Vision und Ekstase

Die großen Mystikerinnen
des Mittelalters

von Doris Schweitzer

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Theresa von Ávila, Gemälde von Rubens, 1615..



Das 12. Jahrhundert gilt als das Jahrhundert des Aufbruchs, als Umbruchzeit, in der die Blüte der Klöster zu Ende ging und die große Zeit der Kathedralen begann. Zugleich setzte eine Expansion nach außen ein, die mit den Kreuzzügen begonnen hatte. Sie beschränkte sich aber nicht nur auf militärische Eroberungszüge, sondern eröffnete auch die Möglichkeit, Vergleiche zwischen europäischen Verhältnissen und fremden Kulturen herzustellen. Die internationalen Handelsmöglichkeiten dehnten sich aus, das Wegenetz wurde erweitert und das Warenangebot vergrößert. Auch der geistige Austausch fand in größerem Maß statt. So gelangten medizinische Kenntnisse und philosophische Methoden aus dem Morgenland nach Europa. Durch die Verbesserung von Agrartechniken verringerte sich die Häufigkeit von Hungersnöten, die Bevölkerung wuchs rasch an. Die Zusammensetzung der Bevölkerung änderte sich. Neben Händlern, Kaufleuten und Handwerkern gab es auch eine große Unterschicht aus Gesellen, Knechten, Mägden und Tagelöhnern. Im 12. und 13. Jahrhundert entstand die höfische Kultur adeliger Damen und Herren, die sich in der Kleidung, im höfischen Fest, dem Turnier und anderen Repräsentationsformen ausdrückte. Um diesen aufwendigen Lebensstil zu finanzieren, bedurfte es der Umstellung der von den Bauern geforderten Leistungen. Statt Naturalien wurde nun eine Geldpacht erhoben. Benediktinische und zisterziensische Klöster wandelten sich von Lehnsherren zu Pachtherrren, für die die Eigenwirtschaft eine immer geringere Rolle spielte. Luxusgüter wurden ebenso wie die landwirtschaftlichen Überschüsse auf den Märkten in den Städten angeboten. Diese Märkte waren wesentlicher Bestandteil der urbanen Kultur. Durch die viel stärker fluktuierende Gesellschaft der Städte wurde die Dreiständeordnung von Betern, Kämpfern und Bauern ins Wanken gebracht. Eines der treibenden Elemente in diesen Umschichtungsprozessen waren die Kaufleute und Händler, die für neue Formen der Herrschaft und des gesellschaftlichen Zusammenlebens besonders aufgeschlossen waren. Von diesen Veränderungen betroffen waren sowohl Benediktiner und Zisterzienser als auch die Ritterorden. Das Christusbild begann sich zu ändern und mit ihm die Vorstellungen über die Möglichkeiten der Annäherung an Gott. Aus dem strengen und richtenden Gott der Romanik wurde der leidende Gott, der Retter, der erbarmungslos Gekreuzigte der Gotik. So wie sich das Bild von Jesus Christus wandelte, wandelte sich auch das Bild der Gottesmutter. Aus der strengen Maria wurde die junge, liebende Mutter. Auch die Heiligen kamen der irdischen Welt näher. Ein Leben in der Nachfolge Christi, die selbstgewählte und gelebte "vita apostolica" in demütigender Armut wurde zum neuen Lebensideal. Kein Ideal stand stärker im Mittelpunkt der Spiritualität des Spätmittelalters als dasjenige der "vita apostolica". Die reichen Städter bekamen durch die steigende Anerkennung dieser Lebensform ein schlechtes Gewissen und versuchten dieses durch Barmherzigkeit in Form von Schenkungen und Stiftungen für die städtischen Armen zu kompensieren. Das Gleichnis vom reichen Prasser und armen Lazarus war an vielen Kirchentüren als Warnung dargestellt. Mit dem Kathedralbau im 12. Jahrhundert gingen die kirchlichen Institutionen eine enge Bindung mit den städtischen Bewohnern ein. Eine Kathedrale entstand im Zentrum einer Stadt, an deren Gestaltung die ganze Gemeinde aktiv Anteil nahm. Dadurch entstanden neue Arbeitsplätze. Fremde und Reisende, die von den Reliquien angelockt wurden, benötigten eine Herberge und Verpflegung. Die Märkte fanden oft direkt auf den Vorplätzen der Kathedralen statt, die nicht nur Repräsentationsstätten waren, sondern auch zu Stätten von Rechts- und Verkaufsgeschäften wurden. Im 12. Jahrhundert lagen nur wenige Klöster innerhalb der Stadtmauern. Die Städter gingen zum Gottesdienst in ihre Pfarrkirchen. Die wachsende Zahl der Gemeindemitglieder und deren steigende Ansprüche zur Befriedigung ihrer religiösen Bedürfnisse begannen die Pfarrer zu überfordern. Es bedurfte neuer Formen der Zuwendung. In diese Lücke stießen im 12. Jahrhundert die sogenannten Bettel- bzw. Predigerorden: Die Franziskaner, die mit Armenfürsorge, Krankenpflege und auch seelsorgerischem Zuspruch auf großen Widerhall stießen und die Dominikaner, die sich vornehmlich der Predigt, der Volksmission, dem Unterricht, den Studien und den Wissenschaften verschrieben.

Die Franziskaner
Zwei Namen sind untrennbar mit der Entstehung der neuen Orden verbunden: Francesco Bernardone war der Begründer des Ordens der fratres minores, und Dominicus Guzmán der Gründer des Predigerordens.
Da die Gemeinschaft der Franziskaner auf Almosen angewiesen war, nannte man sie kurzerhand Bettelmönche. Sie selbst bezeichneten sich als "Mindere Brüder". Drei Bibelstellen wurden zu ihren Leitsätzen: "Wenn du vollkommen sein willst, geh, verkauf deinen Besitz und gib das Geld den Armen" (Matthäus 19,21), "Nehmt nichts mit auf den Weg" (Lukas 9,3), "Wer mein Jünger sein will, der verleugne sich selbst" (Matthäus 16,24). Bei allen drei Texten handelt es sich um klassische Aussagen des evangelikalen Verständnisses der "vita apostolica". Der Orden breitete sich bald in ganz Italien aus und sprang sehr schnell auf andere europäische Länder über. Im Gegensatz zu den klassischen Orden kannten die Franziskaner nicht das strikte Gebundensein an ein Kloster. Bald kam es aber zum Streit um die Ordensorganisation. Der sogenannte Armutsstreit hatte zur Folge, dass sich ein Teil der Brüder nun doch zu einer eher festen klösterlichen Lebensweise bereit fand. Im Jahre 1316 unterhielten die Franziskaner in Italien, Frankreich und Deutschland 1049 Klöster. Dazu zählten auch die Klarissen, die als weiblicher Orden von Clara Offreduccio aus Portiuncula gegründet worden war. 1517 entstand der dritte große Orden franziskanischer Prägung: die Kapuziner.

Die Dominikaner
Als der geistig führende der Bettelorden gilt der Ordo Fratrum Praedicatorium (Orden der Predigerbrüder). Er zählt Armut, Keuschheit und Gehorsam zu seinen Grundgelöbnissen und kennt wie die Franziskaner keine Ortsgebundenheit. Der bedeutendeste Kirchenlehrer des Mittelalters, Thomas von Aquin (1226-1274), war Dominikaner. Zahlreiche Lehrstühle an den Universitäten von Paris, Oxford, Bologna und bereits 1553 in Lima in Lateinamerika wurden von Dominikanern besetzt. Bedeutende Schriftsteller, Historiker, Mystiker und Mystikerinnen gingen aus dem Orden hervor. Wirkungsfeld der Dominkaner waren die Städte, in ihnen bauten sie ihre Klöster und Studienzentren. In den Jahren 1206-1217 gliederte Dominicus Guzmán seinem Orden auch einen weiblichen Zweig an. Alsbald fand man die Konvente der Dominikanerinnen in jeder größeren Stadt - von Sizilien bis Skandinavien und vom Atlantik bis nach Polen und Ungarn.

Hildegard von Bingen
Hildegard von Bingen zählt zu den bedeutendsten Frauen des Mittelalters. Sie leitete zwei Klöster und predigte auf Marktplätzen öffentlich dem Volk und das zu einer Zeit in der Frauen als minderwertig und seelenlos galten. Ihre Werke befassen sich mit Religion, Medizin, Musik, Ethik und Kosmologie. Sie gilt als Begründerin der mittelalterlichen Mystik. Historiker und Theologen sind sich allerdings bis heute nicht einig, ob Hildegard als Mystikerin oder eher als Seherin oder Prophetin zu bezeichnen ist. Ihre Ausführungen lassen keine "unio mystica" erkennen, wie man sie speziell von Mystikerinnen erwartet. Auf ihre mystischen Erfahrungen geht sie nur sehr zurückhaltend ein, mit nüchternen Worten, was generell charakteristisch für ihre Schreibweise ist. Hildegard wurde 1098 in Bermersheim bei Alzey als zehntes Kind der Edelfreien Hildebrecht und Mechthild von Hosenbach geboren. Jutta von Sponheim übernahm ihre Erziehung als Hildegard acht Jahre alt war. Als 14-Jährige ging sie mit ihrer Erzieherin in Klausur in das Benediktinerkloster Disibodenberg. Dort wurde sie 1136 zur Oberin gewählt. Fünf Jahre später begann die Benediktinerin einem Befehl Gottes folgend: "Schreibe auf, was du siehst und hörst!" ihre Visionen niederzuschreiben. Schon als Kind hatte sie "Gesichte geschaut", ein solch direkter Auftrag war jedoch neu. Hildegard fühlte sich dieser Aufgabe nicht gewachsen und wurde schwer krank. Immer wenn sie ihrer Berufung nicht folgte, litt sie an Krankheiten. In ihrer Not vertraute sie sich dem Probst des Klosters an, der versprach sie zu unterstützen. Zusammen mit Probst Volmar und ihrer Vertrauten, der Nonne Richardis schrieb Hildegard ihre Visionen, sowie ihre theologischen und anthropologischen Abhandlungen nieder. Ihre Tätigkeiten blieben nicht unbemerkt und so sandte Papst Eugen III. eine Kommision auf den Disibodenberg, um Hildegards Schriften zu prüfen. 1147 wurde sie offiziell als Seherin anerkannt. Das verschaffte ihr eine viel größere Machtposition. Dank ihres neuen Status konnte Hildegard nun selbstbewußt in der Öffentlichkeit auftreten. Sie korrespondierte mit zahlreichen bedeutenden Persönlichkeiten, so auch mit Kaiser Friedrich Barbarossa, dem Papst und dem "Liebesmystiker" Bernhard von Clairvaux. Ihr Ruhm, der sich hauptsächlich auf ihre theologischen Werke "Liber Scivias Domini" (Wisse die Wege des Herrn) gründete, wuchs stetig an. In einer Vision erhielt sie den Befehl, ein Kloster auf dem Rupertsberg zu errichten. Nur Abt Kuno wollte sie nicht ziehen lassen und Hildegard reagierte darauf erneut mit schwerer Krankheit. Erst nach zwei Jahren gab der Abt nach und Hildegard gründete 1150 das Kloster Rupertsberg. Zwischen 1160 und 1170 unternahm sie vier große Predigtreisen, die vom Mut ihres öffentlichen Auftretens zeugen. Hildegard vertrat in vielen Dingen ihre eigenen Ansichten, auch was die Sexuallehre betraf, die aber streng einem großen Göttlichen untergeordnet waren. In Glaubensdingen war sie oft eine Eiferin, die erbarmungslos gegen die Katharer wetterte. Hildegard wurde als geistige Ratgeberin geschätzt; sie durfte sich sogar gegenüber den kirchlichen Autoritäten kritisch zu Missständen in der kirchlichen Hierarchie äußern. Neben ihren theologischen Werken schrieb die
Äbtissin medizinisch-heilkundliche Bücher sowie Singspiele und Lieder. Sie starb am 17. September 1179 im hohen Alter von 82 Jahren. Keine Frau nach ihr war derartig produktiv wie Hildegard von Bingen.
Ein im 13. Jahrhundert eingeleiteter Heiligsprechungsprozess war nie zum Abschluss gelangt. Erst 2012 hat Papst Benedikt XVI. Hildegard von Bingen offiziell in die Liste der Heiligen der katholischen Kirche aufgenommen.

Die Beginen
Seit dem 12. Jahrhundert gab es auch eine zunehmende Laienbewegung, die jegliche Vermittlerrolle von Geistlichen ablehnte und andere als die von der Kirche anerkannten Glaubensgrundsätze vertrat. Einer der bekanntesten Laienbewegung war die Beginen-Bewegung. Der Zulauf von Frauen zu den Franziskanern und Dominikanern wurde im 13. Jahrhundert so stark, dass diese sich weigerten, weitere Frauen in den Konvent aufzunehmen. Viele Frauen schlossen sich wohl aus diesem Grund ohne Bindung an einen Orden in selbstverwalteten Gemeinschaften zusammen. Man nannte sie Beginen. Ihre Lebensform verbreitete sich in der ersten Hälfte des 13. Jahrhunderts in Flandern, Brabant, den nördlichen Niederlanden, in Deutschland, Frankreich, Italien und der Schweiz. Die deutschen Hochburgen waren die Städte Köln, Mainz, Worms, Trier und Würzburg. Die Beginen lebten meist in sogenannten Beginenhöfen in der Nähe der Häuser der Bettelorden. Sie unterstanden keiner festen Regel und legten auch kein Gelübde ab. Aber sie gaben ihre soziale Stellung auf und verpflichteten sich zu einem Leben in Keuschheit und Armut im Sinn der "vita apostolica". Für viele Frauen war dies eine Alternative zu Ehe und Familie. Auch die Möglichkeit sich zu bilden oder der Wunsch Kranke zu pflegen dürften für einige Frauen eine Rolle gespielt haben. Die städtischen Hospitäler eröffneten ein weites Feld aktiver Tätigkeiten und sicherten so auch die autonome wirtschaftliche Existenz der Beginen. Neben der Krankenpflege bestritten sie ihren Lebensunterhalt durch textile Handarbeiten, was sie aber zur ungeliebten Konkurrenz der Zünfte machte. Die Beginen schufen eine Spiritualität, die man später als Mystik bezeichnete. Sie tanzten und hatten ekstatische Visionen. Der Kirche war das unkonventionelle Verhalten der Beginen bald ein Dorn im Auge und man begann sie Ende des 14. Jahrhunderts zu verfolgen. Während der Reformation wurden die noch verbliebenen Beginenhäuser aufgelöst und damit die erste abendländische Frauenbewegung beendet.
Was diese Frauen bewegte und welche Leistungen ihnen zu verdanken sind lässt sich an Frauen wie Maria von Oignies, Beatrijs von Nazareth und Hadewych von Antwerpen erschließen.

Maria von Oignies
Maria von Oignies (1176-1213) wurde als Kind wohlhabender Eltern in Nivelles in der Diözese Lüttich geboren. Sie lernte Lesen und Schreiben und wurde mit vierzehn Jahren verheiratet. Es gelang ihr, ihren Gatten zu überreden ein Gelübde der Keuschheit abzulegen. Das Paar widmete sich dem Dienst an den von der Gesellschaft Verstoßenen, den Aussätzigen. Ihr wachsendes Ansehen der Heiligkeit begann gleichgesinnte Frauen anzuziehen. Es wird berichtet, während des Beichtens habe Maria "aus heftiger Bedrängnis ihres Herzens geschrien wie eine gebärende Frau." Als ihr der Andrang zuviel wurde floh sie in das Haus der Augustinerkanonikerinnen in Oignies. Sie lebte dort allerdings nicht in Klausur, sondern war unterwegs, um sich den Kranken und Sterbenden zu widmen. Die Hingabe an eine solche Lebensweise, in der das Tätigsein im Sinne der "vita apostolica" und die ekstatische Kontemplation miteinander verbunden waren, sollte für viele spätere Mystikerinnen typisch werden. Die leibhaftige Gotteserfahrung visionärer wie nichtvisionärer Art hängt meist mit einem weiteren Aspekt der Mystik zusammen: dem exzessiven Charakter der Bußübungen und der glühenden Frömmigkeit. Verrücktsein, grenzenlose Sehnsucht, Zunichtewerden - das sind einige der Hauptmotive, die die Mystikerinnen des 13. und 14. Jahrhunderts auszeichnen.

Beatrijs von Nazareth
Beatrijs von Nazareth wurde im Jahr 1200 in eine reiche mittelständische Familie hineingeboren. Ihr Vater gründete drei Häuser für Zisterziensernonnen und trat später selbst dem Orden bei. Beatrijs wurde von den Beginen ausgebildet und 1210 wurde sie Oblatin des Zisterzienserinnenkonvents von Bloemendaal. Sie war in den sieben freien Künsten bewandert und die erste weibliche Autorin der neuen Mystik. Ihr volkssprachiges Werk "Die sieben Arten des Liebens" entstand wahrscheinlich ab 1215. In ihrer "Lebensbeschreibung" , eine Art Tagebuch, erzählt sie von ihren mystischen Erfahrungen. Sie unterzieht sich grausamen Kasteiungen und Selbstgeißelungen, zerbricht aber nicht an den zugefügten Verletzungen sondern entdeckt gerade unter den extremen Bedingungen die "natürliche Schönheit der Seele". Im Mai 1236 wurde sie Priorin im Zisterzienserinnenkonvent in Nazareth. Ihr eindrucksvolles Werk "Die sieben Arten des Liebens" stellt das zentrale Thema der nordeuropäischen Mystikerinnen des 13. Jahrhunderts vor: die Kraft der "minne". Beatrijs gilt als frühste Vertreterin der so genannten Liebesmystik. Neben der "minne", die hier das mystische Verhältnis der Seele zu Gott beschreibt gehört dazu auch die Brautschaft. Die Nonnen der damaligen Zeit führten eine spirituelle Ehe mit Jesus. Die dabei entstehenden erotischen Elemente gehen auf eine lange Tradition zurück. Bei den Mystikerinnen kam es oft zu einer Übersteigerung, die meist zu schweren körperlichen Symptomen wie Schmerzen, Krämpfe und Lähmungen führte. Askese, Krankheit und Mystik waren eng miteinander verbunden.

Hadewijch von Antwerpen
Das wohl bedeutendste literarische Werk der flämischen Frauenmystik stammt von der Begine Hadewijch von Antwerpen. Vermutlich stammte sie aus einem adligen Elternhaus, denn sie konnte Latein und besaß Kenntnisse über die Kunstform der höfischen Minne. Sie schrieb 31 Briefe und 14 Visionen in Prosa sowie 45 "Strofische Gedichte" und 16 Reimbriefe in Versform. In ihren Gedichten drückt Hadewijch ihre Liebe zu Gott in Form der Minnedichtung aus. Ihr zentrales Thema ist die "unio mystica", das Einssein der Seele mit Gott. Auch sie machte ekstatische Erfahrungen. Dabei unterschied sie zwei Zustände: Das mystische Einssein mit Gott im Geist, und Momente mystischer Vereinigung, die sie als ein Sein außerhalb des Geistes beschrieb. In ihrer tief empfundenen Liebesmystik sah sich Hadewijch "in süßer Liebe, Umarmen und Küssen" ganz als einzigartige Partnerin Gottes.

Mechthild von Magdeburg
Mit dem "Fließendem Licht der Gottheit" schrieb Mechthild von Magdeburg (1207-1282) im volkssprachigen Niederdeutsch ein mystisches Buch von hohem literarischen Rang. Darin schildert sie ihre spirituellen Begegnungen mit Gott. Ihre nach dem Vorbild des Hohenliedes entworfenen Gesänge und Bilder einer mystischen Vereinigung zwischen dem göttlichen Bräutigam und der irdischen Seele als seiner Braut sind von zeitloser Schönheit. Auch die erotische Note kommt bei ihr zum Ausdruck. Als sie sich bei Gott beschwert, sie könne ihr Begehren nicht mehr zurückhalten, gibt er ihr zur Antwort: "Ich habe dich begehrt noch vor allem Anfang. Ich begehre dich, und du begehrst mich. Wo zwei heiße Begehren zusammenkommen, da ist die Minne vollkommen. Da wird umarmt, geküßt, das Herz verwundet, da tauscht man seine Herzen aus und liegt zusammen auf dem Minnebett und Brautbett." Mit ihrer körperlich empfundenen Mystik überwand Mechthild die rein geistige Männermystik des Mittelalters. Sie scheute sich auch nicht die weltlich-üppig lebenden Domherren zu kritisieren. "Dass Gott die Domherren Böcke nennt, tut er darum, weil ihr Fleisch vor Unkeuschheit stinkt in der ewigen Wahrheit vor seiner Heiligen Dreifaltigkeit." Mechthild fühlte sich von Gott zu etwas Besonderem berufen. Ihren Auftrag machte sie in ihren Büchern mit einem unglaublich großen Wortschatz deutlich. Wahrscheinlich stammte Mechthild aus einer adligen Familie, die sie 1230 verließ, "um in der Liebe Gottes zu leben". Sie zog nach Magdeburg wo sie 40 Jahre als Begine lebte. Ihren Körper unterwarf sie harten Bußübungen. Wie viele Beginen kümmerte sie sich um arme Kinder, Kranke und alte Menschen. Sie unterrichtete und widmete sich der Bibellektüre. Ihr Beichtvater, der Dominikanermönch Heinrich von Halle, ermutigte sie ihre mystischen Erfahrungen aufzuschreiben. Ihre Kritik an der Lebensführung der Geistlichkeit und dem Adel setzte sie massiven Anfeindungen, besonders durch die Kirche aus. 1270/71 verließ sie gesundheitlich angeschlagen Magdeburg und ging in das Kloster Helfta, in der Nähe der Lutherstadt Eisleben.Mit ihren Erfahrungen prägte sie die sogenannte
"Helftaer Mystik".

Marguerite Porete
Man kennt weder den Geburtsort noch das Geburtsjahr von der Begine Marguerite. Wahrscheinlich kam sie zwischen den Jahren 1250 und 1260 in der Stadt Valenciennes zur Welt. Genau bekannt ist allerdings der Zeitpunkt ihres Todes, denn sie wurde als rückfällige Ketzerin verurteilt und 1310 in Paris verbrannt. Ihre Schriften waren sehr kirchenkritisch und provokant. Um 1300 schrieb sie das volkssprachige Mystikbuch "Spiegel der einfachen Seelen" in altfranzösischer Sprache. Das Buch, das der Autorin zwei Inquisitionsprozesse und schließlich den Tod auf dem Scheiterhaufen einbrachte war ein religiöses Lehrbuch. Ihre Gedanken zur Vollendung der Seele legte sie in Form eines Streitgesprächs zwischen dem "Sire Amour", dem Stifter der Liebe (Gott), der Dame Vernunft und der Seele dar. Sie zeigte darin den Weg auf, wie die Seele durch die Befreiung von allen Abhängigkeiten zur Vollkommenheit und zur mystischen Vereinigung mit Christus gelangen konnte. Dazu benutzte sie Begriffe aus der ritterlich-höfischen Liebesliteratur, insbesondere den Ausdruck "fin amour", der das Ideal einer vollendeten, bedingungslosen Liebe bezeichnet. Wegen der theologischen Lehre, die im "Spiegel" verkündet wird, geriet Marguerite in Konflikt mit dem kirchlichen Lehramt. Frauen durften sich zwar zu theologischen Fragen äußern, aber nur im privaten Bereich. Das für Frauen gültige Verbot des Lehrens konnte nur umgangen werden, wenn die Texte als göttliche Eingebung bezeichnet wurden. Das lehnte Marguerite ab, ebenso weigerte sie sich ihre Auffassungen zu erklären. Da sie der Vorladung der Inquisition zum Verhör keine Folge leistete, wurde sie inhaftiert. Auch beim anschließenden Inquisitionsverfahren zeigte sie keine Reue und lehnte es ab, sich zur Sache zu äußern. Daraufhin wurde sie nach anderthalbjähriger Haft zum Tode verurteilt. Ihre Schrift wurde noch im Mittelalter in mehrere Sprachen übersetzt, erschien aber nicht mehr unter ihrem Namen.

Angela von Foligno
Die Spritualität im Spätmittelalter wurde wesentlich beeinflußt von den Schriften der Franziskanerin und Mystikerin Angela von Foligno (1248-1309). Hier ist vor allem ihr mystisches Werk "Il Libro" zu nennen. In eine reiche Familie hineingeboren verbrachte Angela eine angenehme Kindheit und Jugend. Sie heiratete einen reichen Gutsbesitzer, der ihr ein Leben im Luxus ermöglichte. Dennoch war Angela, die Mutter mehrerer Kinder war, nicht glücklich. Sie wandte sich immer stärker den franziskanischen Idealen zu. Mit 37 Jahren hatte sie ein Bekehrungserlebnis. Sie erkannte, dass sie auf allen Luxus verzichten und sich von den ihr nahestehenden Menschen trennen musste. Innerhalb kurzer Zeit starben ihre Mutter, ihr Mann und ihre Kinder. Sie konnte sich nun ganz ihrer religiösen Berufung hingeben. Sie verzichtete auf ihr Vermögen und entschied sich für das Leben einer Büßerin und Mystikerin. 1291 schloss sie sich einer Bruderschaft an, die dem dritten Orden des Franziskus angehörte. Sie lebte allerdings weiterhin frei und selbstbestimmt. Bei einer Pilgerfahrt nach Assisi wurde sie vom Heiligen Geist angesprochen. Sie begab sich daraufhin in die Basilika des Franziskus und verfiel dort in eine "geistige Raserei".
"Und ich sah Gott so tief sich herablassend vor den Menschen und allen Dingen, dass meine Seele außer sich war angesichts so unendlicher Macht und so tiefer Herablassung. Und ich musste mich selbst daneben halten und mich als lauter Hoffahrt erkennen...So empfing ich die heilige Kommunion. Und davon verblieb mir eine unsagbare Süßigkeit und ein Entzücken, das ich wohl nie mehr entbehren kann in meinem Leben." Ihr Verhalten Lustschreie in einer Kirche auszustoßen wurde als zutiefst anstößig empfunden und verletzte die festen Regeln des Anstandes. Das Brautmotiv spielte bei Angela von Foligno keine so große Rolle wie bei anderen Mystikerinnen. Ihr starkes Sündenbewusstsein war von weitaus größerer Bedeutung. Ihr Wunsch nach Buße ging so weit, dass sie sich nach einem langen Sterben unter allen möglichen Folterqualen sehnte. Radikale Kritik an Kirche und Papst sucht man hingegen bei ihr vergebens. Ihre Jesusnachfolge bleibt ganz dem einzelnen Menschen zugewandt. So pflegte sie auch aussätzige Kranke, die in Gettos vor sich hin vegetierten. Ihr Grab befindet sich in der Kirche San Francesco in Folignio. Sie wurde nie offiziell heilig gesprochen, obwohl sie in ihrer Heimat als Heilige verehrt wird. Papst Pius X. erklärte ihren Todestag, den 4. Januar zu einem kirchlichen Fest.

Margaretha Ebner
Die Mystik, die in der ersten Hälfte des 14. Jahrhunderts in den deutschen Dominikanerinnenklöster blühte, hinterließ eine Sammlung von autobiografischen Texten über Visionen und mystische Erfahrungen, die von einzelnen Nonnen aufgezeichnet wurden. Die bekannteste der dominikanischen Autorinnen ist Margaretha Ebner (ca. 1291-1351), eine Nonne des Konvents von Maria Medingen. Ermutigt durch ihren geistlichen Ratgeber Heinrich von Nördlingen schrieb sie ihre mystischen Erfahrungen in den "Offenbarungen" nieder. Margaretha kam aus einer Patrizierfamilie aus Donauwörth und trat gegen 1305 ins Kloster ein. 1312 wurde sie von einer schweren Krankheit heimgesucht, die drei Jahre dauern sollte. In der Zeit habe sie sich nach eigener Aussage nicht mehr in der Gewalt gehabt, sondern tagelang gelacht oder geweint. Diese Krankheit war der Anstoß zu einem tieferen mystischen Leben. Sie lernte aus der Krankheit die Lehre zu ziehen, dass sie ganz und gar von Gott abhänge. Ihr ganzes Leben lang war sie ständigen Krankheitsanfällen ausgesetzt. Margaretha ist ein Beispiel für die wachsende Zahl kranker oder invalider Mystikerinnen, deren Krankheiten selbst fester Bestandteil der ihnen verliehenen mystischen Gnaden waren. Das Gefühl der leibhaftigen "Gegenwart Gottes" ist eines der Leitthemen der "Offenbarungen". Dieses Empfinden überwältigte sie geradezu: "Lust und Begierde sind ganz stark und kräftig in mir. Ich werde davon so kräftig gezwungen, dass ich es nicht loswerden könnte, selbst wenn ich das wollte, sondern ich erleide die göttliche Gegenwärtigkeit mit überwältigend süßer Gnade." Margaretha hatte in ihrer Zelle eine Wiege stehen, in der sie das Jesuskind wiegte, wenn es nicht schlafen wollte. Manchmal nahm sie es auch auf den Arm. Die mystischen Erfahrungen, die Margaretha Ebner mit dem Christuskind und dem leidenden Christus erlebte, sowie ihre Ekstasen bei der Eucharistie waren allen damaligen Mystikerinnen gemeinsam. Man spricht daher auch von der Kindleinmystik der Dominikanerinnen.

Birgitta von Schweden
Bereits während der Schwangerschaft ihrer Mutter wurde dieser vorhergesagt, dass sie ein Mädchen gebären würde, "deren mächtige Stimme von der ganzen Welt gehört wird." Birgitta wurde 1302/1303 als Tochter des Landvogts Birger Peterson und seiner Frau Ingeborg auf Gut Finsta bei Uppsala in Schweden geboren. Sie machte schon früh spirituelle Erfahrungen. Im Alter von sieben Jahren soll sie ihre erste Marienvision und mit elf Jahren eine Passionsvision erlebt haben. Mit 13 Jahren heiratete sie den 18-jährigen Adligen Ulf Gudmarsson. Sie brachte acht Kinder zur Welt. Eines der Kinder war Katharina, die spätere heilige Katharina von Schweden. Birgitta kümmerte sich auch um die Verwaltung der Familiengüter und erwarb gemeinsam mit ihren Kindern eine für die damalige Zeit ungewöhnlich hohe Bildung. Mit 33 wurde sie Hofmeisterin der Gemahlin ihres Vetters König Magnus II. Eriksson. Mit der Lebensführung der beiden nicht einverstanden, bezeichnete Birgitta den König als Hasenherz und gekrönten Esel. Daraufhin verließ sie den Hof und pilgerte mit ihrem Mann 1341/42 nach Santiago de Compostela, wo ihr Mann im Zisterzienserkloster Alvastra 1344 verstarb. Die Witwe erlebte dort himmlische Visionen, bei denen sie den Befehl Gottes erhielt an den schwedischen Hof zurückzukehren, um den König zu warnen und zu ermahnen. Im Bußkittel trat sie vor den Hofstaat und prangerte Verschwendungssucht, Grausamkeit gegenüber den Untertanen, die Schändung des Sonntags und das unsittliche Leben des Klerus an. Tief beeindruckt bekannte der König öffentlich sein Unrecht und leitete Reformen ein. Birgitta schenkte er das Schloss Vadstena in Südschweden, wo sie das erste Kloster des neuen Birgittenordens gründete. Als sie den Krieg gegen Russland ablehnte, machte sie sich sowohl den König als auch den Hof und die Kirche zu ihren Feinden. Schweden musste eine vernichtende Niederlage gegen Russland hinnehmen. Danach prophezeite sie die Pest, die 1348 in ganz Europa wütete. Der König hörte dennoch nicht auf sie. Es kam zu einem Bürgerkrieg, Magnus II. landete für sieben Jahre im Kerker und ertrank dann vor der norwegischen Küste. Seine Frau wurde vergiftet. Birgitta folgte Gottes Ruf nach Rom zu gehen. Dort trat sie für den Frieden zwischen den Völkern, der Wiedervereinigung von Ost- und Westkirche sowie für die Versöhnung von Papst und Kaiser ein. 1372 unternahm sie eine Pilgerreise ins Heilige Land. Auf ihrem Weg besuchte sie Königin Eleonora von Zypern und warnte sie vor dem Untergang, wenn sie ihr sündiges Leben nicht änderte. Vergebens, ein Jahr später wurde Zypern von Genua erobert. Auch Neapels Königin Johanna I. von Anjou schlug Birgittas Warnungen in den Wind. Sie endete im Kerker. Am 23. Juli 1373 starb Birgitta während einer Messe in Rom. Am 7. Oktober 1391 sprach Papst Bonifatius IX. sie heilig. Der Heiligsprechungskommision lagen Birgittas acht Bücher der "Offenbarungen" vor, die bis ins 18. Jahrhundert die am weitesten verbreiteten christlichen Erbauungsbücher waren.

Katherina von Siena
Katherina (1347-1380) wird gern als die "größte Frau des Christentums" bezeichnet. Die Mystikerin, Dichterin und Kirchenlehrerin korrespondierte mit Päpsten, kämpfte für die moralische Erneuerung der Kirche und die Rückkehr des Papsttums von Avignon nach Rom. Sie wurde 1347 als Caterina Benincasa in eine große Familie hineingeboren. Von ihren 23 Geschwistern starben die meisten früh an der Pest. Sie wuchs ohne Schulbildung heran. Mit sieben Jahre hatte sie ihre erste Vision. Als man sie mit zwölf Jahren verheiraten wollte, setzte sie sich vehement zur Wehr. Aus Protest schnitt sie ihre langen, blonden Haare ab. Sie begann zu fasten und sich dreimal täglich zu geißeln. Als die Dominikanerinnen Katherina nicht aufnehmen wollten, verfiel sie in eine schwere Krankheit. Schließlich drängte ihre Mutter man möge ihre Tochter doch als Mantellate aufnehmen. Zwar tragen die Angehörigen des "dritten Ordens" ein Ordensgewand mit weißem Kleid und schwarzem Mantel, doch mußten sie kein Gelübde ablegen und sie konnten auch bei ihrer Familie wohnen bleiben. Sie unterzog sich schwersten Marterübungen und verfiel daraufhin in Ekstasen und halluzinierte. In der Dominkanerkirche in Siena steht der Pfeiler, an den sich Katherina von Visionen überfallen lehnte. Ein Bild von ihr von Andrea Vanni aus dem Jahr 1363 schmückt den Pfeiler. Katherinas mystische Vereinigung mit Christus ist die Zeremonie einer Bluthochzeit. Immer wieder hat sie davon gesprochen im Blut Jesus zu baden, ja sich an seinem Blut zu berauschen. 1370, als Papst Urban V. von Rom aus wieder nach Avignon aufbrach, hatte sie eine Vision, die einen grundlegenden Wandel in ihrem Leben auslöste. Jesus, der Geliebte, der ihr seit Jahren erschien und zu ihr sprach und so gleichsam zu ihrem Vertrauten geworden war, öffnete ihr die Brust, nahm ihr Herz heraus und setzte das seine dafür ein. Das war die vollkommene mystische Vereinigung: Katherina hatte das Herz und das Bewußtsein von Jesus und Jesus das von Katherina. Fortan trat sie viel selbstbewußter auf. Sie erkannte, dass ihr Platz nicht mehr in ihrem Elternhaus war, sondern dass sie hinaus musste in die Welt wie es ihr Jesus vorausgesagt hatte. Zwischen 1379 und 1380, also zwischen ihrem 23. und 33. Lebensjahr nahm Katherina sich mit Worten, Briefen und politischen Aktionen der größten Probleme ihrer Zeit an und nahm dabei auch kein Blatt vor den Mund. Den sittlichen Verfall des Klerus kritisierte sie nachhaltig: "Was Christus am Kreuz erwarb, wird mit Huren vergeudet". Zur gleichen Zeit wirkte in Rom auch Birgitta von Schweden. Während diese ihre Botschaft an die Völker Europas und die Inhaber der Macht richtete, wandte sich Katherina nur an die Kirche und das Papsttum. 1378 nach der Wahl Urbans VI. zum neuen Papst kam es zur abendländischen Kirchenspaltung. Die französischen Kardinäle erhoben Robert von Genf als Klemens VII. zum Gegenpapst. Katherina zog daraufhin nach Rom, um für die Einheit der Kirche zu wirken. Für sie war Urban VI. der rechtmäßige Papst. Sie schrieb Briefe an die Könige von Frankreich und Ungarn, an die Königin von Neapel, an die Stadtregierungen in Italien und an kirchliche Würdenträger. Erhalten geblieben sind 381 ihrer Briefe, die zu den bedeutendsten literarischen Werke des Mittelalters in italienischer Sprache zählen. Katherina diktierte alle ihre Briefe, da sie selbst nur schlecht lesen und schreiben konnte. Von religiösem Wert ist ihr 1378 geschriebenes "Buch über die göttliche Vorsehung". Katherina starb am 29. April 1380 im Alter von 33 Jahren in Rom. Ihre letzten Worte waren: "Herr, du rufst mich - hab Erbarmen mit mir um des Blutes willen!" Und zuletzt: "Sangue! Sangue! - Blut! Blut!" Blut war für sie ein Synonym für Liebe. Ihr Grab befindet sich in der Dominikanerkirche Santa Maria sopra Minerva in Rom. Papst Pius II. sprach Katherina von Siena 1461 heilig. 1970 wurde sie von Papst Paul VI. zur Kirchenlehrerin ernannt und am 1.11.1999 zusammen mit Birgitta von Schweden zur Mitpatronin Europas erhoben.

Teresa von Avila
Das 16. Jahrhundert in Europa war eine Zeit des religiösen Aufbruchs, das Zeitalter der Reformation. Viele wünschten sich eine Erneuerung des Christentums, darunter viele Frauen. Auch Teresa de Cepeda y Ahumada (1515-1582), spanische Mystikerin, einflussreiche Autorin und Gründerin des Ordens der Unbeschuhten Karmeliter, gehörte dazu. Eine ihrer Leitsätze lautete: "Bete nicht um eine leichtere Last, sondern bete um einen stärkeren Rücken." Teresa wurde am 28. März 1515 als Tochter einer adligen Familie in Avila geboren. Ihr Vater, ein Jude, war zum Christentum konvertiert. Teresa war ein wissbegieriges und fröhliches Kind. Nach dem Tod der Mutter kam Teresa mit zwölf Jahren ins Kloster der Augustinnerinnen, nach zwei Jahren kehrte sie aber wieder zu ihrer Familie zurück. 1535 entschloss sie sich - nach eigener Aussage aus Angst vor der Ehe - zum Eintritt in den Orden der Karmeliterinnen. Ein Jahr später brach sie zusammen und fiel einige Tage ins Koma, so dass man sie bereits für tot hielt. Noch drei Jahre danach konnte sie nicht selbstständig gehen. 1939 hatte sie eine mystische Vision vor einem Bild mit dem leidenden Christus. Erst 1554 fand sie zu ihrer endgültigen Bekehrung, der existenziellen Erfahrung von Gott geliebt zu werden. Teresa setzte unter großen Schwierigkeiten die Reform des Karmeliterordens durch. 1562 erhielt sie vom Papst und dem Ortsbischof die Erlaubnis zur Gründung eines Reformklosters: der Orden der unbeschuhten Karmeliterinnen war geboren. Zum Zeichen äußerster Enthaltsamkeit trugen die Ordensmitglieder keine Schuhe. Auf Teresa Wirken gingen 15 Frauen- und 16 Männerklöster zurück. In ihrer Autobiografie, die sie 1554 begann, beschrieb sie ihre mystischen Erfahrungen, Visionen und Verzückungen. Für Teresa war Gott nicht eine ferne Macht, sondern der Mensch Jesu mit dem sie eine innige Freundschaft pflegen konnte. 1566 folgte ihre Schrift "Der Weg zur Vollkommenheit". Eine erste Fassung musste sie korrigieren weil sie darin die Inquisition und die Unterdrückung der Frau in Kirche und Gesellschaft kritisiert hatte. 1577 schrieb Teresa eine Anleitung zum geistlichen Weg "Die Seelenburg" - ein Klassiker der Weltliteratur. Weitere Werke folgten, zudem schrieb sie geschätzte 16000 Briefe, von denen mehr als 400 erhalten sind. Ihre schriftstellerische Tätigkeit brachte ihr den Namen "Doctrix mystika" ein. Sie starb im von ihr gegründeten Kloster in Alba de Tormes. Bei ihrer Umbettung nach zwei Jahren war ihr Körper noch völlig unverwest. Sie ruht in einem Schrein in der Klosterkirche von Alba de Tormes. 1970 wurde sie zur ersten Kirchenlehrerin ernannt. In der Kirche Santa Maria della Vittoria in Rom steht die von Gianlorenzo Bernini geschaffene Skulptur "Die Verzückung der heiligen Teresa von Avila", die zu seinen schönsten Werken zählt. Bernini stellte seine Teresa in Ekstase, erfüllt von Gott dar. Wie die Heilige in ihrem Visionsbericht fasst er dabei das "Außersichsein", Teresas rein geistige Erfahrung der Liebe Gottes, als physisches Erleben auf. "Ich sah neben mir, an meiner linken Seite einen Engel in leiblicher Gestalt...in seinen Händen sah ich einen langen goldenen Pfeil, und an der eisernen Spitze schien Feuer zu sein. Mit dem Speer durchbohrte er einige Male mein Herz bis aufs Innerste, und wenn er ihn wieder herauszog, war es mir, als zöge er diesen innersten Herzteil mit heraus. Als er mich verließ, war ich ganz entzündet von feuriger Liebe zu Gott."


Literatur



Rolf Beyer: Die andere Offenbarung. Mystikerinnen des Mittelalters.
Fourier Verlag Wiesbaden 1996

Bernhard McGinn: Die Mystik im Abendland. Band 3: Blüte.
Verlag Herder 2008

Annerose und Jörg-Rüdiger Sieck: Fromme Frauen im Mittelalter. Weisheiten und Visionen von Mystikerinnen und Heiligen. Tosa-Verlag 2008