Die
historischen Nibelungen

Eine Serie der Wormser Zeitung
von Dr. Jürgen Breuer

5.
Der Wormser Hof
und die Hofgesellschaft

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Bligger von Steinach, Codex Manesse, um 1330 ...



Der Dichter des Nibelungenliedes stellt in der ersten Aventiure die Mitglieder des Wormser Hofes vor, an dem Fräulein Kriemhild aufwächst, die über alle Maßen schöne Königstochter. Da Worms die Hauptstadt und der Königssitz von Burgund ist, muss die Hofgesellschaft der Würde der Burgondenkönige entsprechen; diese regieren nach dem Tod des Vaters Dankrat als Dreigestirn: Die jungen Könige Gunther, Giselher und Gernot werden von Dankwart, dem Marschall, Ortwin von Metz, dem Truchsess, Sindolt, dem Mundschenk, und Hunolt, dem Kämmerer, unterstützt (NL 11). Dies sind die vier traditionellen Hofämter, die so genannten Erzämter - des hochmittelalterlichen Königs- bzw. Fürstenhofes. Doch der Dichter benennt noch ein weiteres Hofamt, das im Reich erst seit etwa 1200 historisch belegt ist, das des Küchenmeisters: Rumolt ist der „magister coquinae“ in Worms. Gemeint ist hiermit kein Koch, sondern der Adelige, dem bei der Ankunft des Königs und seines Gefolges die Aufgabe der Organisation der Verpflegung oblag. Dieses „moderne“ Amt hat in der neueren Forschung zur Diskussion geführt, wo das Nibelungenlied entstanden ist, denn sowohl der Hof Philipps von Schwaben als auch der des Bischofs von Passau kannte um 1200 einen Küchenmeister.

Doch auch dem Wormser Hof gehörte um 1200 ein solcher Amtsinhaber namens Edelwin an, der den Königshof bei seinen häufigen Aufenthalten in der Nibelungenstadt zu bewirten hatte. Die vier klassischen Hofämter: Kämmerer, Marschall, Truchsess und Mundschenk, sind bereits im Hofrecht des Wormser Bischofs Burchard in der ersten Hälfte des 11. Jahrhunderts erwähnt.

Die in der ersten Aventiure – die Handschrift C überschreibt sie als die Aventiure von den Nibelungen – genannten Markgrafen Gêre und Ekkewart sowie der Berater Hagen von Tronege und der Spielmann Volker von Alzey gehörten ebenfalls zum mittelalterlichen Hofstaat. Die Herkunft Volkers deutet auf das Rittergeschlecht von Alzey, das zur Zeit der Staufer eine bedeutende Position am Wormser Hof einnahm und dessen redendes Wappen im 13. Jahrhundert tatsächlich das Fidel-Wappen ist. Auch das Geschlecht von Metz, das hier sogar einen eigenen Lehnshof unterhalten hat, ist keine reine Erfindung des Dichters, sondern ihm sicher begegnet und bekannt. Immerhin ist die Erschließung des Wormser Raumes durch die Karolinger von Metz aus erfolgt, das Kloster Lorsch wurde durch Mönche aus dem Metzer Raum, nämlich vom Kloster Gorze aus begründet, das bis zum 13. Jahrhundert nördlich von Worms noch Besitz hatte. Über die Pfeddersheimer Kirche verhandelte der Kustos und Schatzmeister des Wormser Doms Nibelung in der 2. Hälfte des 12. Jahrhunderts direkt mit den Gorzer Mönchen.

Der Wormser Königs- und Bischofshof hat somit entsprechend der Darstellung im Nibelungenlied tatsächlich existiert und zwar in der Ämterbenennung genau nach den Vorgaben des Nibelungenliedes; die Bestandsaufnahme des Hofes bezieht sich präzise auf die Zeit der Liedentstehung und ist in dieser Zeit nicht auf andere Fürstenhöfe übertragbar, auch nicht auf den Hof des Literaturmäzens Wolfger von Passau; dort gibt es nämlich nicht die Gesamtheit der traditionellen Hofämter. Der Dichter hatte somit die politische Struktur des Königshofes in Worms, der gleichzeitig Bischofshof war, ganz deutlich vor Augen. Ein Beispiel hierfür ist die Darstellung der Hochzeitsfeierlichkeiten in Worms, als Kriemhild ihren Siegfried erhält, Brunhild sich jedoch gegenüber Gunther bei der Pflicht der Erfüllung der Ehe sträubt, da sie Verrat wittert. Im Zusammenhang mit dieser Doppelhochzeit überträgt der Dichter es dem Bischof, die „frouwen“, die Herrinnen an die Tafel des Königs zu führen. Er weiß somit sehr genau, dass Worms im Hochmittelalter Bischofsstadt war.

Beim Wormser Königshof haben somit die kirchlichen und weltlichen Amtsinhaber gleichzeitig eine dienende, aber auch eine beratende Funktion. Als die drei Könige sich zum Besuch der Königsschwester Kriemhild am Hof Etzels entschließen, raten Hagen und der Küchenmeister Rumolt zunächst dringend von der Reise ab; sie werden aber vom Hof nicht erhört: Der König (Gunther) entscheidet mit seinen Mitkönigen gegen den besseren Ratschlag. Ihr Schicksal erfüllt sich bei dem Zug ins heidnische Land, im Lied ist es Etzels Hof, in der Historie sind es der Fluss Saleph und die Schlachtfelder Kleinasiens, auf denen u.a. auch der Minnedichter Friedrich von Hausen 1190 ums Leben kam. Die Herrschaftsgewalt des Dreigestirns fand hier ein jähes Ende. Die Illusion der Weltherrschaft, der Friedrich Barbarossa, Heinrich VI. und dessen Bruder Philipp von Schwaben nachhingen, erfüllte sich nicht. Die Stadt Worms hat nach dem Tod dieser drei Staufer ihre politische Bedeutung für das Reich weitgehend verloren.

Der Kampf um Brünhild, um die starke Königin des Nordens, die mit Hilfe Siegfrieds für den Wormser Hof gewonnen wird, sich aber sträubt, ist für den Zuhörer oder Leser um 1200 hoch aktuell, die Skandale und Bettgeschichten des englischen Königshauses sind es bis heute geblieben.



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Kontakt zum Autor: DrJBreuer@t-online.de

Veröffentlichungen:

Dieter Breuer und Jürgen Breuer: Mit spaeher rede: Politische Geschichte im Nibelungenlied.
München (Fink-Verlag)1995. 2.Aufl. 1996

Hans-Jürgen Breuer: Die politische Orientierung von Ministerialität und Niederadel des Wormser Raumes im Mittelalter
(Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 111)
Darmstadt und Marburg 1997.

Dieter Breuer und Jürgen Breuer: Das Nibelungenlied, die Reichsgeschichte und der Hof Kaiser Heinrichs VI. in Worms.
In: Nibelungenlied und Klage, Ursprung - Funktion - Bedeutung
Symposium Kloster Andechs 1995, München 1998, S. 245 - 263.

Jürgen Breuer: Bligger II. von Steinach, der Dichter des Nibelungenliedes.
Horb a. Neckar 1999.

Jürgen Breuer: Das historische Umfeld des Nibelungenlieds in Worms.
In: Ein Lied von gestern? Wormser Symposium zur Rezeptionsgeschichte des Nibelungenliedes
Worms 1999, S. 15 - 36.

Jürgen Breuer: Die Burgunden und ihr Wormser Hof im Nibelungenlied.
In: Die Nibelungen in Burgund, Symposium 2000
Worms 2001, S. 25 - 49.