Die
historischen Nibelungen

Eine Serie der Wormser Zeitung
von Dr. Jürgen Breuer

6.
Die Mode am
Wormser Nibelungenhof

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Bligger von Steinach, Codex Manesse, um 1330 ...



Die traditionelle Forschung zum Nibelungenlied hat sich gerne mit den Mythen und dem archaisch heldenhaften Handeln der Liedfiguren wie Siegfried, Brünhild und Kriemhild beschäftigt. Der Dichter baut in seine Verserzählung ja auch eine Menge mythischer Gestalten und Dingsymbole ein: Genannt seien hier nur die Meerfrauen, die Hagen und den Nibelungen an der Donau den Untergang weissagen, oder Ring und Gürtel der Brünhild, die diese für die Männer fast unbezwingbar machen.

Viel weniger Beachtung hat die Beschreibung der Kleidung gefunden, die an den Königshöfen in Worms, in Island bei Brünhilde und schließlich an Etzels Hof getragen wird, obwohl ihre Würdigung im Lied einen sehr breiten Raum einnimmt. Gemeint sind die so genannten Schneiderstrophen, die nach Ansicht bedeutender Germanisten den Ablauf des Geschehens so sehr störend unterbrechen, dass man sie sogar eliminieren könnte oder sollte. Dabei scheinen die Gewänder für den Lieddichter und seine adeliges Publikum bei Hof von höchstem Interesse. Schon als sich Gunther zur Brautfahrt rüstet, um gemeinsam mit Siegfried, Dankwart und Hagen die überaus starke und schöne Brünhild zu erringen, fragt er Siegfried nach der Kleiderordnung, die auf Island verbindlich sei. Siegfried gibt für denjenigen, der die Lang-Verfilmung kennt, die überraschende Antwort: "Die schönsten Kleider, die man jemals gesehen hat, die pflegt man im Lande Brünhilds zu tragen." (NL B 344) Tatsächlich sucht Gunther zusammen mit Siegfried die holde Schwester Kriemhild auf, um sie zu bitten, für die vier Brautwerber das Beste an Gewändern mit ihrer Kunstfertigkeit zu schaffen, was der Wormser Hof je gesehen hat, damit sie sich bei Brünhild nicht blamieren. Und Kriemhild verfügt über edle Stoffe, so über die beste Seide aus Marocko und Libyen, dazu schwarzen Brokat, verwoben mit arabischem Gold, darauf aufgesetzt flimmerten unzählige Edelsteine, die sich Kriemhild aus der Schatzkammer der Könige hatte geben lassen. Nach sieben Wochen hatten Kriemhild und ihre "werkspaehen", ihre kunstfertigen Mägde die Kleidung fertig, für jeden der Reisenden 12 Gewänder.

Eine Frage drängt sich dem modebewussten Leser dieser "Schneiderstrophen" auf: Seit wann kannte man am Wormser Hof diese edlen Seidenstoffe aus Arabien und die Methode der Herstellung von Brokat? Immerhin waren die Herkunftsländer Libyen und Marocko fern des westlichen Königtums in sarazenischer Hand, Sizilien wurde erst vom normannischen Grafen Roger I. dem Besitz der Heiden entrissen, 1061 Messina, 1072 Palermo, 1088 Syrakus. Diese Dynastie der Herren von Hauteville schufen ein normannisches Königreich, das mit seiner Seeherrschaft das oströmische und das arabische Reich bedrohte und auch die byzantinischen Seidenwerkstätten einschließlich des Personals mit Gewalt nach Palermo holte. Dort entstanden dann auch die Wunderwerke der Seidenstickerei, mit Borten unterlegt, von denen wir heute noch Zeugnisse besitzen: Bestes Beispiel ist der Krönungsmantel von Roger II., gefertigt 1134 in Palermo, der heute unter den deutschen Reichsinsignien in Wien aufbewahrt wird; sein Motiv: Ein Löwe schlägt ein Kamel, die Normannen besiegen die Sarazenen.

60 Jahre später ließ sich der Sieger über die Gegner des Römischen Reiches und Eroberer des Königreichs Sizilien, Kaiser Heinrich VI., in Palermo krönen: als Gatte der Normannin Konstanze wurde er zum Erben der sizilianischen Krone und des normannischen Reichsschatzes - dazu gehörte auch jener Krönungsmantel; zum Leidwesen seiner Gattin ließ er den Schatz nach Deutschland auf den Trifels transportieren. Seit dem Jahr 1195 verfügte der Wormser Hof über die Textilwerkstätten in Palermo und ihre Rohstoffquellen und Produkte. Diese hohe Kunst, wertvollste Stoffe aus Arabien für die Gewänder bei Hofe zu verarbeiten und durch kostbare Steine zu veredeln, mehrte den Glanz des Kaiserhofes; diese unübertrefflichen modernen Roben interessierten die adelige Hofgesellschaft ebenso, wie die Werke der Modeschöpfer heute auf die besseren Kreise der Gesellschaft wirken. Die Modevorstellungen galten natürlich nicht nur für die Herren, sondern auch die Damen und ihr Gefolge trugen die eleganten glänzenden Stoffe, die im Königreich Sizilien hergestellt wurden, so z.B. beim Empfang Brünhilds in Worms: "Die Damen schlangen kunstvoll aus arabischem Stoff gearbeitete kostbare lange Gürtel um hell schimmernde Kleider und herrliche Röcke aus Ferrandin-Stoff", berichtet der Dichter (NL B 576).

Die breite Darstellung der sizilianischen Hoftracht und des Schmuckes spiegelt den Glanz der Festtage und der Gesellschaft am Wormser Nibelungenhof nach dem Sizilienfeldzug im Jahr 1194 wieder. Der Dichter und sein Publikum interessierten sich keineswegs nur für die alten Mären und Mythen, sondern ebenso für Glanz und Glimmer, mit dem ihr Königshaus sich umgab. Die Kleidermode des Hofstaats, die den Rang der Helden und ihrer Damen wiederspiegelt, legt andererseits Zeit und Raum der Dichtung von den Nibelungen fest: Das Reich der Staufer hatte mit der Einnahme Siziliens seine größte Ausdehnung und Heinrich VI. die höchste Macht erreicht; damit war die Reichszeit zur Endzeit geworden. Auch Brünhilds Gürtel, der diese gegenüber den Werbern fast unbesiegbar gemacht hatte, wird beim Streit vor dem Wormser Dom zum Symbol des Endkampfes und Untergangs: Kriemhild trägt Brünhilds Gürtel, der von Siegfried in der Hochzeitsnacht geraubt wurde, provokativ in aller Öffentlichkeit und bezichtigt ihre Konkurrentin damit des vorehelichen Beischlafs mit Siegfried. Der gedemütigten Königin bleibt nur noch der Mordplan gegenüber Siegfried. Der modebewusste Dichter allerdings nutzt die Chance des Schauspiels vor dem Dom für die Beschreibung der detaillierten Gestaltung des Beweistücks: "Von Ninnivê der siden si den porten truoc mit edelem gesteine." Aus der sagenhaften Stadt am Tigris, die nach Aussage des Alten Testaments mit Volk und Königin dem Untergang geweiht war, stammt der edle Stoff des mythischen Gürtels, der entsprechend der Zeitmode mit Edelsteinen besetzt war.


Der Kampf um Brünhild, um die starke Königin des Nordens, die mit Hilfe Siegfrieds für den Wormser Hof gewonnen wird, sich aber sträubt, ist für den Zuhörer oder Leser um 1200 hoch aktuell, die Skandale und Bettgeschichten des englischen Königshauses sind es bis heute geblieben.



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Kontakt zum Autor: DrJBreuer@t-online.de

Veröffentlichungen:

Dieter Breuer und Jürgen Breuer: Mit spaeher rede: Politische Geschichte im Nibelungenlied.
München (Fink-Verlag)1995. 2.Aufl. 1996

Hans-Jürgen Breuer: Die politische Orientierung von Ministerialität und Niederadel des Wormser Raumes im Mittelalter
(Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 111)
Darmstadt und Marburg 1997.

Dieter Breuer und Jürgen Breuer: Das Nibelungenlied, die Reichsgeschichte und der Hof Kaiser Heinrichs VI. in Worms.
In: Nibelungenlied und Klage, Ursprung - Funktion - Bedeutung
Symposium Kloster Andechs 1995, München 1998, S. 245 - 263.

Jürgen Breuer: Bligger II. von Steinach, der Dichter des Nibelungenliedes.
Horb a. Neckar 1999.

Jürgen Breuer: Das historische Umfeld des Nibelungenlieds in Worms.
In: Ein Lied von gestern? Wormser Symposium zur Rezeptionsgeschichte des Nibelungenliedes
Worms 1999, S. 15 - 36.

Jürgen Breuer: Die Burgunden und ihr Wormser Hof im Nibelungenlied.
In: Die Nibelungen in Burgund, Symposium 2000
Worms 2001, S. 25 - 49.