Die
Nibelungen-
Fresken
in der Münchner Residenz


Ein Vortrag von Gernot Schnellbacher

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Siegfrieds Tod, Schnorr von Carolsfeld, 1845 ..



Die Nibelungenfresken in der Münchner Residenz, von denen mein Vortrag handelt, lernte ich in diesem Frühjahr kennen, als ich zur "Conrat Meit von Worms"-Ausstellung in München war.
So sah ich auch im Original dieses Bild, das wohl bekannteste und vielleicht beste aus einem Zyklus, der ungefähr 50 Darstellungen unterschiedlicher Größe aus dem gesamten Nibelungenlied umfasst.
Sie kennen oder erkennen das Motiv: Siegfrieds Ermordung. Mitten in einer prächtigen Lichtung des Odenwaldes geschieht die Tat. Links steht Hagen mit vorgestelltem Bein und hebt den Speer zum tödlichen Wurf. Siegfried kniet und trinkt rechts an der Quelle.
Im Mittelgrund König Gunter mit zwei Begleitern, unentschlossen und nicht in die Tat eingreifend.
Der Wald ist von Mittagslicht durchleuchtet; hinter den beiden Hauptakteuren steht je ein mächtiger Baumstamm: Siegfrieds Kopf ist abgebildet vor dem mächtigen Stamm einer Linde – ein Lindenblatt war es ja, das ihn bei seinem Bad im Drachenblut verwundbar machte.
Hagen steht vor einer knorrigen Eiche mit abgestorbenen Ästen: ein alter Baum. Auch ihn wird der Tod ereilen, scheint der Künstler Julius Schnorr von Carolsfeld damit andeuten zu wollen. Wer war dieser Künstler?

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Julius Schnorr von Carolsfeld wurde 1794 in einer Leipziger Künstlerfamilie geboren. Er wurde deren bekanntester Vertreter. 1818 kam er nach Rom, wo er sich dem Künstlerbund der Nazarener anschloss. Die Nazarener wollten die Kunst mit der christlichen Botschaft verbinden. In ihren Bildern vermischt sich oft Realismus mit innigem Ernst und auch Sentimentalität.


Julius Schnorr von Carolsfeld
zeitgenössische Zeichnung

Als einer der wenigen evangelischen Vertreter dieser Kunstrichtung illustrierte Julius Schnorr von Carolsfeld später auch die Lutherbibel, deren Ausgabe als Hausbuch weite Verbreitung fand.
In Rom schuf Schnorr – so sein abgekürzter Name - in der Villa Massimo Fresken zu Ariosts „Orlando Furioso“: „Rasender Roland“ lautet der deutsche Titel des Epos, in dem die Liebe Orlandos zur morgenländischen Prinzessin Angelica farbenfroh geschildert wird. Diese Fresken beeindruckten den späteren bayrischen König Ludwig I. so sehr, dass er Schnorr 1825 als Professor nach München berief. Hier sollte er im neuen Königsbau der Residenz – Architekt war Leo von Klenze – drei größere und zwei kleinere Säle mit Nibelungenfresken gestalten. Warum gerade mit Nibelungenfresken?

Es liegt wohl daran, dass das Nibelungenlied im 19.Jahrhundert als das deutsche Heldenepos schlechthin angesehen wurde. Es sollte als Literaturdenkmal die politische Einheit Deutschlands fördern, es wurde auch als deutsche Ilias bezeichnet.
Die Nibelungenfresken bezeichnete Schnorr in einem Brief an Passavant vom 1.Februar 1830 als das Hauptwerk seines Lebens, wörtlich:
„So ich gesund bleibe, steht das Werk in 12 Jahren da, als das Hauptwerk meines Lebens. Die künstlerische Bedeutung meines Daseins ist dann entschieden. Gott gebe, dass die Frucht gut sei.“

Die Arbeit zog sich aber über fast 40 Jahre hin, also fast ein ganzes Künstlerleben. Warum so lange?
Einerseits war der König schuld, weil er die Arbeit an den Nibelungenfresken von 1835 bis 1843 unterbrach und die künstlerische Ausgestaltung der so genannten Kaisersäle wünschte; der König und andere kritisierten auch den Künstler: daher nahm Schnorr 1846 eine Berufung nach Dresden an, von wo er nur noch selten nach München kam.

1828, also 18 Jahre zuvor, hatte Schnorr einen Plan mit Kostenvoranschlag erstellt, wie er das gesamte Nibelungenlied – einschließlich der Klage, d.h. des Nibelungenlied-Anhangs- darstellen wollte. Er gliederte den Stoff in drei Teile, die je das Thema eines der drei ca. 10x10m großen Mittelsäle wurden:

Saal der Hochzeit
Saal des Verrats
Saal der Rache
Den Abschluss bildete der kleinere Saal der Klage.

Saal der Helden

Den Auftakt, mit dem wir beginnen möchten, bildete der Saal der Helden, in dem die Hauptpersonen dargestellt werden. Wir sehen hier die Eingangswand.

Unten links neben der Eingangstür sind Gunter und Brunhild sowie rechts Siegfried und Kriemhild zu erkennen.
Wie auch alle anderen Personen dieses Saales sind sie handlungsfrei dargestellt, allerdings mit andeutenden Gesten: Kriemhild lehnt sich zärtlich an ihren Gemahl an, während sich Brunhild von Gunter abwendet. Sie treten fast wie ihre eigenen Denkmäler auf und erinnern an die Darstellung von Heiligen auf mittelalterlichen Altartafeln. In dieser Art sind auch andere Personen des Wormser Hofes an den Seitenwänden dargestellt, z.B. Königinmutter Ute zwischen ihren jüngeren Söhnen Gernot und Giselher.

Über der Eingangstür ist der wohl immer noch unbekannte Dichter des Nibelungenliedes zu sehen. Mit Eichenlaub bekränzt sitzt er in heroischer Pose im weit wallenden Gewand auf einem Marmorsessel zwischen Saga und Märe. Der Dichter scheint inspiriert, er hält den Federkiel in der Hand, die Augen sind in die Ferne gerichtet. Zwei Knaben halten ihm Schreibblock und Tintenfass.

Links und rechts vom Thron erkennt man Saga und Märe an ihrer Beischrift: Die Saga ist eine jugendliche Harfenspielerin vor einem mit Rosen bekränzten Knaben. Die Märe ist – vor einem alten Mann – als alte Frau dargestellt. Man kann an den Anfang des Nibelungenliedes denken:

“Uns ist in alten maeren wunders vil geseit
von helden lobebaeren, von grozer arebeit.
von freuden hochgeziten, von weinen und von klagen,
von küener recken striten muget ir nu wunder hoeren sagen.“

Das Bild ist so etwas wie eine Titelvignette „eingangs eines nationalen Heldenliedes“, so Inken Nowald, der eine Dissertation über Schnorrs Nibelungenfresken geschrieben hat.

Auf der gegenüberliegenden Wandseite deutet das Lunettenfresko oben das Ende des Epos an: Die Donaunixen sagen Hagen den Untergang voraus.
Unten sind – nicht leicht zu erkennen – rechts Hunnenkönig Etzel mit Markgraf Rüdiger von Bechelaren sowie links Dietrich von Bern mit Hildebrand dargestellt.

Der umrahmende Ornamentstreifen enthält Weinlaub, was ein Hinweis auf die rheinische Heimat der Nibelungen sein könnte.

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Saal der Hochzeit

Im folgenden Saal der Hochzeit befinden sich – wie auch in den beiden folgenden Sälen – zwischen den beiden Fenstern und den beiden Türen in der Wand gegenüber je zwei größere Bilder im Senkrechtformat und je zwei Breitformat an den beiden anderen Wänden. Daneben gibt es über den Türen oder im Deckenbereich noch kleinere Nebenbilder.

Eins der Hauptbilder ist Siegfrieds Rückkehr aus dem Sachsenkrieg. Der Held reitet als strahlender Sieger durch das Wormser Stadttor.
Mit der rechten Hand weist er auf die gefangenen Könige, die er im Tross mit sich führt.
Seine Fahne trägt das Bild des Drachentöters, in deren Schatten der unbewegt blickende Hagen reitet.
Auch Gunter – am linken Bildrand mit vorgestreckter Hand – wirkt nicht sehr erfreut, während das Gefolge und andere Nebenfiguren von Siegfrieds Taten sehr beeindruckt scheinen.
Die einzigen Frauen des Bildes sind drei weibliche Wesen auf dem Balkon im Hintergrund.

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Auf dem Bild gegenüber - Brunhilds Ankuft in Worms – dominieren die Frauen. Wimpel und Fahnen wehen, halbrechts im Hintergrund sieht man zart die Kirchtürme von Worms. Dicht belaubte Bäume wölben sich darüber, links fließt der Rhein.
Viele Menschen sind da. Im Zentrum von links Gunter, Brunhild, die Königinmutter Ute und Kriemhild. Sie neigt sich der kühl blickenden Brunhild zu. Dies und der nachdenklich rechts am Rand stehende Siegfried deuten eine leichte Spannung in dem sonst so freundlichen Umfeld an.
Das Originalgemälde ist natürlich bunt. Hier sehen Sie eine Federzeichnung.

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Zwischen den beiden Hauptbildern befindet sich das Bild von der Hochzeit.
Ein romanischer Bogen umgibt Kriemhild und Siegfried, die sich vor einem Altar und einem bärtigen Priester die Hände reichen.
Am Rand hinter ihnen stehen Brunhild und Gunter voneinander getrennt. Auch ihre Blicke deuten an, dass keine Harmonie zwischen beiden herrscht.
Auf der gegenüberliegenden Wand – ein Bild habe ich nicht -überreicht Siegfried seiner Kriemhild Ring und Gürtel, die er für Gunter stellvertretend in der zweiten Nacht nach der Hochzeit Brunhild abgenommen hat.

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Saal des Verrats

Von diesem Bild zwischen den Fenstern kann man schon in den nächsten Raum sehen, den Saal des Verrats. Hier kommen die Konflikte zum Ausbruch, die in dem eher heiteren Umfeld des vorigen Saales angedeutet waren.
Das Geschehen setzt ein - im Senkrecht-Format-Bild zwischen den Fenstern – mit dem Streit der Königinnen vor dem Dom. Es geht um den Vortritt bzw. darum, welcher der beiden Ehemänner den höheren Rang hat. Durch das Vorweisen von Ring und Gürtel entscheidet Kriemhild diesen Streit für sich.
Die Beschwichtigungsversuche der Männer im Hintergrund bleiben ohne Wirkung. Es gibt keinen Frieden, die Sache führt zu Siegfrieds Ermordung, dessen Darstellung wir im ersten Bild dieses Vortags gesehen haben (s.o. Siegfrieds Tod).

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Hier sehen wir Kriemhild voller Verzweiflung, nachdem man ihr den Leichnam Siegfrieds vor die Tür gelegt hat. Der beim Streit der Königinnen triumphierenden Kriemhild – im selben Saal gegenüber – ist hier die leidende entgegengestellt. Man ahnt schon die grausame Rächerin. Fackeln leuchten in der Dämmerung, während Kriemhild nach draußen stürzt und sich gleichsam aus ihrer bis dahin behüteten Welt löst.

Der Darstellung von Siegfrieds Ermordung antwortet auf der Gegenseite die Leichenfeier. Der in einer Kirche – es muss der Wormser Dom sein -aufgebahrte Leichnam Siegfrieds ist von Verwandten, Gefolge und Geistlichen umgeben.
Kriemhild erkennt Hagen als Mörder und erhebt anklagend den Arm, weil bei dessen Herantreten sich noch einmal die Wunde öffnete und Blut floss. Alle sind von Entsetzen bewegt, nur Hagen und der hinter ihm stehende Gunter zeigen keine Gefühle. Sie wirken dadurch isoliert.

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Hier ein Blick in den Saal des Verrats, der uns einen Eindruck vermittelt von der reichen dekorativen Ausstattung, die vom Boden bis zum Deckengewölbe reicht.
Zwischen den beiden besprochenen Großbildern „Kriemhild findet Siegfrieds Leiche“ und „Hagen als Mörder erkannt“ sehen wir ein kleineres Bild über der Tür, eine so genannte Supraporte. Sie zeigt –schwer erkennbar. die Benachrichtigung Siegmunds, Siegfrieds Vater, vom Tod seines Sohnes.

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So gut wie nicht erkennbar sind die halbrunden Darstellungen darüber auf den so genannten Lünetten, die Darstellungen aus Siegfrieds Leben enthalten, z.B. wie er – hier rechts von der Mitte – von seinem Vater gekrönt wird.
Irgendwie scheint der auffallende Prunk nicht zu dem dargestellten tragischen Inhalt zu passen. Julius Schnorr von Carolsfeld wollte aber, wie er selbst schreibt, damit die Faszination des Schatzes verdeutlichen, der “Habsucht und Neid, und deswegen das Verderben des Besitzers herbeiführte“.


Auf der hier links abgebildeten Supraporte zeigt Kriemhild Hagen die mit einem Kreuz markierte Stelle, an der Siegfried verwundbar ist.
Rechts daneben sieht man Siegfrieds Abschied von seiner Gattin vor dem Aufbruch zur Jagd im Odenwald. Vergeblich versucht Kriemhild, die durch einen bösen Traum gewarnt wurde, ihn zurückzuhalten.

Was diese Supraporte über der Ausgangstür darstellt, erkennen wir wohl alle. Dass Hagen den Nibelungenhort vom Ufer und nicht von einem Kahn aus versenkt, ist für alle, die das Wormser Hagendenkmal kennen, auffallend.
Dieser Hort oder Schatz, der reich und mächtig machte, war vielleicht der Hauptgrund, warum Siegfried sterben musste: er hätte Gunters Macht eingeschränkt.

Saal der Rache

Der Saal der Rache knüpft zeitlich nicht unmittelbar an das Geschehen des vorigen Saales an, sondern setzt erst nach einer Pause von mehreren Jahren ein. Etzels Werbung um Kriemhild, ihre Reise ins Hunnenland und die Vorbereitung ihrer Rache werden übersprungen.

Die Handlung beginnt mit dem Bild zwischen den Fenstern „Hagen und Volker verweigern Kriemhild den Gruß“, Die beiden Recken sitzen abgewendet von der Königin, die zwei Stufen höher stehend auf Balmung, Siegfrieds Schwert in der Hand Hagens schaut.
Hier ein Gemälde unseres Künstlers zum gleichen Thema. Kriemhild ist hier im Profil zu sehen, in der etwas veränderten Hintergrundarchitektur kann man hunnische Krieger erkennen. Die kühle und feindselige Grundstimmung macht aber auch hier deutlich, dass Hagen zur führenden Figur der Nibelungen wird.

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Wir sehen hier den Kampf auf der Stiege, einen Höhepunkt der nun einsetzenden Kämpfe. Die Burgunder kämpfen Mann gegen Mann, von links oben aus der Halle kommend gegen die anstürmenden Hunnen. Im Vordergrund haben sich links und rechts zwei Kampfgruppen gebildet.
Am oberen Ende der dazwischen liegenden Treppe steht hervorgehoben Hagen. Er wehrt gleichzeitig mehrere Angreifer ab und demonstriert ungebrochenen Kampfesmut. Er ist es, der den Gang der Handlung bestimmt, die zum heroischen Untergang der Burgunder führt.

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Mein letztes Bild zeigt Hagen tot im Vordergrund liegend vor den Füßen seiner Feindin Kriemhild, die ihn, den gefesselten, mit eigener Hand erschlagen hat. Sie wurde vom tödlichen Schwerthieb Hildebrands getroffen und sinkt in die Arme König Etzels.
Weiter hinten wird ein Leichnam, wohl der Gunters, eine Treppe hochgetragen zu einemTriumphbogen, in dessen mittlerer Öffnung sich ein Aufhellen zeigt. Dieses Licht wirkt wie eine Hoffnung nach dem Ende der Kämpfe, etwa in dem Sinne: das Leben geht weiter.

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Mehr Bilder vom Saal der Rache und dem abschließenden kleinen Saal der Trauer kann und will ich nicht zeigen. Das letzte Bild“Bischof Pilgrim von Passau erfährt die Kunde vom Untergang der Burgunder“ hat Wilhelm Hauschild 1867 fertiggestellt.
Julius Schnorr von Carolsfeld, der damals in Dresden lebte, hat die fertig gestellten Nibelungensäle nie gesehen, vermutlich aus gesundheitlichen Gründen. Er starb noch im gleichen Jahr1867 mit 73 Jahren.

Gehen wir noch einmal der Frage nach, warum sich die Fertigstellung des Nibelungenzyklus so lange hinzog.
Da ist – wie schon gesagt - zuerst der bayerische König Ludwig I. zu nennen, sein Auftraggeber. Der billigte zwar das Gesamtkonzept, mäkelte aber an einzelnen Bildern herum, z.B. weil sie „zu mystisch“ seien. Auch in der Öffentlichkeit wurde Schnorrs etwas veraltet wirkender Nazarenischer Kunststil kritisiert, was dem Fortgang des Werkes nicht förderlich war. Dazu kam noch die eingangs erwähnte achtjährige Pause wegen der Kaisersäle und der Umzug nach Dresden. Weil Schnorr vertraglich verpflichtet war, arbeitete er mit der Zeit mehr aus Pflichtgefühl und Routine. Erschwerend kam noch hinzu, dass er 1848 während seiner Arbeit am „Kampf auf der Stiege“ an einem Auge erblindete: er hatte den Grauen Star bekommen, der damals noch nicht heilbar war.

Ich komme zum Schluss. Die Gemälde der Münchner Nibelungensäle sind die erste monumentale Gesamtdarstellung des Nibelungenliedes aus dem 19. Jahrhundert. Sie sind heute noch eindrucksvoll und während der üblichen Öffnungszeiten der Residenzmuseen kostenlos zugänglich. Allerdings scheint eine Restaurierung angebracht: an mehreren Stellen sieht man Klebestreifen die den Verputz festhalten sollen.
Vor allem fehlt gegenwärtig eine im Handel erhältliche Beschreibung der Bilder, die sich auch dem Kenner des Nibelungenliedes nicht immer leicht erschließen.
Das sollte Sie, meine Damen und Herren, aber nicht davon abhalten, sich bei einem Besuch in München die Nibelungenfresken des Julius Schnorr von Carolsfeld vor Ort anzusehen.