Segen oder Fluch

Die heilkundige Frau im Mittelalter

von Doris Schweitzer

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Handschriftenillustration, Abaelardus and Héloïse..



Schon in der Antike und im Mittelalter wenden sich poetische Werke immer wieder medizinischer Thematik zu. In diesen wird oft die Heilkunst der adligen Herren gerühmt. Nicht nur in der ‘Crône’ von Heinrich von dem Türlin werden Ärzte in Ausführung ihres Berufes beschrieben, sondern auch im ‘Tristan’ Gottfrieds von Straßburg und im ‘Iwein’ Hartmanns von Aue. Doch weit häufiger und in wichtigerer Funktion kommen heilkundige Frauen in der mittelalterlichen Dichtung vor. Adlige Damen agieren als Heilkundige, so Enite bei Hartmann von Aue, die ihren verwundeten Gatten Erec versorgt oder Königin Arnive in Wolfram von Eschenbachs ‘Parzival’, die ihren Enkel Gawan durch Anwendung einer Salbe, die Heilfieber hervorruft, gesund pflegt. Ähnliches gilt u. a. von Frau Anzansnuse, die in der Crône Gawein mit einem Heilkräuterpflaster behandelt. Die altfranzösische Dichtung kennt die byzantinische Kaisertochter Melior, die in den Septem artes liberales wie in der Medizin ausgebildet wurde.

Es stellt sich nun die Frage, inwieweit die heilkundigen Frauen in der Dichtung der Realität des Mittelalters entsprechen und in welcher Funktion in der Geschichte der Medizin Frauen als Heilkundige nachzuweisen sind. Dazu muss man ein Bild von der Situation der Frau in der mittelalterlichen Gesellschaft und im Geistesleben dieser Epoche vor Augen haben. Das methodische Grundproblem dabei besteht darin, dass die Quellenlage sehr dürftig ist. Es gibt keine Statistiken der Population aufgefächert nach Geschlecht, Beruf u.ä. Lokale Daten lassen sich mitunter aus Steuerlisten gewinnen, die man aber nicht verallgemeinern kann. Durch den Vergleich exemplarischer Fälle kann man jedoch gewisse Tendenzen feststellen und so ein annäherungsweise realistisches Bild des Lebensalltags einer Frau im Mittelalter gewinnen.

Das römische Recht der Spätantike räumt der Frau in Bezug auf ihr Vermögen oder ihre Person dieselbe Position wie dem Mann ein. Ab dem 25. Lebensjahr ist die Frau grundsätzlich frei in der Entscheidung sich zu verheiraten. Die Kinder stehen unter väterlicher Gewalt. Die Frau darf keine öffentlichen Ämter innehaben noch Militärdienst leisten. Frauen gelten als rechtsunerfahren und dürfen daher keine anderen Personen vor Gericht vertreten. Insgesamt gesehen räumt das römische Recht der Frau eine weitaus bessere Position ein als das in den germanischen Leges oder im älteren deutschen Recht der Fall ist. Dort ist sie der Gewalt (munt) von Ehemann und Sippe unterworfen. Frauen konnten allerdings eigenes Vermögen besitzen und waren erbfähig. Im 12. Jahrhundert verbesserte sich durch christliche Einflüsse die Rechtsstellung der Frau, was mehr und mehr zur Konsensehe führte. Beide Eheleute müssen mit der Eheschließung einverstanden sein. Das kanonische Recht verbessert die Rechte der Frau als Verheiratete, als Witwe und als Nonne. Der Zugang zu kirchlichen Ämtern bleibt ihr versperrt. Das geschriebene Recht und die Rechtswirklichkeit klaffen hier allerdings auseinander. So erlangten adlige Damen bisweilen erhebliche politische Macht, wie beispielsweise Eleonore von Aquitanien (gest. 1204). Eine Möglichkeit für die Frau, Bildung zu erwerben, boten die Klöster. Äbtissinnen besaßen Lehr- und Jurisdiktionsgewalt. Durch die zunehmende Bedeutung der mittelalterlichen Stadt festigte sich auch die soziale Stellung der Frau. Frauen waren in einer Vielzahl von Berufen, u.a. in den Heilberufen tätig. In Köln gab es hauptsächlich im Textilgewerbe und Textilhandel eigene Frauenzünfte. Auch lassen sich vereinzelt selbstständige Meisterinnen finden. Dies zeigt, dass Frauen nicht rechtlos waren und hohe Stufen in der gesellschatlichen Hierarchie erreichen konnten.

Dennoch blieb immer ein beträchtlicher Rest von Minderwertigkeit, der dem weiblichen Geschlecht angehängt wurde. Im Christentum wird das Seelenheil der Frau dem des Mannes gleichgestellt. Jesus Christus macht keinen Unterschied zwischen den Geschlechtern. Die großen christlichen Theologen wie Thomas von Aquin und Augustinus folgen ihm darin nach. Für sie geht der Mann als Mann und die Frau als Frau in die ewige Seligkeit oder ins Fegefeuer ein. Theologen, die weniger frauenfreundlich waren, gestehen dem weiblichen Geschlecht immerhin zu, dass es sich bei aller körperlichen und geistigen Schwäche doch gnadenhaft zu seelischer Stärke erheben kann, so wie Abaelard dies immer wieder Heloise schreibt. Im 6. Jahrhundert wurde das Frauenbild der Kirche durch Fanatiker negativ beeinflusst. Frauen seien labil, führten andere in Versuchung, seien zänkisch, herrisch und stets bemüht, den Mann zu unterjochen und ihn jeder Lebensfreude zu berauben. Von Natur aus minderwertig, seien sie dem Mann körperlich und geistig unterlegen.

Zeugungstheorien


Den Urgrund für diese Diffamierungen findet man in der Biologie. Frauen sind meist körperlich schwächer als Männer und durch Schwangerschaft und Geburt schutzbedürftig. Dies und die Tatsache, dass sich Mann und Frau vereinen müssen, damit ein neuer Mensch entsteht, bilden die empirische Basis in Antike und Mittelalter für alle naturphilosophisch-medizinischen Theorien der Zeugung. Man unterscheidet hier zwischen der Einsamen- und Zweisamentheorie. Bei der Einsamentheorie, die Empedokles von Agrigent (500-430 v. Chr.) vertritt, ist nur das männliche Sperma zeugungsfähig. Trifft es auf einen warmen Uterus, entsteht ein Junge und entsprechend beim kalten Uterus ein Mädchen. Nach der Wärmelehre des Empedokles ist der Mann von heißer (Feuer) und die Frau von kalter Qualität (Wasser). Den vier Elementen werden Primärqualitäten zugeordnet: Wasser - kalt - feucht, Feuer - warm - trocken, Luft - warm - feucht, Erde - kalt - trocken. Zur Erklärung der Geschlechtsentstehung wurde Empedokles Wärmelehre auf verschiedene Weise herangezogen. Immer liegt jedoch der Gedanke zugrunde, dass Männliches aus der Wärme entsteht. Parmenides von Elea (um 540-um 483 v. Chr.) vertritt die Zweisamentheorie und verbindet sie mit seiner Rechts-Links-Theorie. Das Männliche verbindet er mit rechts, vollkommen und daher positiv, das Weibliche mit links, unvollkommen und daher weniger positiv. Dabei spielt auch die Kenntnis des Rinderuterus mit einer rechten und einer linken Kammer eine Rolle. Auf den Menschen übertragen ergibt nach Parmenides männliches Sperma aus dem rechten Hoden Jungen, solches aus dem linken Mädchen. Weiblicher Samenerguß von links in den Uterus lässt Kinder erstehen, die der Mutter ähnlich sehen, Samen von rechts ergibt Kinder, die dem Vater ähnlich sind. Die Rechts-Links-Theorie wird auch im Corpus Hippocraticum, bei Aristoteles und dem römischen Arzt Galen vertreten. Bei den Hippokratikern werden Mann und Frau gleich bewertet in einer Zweisamentheorie mit vier Möglichkeiten der Geschlechterentstehung:
1. Hat der männliche Same Dominanz bei der Zeugung, entstehen Jungen.
2. Hat der weibliche Same eine Dominanz bei der Zeugung, entstehen Mädchen.
3. und 4. Liegt keine Dominanz vor, entstehen entweder Mischformen, in denen das Männliche oder das Weibliche überwiegt, oder es bleibt beim Neutrum und es entstehen Hermaphroditen.

Bestärkt wurde die Zweisamentheorie durch die anatomische Entdeckung der Ovarien durch Herophilos aus Chalkedon, der seit etwa 300 v. Chr. in Alexandria tätig war. Galen von Pergamon (129-199 n. Chr.) erkennt die Samenbildung in den Hoden und stellt fest, dass die Eileiter in den Uterus führen und nicht in die Blase, wie Herophilos behauptet hat. Bei Galen kommt es allerdings nicht zu einer Gleichbewertung von Mann und Frau, sondern er hält den weiblichen Samen für schwächer, dünner, kälter und geringer als den männlichen. Im Mittelalter wurden die antiken Zeugungslehren z. T. durch Übersetzungen aus dem Arabischen rezipiert. Über die Einsamen- und Zweisamentheorie wurde das ganze Mittelalter hindurch gestritten. Vorherrschend war die Einsamentheorie, die die Frau als minderwertig darstellt.

In der patriarchalischen Gesellschaftsstruktur des Mittelalters gelang es nur wenigen Frauen Bildung zu erwerben. In der Regel erreichten dies nur Adlige durch Hauslehrer oder Töchter aus bürgerlichem Haus, die von ihren Vätern gefördert wurden sowie Frauen, die sich für das Kloster entschieden.


Ordensfrauen


Die Epoche der Klostermedizin umfasst etwa die Zeit vom 8. bis zum 12. Jahrhundert. Die medizinische Versorgung Europas wurde in dieser Zeit überwiegend von Mönchen und Nonnen getragen. Die Klostermedizin verdankt ihre Entstehung zwei Katastrophen, die im 5. und 6. Jahrhundert über Europa hereinbrachen: zum einen der Völkerwanderung, deren verheerende Auswirkungen durch mehrere Pestwellen (ab 543 bis etwa 700) noch dramatisch verstärkt wurden. Zum anderen der Zusammenbruch des weströmischen Reiches (das oströmische Reich überdauerte beinahe das gesamte Mittelalter), der zu einem Verschwinden vieler zivilisatorischer Güter führte. So verschwand neben den allgemein verbreiteten Fähigkeiten des Lesens und Schreibens auch das Medizinalsystem, das überwiegend von griechischen Ärzten entwickelt wurde. Erst im 12. Jahrhundert kehrte das medizinische Wissen der Antike mit den Arabern nach Europa zurück.

In dieser Zeit des Umbruchs gründete Benedikt von Nursia (gest. um 547) um das Jahr 527 ein Kloster auf dem Monte Cassino in Süditalien, dem er eine umfangreiche Regel in 73 Kapiteln gab. Diese Schrift sollte nicht nur für die Geschichte Europas eine große Rolle spielen, sondern auch für die europäische Medizin. So verfügte Benedikt, dass jeder Mönch zumindest ein religiöses Buch im Jahr lesen solle. Dazu musste die Fähigkeit des Lesens, aber auch die des Schreibens von den Mönchen gepflegt werden, denn in den Scriptorien der Klöster wurden Bücher durch Abschreiben vervielfältigt.

Wichtiger für die Entwicklung der Klostermedizin ist allerdings Kapitel 37 der „Regula“: „Die Sorge für den Kranken steht vor und über allen anderen Pflichten.“ Dahinter steht der Satz aus dem neuen Testament Krank bin ich gewesen, und ihr habt mich besucht. (Matthäus 25,36) Für die Pflege des Kranken sollte jedes Kloster einen speziellen Raum und einen eigenen Diener besitzen. Aus dem Raum wurde das Infirmarium und später das Klosterspital, aus dem Diener wurde der Mönchsarzt und Klosterapotheker, ab der frühen Neuzeit auch Klosterapothekerin.
Cassiodor (gest. zwischen 575 und 580) ein spätrömischer Staatsmann, der auch als Berater der ostgotischen Könige gedient hatte, wurde der Nachfolger Benedikts. Er gründete das Kloster Vivarium und hinterließ ihm nicht nur seine umfangreiche Bibliothek, sondern auch seine Institutiones (Statuten). Darin empfiehlt er den Mönchen, die großen griechischen Ärzte Hippokrates (5. Jh v. Chr.), Dioskurides (um 60/70) und Galen (gest. nach 200) zu studieren.

Mit der Ausbreitung des Bendiktinerordens von Italien über die Alpen gelangte die Klostermedizin in nördliche Breiten. Kaiser Karl der Große (747-814) veranlasste, dass die Medizin als bedeutendes Fach in den Lehrplan der Klosterschulen aufgenommen wurde. Zudem machte er zum Gesetz, dass Klöster und Städte Nutzgärten anlegen mussten , die so genannten Karlsgärten, in denen 20 festgelegte Obstsorten und 75 Heilkräuter angepflanzt werden mussten. Führend war hier das Kloster Lorsch, wo im 8. Jahrhundert das erste Heilbuch im deutschsprachigen Raum entstand. Auch in den Burggärten der höfisch-ritterlichen Gesellschaft wuchsen Arzneipflanzen zur Wund- und Krankenpflege, die in den oft kriegerischen Zeiten eine Notwendigkeit darstellten. Die Kreuzritter brachten aus dem Orient heilkräftige Pflanzen wie den Ysop und den Schwarzkümmel mit.

Auch in den Frauenorden wurde die Ausbildung des Geistes gefördert. Geschichtsschreiber berichten von der heiligen Lioba, die von Bonifazius an die Spitze der neugegründeten Abtei Fulda gestellt wurde, sie hätte ihre Bücher nur zu Zeiten des Gebetes verlassen. Von der etwa 200 Jahre später lebenden Dichterin aus niederdeutschem Geschlecht, Roswitha von Gandersheim (geboren um 925, gestorben wahrscheinlich um 975) ist bekannt, dass sie neben historischen Gedichten Dramen schrieb und Virgil und Horaz las. Sie besaß auch Kenntnisse über den menschlichen Körper. Außer Roswitha von Gandersheim gab es noch weitere Nonnen, die sich mit der Heilkunde beschäftigten. Die bedeutendste in der Reihe ist Hildegard von Bingen, geboren 1098, gestorben 1179. Weniger bekannt ist Heloise (geboren um 1095, gestorben um 1164), die Frau des Philosophen und Theologen Peter Abaelard, Abt im Kloster Paraclet in der Champagne. Auf seine Weisung hin sollten sich die Nonnen der Wundarzneikunst als christlichem Werk der Barmherzigkeit annehmen. Zudem war es den Nonnen verboten, sich bei einer Erkrankung von einem Mönchs- oder Laienarzt behandeln zu lassen. So mussten sie sich notgedrungen selbst die notwendigen Kenntnisse aneignen.


Heloise


Heloise kam unmittelbar nach ihrer Geburt zur klösterlichen Früherziehung in den Nonnenkonvent von Argenteuil. Ihre Mutter war vermutlich die spätere Priorin der Abtei Fontevrault: Hersendis von Champagne, der Vater ist unbekannt. Um 1116/17 lernte Heloise im Haus ihres Onkels Fulbert Peter Abaelard kennen und lieben. Abaelard war Dozent am Dialektik-Lehrstuhl in Paris und Hauslehrer von Heloise. Aus der heimlichen Liebesbeziehung ging ein Sohn hervor. Auf Druck ihres Onkels Fulbert heiratete Heloise Abaelard nach der Geburt, um einen Skandal zu vermeiden. Fulbert sann aber weiterhin auf Rache und veranlasste die Kastration Abaelards. Dieser überlebte die Verstümmelung und zog sich als Mönch in das Kloster Saint-Denis zurück. 1118 trat Heloise in das Benediktinerinnenkloster Sainte-Marie von Argenteuil ein, in dem sie bereits ihre Kindheit verbracht hatte. Das Kloster wurde 1129 aufgelöst und Heloise baute in Paraclet einen neuen Frauenkonvent auf. Abaelard blieb Heloise und dem Kloster bis zu seinem Tod brieflich als Ratgeber verbunden. Dieser Briefwechsel machte das Paar berühmt. Heloise war eine Frau von außerordentlicher Geistesbildung und eine begabte Schriftstellerin. Über 20 Jahre lehrte Heloise ihre Heilkunst im Kloster Paraclet. Sie starb 1164 und wurde neben Abaelard in der Kapelle Petit Moustier begraben. Nachdem das Kloster während der Französischen Revolution zerstört worden war, wurde 1817 zu Ehren Heloises und Abaelards auf dem Pariser Friedhof Père Lachaise ein Grabmal errichtet, in das man die Überreste ihrer Leichname überführte.


Herrad von Landsberg


Eine weitere bedeutende Ordensfrau war Herrad von Landsberg (geboren um 1130, gestorben am 25.7.1195). Herrad wurde als Tochter einer adligen Elsässer Familie auf dem Schloss Landsberg geboren. Schon in jungen Jahren kam sie in das Kloster Hohenburg in der Nähe von Straßburg. 1167 wurde sie dort Äbtissin. Schon 1165 begann sie im Kloster an ihrem bekanntesten Werk, dem Hortus deliciarum - Garten der Lüste - zu schreiben. Er enthielt neben Auszügen aus der Bibel Lehren der Kirchenväter, naturwissenschaftliche und botanische Erläuterungen sowie Gedichte, die Herrad zum Teil selbst verfasst hat. Ebenso ist darin einiges über Heilkräuter und andere Pflanzen mit Angaben zu deren medizinischen Anwendungen und die Wirkung auf den Patienten zu lesen. Der Hortus deliciarum, der zu den schönsten Manuskripten Europas zählte, kam während der Französischen Revolution in den Besitz der Straßburger Bibliothek und wurde dort 1870 bei einem Brand vernichtet. Es gibt allerdings eine Kopie des Buches, die 1818 angefertigt wurde, sodass man sich noch heute ein Bild vom künstlerischen und literarischen Wert der Arbeit von Herrad von Landsberg machen kann.

Zu nennen wäre in der Reihe der geistig überragenden Ordensfrauen noch Mechthild von Magdeburg, die große deutsche Dichterin des hohen Mittelalters (geboren um 1212, gestorben um 1280). Um 1250-1270 entstand ihr mystisches Buch mit seinen Offenbarungen das Fließende Licht der Gottheit.
Die Beziehungen der meisten geistlichen Frauen zur Heilkunde sind jedoch mehr legendär und erschöpfen sich weitgehend in der Krankenpflege.


Mulieres Salernitanae „Die Frauen an der Schule von Salerno


Bereits in römischer Zeit war Salerno ein beliebter Bade- und Kurort. Mit dem Aufblühen des Christentums wurde es ein Wallfahrtsort für Kranke. Im frühen Mittelalter bewirkte die Nähe zu dem unter arabischen Einfluss stehenden Sizilien die Gründung eines Collegium Hippocraticum, das der Stadt Salerno den Namen Civitas Hippocratica einbrachte. Seit dem Anfang des 8. Jahrhunderts werden Salernitaner Ärzte erwähnt. Vom 10.-13. Jahrhundert war die Schule von Salerno so berühmt, dass man sie mit der Schule von Alexandrien verglich. Aus der ganzen Welt strömten Wissbegierige und Studenten hierher, in eine tolerante Stadt, die auch politisch und religiös verfolgte Intellektuelle aufnahm. Die Schule von Salerno entwickelte sich zur ersten medizinischen Universität, die nicht unter dem Einfluss der Kirche stand, sondern weitgehend von Laien geleitet wurde. Der Sage nach kam es folgendermaßen zur Gründung der Schule von Salerno: Ein griechischer Pilger namens Pontus suchte während eines Sturms Unterschlupf unter den Bögen des Aquädukts zur Übernachtung. Ein zweiter Mann, Salernus, ein Latiner, rastete an der gleichen Stelle. Salernus war verletzt und behandelte seine Wunde, wobei er und seine Medikamente genau von Pontus beobachtet wurden. In der Zwischenzeit waren zwei weitere Reisende, der Jude Helinus und der Araber Abdela hinzugekommen. Sie kümmerten sich gemeinsam um die Wunde. Schließlich kamen die vier überein, eine Schule zu gründen, in der ihre Kenntnisse gesammelt und verbreitet werden sollten.

Die Schule von Salerno war weitgehend selbstständig, an ihr durften Araber, Juden, Mönche, Christen und Frauen studieren. Sowohl die Lehrenden als auch die Studenten brachten Wissen aus ihrer Heimat mit, so auch der Benediktiner und Kräuterhändler Constantinus Africanus, der sein medizinisches Wissen bei dem berühmten persischen Arzt Avicenna erworben hatte. Durch seine Übersetzungen aus dem Arabischen begründete er den hervorragenden Ruf der Medizinschule von Salerno. Dort vermischten sich griechisches, syrisches, ägyptisches und jüdisches Heilwissen zu einer umfassenden Heilkunde. Drei Jahre dauerte das Grundstudium der Logik, danach folgten fünf Jahre Fachstudium der Medizin, einschließlich der Chirurgie, die im Mittelalter normalerweise nicht an Universitäten unterrichtet wurde, da sie als Handwerk galt und den Wundärzten und Badern überlassen war. Anschließend folgte ein Praxisjahr und dann die Zulassung als approbierter Arzt. Auch Frauen durften nach erfolgter Prüfung Praxis ausüben. Einige trugen selbst vor und schrieben medizinische Werke. Die Mulieres Salernitanae beschäftigten sich neben der Frauenheilkunde und den Kinderkrankheiten auch mit der zur damaligen Chirurgie gehörenden Augenheilkunde, den Hautkrankheiten und der Kosmetik. In der Florentiner Handschrift des Magister Zacharias, ein bedeutender Augenspezialist des 12. Jahrhunderts, findet sich ein Collirium (Augensalbe) quod facit medica Venetiana, also gemacht von einer Augenärztin aus Venedig. Manche dieser Frauen standen den Kreisen der Magistri und Professoren Salernos möglicherweise verwandschaftlich nahe, beweisen lässt sich das aber nicht, da die in alten Quellen ihnen zugeschriebenen Schriften nicht mehr vorhanden sind. Aus dem 11.-15. Jahrhundert sind uns folgende Namen von Ärztinnen aus Salerno überliefert: Trota oder Trotula, Sigelgaita, Abella, Mercurias, Rebekka Guarna, Francisca und Constanza Calenda.


Trotula (Forellchen)


Die erste und bekannteste Ärztin, die die Schule von Salerno absolviert hat, ist Trota, die meist mit einer Verkleinerungsform Trotula benannt wird. Diese Bezeichnung ist gesichert, da der Arzt Petrus Hispanus (geboren 1277) in seinem Buch Thesaurus, pauperum den Namen Trotula erwähnt. Ihr Leben ist unter anderem von dem Neapolitaner de Renzi auf zwölf Seiten seiner Storia della scuola di Salerno (Neapel 1852) behandelt worden. Laut de Renzi entstammte Trotula der salernitanischen Medizinerfamilie Ruggiero und war mit dem Magister Johannes Platearius I. verheiratet. Sicher ist, dass Trotula Ende des 11. Jahrhunderts gelebt hat. Sie verfasste drei medizinische Schriften: 1. De passionibus mulierum Über die Leiden der Frau vor, während und nach der Entbindung, 2. Über Arzneimischungen u. ä. und 3. Über Missgeburten. Nur das erste Werk ist in Handschriften und in frühen Drucken von 1544 noch erhalten. Ihre Schriften zeugen von erstaunlich fortschrittlichen gynäkologischen Kenntnissen. So vertrat sie die Ansicht, dass Kinderlosigkeit auch auf gesundheitliche Probleme beim Mann zurückgeführt werden könne. Damit verstieß sie offen gegen die Auffassung der Kirche, nach der einzig und allein die Frau schuld war, wenn Kinder ausblieben. Zudem setzte sich Trotula dafür ein, dass Frauen bei der Geburt schmerzstillende Mittel bekamen. Die kirchliche Doktrin hingegen beharrte darauf, dass Frauen bei der Geburt zu leiden hätten, als Strafe für den Sündenfall Evas. In den ersten elf Kapiteln von De passionibus mulierum werden die Erkrankungen der Beckenorgane behandelt, es folgt in den Kapiteln 12-20 die Geburtshilfe, anschließend Kapitel über Kinderkrankheiten und im folgenden die Kosmetik, die sie als erste Frau des Mittelalters abhandelt. Da zu jener Zeit eine möglichst weiße Haut modern war, half Trotula den Frauen mit Pasten und Salben, in denen auch das giftige Bleiweiß vorkam und die mit Lilienwurz, Rosenwässern und Fett bereitet wurden. Falten und Äderchen im Gesicht wurden mit einer Masse aus in Essig erweichten Eiern, Senfmehl und Pfeffer behandelt, unerwünschte Haare im Gesicht durch eine Paste aus Kolophonium, Wachs, gelbem Harz, Mastix und Olivenöl. Abgeschäumter Honig, Zaunrübensaft, Kürbis und Rosenwasser ergaben eine haltbare Lippenschminke, blendend weiße Zähne bekam man nach Reiben mit Walnussrinde und warmen gesalzenem Wein. Diese Schönheitsmittelchen sind nicht alle ihre eigene Erfindung, schon die Ärzte im klassischen Altertum haben diese Mittel gekannt. Das ganze Werk einschließlich der Kosmetik zeigt aber Trotulas großes Wissen und Können. Nach de Renzi hat sich bei ihrem Tod im Jahr 1097 ein drei Kilometer langer Trauerzug gebildet. Im 13. Jahrhundert schreibt der Spielmann Rutebeuf in seiner Erzählung von den Heilkräutern: Gute Leute, ich bin keiner dieser Vagabundenprediger oder windigen Kräuterheiler, die mit ihren Kisten und Beutelchen herumziehen und sie auf Teppichen feilbieten. Nein, ich bin ein Schüler der großen Dame mit Namen Trotula von Salerno, die Wunder jeglicher Art vollbringt. Und wisset wohl, sie ist die weiseste Frau in allen vier Winkeln dieser Welt.


Sigelgaita


Sigelgaita war die Tochter des Langobardenherzogs Waimar von Salerno (gest. 1053) und Gemahlin des Normannen Robert Guiscard, seit 1059 Herzog von Apulien und Calabrien (gest. 1085). Sie eignete sich ein großes Wissen über Gifte an und soll sowohl Ihren Stiefsohn als auch ihren Ehemann vergiftet haben.


Abella


Über Abella, die wohl im 14. Jahrhundert an der Schule von Salerno studierte, gibt es nur wenige Überlieferungen. Nach den vorhandenen soll Abella zwei Bücher Über die schwarze Galle und Über die Natur des menschlichen Samens in Versen, gemäß der Sitte der Zeit, geschrieben haben. Im Grundriss der Geschichte der Medizin (1876) kommentiert der Autor das folgendermaßen: Abella aber ließ sich, vorurteilslos in schöner Weiblichkeit, als ein noch zu erreichendes Ideal für unsere heutigen Doktorinnen, zu Versen über den menschlichen Samen begeistern, gleich wie sie auch über die schwarze Galle dichtete. Die heilkundigen Frauen des Mittelalters waren bei der Behandlung solcher Themen nicht so zurückhaltend wie ihre Nachfolgerinnen in späterer Zeit.


Mercurias


Der Salernitaner Ärztin Mercurias werden vier Werke zugeschrieben: Über die Krisen, Über das Fieber, Über die Heilung der Wunden, Über Salben. Demnach muss sie über ein großes Wissen der gesamten Heilkunde verfügt haben.


Rebecca Guarna


Rebecca gehörte der bekannten Salerner Familie Guarna an, die der Stadt schon einen hervorragenden Prälaten gestellt hat. Sie soll folgende Traktate verfasst haben: Über die Fieber, Über den Harn und Über den Embryo. Alle wie bei Abella in der damals üblichen Versform.


Francisca de Romano


Aus einem Dokument im Kgl. Archiv von Neapel geht hervor, dass Frauen in Salerno nach bestandenem Examen auch ein Diplom erhielten. Eine dieser Urkunden, ausgestellt von Herzog Karl von Kalabrien, ist für eine Francisca, Frau des Matthaeus de Romano aus Salerno. Demnach erhielt Francisca am 15.9.1321 ihr Diplom, das ihr die Ausübung der Chirurgie gestattete. Weil jedoch nach gesetzlicher Kundmachung die Ausübung der Heilkunst den Frauen gestattet ist und wir füglich bedachten, daß zur Behandlung weiblicher Kranker, um der Ehrbarkeit der Sitten willen, Frauen sich besser als Männer eignen, so erteilen wir die Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunst.


Costanza Calenda


Costanza Calenda war die Tochter des Arztes Salvatore Calenda, der um 1415 Dekan der Medizinischen Fakultät von Salerno war, später wurde er Dekan an der inzwischen gegründeten Universität Neapel. Im gleichen Jahr erhielt Costanza ihr Diplom. Von ihr wird berichtet, daß ihr la sua dottrina, la sua belleza, la paterna influenza (ihre Gelehrsamkeit, ihre Schönheit und der väterliche Einfluss) eine besondere Wichtigkeit gaben. Sie soll über Frauenkrankheiten geschrieben haben. Costanza ist die letzte salernitanische Ärztin, die bekannt ist. Salerno hatte zu ihrer Zeit schon viel von seinem einstigen Glanz eingebüßt.

Eine Parallele zu Salerno finden wir in Florenz. Hier ist in der Matrikel der Universität zwischen 1386 und 1408 eine Magistra Antonia als Medizinerin eingeschrieben. Sie war eine jüdische Ärztin, die mit dem Magister Daniel verheiratet war. Danach wurden die Frauen von den Universitäten verbannt und traten nur noch in verschiedenen Sparten als praktische Ärztinnen auf: als Augenärztinnen, Chirurginnen und Franzosenärztinnen.


Jüdische Ärztinnen im Mittelalter


Die Augenärztinnen sind meist in den mittelalterlichen Großstädten anzutreffen, sie waren oft Jüdinnen. Während es in einigen Ländern Europas Juden möglich war, die Kunst des Heilens zu erlernen, war es für Jüdinnen fast unmöglich. Dass trotzdem jüdische Ärztinnen, besonders im 14. und 15. Jahrhundert, nachzuweisen sind, liegt daran, dass sie wohl von ihren Vätern oder Ehemännern medizinisch ausgebildet wurden. In Spanien wurden jüdische Ärztinnen sogar von der Königin konsultiert. 1364 stellte Königin Leonor zwei jüdische Frauen, Ceti und Floreta (beide werden magistra genannt) als ihre Ärztinnen ein, eine davon als Augenärztin. In Sizilien praktizierte 1376 ebenfalls eine jüdische Ärztin. In Deutschland sind jüdische Ärztinnen im 15. Jahrhundert nachweisbar. Zu dieser Zeit herrschte ein Ärztemangel, wie das Beispiel Würzburg zeigt. Als 1411 nach dem Tod von Bischof Johann I. die Hochschule geschlossen wird, wandern die Schüler nach Erfurt ab. Sein Nachfolger Johann II., Erzbischof von Würzburg, stellt am 2. Mai 1419 der jüdischen Ärztin Sara einen Freibrief aus. Mit diesem Privileg wurde ihr gestattet, ihre Kunst im Bistum gegen eine jährliche Steuer von 10 Gulden und gegen eine Zahlung von 2 Gulden statt des goldenen Opferpfennings frei auszuüben. Noch im selben Jahr ist es ihr möglich ein Rittergut zu erwerben. Am 22. 5. verkündet Reinhard von Masspach, Domherr zu Würzburg, dass die Judenärztin Sara in alle Güter des Friedrich von Riedern eingesetzt wird. Welch großes Ansehen sie genoss lässt sich auch daran ersehen, dass sie sich vor Gericht vom Ritter von Wissentann vertreten ließ. Zur gleichen Zeit lebte in Frankfurt am Main die Ärztin Zerlin, die durch ihre Augenheilkunde zu großem Ansehen kommt. Ihr wurde ebenso wie ihren männlichen Standesgenossen gestattet, außerhalb der Judengasse zu wohnen. Ihr Ansuchen auf Steuerbefreiung wurde zwar abgelehnt, einer anderen jüdischen Ärztin in Frankfurt a. M. wird jedoch 1494 das Schlafgeld erlassen, damit sie in Frankfurt bleibt. Dort werden das ganze 15. Jahrhundert hindurch noch mehrere jüdische Ärztinnen genannt. In Günzburg lebte 1542 die ehrbare und züchtige Frau Morada, Doktorin der freien Kunst der Arznei. Ihr wird sogar ein jüdisches Sittenbuch Buch der Sitten, über die 28 guten Eigenschaften des Menschen mit Rücksicht auf seine fünf Kräfte gewidmet. Eine der Heilkundigen, die ihr Wissen im 15. Jahrhundert an einen Mann weitergeben, ist Sara von Saint-Gilles, die Witwe des Arztes Abraham. Sie schließt mit Salvet des Bourgneuf einen Vertrag auf sieben Jahre ab, damit er in ihrem Dienst bleibt. Im Gegenzug dafür lehrt sie ihn artem medicine et phisice. Die jüdischen Ärztinnen des Mittelalters haben nicht nur wie ihre männlichen Kollegen großes Ansehen genossen, sondern auch in der Kunst des Heilens unschätzbare Beiträge geleistet.

In allen größeren Städten Deutschlands wie Münster, Köln, Mainz, Frankfurt a. Main, Lübeck und Bremen sind Ärztinnen im 15. Jahrhundert nachzuweisen. Auch in Frankreich gibt es reichlich Belege für das Vorkommen von Ärztinnen. Laut der Steuertabelle von 1292 gab es acht Frauen, die heilkundlich tätig waren. Aus der Mitte des 13. Jahrhunderts ist die maitresse (magistra) Hersend überliefert. Sie begleitete König Ludwig den Heiligen auf seiner Fahrt nach Akkon während des sechsten Kreuzzuges. Eine Urkunde, die in der Bibliothèque Nationale verwahrt wird, besagt folgendes: Wir Ludwig verfügen, daß wir geben und gewähren der magistra Hersend, physica, in Anerkennung der uns geleisteten Dienste, eine Leibrente von täglich 12 Pariser Denaren, zu erheben von unserem Amte in Siennois.(...)
Urkunden der Pariser medizinischen Fakultät des 14. Jahrhunderts belegen das Wirken heilkundiger Frauen in Paris. Wegen unbefugter Ausübung der Heilkunde wurden sechs Frauen exkommuniziert. Nach einer Liste aus dem Jahr 1332 gab es in Paris 25 Frauen, die ungesetzlich und öffentlich medizinisch tätig waren, darunter auch Jacoba Félice.


Jacoba (Jaqueline) Félicie


Jacoba Félicie , die sich ihr medizinisches Wissen höchstwahrscheinlich im Selbststudium angegeignet hatte, wirkte in Paris und Umgebung. Sie beschaute Urin, befühlte den Puls, verabreichte Sirupe und Kräutertränke und ließ sich für ihre Dienste entsprechend bezahlen. Sie war mit ihren Methoden offensichtlich so erfolgreich, dass die Vertreter der medizinischen Fakultät in ihr eine Konkurrentin sahen und sie deshalb wegen unerlaubter Ausübung der Heilkunde anzeigten. Vor allem ihre Politik der Vergütung riefen Empörung, Ablehnung und Hass hervor. Jacoba ließ sich nämlich erst dann bezahlen wenn ihre Behandlung erfolgreich war und der Patient gesundete, ein Verfahren, das sie bei den Kranken sehr beliebt machte. Zum Prozess kam es im August 1322 unter der Regierung Karls IV.. Sieben geladene Zeugen erklärten, sie hätten Jacoba erst nach der Heilung einige Geschenke gemacht und sie habe die Kranken nicht aus finanziellen Gründen behandelt. Zudem seien sie erst zu Jacoba gegangen, nachdem sie eine Reihe erfolgloser Behandlungen von bekannten Ärzten über sich hätten ergehen lassen. Jacoba wies in ihrer Verteidigung auf das Recht der in der Heilkunde erfahrenen Frauen hin, Kranke zu behandeln. Zudem sei es für Frauen angenehmer sich von einer Frau untersuchen und behandeln zu lassen. All dies interessierte das Gericht wenig. Auf die Zeugenaussagen wurde nicht eingegangen und weder Wissensstand noch Kompetenz von Jacoba wurden einer Prüfung unterzogen. Allein die Tatsache, dass sie keine offizielle Erlaubnis zur Ausübung der Heilkunde besaß, reichte für eine Verurteilung aus. Jacoba musste eine Geldstrafe von 60 Pariser Pfund bezahlen, was für damalige Verhältnisse eine horrende Summe war, und wurde exkommuniziert. Über den weiteren Lebenslauf Jacobas ist nichts bekannt.
Urteile dieser Art hatten keine allgemeingültige Bedeutung, verwiesen aber auf die Tendenzen, Frauen aus wirtschaftlich lukrativen Berufen auszuschließen.

Während des gesamten Mittelalters gab es natürlich neben den Ärztinnen und den Chirurginnen auch Hebammen, Baderinnen und Kräuterfrauen. Diese sind allerdings aufgrund der fehlenden Quellen namentlich nicht zu fassen. Erst im Spätmittelalter gab es eine Hebammenordnung, die verbindliche Prüfungen vorschrieb. Die Hebamme Marie-Louise Bourgeois (1563-1636), die auch am französischen Königshof tätig war, schrieb 1608 ein Hebammenbuch, das große Beachtung fand und das bis dahin gültige Standardwerk zur Gynäkologie von Trotula ablöste.


Dorothea Erxleben



Die erste promovierte Ärztin Deutschlands war Dorothea Erxleben geb. Leporin (1715-1762). Sie wurde als Tochter des Arztes Christian Leporin in Quedlinburg geboren. Schon früh erkannte dieser die Begabung seiner Tochter und unterrichtete sie zusammen mit ihrem Bruder. Dorothea unterhielt Privatunterricht in Latein, Sprachen und in den nützlichen Wissenschaften, die sonst nur den Jungen vorbehalten waren. Medizinische Grundlagen unterrichtete der Vater selbst. Dorotheas Bemühungen um ein Studium wurden durch den Krieg Preußens gegen Österreich unterbrochen. Sie heiratete den Witwer und Diakon Johann Christian Erxleben und kümmerte sich fortan um Kinder und Haushalt, gab die Medizin aber nie auf. Nach dem Tod des Vaters betreute sie dessen Patienten weiter. Da sie ohne Erlaubnis medizinisch tätig war, wurde sie 1753 wegen Kurpfuscherei angeklagt. Daraufhin kündigte Dorothea eine Promotion an, die Erlaubnis dazu hatte sie schon vor einigen Jahren von dem preußischen König Friedrich II. bekommen. Das Angebot wurde angenommen und Dorothea reichte neun Monate später ihre Doktorarbeit ein. Bereits nach wenigen Wochen wurde die Schrift anerkannt und nach der bestandenen mündlichen Prüfung durfte sie nun ohne Einschränkungen praktizieren.



Literatur

Feruccio Bertini: Heloise und ihre Schwestern. Verlag C. H. Beck, München 1991
Elisabeth Brooke: Die großen Heilerinnen. Econ Tb, München 1997
Annette Kerckhoff: Heilende Frauen. Elisabeth Sandmann Verlag, München 2010
Britta-Juliane Kruse: Verborgene Heilkünste, Geschichte der Frauenmedizin im Spätmittelalter. Walter de Gruyter, Berlin 1996
Richard Landau: Geschichte der jüdischen Ärzte. Berlin 1895
Walter Schönfeld: Frauen in der abendländischen Heilkunde vom klassischen Altertum bis zum Ausgang des 19. Jahrhunderts. Ferdinand Enke Verlag, Stuttgart 1947
Annerose und Jörg-Rüdiger Sieck: Heilerinnen im Mittelalter. Verlag Karl Ueberreuter, Wien 2008