Brunhild
die Frau
aus einer anderen Welt

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Ein Vortrag von Herrn Erwin Martin


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Brunhild (Postkarte), G. Bussière, 1897 ..




Der Altmeister der Nibelungenliedforschung Andreas Heusler stellte in seinem Buch „Nibelungensage und Nibelungenlied“, das 1921 erschien, einen Stammbaum des Nibelungenliedes auf, der inzwischen von der neueren Forschung stark differenziert wurde, aber doch Grundlegendes zur Stoffgeschichte des Epos darbietet.

Heusler unterscheidet zwei ursprünglich selbständige und voneinander unabhängige Sagenstoffe, die vom Dichter des Nibelungenlieds zu einer Einheit zusammengefügt wurden: die Brunhildsage und die Burgundensage. Beide zeigen eine mehrstufige Entwicklung über 800 Jahre hinweg, vom 5. bis zum Beginn des 13. Jahrhunderts, während der sie stark abgewandelt wurden, bevor sie der Verfasser des Nibelungenlieds in seine Endfassung brach-te.

Uns beschäftigt im Folgenden nur der eine Strang, die Brunhildsage, in der von Anfang an Siegfried und Brunhild in Verbindung stehen. Das um 1200 entstandene Epos greift auf Vorstufen zurück, aber es gibt keine Zeugnisse dafür im Raum ihrer Entstehung. Sie wurden mündlich tradiert. Dieser Entstehungsraum ist das fränkische Gebiet, aber die Sage ist schon früh nach Skandinavien und Island gewandert. Sie wurde bereits vorher und erst recht von den nordischen Sängern umgeformt und ausgestaltet.

Im Norden fand etwas Wesentliches statt: Die einzelnen Teile der Brunhildsage wurden schriftlich fixiert, nämlich in der Sammlung Edda in Versform und in der Völsunga-Saga, einer Heldenerzählung in Prosa, in der ursprüngliche Versgestaltungen in der Folgezeit aufgelöst wurden. Diese Fassungen hielt man in der frühen Forschung für die Ursprungs-formen, an denen sich der Nibelungenlieddichter orientiert habe. Daran ist zweierlei unzutreffend: Zum einen sind diese schriftlichen Aufzeichnungen mehrere Jahrzehnte jünger als das Epos von 1200, zum anderen führt der Wanderweg der Sagenstoffe von Süd nach Nord, nicht umgekehrt.

Trotzdem haben die schriftlich festgehaltenen Texte einen hohen Aussagewert: Sie erlauben Rückschlüsse auf die Frühformen der mündlichen Überlieferungen. Wenn wir in diesem Vortrag die Figur der Brunhild ins Auge fassen wollen, genügt es nicht, ihre Darstellung im Nibelungenlied nachzuvollziehen. Bemerkenswert ist vielmehr, was sich als ihre Urform rekonstruieren lässt und was die Sänger und Erzähler, unter anderen auch der Dichter des Nibelungenlieds, an dieser Gestalt abgewandelt haben.

Ein bruchstückhaft erhaltenes Heldenlied der Edda-Sammlung lässt etwas von der Ursage durchschimmern. Man muss zunächst wissen, dass die nordischen Autoren bzw. Aufzeichner dieser Stoffe bewusst auf eine weit zurückliegende Vergangenheit zurückgriffen, die mit ihrer eigenen Gegenwart nichts mehr gemein hatte, wohl aber zur Konsolidierung eines völkischen Bewusstseins auf Island in kritischer Zeit beitragen konnte. Es geht ja um Heldensagen mit vorbildhaften Gestalten, die zur Identifikation einladen. Es handelt sich bei diesen Aufzeichnungen des 14./15. Jahrhunderts um „Vorzeitsagen“, d.h. um Stoffe, die vor der Besiedelung der nordischen Insel im 9. Jahrhundert angesiedelt sind und in einem mythi-schen, d.h. außerhistorischen Raum und Rahmen spielen. Diese Stoffe wurden von den aus Norwegen kommenden Einwanderern mitgebracht, zu denen sie schon früh vorgedrungen waren. Die ursprünglich fränkischen Sagenstoffe aus der Völkerwanderungszeit wurden in der Folgezeit von den nordischen Sängern in deren eigene Erlebniswelt eingeformt.

Es geht nun darum, aus diesen Modifikationen die Urspungsformen herauszufiltern. Die Edda-Lieder zeigen in ihren Gestaltungen unterschiedliches Alter. Es gibt ein älteres und ein jüngeres Sigurdlied, in dem die beiden Figuren Sigurd (dies ist die nordische Namensform für Siegfried) und Brynhild in verschiedener Gestaltung vorgeführt werden. Das ältere Lied ist dem Ursprung näher, aber es weist viele Lücken auf. Man muss eine Prosaumsetzung zu Hilfe nehmen, die zwar noch später aufgezeichnet wurde, um 1400, aber trotzdem Frühformen erkennen lässt: die Völsunga-Saga. So ist es möglich, aus beiden Überlieferungen eine Ausgangsform der Brunhildsage zu rekonstruieren:

Sigurd kommt an den Hof des Königs Gjuki, schließt mit dessen Söhnen Blutsbrüderschaft und heiratet ihre Schwester Gudrun (so heißt die Kriemhild des Nibelungenliedes in den nordischen Texten; der Hof des Königs Gjuki entspricht dem Wormser Burgunderhof, dessen Vater-König im Nibelungenlied allerdings nicht mehr lebt). Gunnar, der älteste Sohn Gjukis (der Gunther des Nibelungenlieds), will Brynhild zur Frau gewinnen, die, von einem Flammenwall umgeben, auf ihren Freier wartet. Sie hat geschworen, nur den zum Manne zu nehmen, der durch die Waberlohe hindurch zu ihr dringen könne.

Nachdem Gunnar vergeblich versucht hat, den Feuerwall zu durchdringen, tauscht Siegfried mit ihm die Gestalt und reitet durch die Flammen. (Es ist nur von einem Gestaltentausch die Rede, nicht von einem Tarnmantel oder einer Tarnkappe, die ihren Träger unsichtbar macht. Das ist spätere Zutat. In der Ursage geschieht dieser Wechsel der Gestalten ohne logische Begründung. Sigurd ist eine mythische Figur, die weit über jede Realität hinausragt, sie ist wie eine Märchengestalt zu einer solchen Verwandlung fähig).

Die Stabreimverse der Edda lassen in der kongenialen Übertragung aus dem Altnordischen von Felix Genzmer (im Thule-Band 1 von 1934) etwas von der Urform der Brunhildsage spüren.

In diesen Versen verbinden sich zwei Gestaltungselemente zu einer einmaligen Ausdruckskraft, die man weniger beim stummen Lesen als beim lauten Vortrag wahrnimmt: Der Anfangsreim oder Stabreim ist nicht nur wie der Endreim ein klangästhetisches Phänomen. Er bindet die sinntragenden Wörter wie über einen Bogen zusammen und hebt sie dabei dynamisch hervor. Das auf- und absteigende Metrum mit Pausen verlangt einen langsamen, gewichtigen Sprechrhythmus.

Hier die Schilderung der Waberlohe:

Der Bránd ràste, der Bóden wànkte,

hóhe Lòhe zum Hímmel stìeg;

keiner wagte von des Königs Recken

hindurch zu reiten, drüber zu setzen.

Gestalten, die in dieser Verssprache besprochen werden, haben ein holzschnittartiges Gepräge. Nur typische Züge sind herausmodelliert. Großes, Mächtiges, Gewaltiges und Schreckliches tritt in dieser germanischen Dichtungsweise zu Tage.

Sigurd Grani mit Gram spornte;

die Rüstung blinkte, die Regin schlug:

das Feuer erlosch dem Fürstensohn;

die Lohe wich dem Wagefrohen.

Sigurd nennt sich Brynhild gegenüber Gunnar und sagt ihr, sie sei ihm zur Frau bestimmt, weil er ihrem Gelübde gemäß die Waberlohe durchritten habe. Er teilt nun drei Nächte hindurch mit Brynhild das Lager, aber mit dem Schwert zwischen ihnen. Er nimmt dann einen Ring von ihrem Finger, reitet zurück und tauscht wieder mit Gunnar die Gestalt. Sie fahren mit Brynhild nach Worms und feiern zweifache Hochzeit. Sigurd übergibt seinem Weibe Gudrun den Ring von Brunhilds Finger und erzählt ihr das Geschehene.

Als einmal die beiden Königinnen Brynhild und Gudrun im Rhein baden (die Lokalisierung am Rhein bleibt auch in der nordischen Version erhalten), watet Brynhild höher den Fluss hinauf und sagt, sie sei die Vornehmere, ihr Gatte sei der Größte von allen, er habe den Feuerwall durchritten. Da antwortet ihr Gudrun (Kriemhild) zornig, Sigurd habe den Drachen erschlagen, er sei durch die Waberlohe geritten und habe das Lager mit ihr, Brynhild, geteilt. Zum Beweis zeigt sie den Ring vor.

Brynhild stellt daraufhin Gunnar zur Rede und teilt ihm mit, sie habe alles bisher vor ihr Ver-schwiegene von Gudrun erfahren, denn Sigurd habe es ihr erzählt. Sie wolle nicht zwei Männer haben in derselben Halle, einer von ihnen müsse sterben. So beschließt Gunnar nun, Sigurd müsse getötet werden. In der nordischen Version ist von keiner unverwundbar machenden Hornhaut die Rede. Bei der Tötung des Drachens Fafnir erwarb Sigurd lediglich die Fähigkeit zum Verstehen der Vogelsprache. Im jüngeren Sigurdlied und in der Völsungen-Saga wird er vom jüngsten Sohn Gjukis, nicht von Högni (Hagen), im Schlaf an der Seite Gudruns (Kriemhilds) erstochen. Im alten Sigurdlied stirbt er von derselben Hand auf einer Jagd, und hier lautet der sprunghafte Bericht:

Erschlagen ward Sigurd südlich vom Rhein

(...)

Draußen stand Gudrun, Gjukis Tochter,

und also war ihr erstes Wort:

„Wo habt ihr Sigurd, den Heldenfürsten,

da Gjukis Erben als Erste reiten?“

(...)

Einzig Högni gab Antwort drauf:

„Nieder hieben den Helden wir;

der Hengst neigt das Haupt

auf des Herrn Leiche.“

Da lachte Brynhild zum letzten Mal -

das Haus hallte - aus Herzensgrund.

Das alte Sigurdlied endet mit der folgenden Abschiedsrede Brynhilds:

Gunnar, so ganz vergaßest du,

dass Blut in die Spur ihr beide träuftet!

(d.h. Blutsbrüderschaft geschworen habt)

Übel hast du ihm alles gelohnt,

der Gunnar als Ersten doch gelten ließ.

Als kühn der Recke geritten kam,

um mich zu werben, da ward es kund,

wie heilig den Eid der Heervernichter

gehalten hatte dem jungen Herrscher.

Den Wundzweig legte, umwirkt mit Gold,

(der „Wundzweig“ ist das Schwert)

der ziere Fürst zwischen uns beide;

die Schneiden waren außen geschärft mit Glut,

von innen aber geätzt mit Gift.

Möglicherweise folgten hier noch verloren gegangene Strophen, die Brynhilds Abschied vom Leben berichteten. Felix Genzmer kommentiert: „Der Freitod ist das Gegengewicht zu der Rachetat, womit Brynhild den herrlichsten Helden vernichtet hat, zugleich das Ende eines Lebens, das sie, unwissentlich eidbrüchig, an der Seite des Unwürdigen geführt hat. Der jüngere Gedanke, dass Brynhild Sigurd liebt und mit ihm ins Jenseits einziehen will, ist von unserem Liede fernzuhalten.“

Im jüngeren Sigurdlied ist das Zeremoniell um Brynhilds Tod breiter dargestellt. Sie sticht sich selbst das Schwert in die Brust, und während sie verblutet, bittet sie Gunnar, einen Scheiterhaufen zu errichten und sagt:

„Sigurd brenne zur Seite mir!

(...)

Noch einmal liege in unserer Mitte

das scharfe Eisen, wie einst es lag,

als wir beide ein Bett bestiegen

und man uns gab den Gattennamen.“

Die Brunhildsage machte im Laufe der Jahrhunderte bis zum Nibelungenlied und den nordi-schen Versionen viele Abwandlungen durch. Sie wurde vielleicht auch mit Elementen aus der Realgeschichte angereichert. Es gab eine gewaltige Merowingerkönigin namens Brunichildis, die 614 starb, und um 540 spielte sich in der Geschichte der Goten eine Szene ab, in der eine Adelige die Königin im Bade beleidigte, worauf diese bei ihrem königlichen Gatten Rache verlangte. Der ließ den Ehemann der Beleidigerin ermorden.

Es wäre jedoch verfehlt, die Brunhildsage als Spiegelung historischer Fakten zu verstehen. Es dominiert darin Überwirkliches, das später in Volksmärchen einmündete: der Drachenkampf, der Gestaltentausch und die Freierprobe mit dem Feuerwall. Der Hauptakzent liegt aber auf dem Seelenkampf, den Brunhild auszufechten hat. Ihr wird vom Schicksal Unerhörtes zugemutet, an dem sie zugrunde geht.

Ursprünglich ist nicht von einer Walküre die Rede, die, selbst halbgöttlich, in den Bereich Odins gehört und von daher ihre Besonderheit hat. Sie ist am Anfang eine irdische Frau, die aber schicksalhaft herausgehoben ist aus der Welt des Normalen und Durchschnittlichen und deshalb einem männlichen Partner zugeordnet ist, der ebenfalls das Normalmaß überragt.

Ihre Tragik besteht darin, dass es zunächst zu einer Vereinigung der beiden Außerordentlichen kommt, dann aber die Einheit der Gleichen durchbrochen wird durch die Abtrünnigkeit des männlichen Partners. Dabei handelt es sich nicht um einen einfachen Treubruch, eine bloße Abkehr des Mannes wegen einer anderen Frau. Es geschieht das Ungeheuerliche, dass hinter ihrem Rücken ein Tauschgeschäft durchgeführt wird, bei dem der Einmaligen, Besonderen ein Unwürdiger aus der Normalwelt untergeschoben wird, und zwar mit Hilfe des treulosen Partners, der bei diesem Betrug als Mittel gerade die außerordentliche Kraft einsetzt, die ihn seiner schicksalsbestimmten Partnerin würdig macht.

Nicht genug damit wird die Missbrauchte von der Frau, die der Partner ihr vorgezogen hat und die zu den Gewöhnlich-Menschlichen zählt, in zynischer Weise über die bisher vor ihr verheimlichten Machenschaften aufgeklärt, die ihr Partner in leichtfertiger Weise ausgeplaudert hat. Und sie muss sich gefallen lassen, dass sie wegen des Beilagers mit Siegfried als Kebse bezeichnet wird.

Diese Grundkonstellation des ersten Erzählers wurde im Prinzip bis zum Nibelungenlied beibehalten, aber im Einzelnen haben die wechselnden Zeiten dem Stoff ihren jeweiligen Stempel aufgedrückt und Varianten hervorgebracht. Am deutlichsten heben sich die nordischen Versionen von den fränkischen ab, auf die sie zurückgehen. Im Norden hielten sich die alten Götter länger in der Phantasie der Sänger, sie erreichte das Christentum um Jahrhunderte später als die Franken, die mit dem germanischen Mythos bald nichts mehr anzufangen wussten. Die Waberlohe verlor in der christlichen Ritterzeit ihre mythische Faszination und wurde ersetzt durch einen Wettkampf nach Rittermanier.

Wenn aber ein Element einer geschlossenen Komposition ausgetauscht wird, dann zieht das eine ganze Reihe weiterer Veränderungen nach sich. Die abschreckende Wirkung der Waber-lohe musste in eine entsprechend effektive Kampfkraft der Brunhild selbst verlegt werden. Dadurch wurde die geheimnisvoll Geschützte zu einer überdimensionierten Muskelfrau, bei der im Unklaren blieb, woher sie ihre ungeheure Körperkraft hatte. Und es musste von dem schwachen Bewerber ein Dreikampf mit ihr bestanden. werden. Ein Gestaltentausch war jetzt nicht mehr möglich. Gunther musste sichtbar bleiben. Siegfrieds Hilfe konnte nur unter einem unsichtbar machenden Tarnmantel erfolgen, der ursprünglich nicht nötig war.

Die Edda bietet ein ganzes Panorama von Varianten der Brunhildsage, die alle nach der Entstehung des Nibelungenliedes aufgezeichnet wurden, aber teilweise auf frühe Quellen zurückgehen.

Die Brunhild als Schildmaid gehört zur frühesten Schicht. Es kommt hinzu in der Reihe von Jung Sigurds Taten eine Darstellung als Walküre. Allerdings erscheint hier ein anderer Name: Sigrdrifa. Der Dichter dieses Liedes hat die Schildmaid Brunhild mit der Walküre Sigrdrifa identifiziert. Die Walküre hatte als Odinsdienerin nach dem Ratschluss ihres Herrn Sieg und Tod in der Schlacht zu vollstrecken.

Hier ist die Dornröschenfabel ins Heldische gewandelt. Sigurd sah einst beim Ritt über das Hochland einen Feuerschein. Beim Näherkommen erkannte er einen Schildzaun. Er durch-schritt ihn und sah einen Menschen in voller Rüstung daliegen und schlafen. Als er ihm den Helm abnahm, erkannte er eine Frau. Die Rüstung saß wie festgewachsen, er musste sie mit seinem Schwert aufschneiden. Dabei erwachte sie und sprach:

Wer schnitt die Brünne? Wie brach mein Schlaf?

Die bleiche Not, wer nahm sie mir?

Sigurd antwortet:

Der Sohne Sigmunds: Sigurds Klinge

löste die Zweige des Leichenvogels.

(Der „Leichenvogel“ ist der Rabe, der sich auf die „Zweige“, d.h. auf die menschlichen Glieder niederlässt. Demnach holt Sigurd die Walküre aus einer Art Todesschlaf in das Leben zurück)

Darauf spricht Sigrdrifa:

Lange schlief ich, lange schlummert‘ ich,

lang ist des Lebens Leid!

Odin schuf, dass den Schlummerbann

zu lösen mir nicht gelang.

Im Anschluss daran spricht Sigrdrifa zwei Hymnenstrophen, die ihre Verwurzelung in der heidnisch-germanischen Glaubenstradition bekunden. Die erste Strophe richtet sich an albische Geister, die am Tage und in der Nacht walten:

Heil dir, Tag! Heil euch, Tagsöhne!

Heil, Nacht und Nachtkind!

Mit holden Augen schaut her auf uns

und gebt uns Sitzenden Sieg!

Heil euch, Asen! Heil euch, Asinnen!

Heil dir, fruchtschwere Flur!

Rat und Rede gebt uns ruhmreichen beiden

und heilkräftige Hände!

Siegfried erfährt nun ihren Namen: Sigrdrifa. Sie erzählt, sie sei Walküre Odins. Bei einem Kampf zweier Könige habe Odin dem älteren den Sieg versprochen, sie aber habe dem jün-geren zum Sieg verholfen. Daraufhin stach sie Odin mit dem Schlafdorn und sprach den Bann aus, dass nur der sie aus dem Zauberschlaf solle erwecken können, der nichts von Furcht wis-se.

Sigrdrifa reicht nun Sigurd einen Weisheitstrank:

Bier bring ich dir, Brünneneichbaum,

gemischt mit Stärke und stolzem Ruhm,

voll von Sprüchen und Freudenrunen,

gutem Zauber und Glücksstäben.

Der Rest des Liedes besteht aus Bruchstücken. Es folgt eine Weissagung, die dem gerade an-geboteten Weisheitstrunk und seinem guten Zauber widerspricht.

Nicht lange seh ich dein Leben währen,

da furchtbare Fehde naht.

Dann stellt sie Sigurd vor die Wahl:

Kiese nun, du kannst es jetzt,

schimmernder Schildbaum!

Wort oder Schweigen wähle du selbst;

bestimmt ist alles Unheil!

Und Sigurd antwortet:

Will nicht weichen, winkt mir auch Tod;

kein Zager ward ich gezeugt:

folgen will ich deinem Freundesrat,

solange mein Leben währt.

Sigurd schwört nun, sie zum Weibe zu nehmen, und sie antwortet: „Dich will ich am liebsten haben, und könnt ich unter allen Männern wählen.“ Und dies bekräftigen sie mit Eiden.


Damit ist ein weiteres Motiv in die Sage gelangt, das in der ursprünglichen Form fehlt: die Liebe. Ein junges Edda-Lied arbeitet die Liebessehnsucht Brunhilds in aller Deutlichkeit her-aus:

Einsam saß sie abends draußen,

begann mit sich so zu reden:

Halten will ich den jungen Helden

Sigurd im Arm, sonst muss ich sterben.

Ein weiteres Lied besingt Brunhilds Fahrt in die Unterwelt nach ihrem Flammentod auf dem Holzstoß. Eine Riesin, ein Ungeheuer am Eingang zur Hel, klagt sie an wegen der Untat, die sie im Leben begangen. Brunhild schließt den Dialog mit den Worten:

Männer und Frauen müssen lange

zu Last und Leid im Leben weilen;

doch wir wollen die Welt verlassen,

Sigurd und ich. - Versink, Riesin!

Die Gemeinsamkeit Brunhilds mit dem Geliebten findet also im Tod und darüber hinaus statt. Die Hel, in die sie nach dem Tod eingehen, ist aber kein Ort der ewigen Strafe wie die Hölle in der christlichen Vorstellung. Sie ist schlichtweg der Ort, an dem sich die Verstorbenen aufhalten.


Nichts von all dem im Nibelungenlied. Der Nibelungenlieddichter lässt nichts verlauten von einer anfänglichen Begegnung und einer Verlobung Siegfrieds mit Brunhild. Dadurch erspart er sich auch die Erklärung, die ein nordischer Sänger ausdachte, weshalb Siegfried bei seiner neuen Vermählung mit Kriemhild nichts mehr von seiner Erstbindung weiß: Gunthers zauber-kundige Mutter bereitet einen Vergessenheitstrank, der ihn für Kriemhild freimacht. Es ist im Nibelungenlied weder von einer Walküre die Rede noch von einer sehnsüchtig liebenden Brunhild. Der ganze mythische Urgrund ist aufgebrochen.

Das hatte gravierende Folgen. Es mussten Ersatzformen für die ursprünglichen Vorgänge und Situationen gefunden werden. Dabei entstanden Lücken, Unklarheiten und Widersprüche: Nach ihrer Niederlage im Dreikampf auf Island ergibt sich Brunhild ohne weiteren Widerstand in ihr Schicksal. Sie glaubt sich von Gunther besiegt und folgt ihm nach Worms als künftige Gattin. Nun aber wehrt sie sich im Widerspruch dazu in der Hochzeitsnacht gegen den, der sie in ihren Augen doch rechtmäßig besiegt hat. Ihre Kraft ist also noch nicht gebrochen. Siegfried muss ein weiteres Mal eingreifen und die Widerspenstige zähmen. Es gelingt ihm nur mit äußerstem Krafteinsatz, und der Kampf ist erst beendet, als er Brunhild den Ring und den Gürtel wegnimmt, mit dem sie ihn binden wollte wie vorher ihren schwachen Ehemann.

Unklar geht es weiter. Mit Ring und Gürtel hat Siegfried Brunhild offenbar jede übermenschliche Widerstandskraft genommen. Steckte in diesen Attributen das Geheimnis ihrer magischen Überkraft? Was hat es damit für eine Bewandtnis? Der Dichter lässt den Fall unerklärt. Er spart offensichtlich das Mythische aus und reduziert den Gürtel auf ein Beweisstück für das Beilager, das dann Kriemhild im Streit vor dem Domportal präsentiert.

Was aber hat dann Brunhild zu einer ganz gewöhnlichen Frau gemacht? Der Verlust ihrer Jungfernschaft? Aber nicht Siegfried hat sie entjungfert, sondern Gunther, denn es war vorher zwischen den beiden Männern ausgemacht, dass Siegfried die Widerspenstige nur gefügig machen, das Beilager aber dem Ehemann überlassen sollte. Dann wäre ihre Demütigung, die ihr erst nach dem Streit mit Kriemhild bewusst wird, um so gravierender: Nicht der Ebenbürtige hat sie durch Entjungferung geschwächt, sondern ein Schwächling hat ihr die Urkraft genommen.

Brunhild ist nach ihrer Aufklärung durch Kriemhild maßlos empört über den Betrug, der in der Brautnacht durch Siegfried an ihr begangen wurde. Sie erwähnt aber mit keinem Wort den Betrug bei der Freierprobe auf Island, mit dem doch alles begonnen hat. Ihr Bedürfnis nach Rache gründet sich offenbar ausschließlich auf Siegfrieds Täuschungsmanöver in Gunthers Ehebett und die Tatsache, dass Siegfried Kriemhild davon erzählt hat.

Der Dichter des Epos lenkt bei der Zeichnung der Brunhild die Aufmerksamkeit des Hörers oder Lesers vom Mythischen weg in eine andere Richtung. Als die Brautwerber aus Worms auf Island eintreffen und merken, welchen Ungeheuerlichkeiten sie hier gegenüberstehen, dass sie angesichts der Brunhildschen Kampfeskraft und Tötungslust mit dem Tod rechnen müssen, sagt der sonst so unerschrockene Hagen zu Gunther: „Die Frau, um deren Minne Ihr werbt, die ist die Braut des Teufels - des tiuveles wîp“ (438). Mit dieser Bezeichnung wird Brunhild in eine christliche Glaubensvorstellung eingeordnet.

Ein zweites Textelement weist in dieselbe Richtung, für den heutigen Leser unauffällig, für den mittelalterlichen Hörer hingegen ein deutliches Signal: Bei der Erwähnung des Gürtels als Beweisstück im Streit der Königinnen vor dem Dom heißt es, er sei „verfertigt aus Seide von Ninive - von Ninnivê der sîden“ (850). Die assyrische Stadt Ninive galt nach biblischem Ver-ständnis als Symbol heidnischer Macht und Überheblichkeit. Mit diesem Hinweis erfolgt nach der ersten Enthüllung über die Vorgänge in der Hochzeitsnacht gegenüber Brunhild eine weitere für den Hörer oder Leser: nämlich dass Brunhilds Gürtel ein höchst suspektes Attribut ist, das ihre Besitzerin in Verbindung bringt mit einer Stätte der Verworfenheit in biblischem Sinne. Mit germanisch-mythischem Kraftzauber lässt sich diese jüdisch-christliche Provenienz schwerlich verknüpfen.


Friedrich Hebbel rühmt im Vorwort zu seiner Dramentrilogie „Die Nibelungen“ die weitge-hende Zurückdrängung des mythischen Hintergrunds im Epos: Der Nibelungenlieddichter habe sich gehütet „in die Nebelregion hinüberzuschweifen, wo seine Gestalten in Allegorien umgeschlagen und Zaubermittel an die Stelle allgemein gültiger Motive getreten wären. (...) Er bedarf (...) keiner doppelten Vermählung seines Helden und keines geheimnisvollen Trunks, durch die sie herbeigeführt wird; ihm genügt als Spiralfeder Brunhilds unerwiderte Liebe, die, ebenso rasch unterdrückt als entbrannt und nur dem tiefsten Herzenskenner durch den voreiligen Gruß verraten, erst der glücklichen Nebenbuhlerin gegenüber wieder als Neid in schwarzen Flammen auflodert und ihren Gegenstand auf alle Gefahr hin nun lieber dem Tode weiht als ihn dieser überlässt.“ Hebbel glaubt also das Liebesmotiv im Nibelungenlied-text zu erkennen.

In seiner dramatischen Nachgestaltung des Epos sieht Hebbel seine Aufgabe darin, die in der wechselvollen Geschichte des alten Werks entstandenen Lücken und Verwirrungen „zur dra-matischen Kette zu gliedern und poetisch zu beleben, wo es nötig war“ und dabei „an den klaffenden Verzahnungen auf die älteren Quellen“ zurückzugehen.

Dies geschieht nun im Besonderen bei seiner Zeichnung der Brunhildfigur. Er taucht sie tief in die heidnische Welt, obwohl ihr Heimatland bereits christianisiert ist. Um diesen Widerspruch zu überbrücken, gibt er Brunhild eine alte Amme namens Frigga zur Seite, die ganz und gar in der Tradition des germanischen Götterglaubens steht.

Als Siegfried in Worms angekommen und mit den Burgundern in ein freundschaftliches Verhältnis gelangt ist, erfährt er von Gunthers Wunsch, sich um die Königin Brunhild auf Island zu bewerben. Er verspricht seine Hilfe unter der Bedingung, dass er Gunthers Schwester Kriemhild zur Frau erhält.

Gunthers Anliegen gibt Siegfried Gelegenheit, von Brunhild zu berichten: Nachdem er den Drachen getötet, in seinem Blut gebadet und etwas davon auf seine Lippen gebracht hatte, verstand er die Sprache der Vögel. Er vernahm, dass ihm noch ein Abenteuer bevorstand. Eine Dohle und eine Eule führten ihn zu einem Flammensee, hinter dem eine Burg aufragte. Als er sein Schwert Balmung schwang, erlosch der glühende See, und eine stolze Jungfrau spähte aus der Burg herab. Die Eule schrie: „Das ist die Braut!“ Brunhild konnte Siegfried nicht sehen, weil er die Nebelkappe trug. Siegfried verließ eilig den Ort, und Hebbel lässt ihn dies in seinem Bericht mit den Worten begründen:

Denn Brunhild rührte, wie sie droben stand,

In aller ihrer Schönheit nicht mein Herz,

Und wer da fühlt, dass er nicht werben kann,

Der grüßt auch nicht. (Der gehörnte Siegfried, 3. Szene)

Hier liegt ein Schwerpunkt der Hebbelschen Handlungsmotivation: Siegfried nimmt keinen Kontakt mit Brunhild auf, weil er keine Liebe zu ihr empfindet. Dadurch wird das alte mythi-sche Schema durchbrochen zugunsten einer seelischen Reaktion, die erst ein neuzeitliches Bewusstsein möglich macht. Siegfried ist nur noch nach dem formalen Schema vorbestimmt für Brunhild und nicht mehr aus seiner individuellen Wesensart heraus. Im Märchen, das der Sage verwandt ist, liebt der Prinz die Prinzessin, die er heiraten wird, bereits aus der Ferne und findet auch ganz selbstverständlich bei ihr Gegenliebe - ein Sigurd-Brunhild-Lied der Edda gestaltet diese Dornröschenversion. Dieser Mechanismus funktioniert nicht mehr bei Hebbels Siegfried. Hier werden Gefühlskategorien der neuzeitlichen Individualpsychologie auf die archaische Mythenwelt, die nur vorgegebene Verhaltensmuster kennt, übertragen.

Wie verhält sich nun Brunhild? Hebbel lässt sie aus einem tief mythischen Hintergrund hervortreten. Sie verdankt ihre Existenz einem mysteriösen Austausch als neugeborenes Kind gegen ein totes Kind im Mutterleib der vor der Geburt verstorbenen Königin. Ein „Geist des Berges“ übergab sie der Amme Frigga. Zwei Versuche, das Kind zu taufen, schlugen auf seltsame Weise fehl, erst der dritte führte zu Friggas Bedauern zum Ziel. Brunhild wuchs auf und wurde stark; die Fähigkeit, mit Waffen umzugehen, war ihr angeboren.

Inzwischen war Siegfried ohne ihr Wissen erschienen, und der Flammensee ist seitdem erlo-schen. Bei der Annäherung der Fremden vom Rhein fühlt sich Brunhild stark. Bevor sie sich zum Kampf bereit macht, weist sie die Bewerber auf ihren Sonderstatus hin:

Noch freu‘ ich mich des Kampfs, noch jauchze ich,

Den übermüt’gen Feind zu überwinden,

Der mir die Freiheit rauben will, noch ist

Die Jugend, ist das schwellende Gefühl

Des Lebens mir genug, und eh mich dieses

Verlassen kann, hat mich das Schicksal schon,

Mit Wundergaben unsichtbar mich segnend,

Zu seiner Hohenpriesterin geweiht.“

In einer Art Trance greift sie auf ihre mythische Geburt zurück und entwirft ein ins Höchste gesteigertes Selbstbildnis: Sie sieht sich als Hohepriesterin, zu der man demutsvoll aus aller Welt kommt, um ihre seherischen Träume zu behorchen:

Denn mein Auge

Durchdringt die Zukunft, und in Händen halt‘ ich

Den Schlüssel zu den Schätzen dieser Welt.

So thron‘ ich schicksallos, doch schicksalkundig,

Hoch über allen. (Siegfrieds Tod, I 2)

Und ihr visionärer Gedankengang gipfelt in der Aussage, dass der Tod nicht kommt, dass sie unsterblich ist. Von dieser übermenschlich hohen Position wird sie in die Tiefen menschlicher Gewöhnlichkeit fallen. Hebbel deutet damit eine ungeheure Fallhöhe an. Als Hagen Siegfried später auffordert, Brunhild in der Brautnacht ein zweites Mal zu überwinden, benennt er in seiner Verständnisweise diesen Sturz aus der Besonderheit in die Normalität:

Die stolze Erbin der Walküren

Und Nornen liegt im Sterben, töte sie ganz,

Dann lacht ein munt‘res Weib uns morgen an,

Das höchstens spricht: Ich habe schwer geträumt! (Siegfrieds Tod, II 8)

Hebbel lässt die Ahnungslose nach ihrer Zähmung durch Siegfried ihre ganze ursprüngliche Kraft verlieren:

Ich mag die Waffen nicht mehr seh’n, auch ist

Mein eig’ner Schild mir jetzt zu schwer, ich wollte

Ihn auf die Seite stellen und ich musste

Die Magd um Beistand rufen!

Von ihrer einstigen Kraft sagt sie jetzt, sie habe sich in einer Laune der Natur zu ihr verirrt. (Siegfrieds Tod, III 4).

Seltsamerweise reagiert sie aber ganz unwirsch auf Siegfried, noch bevor sie erfährt, dass er sie einst in ihrem Schloss gesehen hat. Sie verlangt von ihrem Ehemann, den sie ja für den Stärksten hält, dass er mit ihm kämpfe und ihn in den Staub werfe:

Ich habe ihn vor dir

Begrüßt! Das räche! Ford’re - töte ihn! (Siegfrieds Tod, III 4)

Hinter dieser standesspezifischen Begründung verbirgt sich eine tiefer liegende, die bald ans Licht kommen wird, nämlich im Anschluss an die Streitszene vor dem Dom.

Dieser Königinnenstreit erfährt in der Geschichte der Brunhildsage mehrere Abwandlungen. Groß ist der Sprung von der Urmythe zum Nibelungenlied. In der frühen Fassung fand der Streit in einer Badeszene, in der elementaren Natur statt: Brunhild watet im Wasser des Rheinstroms weiter hinauf und will mit dieser naturnahen Geste ihren höheren königlichen Rang gegenüber Kriemhild zum Ausdruck bringen.

Der Erzähler des Nibelungenliedes verlegt die Streitszene in das Zentrum der Stadt Worms, an den Dom, und gibt ihr dadurch einen ausgeprägten gesellschaftlichen Rahmen, nämlich den der Öffentlichkeit, in dem Standesprestige und diffamierende Bloßstellung eine Rolle spielen. Der Streit spielt sich unter den Augen zahlreicher Zeugen ab. Die intime Badesituation wird vertauscht gegen eine öffentliche Zurschaustellung. Der Wortwechsel wird zum politisch brisanten Kampfdialog.

Hebbel greift diese Vorgabe auf und entfaltet sie mit höchster Dramatik. Die beiden Frauen betreten die Szene Hand in Hand, dann beginnt ihr Gespräch scheinbar harmlos, führt aber bald zum Austausch von Sticheleien, wobei Brunhild die Antreibende ist und Kriemhild aufs Äußerste reizt. Wie im Nibelungenlied hält sich die Argumentation im Rahmen des Standes-mäßigen: Es geht um den sozialen Rang und das Prestige der Ehemänner, worauf sich jeweils das öffentliche Ansehen und das Selbstverständnis der beiden Ehefrauen gründet. Das spezifisch Weibliche zeigt sich dabei mehr als im Epos in der gezielten Wahl der Worte und der einzelnen Argumente.

Ein Durchbruch aus dem Standesmäßigen zur eigentlichen Streitmotivation, die vorher verdeckt war, erfolgt im Anschluss an den Dialog der beiden, als Frigga Brunhild mitteilt, was einst bei der Ankunft Siegfrieds am Flammensee geschah. Nun fällt es Brunhild wie Schuppen von den Augen:

So hat er mich verschmäht,

Denn ich war auf der Zinne, und er musste

Mich seh’n. Er war gewiss schon voll von ihr. (Siegfrieds Tod, III 7)

(...)

Ich ward nicht bloß verschmäht,

Ich ward verschenkt, ich ward wohl gar verhandelt.

(...)

Ihm selbst zum Weib zu schlecht,

War ich der Pfennig, der ihm eins verschaffte!

(...)

Das ist noch mehr als Mord,

Und dafür will ich Rache! Rache! Rache! (Siegfrieds Tod, III 11)

Bei Hebbel geht die seelische Aufwallung Brunhilds weit über die der Brunhild des Nibelungenliedes hinaus. Dort ist ihr Rachebedürfnis mit der Ermordung Siegfrieds erfüllt. Der Dichter des Epos entlässt sie mit den Versen:

Prünhilt diu schœne mit übermüete saz.

swaz geweinte Kriemhilt, unmære was ir daz.

sine wart ir guoter triuwe nimmer mê bereit.

sît getet ouch ir vrou Kriemhilt diu vil herzenlîchen leit. (Str. 1100)

In stolzer Genugtuung saß die schöne Brunhild jetzt auf ihrem Thron und kümmerte sich nicht darum, dass Kriemhild bitter weinte. Niemals wieder war sie dazu zu bewegen, freundschaftlich mit ihr zu verkehren. Später wurde auch sie von Frau Kriemhild in das tiefste Leid gestürzt. (Übers. von Helmut Brackert)

Hebbel steigert die Reaktion der beleidigten, verletzten, gekränkten Frau auf ein äußerstes Maß. Nicht nur soll Siegfried die Schmach mit dem Tod büßen, auch Kriemhild ist Ziel ihrer Rache:

(...) Weib, Weib, wenn du in seinen Armen

Auch eine Nacht gelacht hast über mich,

So sollst du viele Jahre dafür weinen. (Siegfrieds Tod, III 7)

Und sie nimmt keine Nahrung mehr zu sich, bis diese Rache vollzogen ist. Als Kriemhild bei Siegfrieds Leiche aufschreit in ihrem Leid, heißt es von Brunhild: „Sie ißt und trinkt und lacht.“ (Siegfrieds Tod, V 7).

Hebbel lässt seine Brunhild gefühlsmäßig reagieren wie eine Frau seiner Zeit. Wie Siegfried empfindet sie individuell, nicht vornehmlich standesgemäß im Rahmen der mittelalterlichen Hofkultur und auch nicht im Schema des alten Mythos. Sie reagiert zweifach im Geist des 19. Jahrhunderts: zum einen individuell mit der ganzen Intensität einer gefühlsstarken, leidenschaftlichen Persönlichkeit, zum anderen mit dem Selbstverständnis der Frau in einer neuzeitlichen Geschlechtsrolle. Hebbel thematisiert in ihr diese kulturgeschichtliche Entwicklungsstufe, und zwar in einer tief tragischen Variante: Die selbstbewusste Frau bietet ihre starke Liebesfähigkeit auf, um auf würdige Weise mit der Männerwelt, d.h. mit dem ihr gemäßen männlichen Partner, in Verbindung zu treten, und sie muss erleben, dass ihr aus dieser Männerwelt nicht adäquat geantwortet wird, dass keine Gegenliebe auf derselben Ebene erfolgt und darüber hinaus mit ihrer schutzlos gemachten Weiblichkeit mit selbstherrli-chem männlichen Machtanspruch gespielt wird.

Wie sehr aber Hebbel andererseits darauf bedacht ist, die Urgewalt der alten Mythe in diesem komplexen Persönlichkeitsbild nicht verloren gehen zu lassen, zeigt sich in einer Bemerkung, die er Hagen nach der Streitszene in den Mund legt:

Sie liegt in seinem Bann, und dieser Hass

Hat seinen Grund in Liebe!

(...)

Doch ist’s nicht Liebe, wie sie Mann und Weib

Zusammenknüpft.

(...)

Ein Zauber ist’s,

Durch den sich ihr Geschlecht erhalten will,

Und der die letzte Riesin ohne Lust

Wie ohne Wahl zum letzten Riesen treibt.

(...)

Den löst man durch den Tod!

Ihr Blut gefriert, wenn sein’s erstarrt (...) (Siegfrieds Tod, IV 9)

Hebbel lässt Brunhild nach Siegfrieds Tod ihren Weg konsequent zu Ende gehen. Er führt wieder ins Heidnische zurück: Sie „stiert in die Runen“ (Kriemhilds Rache, I 2). Sie flucht den Mördern des Geliebten noch grauenvoller als Kriemhild, sie verweigert sich ihrem Ehemann Gunther und nimmt ihm damit die Aussicht auf einen Erben. Als Kriemhild Etzels Werbung folgt, verlässt auch Brunhild Worms, um bei Siegfrieds Grab im Kloster Lorsch zu hausen - nach der Vorstellung der hasserfüllten Kriemhild als „Vampir“ und mit „Teufelskünsten im Sinn“, aber nach dem Bericht ihres hunnischen Boten Werbel „am Sarge kauernd, (...) im Auge Tränen, und mit den Nägeln bald ihr Angesicht zerkratzend, bald das Holz.“ (Kriemhilds Rache, III 1).


Zum Abschluss sollte noch ein neueres Forschungsergebnis erwähnt werden, das aus dem bisher behandelten Interpretationsrahmen herausspringt. Es wurde von Ursula Schulze beim dritten Wormser Symposium zum Nibelungenlied 2001 vorgetragen und in die Dokumentation „Sagen- und Märchenmotive im Nibelungenlied“, Worms 2002, aufgenommen.

Da im Nibelungenlied keinerlei Hinweise auf eine bestimmbare mythische Herkunft Brunhilds zu finden sind, eröffnet Ursula Schulze eine neue Perspektive: Sie sieht Brunhild auf dem Hintergrund eines Amazonen-Mythos, der seit dem 8. Jahrhundert in unserem Raum nachgewiesen ist. Amazonen gelten als monströse Wesen am Rande der bewohnten Welt, vor denen die Seefahrer gewarnt werden. Brunhild wohnt über sê, in einer solchen Randzone, ihre bedrohliche Stärke und die Gepflogenheit, ihre unterlegenen Bewerber grausam zu töten, ent-sprechen diesem Schreckensbild.

Der Amazone geht es nicht darum, den Freier zu finden, der ihr gemäß ist, sie will vielmehr auf keinen Fall ihre Jungfräulichkeit verlieren, die das Geheimnis ihrer übergroßen Kraft ausmacht. Brunhild rechnet auch fest mit Siegfrieds Tötung, falls er um sie werben will. Beim nächtlichen Kampf mit Siegfried in Gunthers Brautgemach verteidigt sie erst recht ihre Jungfernschaft.

Dabei geht es um mehr als um einen Einzelfall. Es geht um die Bedrohung der männlichen Existenz. Siegfried hat keinen leichten Stand, er muss das Äußerste aufbieten, um der Widerspenstigen Herr zu werden, und er ist sich dabei einer gesellschaftlichen Verantwortung bewusst:

Owê, dâcht der recke, soll ich nû mînen lîp

von einer magt verliesen, sô mugen elliu wîp

her nâch immer mêre tragen gelpfen muot

gegen ir manne, diu ez sus nimmer getuot. (Str. 673)

„Schrecklich“, dachte der Krieger, „wenn ich jetzt mein Leben durch eine Jungfrau verliere, dann werden in Zukunft alle Frauen gegenüber ihren Männern übermütig, die es bisher nie gewesen sind.“ (Übers. der Autorin)

Es geht also um die Herrschaft des männlichen Geschlechts, die unter allen Umständen mit einem Sieg abgesichert werden muss. Zu dieser Konsequenz gehört, dass am Ende dieses Kampfes eine Defloration erfolgt, d.h. eine Vergewaltigung, durch die Brunhild mit ihrer Jungfräulichkeit auch ihre besondere Stärke verliert. Die Abmachung, dass Siegfried Brunhild nur bezwingen, der Beischlaf aber dem Ehemann vorbehalten bleiben soll, ist nach Ursula Schulze nur eine Konzession an die höfische Sitte, in die der Nibelungenlieddichter den ganzen Vorgang einbindet. In der Thidreksaga wird erzählt, Sigurd habe den Geschlechtsakt ausgeführt.

Der stellvertretende Sieg Siegfrieds für die patriarchalische Gesellschaftswelt bleibt ein ephe-merer Zwischenerfolg. Es ist kein guter Sieg, weil er mit Zaubertricks, mit einer hinterhältigen List und mit gemeinem Betrug herbeigeführt wurde. Brunhild ist zwar überwunden, aber sie hat noch die Kraft zur Rache, und dieser Rache fällt die gesamte Männerwelt der Bungunder zum Opfer. Übrig bleibt am Ende in einer entvölkerten Welt die zum Unglück aller domestizierte Amazone Brunhild.


Schildmaid - Walküre - Amazone: Brunhild ist wohl die schillerndste Figur im Komplex der Sage, von der unser Nibelungenlied nur eine Version herausarbeitet und Friedrich Hebbel mit eigener Zutat eine andere. Ihre Rivalin Kriemhild hat in neuerer Zeit bei den Bearbeitern des Stoffes mehr Interesse gefunden, bei Volker Braun und bei Moritz Rinke. Bei beiden hat das Gesellschaftliche dem Mythischen den Rang abgelaufen. Dagegen ist nichts einzuwenden, denn jede Zeit setzt ihre eigenen Akzente. Es empfiehlt sich nur, über dem Aktuellen das Alte nicht zu vergessen, und diesem Ziel war mein Vortrag gewidmet.