Max Braun und Peter Bender,

Nibelungenromane
der 20er und 30er Jahre
am Rhein

Ein Vortrag von Volker Gallé

...

Die heilige Stunde, Ludwig Fahrenkrog, 1918 ..



Siegfried und Hagen sind die beiden Leitfiguren für den politischen Mythos der Nibelungen im 19. und 20. Jahrhundert. Siegfried trägt messianische Züge, sei er utopisch gedacht wie bei Friedrich Engels 1840 (Telegraph für Deutschland Nr. 197), als jugendlicher Freiheitsheld der noch jungen bürgerlichen Revolution von 1848/49, oder als traumerfüllt im Siegerstolz von 1870/71 bei Richard Wagners Siege-Fried (1871), bzw. kritisch hinterfragt vom Alt-Achtundvierziger Georg Herwegh mit Blick auf Bismarck als Siegfried und die Siegestrunkenheit der wilhelminischen Gesellschaft (1872). Hagen steht für die Ernüchterung, einmal in der Dolchstoßlegende, die 1919 von Paul von Hindenburg inszeniert wurde – „Wir waren am Ende! Wie Siegfried unter dem hinterlistigen Speer des grimmigen Hagen, so stürzte unsere ermattete Front; vergebens hatte sie versucht, aus dem versiegenden Quell der heimatlichen Kraft neues Leben zu trinken.“ (Paul von Hindenburg, Aus meinem Leben, 1920, S. 403) – und zum anderen durch den nekrophilen männerbündischen Treuemythos, der sich bereits 1849 bei konservativ-monarchischen Kreisen andeutet, 1916 von Ludendorff in einer Verbindung von Roland- und Siegfriedmythos vorbereitet und 1943 in Görings Stalingradrede zu Ende gedacht wird. Bereits 1941/42 zeigt sich in einem Gedicht des Lörracher Autors Hermann Burte (1879-1960) die Hinwendung der NS-Gesellschaft zum Hagenmythos:


Hermann Burte, Volkers Antwort (1941/42)

Wenn ahnungslose Menschen fragen:

Warum habt Ihr den Mann erschlagen?

So werden wir Burgunden sagen:

Er war uns weder leid noch lieb,

allein er war ein großer Dieb.

Er stahl den Riesen ihren Hort,

er nahm des Zwergen Mütze fort,

er brach dem König Eid und Wort,

war in der Hornhaut unverwundbar,

geheimer Vogelsprache kundbar,

im hellen Sonnenlicht unsichtbar,

mit Wehr und Waffenkraft unrichtbar –

Sagt selbst, ob einen solchen Mann

Ein Menschenvolk ertragen kann:

Den Überstarken, Überreichen,

den halben Gott als Seinesgleichen?

Und also wurde er erschlagen!

Fragt, was Ihr wollt! – Wir stehn zu Hagen!

(Aus: Burgund – Das Land zwischen Rhein und Rhone, hrg. von Franz Kerber, Straßburg 1942, S. 31)


Als Nibelungenromane bezeichne ich nicht nur Nacherzählungen und Variationen des Nibelungenstoffes, sondern auch Romane, die mit der Rezeption des Nibelungenstoffs arbeiten. Die beiden Niblungenromane also, die ich heute vorstellen will, nutzen beide den Siegfriedmythos, und zwar in seiner messianisch-utopischen Perspektive.

Max Braun,
Nibelungenland – Roman der deutschen Westmark in zwei Büchern, 1933,

Verlag Julius Waldkirch, Ludwigshafen

Bei dem Autor handelt es sich wahrscheinlich um den 1874 in Thiemendorf (Thüringen) geborenen und 1967 gestorbenen Schriftsteller Max Braun-Rühling. Von ihm sind weiterhin erschienen: Der junge Schiller am Rhein – ein Buch aus Not und Kampf, 1929, Verlag Meininger, Neustadt; Das Fähnlein Hildebrandt – Roman aus dem 30-jährigen krieg, 1937, Verlag Thieme, Kaiserslautern; Eine Stadt im Feuerregen – die Zerstörung der Stadt Kaiserslautern, 1. Auflage 1953/2. Auflage 1990 Verlag R.Gondrom, Kaiserslautern. Über seine Biografie habe ich bisher noch nicht mehr herausbekommen. Interessant ist der Verlag. Wilhelm Julius Waldkirch leitete seit 1897 den „General-Anzeiger“ in Ludwigshafen, den sein Vater gegründet hatte. 1899 kam die „Pfälzische Rundschau“ dazu. Kommerzienrat Waldkirch wurde nach 1933 Gründer und Leiter des „Instituts für Zeitungswesen“ an der Universität Heidelberg und verfasste das dreibändige Werk „Die zeitungspolitische Aufgabe“. Darin dachte er u.a. darüber nach, wie die deutsche Presse „die neue Geisteshaltung der nationalsozialistischen Bewegung zur Grundlage ihres publizistischen Schaffens machen“ könne (zitiert nach:
http://buerger.metropolis.de/udo_leuschner/zeitungsgeschichte/mm/109-113).
Und weiter: „Auf den Trümmern des Waldkirch-Konzerns entstand nach dem Krieg die Regionalzeitung Rheinpfalz.“

Die Story des Romans ist schnell erzählt, denn sie ist eher dürftig: Der Leutnant Tim Wingerter, Sohn eines Kaiserslauterner Industriellen, kehrt 1918 aus dem Krieg zurück. Mit seinem Vater, Vertreter der wilhelminischen Monarchie, die den Krieg verloren hat, und seinem Bruder Franz, der den Betrieb weiterführt, steht er nicht gut, weil er den Krieg als Einebnung der Standesunterschiede erlebt hat. Insofern ist er Modernisierer und vertritt das Prinzip völkischer Gleichheit, das durch Großstadt- und Eisenbahnbilder illustriert wird. Gleichzeitig aber behält er als Offizier und Dichter das Führerprinzip bei. Im letzten Fronturlaub hat er im Pfälzer Wald in einer durch mythische Träume übersteigerten Situation seine große Liebe, Kläre aus Worms, kennengelernt. Der stellungs- und mittellose Offizier sucht und findet eine Anstellung bei der Bahn in Kaiserslautern. Dort moderiert er als Dolmetscher die Konflikte zwischen deutschen Beamten und französischen Militärs. Er trifft Kläre wieder und heiratet sie. Auf dem Hintergrund von passivem Widerstand und der Auseinandersetzung mit dem Separatismus finden Tim, sein Bruder Franz und der Vater in der „Abwehr“, einer von Mannheim aus gesteuerten nationalistischen Widerstandsgruppe wieder zusammen. Das gilt auch für alte Freunde aus Kriegszeiten, Arbeiter und Bauern, die teilweise vom französischen, bzw. republikanischen Lager angezogen waren. Franz wird verhaftet. Bei dem Versuch, ihn zu befreien, wird der Vater erschossen. Am Ende können alle den Abzug der Franzosen feiern.

Die Handlung, die noch einige Nebenstränge im Lager der Separatisten hat, bietet viel weniger dramatische Wendungen als möglich. Die Schilderungen der Regionalgeschichte von 1918 bis 1930 sowie die Exkurse in Geschichte und Mythos der Rheinlandschaft (Pfalz mit Worms) überwuchern die Handlung. Im Vordergrund steht die Auseinandersetzung um die Frage, ob der Rhein deutsch oder französisch sei, und zwar in der konkreten Situation des verlorenen Kriegs und der französischen Besetzung. Für die Franzosen gibt es eine gewisse Form von Respekt, jedenfalls für blonde Germanen, die als Nachkommen der germanischen Franken und Pariser Herrenmenschen gezeichnet werden, unter ihnen, aber auch für charmante Südfranzosen, die als joviale Siegertypen gezeichnet werden. . Kritik trifft die herrischen Siegertypen, meist eher subalterne Möchtegern-Herren, und die marokkanischen Soldaten – Senegalesen kommen nicht vor -, die als namenlose Vergewaltiger deutscher Frauen eine Rolle spielen. Im Grunde wird in Demütiger bzw. Revanchisten und Dialogpartner unterschieden. Man selbst leidet unter der Rolle des Barbaren, der vorgeblich beherrscht werden muss, obwohl er doch den Laden schmeisst. Letzteres zeigt sich am Beispiel der deutschen Eisenbahn. Die Politik Frankreichs wird auf einem Spitzelsystem aufbauend geschildert, das durch Geld, Propaganda und Druck, aber immerhin als staatsmännisch gekennzeichnet ist. Sympathien auf deutscher Seite – hier wird z.B. auf die Napoleonsteine auf pfälzischen Friedhöfen verwiesen - , bzw. schwankende Stimmungen pro und contra Frankreich, aber vor allem pro und contra pfälzischer Autonomie werden eingeräumt. Die Abgrenzung geschieht vor allem durch den Bezug auf Geschichte und Sprache und durch das Gegensatzpaar reines Volk und Mischvolk. So heisst es zu den Franzosen, sie seien keltoromanisch-fränkisch und damit anders als die Germanen: „Man begreift, dass dieses Mischvolk sagt: der Sonne, die Mond. Die Marseillaise schmettert. Die Marseillaise soll nochmals die Besiegten besiegen. Die Marseillaise hat eine hinreißende Melodie.“ (S.92) Das ist genau die Germanenideologie des 19. und frühen 20. Jahrhunderts, die völlig übersieht, dass erstens die rheinische Bevölkerung ein mindestens keltoromanisch-fränkisches Mischvolk ist und zweitens die Franken wie die Alemannen und Burgunder römisch-germanische Feudalsysteme, die aus Kriegsgefolgschaften entstanden sind und sich keineswegs auf vorrömische Ethnien beziehen, die einfach nur gewandert sind. Hier projeziert eine durch den Nationalgedanken dominierte Epoche ihr Selbstbild in die Frühgeschichte.

An anderer Stelle wird zu Recht auf die Sprache als Unterschied verwiesen. Im Vorwort führt das mit Blick auf das Evanglienbuch Otfrieds von Weißenburg zu der überhöhten Aussage: „Deutschland kann seinen Dichter nicht vergessen.“ Die Geschichte wird mehrfach bemüht. Besonders deutlich wird der deutsch-französische Gegensatz in einem Disput zwischen Tim Wingerter und dem gesprächsbereiten Capitaine Thévénet, hier ein Auszug:

„Frankenland den Franken!“ sagte bei einer abendlichen Plauderstunde Capitaine Thévénet zu Tim Wingerter. „Ganz richtig, Herr Capitaine. Frankenland den Franken! Es fragt sich nur, welche von den Ideologien, die jeder von uns ins Feld führt, die richtige ist.“ ... „Ich liebe die Gründlichkeit. Frankreich hat zum Überfluß zwei Ideologien..., um seinen Anspruch auf den Rhein zu begründen, nämlich die historische und die völkisch-kulturelle.“... „Sie wollen damit beweisen, Herr Capitaine, dass Frankreich die Rheingrenze zu beanspruchen hat, weil das römisch-gallische Reich unter Cäsar bis an den Rhein reichte und weil der große römische Feldherr und Staatsmann den täppischen Suevenfürsten Ariovist, der zum erstmal den Versuch machte, linksrheinisch unter Germanen ein germanisches Reich zu gründen, über den Strom zurückwarf?“ „Nichts ist natürlicher. Das alte Gallien reichte bis an den Rhein.“ 2Daher nannten schon die Römer das von den Germanen bewohnte linksseitige Stromland, wo heute Belgien-Holland liegt, Germania inferior, und das Land, in dem Sie eben zu weilen die Ehre haben, einschließlich Elsaß, Germania superior.“ (S. 146 ff.) Und so geht der Disput sechs Seiten lang weiter, über Karl den Großen bzw. Charlemagne zurück zu Chlodwig und Paris, den Vertrag von Verdun 843, die Geschichte Burgunds samt Artois, Hennegau, Picardie und Franche-Comté im Mittelalter und die napoleonischen Kriege bis zu Bismarck.

So weit zur Geschichtsdebatte. Völkische Elemente finden sich in Brauns Romane vor allem in der Schilderung der Kriegsgeneration, die sowohl durch den Krieg als auch durch seine Parallelen in den Maschinen- und Arbeitswelten der Industrie als Modernisierer erscheint. Sie ist ernüchtert und ermüdet durch die Niederlage – die Dolchstoßlegende kommt nur sehr abgemildert mit Blick auf die Republik vor, für die man ebenfalls ein gewisses Verständnis im Rahmen eines völkischen Gleichheitsbegriffs hat -, aber sie sieht auch Chancen zur Erneuerung, in dem man die als lebendig empfundenen modernen Arbeitswelten mit historisch-mythischen Strukturen von Volk und Führer, romantischem Heimat- und Liebesgefühl und Sprachheimat verbindet. Dem entsprechen expressionistische Schilderungen der Arbeitswelt, häufige Verweise auf Kriegskameradschaften und mythisch-poetische Entwürfe, mal als Gedicht, mal in Prosa, die vor allem den Siegfriedmythos ins Spiel bringen. Letzterer lässt sich im Bild des Schmiedes gut mit dem Bild des Arbeiters in der modernen Schwerindustrie verbinden: „Der Eisenhammer der Arbeit schüttert an den Ufern. Das ist Siegfrieds Schmiede, in welcher der junge Held, in unsere Zeit gestellt, zwischen Essen und Kesseln, zwischen Silos und Retorten, unter Kreisen der Triebwellen und qualmenden Schloten das neue Schwert schmiedet, das uns im friedlichen Wettbewerb aus Dreck und Morast wieder heraushauen soll, das er aber zum Kampf zu schärfen nicht zögern wird, wenn dieser unvermeidlich sein soll.“ (S.44) Das ist das Bild vom Wiederaufbau der deutschen Industrie bis hin zur Rüstungsindustrie. Aber vor der mythischen Militarisierung stehen Bilder moderner Großstadtlyrik, wie sie auch aus den Filme Fritz Langs z.B. Metropolis stammen könnten; Nüchternheit und Lebendigkeit im Massenzustand ergänzen sich: „Das ist die Eisenbahndirektion. Ihr Haus in dieser jungen Rheinstadt Ludwigshafen ist kein Prunkpalast. Es ist nüchtern wie alles, was der Arbeit im wahrsten Sinn geweiht ist...In drei Stockwerken eingebaut, gleich einem Bienenkorb, ist der ganze Apparat der Verwaltung

eines vom Verkehr lebhaften durchpulsten Schienennetzes...Alles ist Ordnung, Präzision, Dienstzucht...Das stahlsträhnendurchwirkte Antlitz des Bahnhofs hatte ihn immer in stillen Betrachtungen gefangen gehalten. An den beiden Flügeln des Schienengewirrs schnatterten und spuckten die kleinen flinken Verschubmaschinen...Nach kurzer Zeit rauschte fauchend und zischend (fast wie ein Drache, der Verf.) ein Personenzug herein. Dann noch einer. Und noch einer. Mit einem Schlag war das pulsierende Leben in die Hallen des Bahnhofs eingezogen.“ (S. 97 und 99)

Antisemitismus spielt in Brauns Buch im Vergleich zum alles beherrschenden deutsch-französischen Konflikt nur am Rande eine Rolle, einmal wenn er die Kriegsgewinnler im Mannheimer Straßenbild kritisiert: „Ausgemergelte Gestalten huschen über den Pflasterboden, sorglose, wohlgenährte Frauen schlendern dazwischen, viele Jüdinnen spazieren dahin.“ (S.37), zum anderen gegen Ende, wenn er eine zufällige, politische Versammlung beschreibt, auf der antisemitische Arbeiter auf dem Hintergrund der Inflationsgesellschaft mit sogenannten Zweiflern und einem separatistischen Agitator, beide für die „Verdienste des Judentums um unser Wirtschaftleben, um Handel und Wandel, Kunst und Wissenschaft“ (S.398) werbend, die sogenannte „Judenfrage“ diskutieren. Schließlich tönt es aus der Masse dreimal: „Heil Hitler!“, kurz darauf aber auch: „Hoch Marx, Engels, Lasalle! Heil Moskau!“ Dies ist auch die einzige Stelle, in der Hitler und die NSDAP deutlich in die Geschichte eingeführt werden. Ein Arbeiter lässt sich vom Nationalsozialismus überzeugen. Schorschl sagt in pfälzischer Mundart: „Ausbabble losse, Philp, ausbabble losse, dumm is der net. Aber hascht du überhaupt schun begriffe, was der Hitler will? Wann nämlich eines Tages alles de Bankrott anmeldet, wird de Hitler Konkursverwalter sein. Ich geh zu de Nationalsozialiste. Die Partei weeß wenigstens, was sie eigentlich will. Wann de erscht Jud gefresse is, wird sich’s schun zeige, ob sie all zu verdaue sin. Aber das segg ich dir, die Partei will Sauberkeit un den ganze Stall mol ausmischte, und das gehört sich, un dann erscht werden mer gesund.“ (S.399/400) Mundartvariationen kommen ansonsten auch eher selten in Brauns Roman vor und dient jeweils als Indiz, dass die Ideologie der nationalistischen Avantgarde im Volk angekommen ist. Danach schwingt der Text wieder auf mehr als 100 Seiten zurück zum Siegfriedmythos und es bleibt dem Leser überlassen, ob er am Ende den nur an einer Stelle zitierten Hitler mit dem mythischen Erlöser Siegfried identifizieren will.

Der Nibelungenmythos dient zum einen als geografische Klammer für das Land, das „Nibelungenland“, wie der Titel des Romans ja auch lautet. Tim Wingerter, der jungen Wanderer, vielleicht eine Anspielung auf Odin, steht in der Nähe der Hardenburg bei Bad Dürkheim: „Dort drüben hinter dem tiefen Forst liegt Worms, die alte Stadt König Gutnhers und des Rosengärtleins, die Stadt Siegfrieds und Hagens, Kriemhildens und Brunhildens und des uralten Doms, und bei Alzey vorbei, der Heimat des Helden und Spielmanns Volker, zieht sich das Waldland bis zu den Stätten, wo nach liebevoller Überlieferung Jung Siegfried einst den Kampf mit dem Drachen bestand.“ (S.20) Und alle sind unter dem Nibelungenmantel vereint, so als ob es weder Streit noch Mord gegeben hätte’! Zum anderen dient der Nibelungenmythos als Klammer für das Buch. Er steht am Anfang und am Ende. Am Anfang dichtet Wingerter ein Nibelungenpoem, in dem Siegfried und Hagen gemeinsam im Wald jagen und auch offenbar gemeinsam zum letzten Sammeln blasen. Die Dolchstoßlegende ist ausgeblendet, die Situation kurz vor der Niederlage 1918 wird im Bild des letzten Kampfes thematisiert.

Von den Zinnen dieses Schlosses

Blicke sinnend ich zu Tale:

Alte Zeiten steigen träumend.

Ringsum grüßen Heldenmale.

Siegfried stark und Hagen trutzig,

eures Hüfthorns Klänge fehlen!

Geist von eurem Geiste möge

Uns in dieser Stund beseelen!

Durch den Wald seh ich euch schreiten.

Heil! Ich grüß euch tapfere Mannen!

Siegfrieds Spuren folg ich sinnend:

Siegfrieds Horn schallt durch die Tannen.

Nun zum letzten Sammeln blaset,

Helden, die derzeit gerungen!

Letzten Kampf gilt es zu kämpfen,

Kampf der letzten Nibelungen!

Im Zwischenteil des Romans kommen die Nibelungen nur selten vor. Erst am Ende wieder erscheint Siegfried und ihm wird das komplette Schlusskapitel gewidmet. Mit Blick auf das Mittelalter heisst es: „Als das tausendjährige Reich, welches von der Christenheit voller Bängnis und Demut erwartet worden war, sich nicht erfüllte und die Frommen im Land murrten, weil Kristos nicht wiedergekehrt war, um die sündige Menschheit aufs neue zu erlösen und aus aller Not zu führen, erweckte Gott Siegfried zu neuem Leben und sprach: Ich will, Siegfried, dass du durch dieses Land der Deutschen diese kommenden Jahre gehest, solange ich über dieses Stück Erde schicke Sommer und Winter..und du sollst durch die Menschen dort schreiten und ihnen dein Antlitz aufprägen, auf dass ewiglich dies Land in seiner Eigenart sei gleich dem Salz, das die Meere vor Fäulnis schützt und deshalb eine große Sendung in sich hat und doch bitter und scharf schmeckt – damit sich die Sehnsucht des deutschen Volkes am Ende erfüllt.“ (S.539/540) Dann begleitet der Autor Siegfried durch die national bedeutsame Geschichte und Siegfried spiegelt sich in den Figuren von Luther, Friedrich dem Großen, Blücher und Bismarck. Dann kommt er zu einem Lehrer, der den Vertrag von Versailles beklagt: „So sind wir aus dem Blutbad herausgekommen. Zerrissen und zerstückelt. Metz und Straßburg sind wieder verloren gegangen. Frankreich hat die Hand wieder auf den Rhein gelegt und will ihn als Grenze haben...Wir warten auf den Messias, der uns aus Fron und Druck erlöst. Aber wir wissen, der Erlöser wird einst kommen und wir werden dann hinter ihm stehen, alle Deutschen, und wir werden dann wieder ein starkes Volk sein und unsere Befreiung erringen. Es fehlt uns ein Siegfried, der dies Wunder tut.“ (S.563)

Die politische Religion des modernen Nationalismus nach 1918 ist der Struktur nach dem jüdischen Messianismus entlehnt. Die daraus folgende Abgrenzung gegenüber dem Vorbild hat dem Antisemitismus Türen geöffnet. Siegfried endet mit einem Aufruf: „Die deutsche Kraft wird wieder über alle Hindernisse siegen. Wach auf, mein Volk! Es wird doch wieder Frühling um dich werden!“(S.555/556). Hagen und der letzte Kampf sind verschwunden. Eine Seite weiter endet der Roman mit dem Abzug der Franzosen am 30. Juni 1930 und dem freigestellten Satz: „Das Land am Rhein ist frei!“ Er könnte so enden, am Rhein, aber Braun schiebt eine halbe Seite nach: „Wenn um Mitternacht wieder einmal die große Kaiserglocke dröhnend über die Kaisergräber im Speyrer Dom ins Land ruft, dann ist es an der Zeit, dass das Volk wieder aufsteht und seine Scholle verteidigt.“ (S.558). Und man fragt sich, ob das lediglich eine allgemeine Mahnung ist oder ob sich darin nicht das nationalsozialistische Jahr 1933 spiegelt, in dem der Roman ja erschienen, aber wohl nicht geschrieben worden ist.


Peter Bender
Karl Tormann – ein rheinischer Mensch unserer Zeit, 1927,

Verlag die Wölfe, Leipzig-Plagwitz

Peter Bender wird seit einigen Jahren in Worms wieder gern zitiert. Man bezieht sich dabei auf einen Artikel unter dem Titel „Nibelungen-Reanissance?“, den er am 21. Juni 1928 in der WVZ, der liberalen Konkurrenz zur konservativeren WZ, mit Blick auf die gerade vergangene Nibelungenwoche des Verkehrsvereins veröffentlicht hat. Die aktuell gern, wenn auch nicht immer richtig zitierte Passage, steht am Anfang des Artikels und lautet: „Schade, wird mancher im Verkehrsverein denken, dass man das nicht auch alles selbst machen kann wie die Oberammergauer, schade auch, dass so viel Konkurrenz da ist, Bayreuth voran, alle Theater der Welt hinterdrein, soweit sie Wagner oder Hebbel aufführen! Ja, hätte man ein Wormser Monopol für das alles...So aber wird sich jedermann außerhalb von Worms fragen, warum er ausgerechnet nach dem heutigen Worms fahren soll, um sich derartige Aufführungen mit etwas Rosen drumherum anzusehen. Etwa deshalb, weil der Nibelungendichter den Hauptschauplatz seiner Dichtung in eine Stadt namens Worms verlegt hat?...Dann müsste man ja auch nach Sevilla fahren, um sich den „Barbier von Sevilla“ anzusehen, oder nach Venedig zu Aufführungen des „Kaufmanns von Venedig“?“ Dass dieser kluge Gedanke nicht als Aufhänger für Häme gegen die Provinz dienen kann und was Bender eigentlich selbst sich vorgestellt hat, wollen wir noch ein wenig aufschieben. Zunächst zur Biografie: Peter Bender wurde am 30.5.1893 in Bechtheim geboren. Während seiner Zeit als Soldat im ersten Weltrkrieg lernte er die aus einer jüdischen Familie stammende Charlotte Asch kennen und heiratete sie 1917 in Liegnitz. 1918 wurde Sohn Gerhard Peter geboren, später als Fotograf in Worms tätig, ein Jahr später Tochter Maria Charlotte, die erst vor wenigen Jahren in Worms verstorben ist. 1918 war Bender für kurze Zeit Vorsitzender des Wormser Arbeiter- und Soldatenrats. 1919 gründete er die „Wormser Menschengemeinde“, eine im Umfeld der sogenannten „Inflationsheiligen“ (Ulrich Linse, Barfüßige Propheten – Erlöser der zwanziger Jahre, Berlin 1983) entstandene Vereinigung, der es um freie Liebe, neue soziale Formen, moderne Erinnerungskunst und andere utopische Entwürfe ging, die man heute als Modelle der Alternativbewegung bezeichnen würde. Im Lutherjahr 1921 verfasste er ein Flugblatt, indem er die Leibfeindlichkeit des Christentums heftig kritisierte und zur Gründung einer Gewerkschaft der Mütter aufrief. Der zuständige Oberstaatsanwalt stellte deswegen im Januar 1921 Strafanzeige wegen Gotteslästerung und Verbreitung unzüchtiger Schriften. Der Oberbürgermeister verbot Benders geplante Gedenkfeier sowie Vorträge und Versammlungen unter seiner Leitung. Das Kreisgesundheitsamt begutachtete eine „krankhafte Störung“ und beantragte die Beobachtung in einer Irrenanstalt. Medizinalrat Schmal aus Heppenheim schrieb: „Bender ist ein Phantast, er will sich zum Propheten aufschwingen.“ Da er aber nicht als geisteskrank begutachtet wird, wird er zu sechs Wochen Gefängnis verurteilt. 1924 wendet sich Bender der Freiwirtschaftslehre Silvio Gesells zu. Gemeinsam mit dem Landwirt Friedrich Penk (1889-1987) entwickelt er alternative oekonomische Modelle. Penk war übrigens nach 1945 Ratsmitglied, Mitbegründer der Freisozialen Union (FSU) und von 1949-1956 Beigeordneter. Von 1926 bis 1931 war Bender Angestellter der freiwirtschaftlichen Bausparkasse in Frankfurt. Als diese Konkurs anmelden musste und die Sparer ihre gesamten Einlagen in Höhe von 1,5 Mio. Mark verloren, wurde vom Gericht ein betrügerischer Konkurs festgestellt. Während die beiden Haupttäter ins Ausland fliehen konnten, wurden fünf Angestellte, darunter Bender, verhaftet und zu Freiheitsstrafen verurteilt. Bender erhielt 1 ½ Jahre, die er bis Dezember 1935 in Preungesheim absitzen musste. In dieser Zeit wurde er zum zweiten Mal auf seinen Geisteszustand hin untersucht. Es wurde ein Antrag auf Unfruchtbarmachung gestellt, der aber vor dem Frankfurter Erbgesundheitsgericht abgewendet werden konnte. In dieser ganzen Zeit suchte und fand Bender Unterstützung bei Ludwig von Heyl. Bender engagierte sich auch bei Tagungen des Bundes rheinischer Dichter (1926-1933), stellte Horoskope, lud zu astrologischen Kongressen nach Worms ein und war Anhänger der Hohlwelttheorie. Die Familie lebte in den zwanziger Jahren weniger von Benders schriftstellerischen und weltanschaulichen Aktivitäten, sondern mehr von den Sprachkursen seiner Frau und mäzenatischen Zuwendungen. 1936 verzog die Familie nach Frankfurt. Bender wurde wegen seiner politischen Aktivitäten von den Nationalsozialisten verfolgt. Seine Frau Charlotte wurde schließlich wegen ihrer Herkunft deportiert und ist in Auschwitz als „verschollen“ gemeldet. Peter Bender wurde im Sommer 1943 als politischer Häftling ins österreichische KZ Mauthausen eingeliefert und ist dort am 4.2.1944 gestorben.

Sein Roman „Karl Tormann“ erschien 1927 im „Verlag Die Wölfe“, der in Leipzig-Plagwitz zuhause war. Dabei handelt es sich offenbar um einen überwiegend pazifistisch orientierten Klein-Verlag. So sind dort kriegskritische Texte von Bruno Vogel (1926) erschienen oder Hans Albert Försters Schrift „Warum? Kriegserlebnisse eines Achtzehnjährigen“ (1925), aber auch die Amerika-Hymnen des aus Wiesbaden stammenden Schriftstellers Alfons Paquet (1925), des Initiators des „Bundes der rheinischen Dichter (Gertrude Cepl-Kaufmann, Der Bund der rheinischen Dichter 1926-1933, Paderborn 2003). Das erste Kapitel des Romans ist überschrieben mit „Die erotische Revolution“. Der verheiratete Protagonist verliebt sich in eine ebenfalls verheiratete Frau. Zudem hat er ein stürmisches sexuelles Erlebnis mit einer ihm fremden Frau, welche er davor beschützt hat, von „drei marokkanisch-französischen Soldaten“ vergewaltigt zu werden. In dieser Situation plant er einen Vortrag über die freie Liebe. Aber die französische Behörde verbietet das. Zuständig dafür ist Abbé Dacoste, ein katholischer Militärgeistlicher, der die Militärverwaltung in Kulturfragen berät. In einem Gespräch überzeugt Tormann in einer pathetischen Rede den Abbé, das Verbot aufzuheben. Als Tormann geht, kommentiert der Abbé: „Quel drole de Type, cet Allemand, qui cherche une theorie pour notre pratique d’amour“ (Was für ein drolliger Typ, dieser Deutsche, der eine Theorie für unsere Praxis der Liebe sucht!). Dann folgt die politisch-religiöse Phase. Tormann bietet sich beiden relevanten Gruppen im Rheinland als Erlöser an, den Separatisten in Koblenz und den Völkischen, die von der NSDAP in München unterstützt werden. Er versucht es zunächst mit einem Verfassungsentwurf für einen Rheinstaat, wird jedoch wegen seiner Anlehnung an die Freiwirtschaftslehre Gesells nicht ernst genommen und wegen seiner außerehelichen Beziehungen in Misskredit gebracht. Bei den Völkischen wird er wegen seines Engagements für die Räterepublik abgelehnt. Hier knüpft er in seinem politischen Entwurf an der alten Reichsidee an, die durch zwei Kaiserpaare, Siegfried und Brunhild sowie Siegfried und Kriemhild verkörpert werden. Tormann inszeniert sich und seine Frau als eine Art Wiedergeburt dieser beiden Paare. Beim Lesen von Gumbels Buch über die rechten Fememorde identifiziert sich Tormann mit den Opfern Karl Liebknecht, Rosa Luxemburg und vor allem mit Gustav Landauer, der Silvio Gesell zum Finanzbeauftragten der Münchner Räterepublik berufen hatte und selbst einen freien Sozialismus, spirituelle Erneuerung, Bodenreform- und Siedlungsgedanken vertrat. Tormann, das alter ego Benders, resümiert am Ende: „In rheinischen Burgen und Städten war er...zwischen Gestalten und Kämpfen des Nibelungenepos. Alle standen am Rhein und schauten zu, wie die wirbelnde Kraft seines Geistes ins Wasser bohrte, abwärts auf den Grund: ein wundersames Leuchten und Flimmern in den kreisenden Fluten begann, ednlich war die tiefste Tiefe erreicht, ein Glanz brach hervor, Gold schimmerte unten und heraus stieg eine kraftvolle, lichtumflossene Gestalt, Siegfried, der rheinische Held als das menschengewordene Symbol der strahlenden Sonne. Vor dieser glanzvollen Vision musste Tormann die Augen schließen...und sah mit einem Schlage die rheinische Welt und Wirklichkeit neu, von Grund auf neu. Gold hatte sie seither durchwirkt und vergiftet, Gold zog alles in die Tiefe, Gold als Geld, das allen Reichtum an Waren und Menschendienstbarkeit in sich fasste, Gold in der Münze und im Keller der Notenbank, wo es die heutige form des zauberkräftigen, fluchbeladenen Nibelungenschatzes bildete: seine Vision aber verhieß Auferstehung und Triumpf des Lichtgeistes im Hort, Fleischwerdung siegfriedlichen Geistes im Geld, Menschwerdung gotthaften Geistes also, um dessen dichterische Beschwörung sich zuletzt Richard Wagner und Friedrich Hebbel bemüht hatten. Was bei ihnen und beim mittelalterlichen Dichter in Oper, Drama, Epos nur schöner Schein geworden war, gebannt in Wort, Musik, Schauspiel, das sollte jetzt durch ein rheinisches Geld zum Sein kommen, zur leibhaftigen Existenz in kaufenden Menschen, zur Synthese von Dichtung und Wirtschaftsordnung im Rheinstaat, im neuen siegfriedlichen Reich.“ (S. 474/475)
Der 1928 erschienene Artikel in der WVZ ist also nicht als Häme über die Provinzialität von Worms zu lesen oder als polemische Kritik an den Inhalten der Nibelungenwoche, sondern auf dem Hintergrund von Benders scheiternden politischen Utopien. Der Artikel geht denn auch ganz anders als heute meist gedacht weiter. Er sucht nach einer neuen, zeitgemäßen Deutung des Nibelungenmythos für die Rheinregion als Hebel für den kulturtouristischen Erfolg. Bender postuliert, dass nach dem baldigen Abzug der Franzosen die „militärisch missbrauchten Nibelungensymbole“ umgewandelt werden würden in „einen friedlichen Sieg über alle Völker der Erde durch Renaissance des siegfriedlichen Nibelungengeistes, durch Hervorkehrung des siegfriedlichen Elementes im deutschen Nationalepos und durch entsprechende Weiterentwicklung der anderen Nibelungengestalten.“ Einen Fremdenverkehr in die kulturell gefeierte Befreiung am Rhein sieht Bender kommen und mischt diesen Gedanken mit der Tradition einer weltoffenen, friedlichen, kaufmännischen Städtegesellschaft am Rhein. Seinen Zukunftsentwurf kann man dann nur auf dem Hintergrund der Inflation von 1919 bis 1923 und der darauf folgenden „Golden Twenties“ sehen: „Das Auftauchen des Nibelungenhortes...entspricht volkswirtschaftlich gesehen einer starken Geldvermehrung durch Eroberung oder neue Funde von Silber und Gold, die zu Münzen ausgeprägt werden oder auch direkt die Nachfrage nach Waren steigern: mit der Nachfrage steigen auch die Preise, jedermann kauft schneller, wird dadurch zum Verbrauch und zur Sinnenlust gedrängt, wird auch etwas leicht- und frohsinniger..., kurzum Siegfrieds Geist und Art wird in den Menschen lebendig...Das Gegenstück dazu ist Hagens Charakter und Art, der wie ein bitterer Schatten durch die Lande geht, wenn die Geldvermehrung nachlässt, sei es durch ein Aufhören der Funde oder starken Verbrauch der Metalle..., wenn also die Preise fallen, wenn dadurch jedermann sein Geld zurückhält, die Kauf- und Sinnenlust an schönen dingen unterdrückt wird und alles aufhört, was auf Unternehmungslust, Spekulation und einem Schuß Leichtsinn beruht.“ Bender würde unsere deutsche Gegenwart also wohl eher als Hagenzeit bezeichnen, nicht ganz unpassend, wenn man die zunehmenden Sympathien für Hagen (Adorfs Hagen/Stepanoffs Hagen-Äußerungen/Rinkes ironische Wendung zu Macht und Revolution etc.) beobachtet und beispielsweise dem roten Siegfried von Friedrich Engels in der Jugendrevolte von 1848 gegenüberstellt: Siegfriede machen derzeit eher eine komische Figur. Dass Benders Deutung in der Realität gescheitert ist, wird man nicht bestreiten können, was von ihr bleibt, ist neben anregenden utopischen Gedanken einmal der richtige Hinweis, dass es immer wieder Zeitgeist-Deutungen und damit auch an gegenwärtigen Debatten orientierte Festspielprogramme geben muss, dass Worms seine Nibelungen am besten ganzjährig im Stadtbild inszenieren muss und dass dies einen Charakter des Besonderen für die Besucher haben muss, damit sie sich auf den Weg nach Worms machen.

Wenn wir die beiden Romane anschauen, die doch politisch und weltanschaulich eher rechts, bzw. eher links zu verorten wären, dann stellt man doch eine ganze Menge Gemeinsamkeiten fest: einen deutsch-französischen Disput, Separatismus und völkische Bewegung als besondere historische Folie der Region, das Motiv der marokkanischen Vergewaltiger und das Zurückgreifen auf die Nibelungenrezeption, hier insbesondere auf den Siegfriedmythos. Befreiung und utopischer Entwurf – unterschiedlich gewichtet und beurteilt – treiben die beiden Texte an. Das hat mit der besonderen politischen Situation am Rhein zu tun. Ulrich Herbert stellt in seinem Buch über den SS-Strategen Werner Best fest: „Die Franzosenzeit hinterließ in Rheinhessen tiefe und langfristig wirksame Eindrücke und hatte die Tendenz zur Folge, die politischen Probleme ausschließlich unter dem nationalen Gesichtspunkt zu beurteilen...Die vertragliche Abtrennung von Gebieten mit deutscher Bevölkerung ebenso die separatistischen Versuche zur Schaffung des Rheinstaats beförderten das Denken in den Kategorien des Volkstums statt der Staatsbürgerschaft und verstärkten sowohl die Forderung nach Einbeziehung deutscher Minderheiten in angrenzenden Ländern in die deutsche Volksgemeinschaft als auch die Theorien vom Primat des Volkstums vor der sozialen Schichtzugehörigkeit...Dies galt in besonderer Weise für die Jugend in den besetzten Gebieten.“ (S.40/41) Herbert weist auch daraufhin, dass Anfang der 20er Jahre und damit in der Auseinandersetzung mit den Separatisten sowie den französischen Plänen zu einer Abtrennung der Rheinregion SPD und Gewerkschaften soziale Unzufriedenheit und antifranzösische Stimmung zu verbinden imstande waren, d.h. das prägende Thema am Rhein war die französische Besetzung und deren Ablehnung. In zweiter Linie gab es eine starke kapitalismuskritische oekonomische Diskussion. Der Antisemitismus spielte nur eine Nebenrolle, konnte aber über die Ausweitung des Nationalen ins Völkische und von da ins Rassistische und über das alte Zerrbild vom ausbeuterischen Bankjuden (siehe Jud Süß) leicht Eingang in die regional vorherrschende Ideologie finden. Prägende Motive der Nibelungenrezeption sind – schon seit der Mitte des 19. Jahrhunderts – die Beziehung von Gold und Geist – dazu gehört auch die wiederholte Interpretation des Nibelungenschatzes als Schatz an Treue bzw. als Schatz an Bildern bei Carl Muth/Festhauseinweihung oder Auber und Hoge/Nibelungenmuseum -, das Verhältnis von Freiheit (Siegfried als jugendlicher Held) und Brüderlichkeit (Männerbund/Treue/Solidarität etc.), bzw. von Individualität und Sozialem sowie die Deutung von Opfer, Scheitern, Ohnmacht und Untergang, als tragisch-heroisch, als revolutionär-neu oder als spirituell-freisetzend. Auch wenn die beiden Romane sicher nicht zur großen deutschen Literatur gehören, erzählen sie doch viel über ihre und immer noch einiges auch über unsere Zeit. Ich erkenne daher zwar Herfried Münklers Diktum an, der Nibelungenmythos habe seine Macht über die Deutschen verloren, also im Sinn eines politischen Mythos bzw. einer Nutzung als Nationalepos, zweifle aber trotz der offensichtlichen neuen Leichtigkeit bei Rinke und der programmatischen Streichung des Deutschen bei Beier und Lux daran, ob damit auch die bewegenden Fragen verstummt sind, seien es die oben genannten oder die lange vermiedene Frage nach einer unserer Identitäten, nämlich: Was ist deutsch? Dabei empfinde ich es allerdings als sehr angenehm, dass wir heutzutage aufgrund der allgemein verbreiteten Kritik deutscher Geschichte und Ideologie mehr zum wiederholten Fragen als zum vorschnellen Antworten neigen. Aber das wäre bereits ein anderer Vortrag...