen Verlockungen wie Reichtum und Machtpositionen gefeit. Sie hält weit mehr als Wotan auf Gesetz und Ordnung. Anders als die nordische Göttin versucht sie keine Tricks und sie hat keine Kinder. Wagners Fricka Porträt erzählt die Geschichte einer aristokratischen, konservativen Frau mit bürgerlichen Gewohnheiten, in einer Zeit, die sich im Umbruch befindet. Die Krise des ständischen Gesellschaftssystems zu Beginn des 19. Jahrhunderts wird auch im Streit um Freya deutlich. Gibt Wotan die Liebesgöttin Freya den Riesen als Lohn für den Bau Walhalls, verliert er alles, denn Freyas goldene Äpfel symbolisieren nicht nur Jugend und Potenz, sondern in einem weiteren Sinn die göttliche Legitimation feudaler Machtbefugnisse. Mit der Krise gerät auch Fricka ins Blickfeld. Im Streit mit Wotan wirft sie diesem leichtsinningen Vertragshandel mit den Riesen vor, bei dem die Frauen ausgeschlossen waren. "Doch mutig entferntet ihr Männer die Frauen, um taub und ruhig vor uns, allein mit den Riesen zu tagen." Sorgt sich Fricka vorerst nur um die Familie, erkennt sie doch die Möglichkeit, die das geraubte Nibelungengold bietet, nämlich ihren untreuen Gatten bei Heim und Herd zu halten und vergißt dabei alle Moral. "Gewänne mein Gatte sich wohl das Gold?" Das Motiv der Liebesgöttin taucht bereits in Loges Erzählung von "Weibes Wonne und Wert" auf. Liebe ist durch nichts zu ersetzen und daher auch nicht zu kaufen. Nun spielt Fricka aber mit dem Gedanken durch das Gold Wotan manipulierend an sich zu fesseln. Erst als Freya mit dem Gold aufgerechnet wird, die Frau wird Sachwerten angeglichen, begreift Fricka was da mit dem Schatz in ihre Götterfamilie hereinbricht. Noch ist von Frickas Kraft und ihrem Durchsetzungswillen nichts vorhanden. Erst in der "Walküre" wird sie zu Wotans Gegenpart, je mehr dieser sich von der alten Ordnung abkehrt, umso heftiger klammert sich Fricka an die Normen einer traditionellen Ordnung, die von Auflösung begriffen ist. Statt Fricka ist nun Brünnhilde, Wotans Tochter mit Erda zur Vertrauten des Gottes geworden. Die traditionelle Hierarchie im Clan der Götter hat sich verändert und Fricka reagiert darauf mit Groll. Untreu war Wotan schon immer gewesen, er badete sogar mit den Rheintöchtern, dem "Wassergezücht". Nun richtet sie ihren Zorn auf das ehebrecherische Wälsungenpaar. Sie fürchtet den Untergang des Göttergeschlechts, wenn diesem Treiben nicht Einhalt geboten wird. "Von Menschen verlacht, verlustig der Macht, gingen wir Götter zugrund." In der Auseinandersetzung mit Wotan geht es Fricka nicht mehr um Liebe, Treue, Sex und Moral, sondern um den Erhalt der geburtsständischen Ordnung. Ihr Ton ist härter und erbarmungsloser als im "Rheingold". Es gehe nicht an, dass sie als Göttin Siegmund, Wotans illegitimen Sohn, der ihm "als Herren hörig und zu eigen" sei, nun auf einmal gehorchen solle. Siegmund muss im Namen der Ehre Frickas als höchster Göttin und des gesamten Hauses Wotan geopfert werden. Fricka geht als Siegerin hervor, doch zu welchem Preis? Mit der Opferung Siegmunds führt sie auch ihr eigenes Ende herbei.

Von der Emanzipationsbewegung seiner Zeit hielt Wagner wenig. Im Gegenteil, eine Vermännlichung der Frau erschien ihm falsch und gefährlich. Politisch aktive Frauen waren Wagner ein Gräuel.
Er sah es gern wenn Cosima ein konventionelles Frauenbild pflegte. Nur ihr allein gelang es, ihn von sich abhängig zu machen. Oft wurde Cosima mit Fricka verglichen, sie diente ihrem Mann aber auch als Vorbild für Sieglinde und Brünnhilde. Mit Brünnhilde erschuf er sich eine Idealfrau, wie er sie gerne gehabt hätte. Über-Mutter, Gefährtin und Geliebte in einer Person. "Was ihm Cosima im Leben war, ist im Werk Brünnhilde: das Weib der Zukunft."

Brünnhilde ist eine der neun Töchtern Wotans, die aus seinen illegitimen Beziehungen hervorgegangen sind. Brünnhildes Mutter Erda ist noch Teil des vorgeschichtlichen Matriarchats. Sie ist die Urmutter, die alles weiß und alterslos ist. In der "Edda" steigt Wala, die wissende Frau aus der Unterwelt herauf, nachdem Odin sie erweckt hat. "Ewiges Weib", nennt Wotan Erda, und sie selbst bezeichnet sich als "der ewigen Welt Urwala". Ihre Töchter, die Nornen, nennt sie "Urerschaffene" und diese Urzeugungskraft verbindet Erda mit der Urgottheit Gaia aus der griechischen Mythologie, mit der Wagner bestens vertraut war. Erda prophezeit Wotan: "Alles was ist, endet! / Ein düstrer Tag / dämmert den Göttern: / dir rath' ich, meide den Ring!" Um Wissen zu erlangen, folgt er ihr, zwingt sie mit Liebeszauber und zeugt Brünnhilde, das wissende Kind. In Brünnhilde findet Wotan Wissen, Wachbewußtsein und Handlungsbereitschaft vereint und damit die Voraussetzung für die Erlösung der Götter. "Wachend wirkt / dein wissendes Kind / erlösende Weltentat." Wotan glaubt, mit der von ihm geplanten Erlösungstat seiner Kinder, Erdas Wissen überwunden zu haben. Entgegen der Allgewalt des männlichen Willens ist es aber Erda, die , allen Redens zum Trotz, das letzte Wort behält. Wagner lässt das Seil der Nornen an den Folgen der Männertaten zerreißen und die Nornen kehren zur Mutter hinab.

Brünnhilde geht wie ihre Halbschwestern einem männlichen Handwerk nach. Als Walküren entscheiden sie, wer von den in der Schlacht gefallenen Helden nach Walhall gebracht wird. Die Walküren sind die einzigen bewaffneten Frauen in Wagners Werken. Sie benutzen ihre Waffen jedoch nicht, sondern tragen sie nur als Symbol. Die Kämpfe finden zwischen den Männern statt. Die Walküre bei Wagner wägt, ordnet und zeichnet aus, immer aber im Namen Wotans.
In einem angelsächsischen Glossar aus dem 8. Jahrhundert werden die Walküren in die Nähe der Rachegöttinnen, der Erynnien gerückt und im 11. Jahrhundert werden sie in einer englischen Predigt als "wiccan and waelcyrian" bezeichnet. Die Nähe zur Hexe ist hier offenkundig: durch die Lüfte fliegend, runenkundig, männerlos. Die wichtigsten Sagenbearbeitungen der Brünnhilde-Figur sind in der "Edda", der "Völsungasaga", der "Thidrekssaga" und dem "Nibelungenlied" zu finden, die alle in ihrer schriftlichen Form im 13. Jahrhundert entstanden sind. Brünnhilde besitzt in der "Edda" übermenschliches Wissen, sie kennt die Runen, sie weiß die Sprache fremder Völker und besitzt die Gabe der Heilkunst. Die Walküre schläft auf einem Felsen. In dem Fafnir-Lied, einem anderen Teil der "Edda" heißt es: "Diese Maid ist eine Schlachtenjungfrau, die auf Odins Geheiß von flammender Lohe umgeben auf einem Feuer schläft, weil sie andere fällte, als der Gott bestimmt hätte." Neben diesen Sagenstoffen kannte Wagner sicher auch etliche spätere Bearbeitungen. Friedrich Hebbel hat fast zeitgleich mit Wagner seinen Dramenzyklus "Die Nibelungen" veröffentlicht. Die Brunhild bei Hebbel ist zu Beginn ein "Teufelsweib", ein "Mannweib", die letzte "Riesin", ein "Vampir". Mit einem Fingerschnippen könne sie ihre Freier fortschnellen und auf jedes Glied in ihrem Leibe käme einer, den die kalte Erde deckt. Dieses wilde Weib gilt es bei Hebbel zu zivilisieren und zu zähmen. Im Gegensatz zu Hebbel macht Wagner aus der Brünnhilde-Geschichte keinen Geschlechterkampf, sondern eine Auseinandersetzung mit dem Männlichkeitsideal. Gunther und Siegfried sind bei ihm eindeutig nicht im Recht. Die Frauen haben die Moral auf ihrer Seite. In einem Brief an seinen Musikdirektor und Freund August Röckel, schrieb Wagner am 25.1.1854: "Wenn wir jetzt von "Mensch" reden, sind wir allerdings so lieblos dumm, unwillkürlich uns immer nur den Mann zu denken - allein, der wirkliche Mensch ist Mann und Weib, und nur in der Vereinigung von Mann und Weib existiert erst der wirkliche Mensch....Auch Siegfried allein ist nicht der vollkommene Mensch, er ist nur die Hälfte,....und das leidende, sich opfernde Weib wird endlich die wahre wissende Erlöserin, denn die Liebe ist eigentlich das ewig Weibliche selbst."

Die 1830iger und 1848iger Aufstände haben zu heftigen Erschütterungen eines Männlichkeits- und Weiblichkeitsverständnisses geführt. Wagners Darstellung des Männlichen und Weiblichen zeugen von seiner Auseinandersetzung mit der patriarchalischen Männerrolle, die er einerseits lebte und andererseits oft durchbrach. Das Verhältnis Brünnhilde - Wotan ist hierfür beispielhaft. Sie ist die weibliche Ergänzung. In ihr sieht Wotan ein Teil seiner Selbst. Brünnhilde: "Zu Wotans Willen sprichst du, / sagst du mir was du willst: / wer - bin ich, wär ich dein Wille nicht?" Wotan: "Was keinem in Worten ich künde, / unausgesprochen bleib es ewig: / Mit mir nur rat ich, / red' ich zu dir,..." Brünnhilde ist nicht nur der Spiegel Wotans, sein zweites Ich, Brünnhilde rebelliert gegen ihren Vater. Sie widersetzt sich dem Patriarchen und entscheidet frei. Mit Brünnhilde übernimmt eine Frau die Handlung. Eine Handlung, die bis zu diesem Zeitpunkt aus von Männern begangenen Untaten besteht. Die Göttin Freya wurde von Wotan zur bloßen Ware herab degradiert, Sieglinde, die einzige Frau, die in Wagners Werken Mutter wird, wurde einem Unbekannten zur Frau gegeben. Es gelang ihr zwar, sich kurzfristig aus ihren Zwängen zu befreien, aber nur um Siegfried das Leben zu schenken. Und Gutrune handelt nie selbstständig, sondern nur auf Anweisung ihres Halbbruders Hagen.

Die Entfaltung von Brünnhildes Charakter beginnt mit der Erfahrung der Liebe zu Wotan und den Wälsungen, führt über das Leiden der Wahrhaftigkeit in ihrer Auflehnung gegen Wotans Gebot Siegmund zu töten und ihrer Rache an Siegfrieds Verrat bis zur Freiheit durch den Tod. Sie wird diese Kardinaltugenden am Ende in die Utopie einer neuen Gesellschaft einbringen. Durch die Konfrontation mit der Macht der Liebe, die sie bei Sieglinde und Siegmund erlebt, setzt der Prozess ihrer Emanzipation, ihrer Befreiung aus Unselbstständigkeit und Fremdbestimmung ein.
Sie ist eben nicht nur Spiegel, sie denkt selber und entscheidet sich für ihre Halbgeschwister und deren Liebe. Aber selbst im Trotz gegen den Vater glaubt sie, dessen inneren Zwiespalt dadurch heilen zu können, indem sie Siegmund rettet. Wotan reagiert auf diesen Ungehorsam wie ein gekränkter Mann gegenüber einer betrügerischen Geliebten. Er spricht nur noch in der Vergangenheitsform von ihr als sei sie bereits gestorben. Kraft seiner patriarchalischen Richter- und Strafgewalt enthebt er Brünnhilde ihres Walkürenamtes und beraubt sie ihrer Göttlichkeit. Er entbindet sich seiner Verantwortung und Fürsorge für seine Tochter und liefert sie einem anderen Mann aus. Durch die Art der Strafe betont er sein Recht als Besitzer dieser Frau, sowohl physisch als auch psychisch. Ohne Schutz des Vaters ist sie nun Beute für jeden Mann, der des Weges kommt. Wotan beraubt sie symbolisch durch die Wegnahme ihrer Waffen jeglicher Möglichkeit der Verteidigung. "Hierher auf den Berg / banne ich dich; / in wehrlosen Schlaf / schließe ich dich fest: / der Mann dann fange die Maid, / der am Wege sie findet und weckt. / ...Durch die Lüfte nicht reitet sie länger; / die magdliche Blume / verblüht der Maid; / ...dem herrischen Manne / gehorcht sie fortan; / am Herde sitzt sie und spinnt, / aller Spottenden Ziel und Spiel."

Hier beschreibt Wagner ziemlich genau seine bürgerliche Gegenwart und das Gewaltverhältnis zwischen Mann und Frau. Als Strafe droht Brünnhilde also die Vergewaltigung durch einen fremden Mann, der zu ihrem neuen Besitzer wird. Als Gunstbeweis an sein geliebtes Kind gesteht Wotan ihr den Feuerwall zu. Brünnhilde darf sich nicht mehr selbst verteidigen, sie muss ihre Verteidigung Loge, dem Gott des Feuers, überlassen. Mit der Bestrafung Brünnhildes bestraft Wotan sich auch selbst. Schon angeschlagen durch den Kampf mit Fricka und mit zunehmenden Selbstzweifel geplagt, verliert er nun auch noch seinen besseren Teil : "Denn einer nur freie die Braut, / der freier als ich, der Gott." Dieser eine wird Siegfried sein, der Mann der Zukunft, der nicht an die göttlichen Verträge gebunden ist, und mit ihm wird die Katastrophe ihren Lauf nehmen. "Der Knabe, der das Fürchten nicht kennt", der wird Wotan überwältigen und auch Brünnhilde. Der Sohn Siegmunds und Sieglinde, derentwegen sich Brünnhilde gegen den Vater auflehnt, eben dieser Sohn wird sie aus dem Schlaf wecken. Erst freut sie sich darüber, aber schnell merkt sie, dass Siegfried, der Naturbursche, der nicht nur das Fürchten nicht lernte, nicht begreift, was sie ihm sagt. Aus der Tochter Wotans, der rebellischen Walküre wird eine Frau, die um ihre körperliche Unversehrtheit bitten muss: "Zwinge mich nicht / mit dem brechenden Zwang, / zertrümm're die Traute dir nicht!" Doch Siegfried weiß nicht wovon die Rede ist: "Lache und lebe süßeste Lust! / Sei mein! Sei mein! Sei mein!" Brünnhilde erkennt, dass ihr keine Wahl bleibt und verabschiedet sich von ihrer Vergangenheit. Aus der Göttin und Kriegerin wird eine wohlerzogene, höfische Frau. Sie unterwirft sich der Allgewalt des männlichen Körpers. "Lachend will ich erblinden, / lachend laß uns verderben, / lachend zugrunde gehn!...Leuchtende Liebe / lachender Tod."

Brünnhildes Unterwerfung ist keine soziale sondern eine rein sexuelle. Liebe und Ehe kommen an praktisch keiner Stelle im "Ring" zur Deckung. Die Liebe führt hier keineswegs zu geordneten Verhältnissen, das Gegenteil ist sowohl bei Siegmund und Sieglinde, wie auch bei Brünnhilde und Siegfried der Fall. Schon ihre Herkunft, Siegmund und Sieglinde entstammen einem Ehebruch, Brünnhilde einer Vergewaltigung und Siegfried einem Inzest, hätte ihnen zuvor jede Daseinsberechtigung auf der Opernbühne verweigert. Da herrschte selbst in dem Sündenpfuhl der Pariser Halbwelt mehr Ordnung wie Verdis "La Traviata", die zeitgleich mit den frühen Teilen des "Rings" entstanden ist, zeigt. Die Utopie eines neuen Menschen, die Siegmund und Sieglinde verkörpern sollten, ging jedenfalls schneller und gründlicher als jede andere im "Ring" zu Bruch. Siegfried, der von den Eigenschaften seines Vaters, der Fähigkeit zur Liebe und zur Hingabe wenig besitzt, macht durch seinen Charakter und die Umstände, den Traum von einem neuen Verhältnis der Geschlechter gründlich zunichte. Er bricht auf zu neuen Taten und Brünnhilde bleibt nur der fluchbeladene Ring, den ihr Siegfried als Liebespfand übergibt. Dieser Ring wird Brünnhilde später die Intrige erkennen lassen, nachdem Siegfried sie ein zweites Mal überwältigt. Erst nachdem sie dafür gesorgt hat, dass Siegfried getötet wird und ihr somit Gerechtigkeit widerfährt und ihre Ehre wieder hergestellt ist, wird sie wieder Wotanstochter. Und ihr Vater ist es, mit dem sie die letzte Rechnung aufmacht. "Alle Eide, / alle Verträge, / die treueste Liebe / trog keiner wie er!" "Meine Klage hör, / du hehrster Gott! / ... Mich mußte / der Reinste verraten, / daß wissend würde ein Weib!" Brünnhilde hat die Kraft und die Macht das Ende, auf das Wotan resigniert wartet, herbeizuführen. Brünnhilde, die gedemütigte Frau, deren Liebe verraten und die betrogen wurde, befreit sich selbst und mit ihr die Welt und die Menschen, die nun in einer neuen Welt als freie Menschen leben können. Nur ein liebendes Weib kann bei Wagner die sündigen Titelhelden erlösen, so auch im "Fliegenden Holländer" und im "Tannhäuser". Jeweils ist es ein beispielhafter Tod, welcher Hoffnung auf ein neues, besseres Leben weckt. Brünnhilde sucht den Tod als höchste Form der Liebe. "Liebe, die zum befreienden Tod führt, aber eben auch zu jenem Tod, der die Welt befreit" (Dieter Schickling). Das Feuer, das sie einst umschloss, gibt sie weiter. "Der Götter Ende / dämmert nun auf. / So werf ich den Brand / in Walhalls prangende Burg." Mit dem Weltenbrand werden noch zwei Göttinnen ausgelöscht: Freya und Fricka. Nur Gutrune überlebt, versteht aber nicht was passiert ist. Zurück bleiben Männer und Frauen für einen neuen Anfang. "Die sind es, für die das Feuer lohnt - vielleicht."

Das Wesen der Liebe schreibt Wagner in seinem Brief an August Röckel, liegt nicht in einer "gedachten, abstrahirten, unsinnlichen ...Liebe, sondern in der Liebe des Ich und Du." Nur daraus können Freiheit und Wahrhaftigkeit entstehen. Diese Liebe ist das Ziel der Menschheitsentwicklung. Dass Wagner dieser Einsicht treu geblieben ist, zeigt das "tönende Orakel" am Schluss der Götterdämmerung, das die Utopie der Liebe selbst im Augenblick des Scheiterns noch in all ihrer Schönheit deutlich macht.


Literatur



Udo Bermbach (Hrsg.): In den Trümmern der eigenen Welt, Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen";
Reimer, Berlin, Hamburg 1989

Udo Bermbach (Hrsg.): Alles ist nach seiner Art. Figuren in Richard Wagners "Der Ring des Nibelungen";
Metzler, Stuttgart 2001

Udo Bermbach, Dieter Borchmeyer (Hrsg.): Richard Wagner "Der Ring des Nibelungen". Ansichten des Mythos;
Metzler, Stuttgart, Weimar 1995

Martin Gregor-Dellin: Richard Wagner;
Piper, München 1980

Joachim Heinzle, Anneliese Wald-Schmidt: Die Nibelungen. Ein deutscher Wahn, ein deutscher Alptraum;
Suhrkamp, Frankfurt a. M. 1991

Anita von Raffay: Die Macht der Liebe - die Liebe zur Macht. Psychoanalytische Studien zu Liebe/Macht Verhältnissen in Dramen Wagners und Ibsens;
Lang, Frankfurt a. M. 1995

Dieter Schickling: Abschied von Walhall, Richard Wagners erotische Gesellschaft; Droemer Knaur,
Stuttgart 1983

Peter Wapnewski: Der Ring des Nibelungen. Richard Wagners Weltendrama;
Piper, München 1998

Richard Wagner: Der Ring des Nibelungen, ein Bühnenfestspiel für drei Tage und einen Vorabend;
Reclam, Stuttgart 1998