Fantasien
von Kelten & Germanen

MacPhersons "Ossian"
und Fouqués "Held des Nordens"


von Volker Gallé

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Ossians Traum, Ingres, 1813 ..

Wenn im Bewusstsein der meisten Menschen von Kelten geredet wird, dann meint man damit nicht das keltische Gräberfeld in Worms-Herrnsheim, das im Spätherbst nächsten Jahres in einer Ausstellung hier im Städtischen Museum präsentiert werden wird und das eine enge Beziehung zum La-Téne-Oppidum auf dem Donnersberg aufweist, sondern man redet von der in mehreren Renaissancen wiedergeborenen Keltophilie und Keltomanie in England, Irland, Schottland und der Bretagne und deren Überlieferung und Deutung der Artusepik, man redet von Irish Folk und man redet von Asterix, dem anticaesarischen Gallier, der in der Tradition von Vercingetorix und Alesia steht und damit in der Tradition der Politik von Napoleon III. (1808-1873), der – ganz ein Bonaparte - für eine durch Putsch eroberte nationalistisch-französische Präsidialdiktatur steht. Zum Glück tritt vor allem die französisch-keltische Variante in humoristischem Gewand auf und in einer David-Goliath-Grundstimmung.

Die Germanen dagegen sind eher mit Vorsicht zu genießende Beserker, die den deutschen Nationalismus in SA- und SS-Uniform incl. einem eliminatorischen Antisemitismus quasi mythisch und wesenhaft in sich tragen, unkultivierte Barbaren, die ohne die griechisch-römisch-jüdisch-christliche-europäische Zivilisation und deren säkularem Höhepunkt, die Aufklärung, nicht zu ertragen sind: sie sind sozusagen die vorislamische Achse des Bösen.

In dieses Bild fließen dann auch deutsche Tiefdenkerei, Romantik, Jugendbewegung, Ökologie, verspätete Nation und deutscher Sonderweg bruchlos mit ein.

Weil die Deutschen nach 1945 natürlich nicht so sein und den ideologischen NS-Ballast möglich schnell los werden wollten, nahmen sie gern das Angebot der Re-Education an, das u.a. mit der keltischen Überlieferung die Möglichkeit bot, sich mit den bekannten Strömungen deutscher Kulturgeschichte zu identifizieren, ohne germanisch sein zu müssen. Kelten und Germanen waren und sind nämlich nahe Verwandte.

Mittlerweile haben Kelten und Germanen immerhin in der Esoterikszene wieder zusammen gefunden, und ich meine damit nicht die rechten Ränder des neuheidnischen Okkultismus. "Runen & Kelten" heisst z.B. die Abteilung eines Esoterik-Versandes im Internet, ein anderer bietet "Bücher zum Thema Runen, Kelten, Druiden, Germanen, keltische und germanische Mythologie, heilige Steinkreise, alte Rituale, Naturmagie, Kultorte und Kraftorte, Krafttiere, Symbole und Religion der Kelten und Germanen" an. Neuheidnische Naturreligionen wie der Wicca-Kult, die ursprünglich aus dem angelsächsischen Raum kommen, mischen keltische, germanische, indianische, kabbalistische und okkultistische Überlieferungen und schmücken sich mit dem seit dem Feminismus positiv aufgeladenen Antibild der Hexe.

Das alles geht auf die doppelbödige Rede vom Barbaren zurück, wie sie bereits die Griechen und Römer führten. Sie beinhaltet von Anfang sowohl die Elemente der Schreckens- und Untergangsvision - nämlich dass die Zivilisation im Inneren ihrer Mauern von der wilden Natur gewaltsam zerstört wird - als auch die Idealisierung des edlen, natürlichen Wilden, der der dekadenten und meist caesarisch-diktatorischen Zivilisation der Imperien als Bild einer goldenen Vergangenheit von Einheit, Verschmelzung, Recht und Frieden in Stammesrepubliken und gleichzeitig als zukünftige Utopie einer Aufrischung der Kultur durch die Integration der fremden Natur gegenübergestellt wird. Die Moderne hat dieses Bild in der Ethnologie der Aufklärung wieder aufgegriffen, jener Aufklärung also, die so gern als unversöhnlicher Gegner des Germanenbildes verkauft wird. Dass das im 18. und frühen 19. Jahrhundert anders war, soll mein Vortrag heute an zwei Beispielen zeigen.

Zunächst noch ein paar weitere Vorbemerkungen:

Die Ethnologie der Aufklärung entwickelte sich aus der Reiseliteratur der Neuzeit, die im Gefolge des frühen Kolonialismus mit Blick auf außereuropäische Völker entstand. Indianer , speziell die Förderation der Irokesen, deren Beobachtung Lewis Morgans Buch über die Urgesellschaft und damit auch Karl Marx beeinflusst hat, und Südseeinsulaner, später auch Afrikaner, waren Gegenstand von Forschung und Fantasie. Die "Reise um die Welt" von Georg Forster, 1778/80 im Rückblick auf die Teilnahme an der 2. Weltumseglung Cook´s entstanden, ist das Geburtsdokument der deutschen Völkerkunde.

„Sie lachen über meinen Enthusiasmus für die Wilden beinahe so wie Voltaire über Rousseau, daß ihm das Gehen auf Vieren so wohl gefiele ... Wehe aber auch dem Philosophen über Menschheit und Sitten, dem seine Scene die einzige ist." (Johann Gottfried Herder [1773]: "Von deutscher Art und Kunst - Einige fliegende Blätter", hier zit. aus "Herders Werke", hrsg. v. Heinrich Kurz, Leipzig, Verlag des Bibliographischen Instituts o.J., 2: 5).

Im von Herder theoretisch stark beeinflussten Sturm und Drang Ende des 18. Jahrhunderts griff man die Überlegungen Rousseaus und weniger den Spott Voltaires auf. Der Aufklärer Jean-Jacques Rousseau (1712-1778) phantasierte die ideale bürgerliche Gesellschaft, die gegen den Feudalstaat gestellt wurde, in die edlen Wilden hinein, die als Reste einer Urgesellschaft mit sowohl paradiesischen als auch urchristlichen Zügen interpretiert wurden. 1753 erschien Rousseaus "Abhandlung über den Ursprung und die Grundlagen der Ungleichheit unter den Menschen", eine Antwort auf eine Preisfrage der Akademie zu Dijon, in der ja bereits ein Begriff der französischen Revolution mitschwingt, nämlich der bürgerlicher Gleichheit, also der Gleichheit vor dem Gesetz. In Rousseaus Text wurde die These aufgestellt, dass es im unzivilisierten Naturzustand eine ursprüngliche Gleichheit gegeben habe; die Ungleichheit sei durch das Privateigentum eingetreten. 1756 wurde diese Schrift von Moses Mendelssohn ins Deutsche übersetzt. Herder entwickelt daraus u.a. in seinen "Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit" (1784-91) eine aufklärerische Evolutionstheorie, in der sich die Gesellschaft vom Urzustand in eine notwendige und sich gegenseitig befördernde Verschiedenheit entfaltet, die ihrerseits am Ende zum Idealzustand der humanen Gesellschaft führt. Damit wird der Versuch unternommen, Individualität - auch auf der Ebene de Völker – und Universalität im wahrsten Sinne des Worts zu versöhnen. Es ist dabei keine Rede von einer Zementierung historischer Bedingtheit in einem wie auch immer gearteten Nationalismus. Der Volksbegriff ist republikanisch-demokratisch ausgerichtet. Im fünfzehnten Buch heisst es: "Humanität ist Zweck der Menschennatur...Das Menschengeschlecht ist bestimmt, mancherlei Stufen der Kultur in mancherlei Veränderungen zu durchgehen...Nach Gesetzen ihrer inneren Natur muss mit der Zeitfolge auch die Vernunft und Billigkeit unter den Menschen mehr Platz gewinnen und eine dauernde Humanität befördern." Wenn von Vernunft und damit von Aufklärung geredet wird, setzt man also auf Natur. Der Naturzustand ist gewissermaßen das tertium comparationis, das gemeinsame Dritte zwischen den neu entdeckten Wilden, den Wilden der eigenen Vergangenheit und dem im Aufbruch befindlichen Bürgerstand, der im Keim bereits auch die sozialen Forderungen des vierten Standes nach Brüderlichkeit im Wirtschaftsleben mitdachte. Homer, Ossian und Shakespeare sind neben Volksliedersammlungen die literarischen Leitbilder Herders und des Sturm und Drang. Das Nibelungenlied reiht sich als "deutsche Ilias" später nahtlos in diesen Konntext ein. Das Deutsche daran ist dabei nicht das Deutsch-Nationale, sondern sozusagen die deutsche Form ursprünglicher Freiheit. Ihr wird allerdings wegen des Förderalismus und des Erhalts mittelalterlicher Genossenschafts- und Gemeinschaftsstrukturen ein im Vergleich zum im höfischen Rokoko dominierenden absolutistischen Frankreich ein besonderes Unverbildetsein zugesprochen; Rückständigkeit wird so in Fortschritt umdefiniert – das ist leider auch die Quelle, die sich Zug um Zug für chauvinistische Konzepte nutzen lässt.

Was ist der Ossian?

Der schottische Dichter James Macpherson wurde am 27.10.1736 in Ruthven bei Inverness geboren und starb am 17.2.1796 in Belville bei Inverness. Er studierte Theologie, trat aber seit 1760 und den "Fragments of Ancient Poetry"als Sammler, Übersetzer und Bearbeiter gälischer Poesie hervor. Von Anfang an wurde über die Echtheit seiner Werke gestritten. Da es jedoch damals üblich war, Quellen nicht rein philologisch zu betrachten, sondern - der eigenen Motivation entsprechend - zu bearbeiten, ist dieser Streit wohl müßig. Auch die Datierung der Quellen nämlich wurde je nach Interesse der Kritik vorgenommen. Der antiromanische Klopstock verlegte die Quellen mit dem Sieg Ossians über Caracalla ins 3. Jh., der norddeutsch-katholische Friedrich Schlegel ins Mittelalter. Zu all diesen Zeiten sind spätantike Quellen im eigentlich schriftlosen keltischen und germanischen Raum aufgegriffen und bearbeitet worden, auch im 16. und dann wieder im 18. und 19. Jh.

MacPherson erzählt jedenfalls von dem im 3. Jh. lebenden Barden Ossian, den er mit Verweis auf schottische Chroniken des 14. Jh. zum Schotten macht. Er verwendet dafür gälische Überlieferungen, u.a. die irische Heldensage von Finn und den Feniern. In dieser Tradition kommt auch bis ins 18. Jh. immer wieder ein Barde namens Ossin vor. Bei MacPherson ist er ein Sohn des Königs Fingal. In deutscher Übersetzung liegen die Ossiantexte ab 1768 vor. Hier eine Kostprobe in der Übersetzung Goethes, der den Ossian vor allem im "Werther" gefeiert hat; "Die Gesänge von Selma":

Stern der dämmernden Nacht,

schön funkelst du im Westen,

hebst dein strahlend Haupt aus deiner Wolke,

wandelst stattlich deinen Hügel hin.

Wonach blickst du auf die Heide?

Die stürmenden Winde haben sich gelegt;

Von Ferne kommt des Gießbachs Murmeln;

Rauschende Wellen spielen am Felsen ferne;

Das Gesumme der Abendfliegen

Schwärmt über´s Feld.

Wonach siehst du, schönes Licht?

Aber du lächelst und gehst;

Freudig umgeben dich die Wellen,

und baden dein liebliches Haar.

Lebe wohl, ruhiger Strahl!

Erscheine, du herrliches Licht

Von Ossian´s Seele.

Verwandtschaft von Natur und Seele, das Erlebnis Familie und Freundschaft in der Natur – das sind die Themen des bürgerlichen Klassizismus, wie man sie auch in der Bildenden Kunst des frühen 19. Jahrhunderts findet und wie sie z.B. auch zur naturnahen Parkgestaltung von Sckells in Schloss Herrnsheim mit seiner Rousseau-Insel führten: eher englischer Garten als französischer Stil à la Versailles.

In seiner Schrift "Von der Lebensart und Regierungsform der alten Britten und anderer nordischer Völker" (1771) beschreibt MacPherson die Kelten ganz wie die ossianischen Helden als "liberal, eigentumslos, egalitär". Sie entsprechen daher, so Wolf Gerhard Schmidt, der sowohl Ossian als auch Fouqué wegweisend und gründlich wissenschaftlich behandelt hat, "der Entwicklungsstufe des edlen Wilden, die von Rousseau als ideal bezeichnet wird".

O-Ton MacPherson: "Die Celten waren übrigens solche Enthusiasten für die allgemeine Freyheit, dass sie dieselbe für eine Eigenschaft ansahen, die den Thieren eben sowohl als den Menschen natürlich wäre. Ihre Liebe zur Freyheit war eine von den Ursachen, die sie von ihrem Widerwillen gegen die Arbeitsamkeit und Erwerbung des Eigenthums angaben...Die Armuth ist unstreitig die beste Schutzwehr gegen die Tyrannen; und unsere Vorfahren hatten nicht ganz Unrecht, wenn sie glaubten, dass derjenige, der viel auf Reichtum hält, im Stande sey, seine Freiheit ums Geld zu verkaufen. Die Celten zogen durchgehends dem Leben selbst ihre Freyheit vor. Ihr erster kriegerischer Grundsatz war der, ihre Unabhängigkeit zu behaupten, und der Sklaverey durch einen freywilligen Tod aus dem Wege zu gehen."

Man hört geradezu den jakobinischen Schlachtruf – auch der Mainzer Republik - nach "Freiheit oder Tod" (siehe das Lied des freien Wöllsteiners nach der Marseillaise). Und weiter: "Das Amt des Fürsten war, Anführer im Kriege zu seyn; in Friedenszeiten war er wieder allen übrigen gleich. Anstatt seinen Willen und sein Belieben für ein herrschendes Gesetz anzusehen, leisteten sie ihm weiter keinen Gehorsam, als insofern sie denselben seinen Verdiensten schuldig zu seyn glaubten."Also einer Art Stammesrepublik, ein Wahlfürstentum, wie es auch sich auch in Resten bei der deutschen Königswahl des Mittelalters noch findet.

Kelten und Germanen werden – vor allem was die Sprache angeht - seit dem 16. Jh. unter einem Dach assoziiert; Barden und Druiden beiden Gruppen zugeschrieben. Auch werden beide Gruppen im deutschsprachigen Raum als Vorfahren angesehen, was die aktuelle Forschung für den Oberrhein auch heute so sehen würde: Grenzen, etwa der Rhein, zwischen Kelten und Germanen sind kaum zu ziehen, die Rheingrenze ist eine caesarische Einrichtung Roms und macht höchstens Sinn im Bezug auf eine räumlich-historische Verortung verwandter Stammesgruppen, da wo beide aufeinandertreffen muss – genau wie bei Germanen und Slawen weiter östlich – ohnehin von einer dauerhaften Akkulturations- und Mischzone gesprochen werden.

Etwa um 1800 beginnen neben der nach wie vor gültigen Betrachtung der keltischen und germanischen Tradition als einer Tradition erste Differenzierungen. Friedrich David Gräter, der von 1791 bis 1812 die Zeitschrift "Bragur" herausgibt verschiebt den Akzent von Ossian auf die nordische Überlieferung und wertet die - von der Rezeptionsgeschichte her gesehen - beiden Nachkömmlinge Edda und Nibelungenlied gegenüber dem keltischen Ossian auf. Wolf Gerhard Schmidt schreibt: "Je schwieriger die ethnische Integration Ossians und je fragwürdiger die Existenz deutscher Barden ist, desto stärker wendet man sich mittelalterlichen und skandinavischen Vorlagen zu – insbesondere dann, wenn sich die Autoren zugleich von der Empfindsamkeit distanzieren möchten." (S.462) Gräter, August Wilhelm Schlegel und die Brüder Grimm – letztere überwiegend - verfolgen diese Linie. Gerade wegen der empfindsam melancholischen Stimmung des Ossian nach dem Konzept der Erhabenheit, dem auch in der romantik noch aktuellen "joy of grief" (Freude des Schmerzes) gibt es aber auch Gegenstimmen, so Fouqué, Arnim und Jacob Grimm in seinen späten Jahren. Herder warnt bereits 1803 "die Adepten altnordischer Sagenüberlieferungen von der "Großsprecherei und Roheit" zu glauben, "dass die Deutsche Nation, dem Gipfel der Weltüberwindung nahe, einer gefundenen Mythologie wegen, über alle hervorrage"

Er bezieht sich dabei auf Gräters Position, die sich später bei Arndt, Görres und von der Hagen weiter zum Germanenkult verdichtet. Schmidt resümiert: Kraft ihrer Poetizität, Empfindsamkeit, Liebesethik, egalitären Gesellschaftsstruktur und ausgesprochenen Anti-Kriegs-Haltung kann sich MacPhersons Dichtung solchen Funktionalisierungen zumindest langfristig entziehen. So muß Fouqué die in seinem Werk dominante mittelalterlich-nordische Welt ossianisieren, um deren Härten und Grausamkeiten abzumildern. In diesem Sinn schreibt Fouqué am 25.10.1808 in einem Brief an den Philosophen Johann Gottlieb Fichte:

"

Mir ist oft selbst bange und unheimlich zu Sinne geworden in den düstern Gewinden der Sage, und ich weiß nicht, ob es mir gelungen ist, sie auf eine solche Weise zu durchschreiten, dass mir der Hörer gern zur Seite bleibt." Damit sind wir beim zweiten Werk meiner heutigen Betrachtung angelangt, dem ersten deutschen Nibelungendrama, Fouqués "Held des Nordens", 1808 bis 1810 entstanden, mit nordischer Vorlage und ossianischem Grundgefühl trotz der politischen Begleitmusik der Befreiungskriege.

Die persönliche Tragödie, der romantische "joy of grief" ist Fouqués Grundstimmung, das Thema seiner ritterlich-mittelalterlichen Helden sei, so Frank Rainer Marx, das Unvermögen, sich in der dämonischen Welt zu behaupten. Tieck meinte einmal, Fouqué habe sich "durch Mangel aller Ironie" ausgezeichnet, so "sein Dichten zur Caricatur" geworden und "er selbst zum Don Quixote der Poesie". In diesem Sinne formuliert er im "Sigurds Rache" betitelten 2. Teil seiner Nibelungen-Trilogie:

Wo dicht an der uralten Wurzelkraft

Der Sproß aufschießt in unverstellter Lust,

ist nah ihm auch der Erde dunstger Graus,

ihr schwarzes Dunkel, samt der Missgestaltung

von Schlangen, Molchen und von Kindern sonst

der alten Nacht, die tief in Hölen wohnt.

Drum, wer sich an der Blüthen heiterm Licht,

am unschuldvollen Grün der lieben Blätter

erlustigt hat, der schrecke nicht zurück

vor dem, was unter solcher Milde lauert.

Ausbrechend vor der strengen Forschung Kraft,

oft auch vor Himmels Sturm, der Wurzeln umwühlt,

vor Himmels Blitz, der keck aufreißt den Grund.


Friedrich de la Motte Fouqué (1777 - 1843) stammt aus einer hugenottischen Adelsfamilie der Normandie, die 1685 nach dem Edikt von Nantes nach Preußen emigrieren musste. Die Familie besass Güter bei Potsdam und Fehrbellin. Sein Großvater war General beim alten Fritz. Der Enkel nahm 1794 als Kornett der preußischen Armee am Rheinfeldzug teil. 1802 nahm er seinen Abschied, trennte sich von seiner ersten Frau, der er seine Güter überließ, heiratete die Schriftstellerin Caroline von Briest und bezog eine Stadtwohnung in Berlin.

Dort lebte er von der Schriftstellerei - zwischen 1810 und 1820 war er der bei weitem populärste Romantiker in Deutschland - und dem Vermögen seiner Frau. Sein Nachruhm beruht vor allem auf der von E.T.A Hoffmann als Oper vertonten Erzählung Undine (1811). 1813 meldete er sich freiwillig zur Armee, musste aber im gleichen Jahr krankheitsbedingt wieder ausscheiden.

Die Befreiungskriege spielen in Fouqués Werk keine entscheidende Rolle; die Hinwendung zum Mittelalter und der nordischen Überlieferung passt jedoch in die Zeit. Seine Ehe war nicht glücklich. Als seine zweite Frau 1831 starb, hatte sie ihn bis auf einen Witwersitz mit Kost und Logis enterbt. Fouqué verfasst in dieser Zeit ein Parcival-Epos.

Friedrich de la Motte Fouqué (1777 - 1843)

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Mit seiner dritten Frau zieht er nach Halle, wo er auch stirbt. 1803 erscheint in der von Friedrich Schlegel herausgegebenen Zeitschrift "Europa" der Text "Der gehörnte Siegfried in der Schmiede" nach dem Volksbuch von 1726. Die Fichte gewidmete Trilogie "Der Held des Nordens" erscheint 1810 und ist "der entscheidende Auslöser für die ungeheurere Popularisierung des Stoffs im 19. Jahrhundert." (Max, in: Deutsche Dichter 5, Stuttgart 1989, S.115)


Hier kurz der Handlungsverlauf:

Teil 1, Sigurd der Schlangentödter

Reigen schmiedet Sigurd ein Schwert, womit dieser Faffner tötet und dadurch Schatz und Ring erwirbt. Sigurd erweckt Brunhild und macht sie zu seiner Braut. Durch Grimhildis Zaubertrank verliert er seine Erinnerung und wird mit Gudrun vermählt. Er reitet durch den Flammenring und gewinnt Brunhild für Gunnar. Nach dem Streit der Königinnen wird Sigurds Tod beschlossen und von Guttorm durchgeführt. Auch der Sohn Siegmund wird getötet. Brunhild lässt sich mit Sigurd auf dem Scheiterhaufen verbrennen.

Teil 2, Sigurds Rache

Gudrun wird mit Atle vermählt, nachdem sie ebenfalls durch Grimhildis Zaubertrank ihre Erinnerung verloren hat. Atle lädt Gunnar und Högni an seinen Hof, um ihnen den Schatz zu rauben. Dieser wird vor der Fahrt im Rhein versenkt. Atle nimmt die beiden gefangen. Gunnar wird in eine Schlangengrube geworfen, verrät aber den Ort des Schatzes nicht. Högne wird von Atle enthauptet. Gudrun tötet ihr beiden Söhne Ortlieb und Asmund und gibt Atle deren Herzen zu essen. Sie lässt Atles Burg niederbrennen und stürzt sich selbst ins Meer. Dietrich, dem bereits zu Anfang am Hunnenhof eine Affaire mit Gudrun nachgesagt wird, beschließt, die Geschichte der Nachwelt zu überliefern.

Teil 3, Aslauga

Aslauga ist die Tochter Sigurd und Brunhilds. Sie wird von ihren Stammesgenossen wegen ihrer Abkunft verfolgt und Heimer bringt sie, in einer Zither versteckt, zu Bauern. Diese ermorden ihn aus Geldgier. Aslauga muss unter dem Namen Krake als Dienstmagd arbeiten. Als sie herangewachsne ist, hört der Witwer Ragnar Lodbrog von ihrer Schönheit und will sie zur Frau nehmen. Aber sie zögert die Liebesbeziehung hinaus, wiewohl sie ihm auf sein Schiff folgt. Wegen ihrer Abkunft wird sie verspottet. Im Reich Ragnars angekommen, wird dieser von seinem Hof überredet, die Hirtin zu verlassen und eine Königstochter zur Frau zu nehmen. Aslauga erfährt von diesem Treuebruch durch zwei Vögel und eröffnet ihm in der Folge ihre edle Abkunft. Beide haben einen gemeinsamen Sohn namens Sigurd Schlangenauge, der als zukünftiger "Führer Norderlands" von den Skalden gepriesen wird.

Teil 3, fast wie das Märchen Aschenputtel in seiner Dramaturgie, stammt aus der nordischen "Ragnar Lodbrok Saga" und wurde von Fouqué angefügt, um formal den dialektischen Dreischritt zu vollziehen und inhaltlich ein hoffnungsvolles Ende, eine Art Wiederauferstehung Sigurds, feiern zu können. Insgesamt stützt sich Fouqué bei seiner Trilogie nicht mehr auf das Volksbuch und kaum auf das 1807 von Friedrich von der Hagen herausgegebene Nibelungenlied, sondern auf die Überlieferungen der Lieder-Edda. Diese lagen jedoch erst nach Fouqués Bearbeitung im deutschen Gesamttext vor (1810). Fouqué hat also wohl dänische und isländische Quellen benutzt. Das war möglich, weil er sehr viele Sprachen verstehen konnte, neben Dänisch und Isländisch auch Gotisch und Schwedisch, aber – wie man an seiner Übersetzerarbeit sieht – auch Spanisch, Italienisch, Portugiesisch, Englisch, Griechisch, Latein, Französisch sowie Altfranzösisch und Provenzalisch. Ihm lag an einer starken Vorlagentreue, formal hat er neben dem damals im Drama üblichen Blankvers auch gekonnt stabreimende Eddamaße benutzt. Fouqué schwebte eine Synthese aus antiker Dramatik und nordischer Mythologie vor. Trotz geringer inhaltlicher Übereinstimmungen im Detail ist die Trilogie "Der Held des Nordens" wegen des tragischen Handlungsverlaufs als deutsches Gegenstück zur Orestie des Aischylos konzipiert. Um die Grausamkeit, Härte und Brutalität des Untergangs zu legitimieren und dem Leser schmackhaft zu machen, rechtfertigt der Autor sich in seiner Vorrede an Richte (siehe oben) mit dem Verweis auf die Ambivalenzen des Lebens und die Allgegenwart des Dämonischen und führt außerdem aus, auch die antiken Autoren Griechenlands hätten sich nicht gescheut, ähnliche Greueltaten zu erzählen. Der Gesamttitel sowie die Titel der Teile 1 und 2 sowie das Ende von Teil 3 belegen, dass Sigurd die zentrale Figur bei Fouqué ist. Sein Scheitern nimmt den größten Teil der Handlung ein; das passt schließlich zu Fouqués sonstigen Figuren, den irrenden Rittern, die nicht oder nicht mehr so recht in die Welt passen. Während der Schmiedemeister lebensklug und pragmatisch erscheint, ist Sigurd ein lebensfroher Naturbursche, der die Erziehungsratschläge beiseite lässt und sich voller Kraft in den "Wald der Welt" begibt; der Held ist das Gegenbild zum Philister und Spießbürger. In der Welt allerdings scheitert er, anders als im parallel entwickelten Märchen, wo er die Proben besteht. Da ist nicht nur der alte Sagenstoff durchgeschlagen, sondern auch viel ossianische Melancholie nach den großen Zeiten der Vergangenheit, die vorbei sind. Die Liedtexte bei Fouqué deuten übrigens darauf hin, dass er - wie bei anderen Texten- durchaus an eine Vertonung, z.B. an eine Oper gedacht haben mag.

Zur Zeit Fouqués "erborgen" sich die Deutschen die nordische Überlierferung für ihre Nationalmythologie. Das Ossianische des Kelten und Germanen mischenden Sturm und Drang tritt – obwohl es weiter einflussreich bleibt – zurück, bestimmt aber weiterhin die Färbung der Literatur, vor allem bei Fouqué. Die bereits 1767 bei Herder auffindbare Mischung von deutsch und nordisch kann allerdings – auch hier ist Fouqué wieder ein gutes Beispiel - ihre Motivation aus dem Dichterischen nicht verleugnen; sie ist vom Grundsatz her zunächst einmal nicht historisch und politisch gemeint. Zudem ist die gesamte Debatte bis weit ins 19. Jh. hinein eingebettet in einen eher kosmopolitischen Ansatz vergleichender Mythologie und Sprachwissenschaft, die das Modell einer indoeuropäischen Wurzel verfolgt und z.B. griechische, germanische und indische Überlieferungen als verwandt ansieht. Dass die nordische Überlieferung in der Literatur der germanisch-mittel- und westeuropäischen vorgezogen wird, hängt zum einen damit zusammen, dass man sie für älter und ursprünglicher hält, was ein heute allerdings immer noch wissenschaftlich hoch angesehener Irrtum ist. Zum Anderen spielt an dieser Stelle wieder die Aufklärung hinein. So bezieht sich die Nord-Süd-Gegenüberstellung auf das 1748 erschienene Hauptwerk von Montesquieu "De l´Esprit des Loix", in dem der Autor den Süden mit Sklaverei und den Norden mit Freiheit assoziiert. Genau diese Linie verfolgt Werner Weiland in seinem Aufsatz "Die deutsche Freiheit in der bürgerlichen und proletarischen Emanzipationsgeschichte" (in: R.Faber/R.Schlesier, Die Restauration der Götter - Antike Religion und Neo-Paganismus, Würzburg 1986, S. 215 ff.) Nachdem er den Begriff der "deutschen Freiheit" aus Aufklärung und Sturm-und-Drang abgleitet hat, grenzt er seien Verwendung in den Befreiungskriegen ab gegenüber dem Chauvinismus nach 1870/71: Der Krieg von 1813 "richtet sich gegen tatsächlich in Deutschland eingedrungene Eroberer. In dieser Hinsicht war es ein echter Befreiungskrieg. Zweitens wurde er seitens großer Teile der Freiwilligen mit Erwartungen volksfreundlicher Reformen geführt. In dieser Hinsicht war es der Absicht nach ein Freiheitskrieg. Bezeichnenderweise gehen aus der Generation von 1813 viele Förderer der Revolution von 1848 hervor." (S. 230) Und er betont, es gebe im Rückgriff auf das Altertum und das Heidentum in der deutschen Geschichte sowohl emanzipative als auch emanzipationsfeindliche Ansätze. Man denke an die historische wie gegenwärtige Möglichkeit, egalitäre Ideen sowohl von den Kelten als auch von den Germanen als auch von den Irokesen und anderen edlen Wilden ableiten zu können. Und man denke an die feinen Unterschiede im Volksbegriff, z.B. zwischen den Rufen "Wir sind das Volk" und "Wir sind ein Volk". Auch Einigkeit, die mit Brüderlichkeit übersetzbar ist, kann schließlich unterschiedlich begriffen und gebraucht werden und schwankt dann zwischen universalem Respekt, Solidarität, historischer Beheimatung und krimineller Gruppenideologie.

Bei Fouqué im Besonderen haben Norden und Süden stärker ästhetisch-inhaltliche als historisch-politische Konnotationen. Er sieht aus dem eher entbehrungsreichen Leben im Norden Fantasie und Imagination erwachsen, während er dem Süden Fülle und Realitätssinn zuordnet. In seiner Schrift "Der Mensch des Südens und der Mensch des Nordens" (1829) spricht er - ganz in der dialektisch orientierten Tradition Herders - davon, dass Süd und Nord "verschwisternde Gegensätze" seien. Für problematisch hält er Extremlagen wie den gefühlsberauschten Süden und den gedankenschweren Norden. Erst die Mischungen machten die Komplexität des Lebens fruchtbar. Wolf Gerhard Schmidt fasst zusmamen: "Trotz seiner preußisch-patriotischen Gesinnung rezipiert Fouqué die Literatur des europäischen Mittelalters insgesamt unvoreingenommen und vorurteilsfrei." (S.236) Es lohnt sich also, Worte und Begriffe auf ihren Kontext zu befragen, und es lohnt sich auch, die eigene Motivation zu reflektieren. Dann erschließt man sich wirklich neue Welten.