Die
historischen Nibelungen

Eine Serie der Wormser Zeitung
von Dr. Jürgen Breuer

2.
Die Herkunft der Nibelungen


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Bligger von Steinach, Codex Manesse, um 1330 ...



Woher kam diese Familie mit dem Leitnamen Nibelung, die länger als ein Jahrhundert wichtige geistlichen Ämter in Worms besetzen konnte, sowohl im Paulusstift als auch im Domstift und die den Lieddichter bewegen konnte, sein Programm in der letzten Strophe als "der nibelunge liet" zusammenzufassen?

Den entscheidenden Hinweis gibt bereits der Dichter, wenn er Worms als die Hauptstadt von Burgund und die Burgonden im zweiten Teil seines Liedes als Nibelungen bezeichnet. Die Familie der Nibelungen war im 8. und 9. Jahrhundert in Burgund ansässig und politisch im Grafenamt tätig. Das Gedächtnis des Dichters reicht somit zurück in den Zeitraum der fränkischen Geschichte, als der Vater Karls des Großen, der Hausmeier Pippin, sich durch einen eigenwilligen Akt zum König erhob (751 n. Chr.). In der wichtigsten Quelle, die über die Ereignisse am fränkischen Königshof berichtet, der sog. Fredegar, wird als amtlicher und vom neu begründeten Königshaus beauftragter Redakteur Graf Nibelung von Burgund erwähnt, der Pippins und Karls Taten bis zu dessen Königserhebung aufzeichnen ließ. Dieser Graf Nibelung entstammte selbst dieser Familie, die mit Karl dem Großen später Europa beherrschen sollte: Sein Vater Hildebrand, der Begründer der Nibelungendynastie, hatte das Werk der fränkischen Geschichtsschreibung vor 751 selbst betrieben; er war der Halbbruder Karl Martells und mit ihm als Vorkämpfer gegen die Sarazenen in die fränkische Geschichte eingegangen. Bekannt aus dem Geschichtsunterricht ist vielen die Schlacht bei Tours und Poitiers (732), die den ersten großen Sieg der Franken über die Araber bedeutete und an der Nibelungs Vater, der burgundische Graf Hildebrand, maßgeblich beteiligt war.

Die familiären Verbindungen Karls des Großen und der Nibelungen zum ostfränkischen Reichsteil werden unter anderem durch die Vermählung Karls mit seiner Gattin Fastrada im Jahr 783 in Worms deutlich, seine vielfältigen Aufenthalte in Worms, etwa 15 vor seiner Kaiserkrönung im Jahr 800, zeigen sein politisches Engagement für den Wormser Raum, von wo aus auch die Sachsenkriege stattgefunden haben, die zum Thema der 4. Aventiure des Nibelungenliedes geworden sind. Die Familie der Nibelungen nahm zu dieser Zeit die bedeutende Aufgabe der Unterstützung des karolingischen Herrschaftsanspruchs wahr, so wurde z.B. auch Kloster Lorsch auch von der Familie der Nibelungen gefördert. Der Schwerpunkt der politischen Betätigung der Familie liegt allerdings in Burgund. Als das Reich Karls des Großen in Teilkönigtümer verfiel, konnten dort Angehörige der Nibelungendynastie, z.B. Richard und Boso, als Könige über Teilreiche von Burgund herrschen. Diese Königreiche wurden schließlich durch das Königspaar Beatrix von Burgund und Friedrich Barbarossa übernommen und dem deutschen Reich eingefügt. Friedrich Barbarossa und seine Söhne Friedrich und Heinrich wurden im politischen Verständnis der Zeit unserer Dichtung nicht nur zu den Königen von Burgund, sondern zu den Herren über die Nibelungen und zu den Erben der Macht dieses Volkes, verkörpert durch das Nibelungenschwert Balmung und den Staatsschatz, der nach dem Bericht des Liedes aus Gold und Steinen bestand, wie sie beispielhaft nach den Zahlenangaben des Dichters in der Reichskrone verarbeitet sind; sie können heute noch in der Wiener Schatzkammer bewundert werden.

Nachfahren jener mächtigen Adeldynastie finden wir über das Westreich und Burgund verstreut, in Worms als Bischofsstadt des Hochmittelalters wurden sie zu hohen kirchlichen Ämtern berufen: Das des Kustos und Thesaurarius, des Finanzverwalters des Domstiftes, hat den Nibelung als Zeitgenossen der staufischen Herrscher Konrad III. und Barbarossa wohl nicht immer erfreut, weil in dieser Zeit zugunsten der Repräsentation der Reichsgewalt die Gelder der Wormser Stifte zu sehr in Anspruch genommen wurden. Dennoch sah dieser Nibelung den Herrschaftsanspruch seiner Könige als göttliches Recht und beurteilte die zentrale Rolle von Worms als Stadt der Staufer auch im geistlichen Sinn als positiv: Davon zeugt der Bildteppich, den Nibelung im Dom aufhängen ließ und der die Werke der Könige zugunsten der Kirche würdigt. Der Text ist uns überliefert. Insofern haben die Nibelungen Reichkrone und Reichsschwert ebenso gewürdigt, wie der Dichter sie indirekt im Lied beschrieben hat, der Nibelungenschatz ist mit derselben Zahlensymbolik 12 : 4 : 3 beschrieben, wie wir sie auf der Reichskrone in der Anordnung der Steine zur Verehrung des himmlischen Jerusalem wiederfinden.


Der Kampf um Brünhild, um die starke Königin des Nordens, die mit Hilfe Siegfrieds für den Wormser Hof gewonnen wird, sich aber sträubt, ist für den Zuhörer oder Leser um 1200 hoch aktuell, die Skandale und Bettgeschichten des englischen Königshauses sind es bis heute geblieben.



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Kontakt zum Autor: DrJBreuer@t-online.de

Veröffentlichungen:

Dieter Breuer und Jürgen Breuer: Mit spaeher rede: Politische Geschichte im Nibelungenlied.
München (Fink-Verlag)1995. 2.Aufl. 1996

Hans-Jürgen Breuer: Die politische Orientierung von Ministerialität und Niederadel des Wormser Raumes im Mittelalter
(Quellen und Forschungen zur hessischen Geschichte 111)
Darmstadt und Marburg 1997.

Dieter Breuer und Jürgen Breuer: Das Nibelungenlied, die Reichsgeschichte und der Hof Kaiser Heinrichs VI. in Worms.
In: Nibelungenlied und Klage, Ursprung - Funktion - Bedeutung
Symposium Kloster Andechs 1995, München 1998, S. 245 - 263.

Jürgen Breuer: Bligger II. von Steinach, der Dichter des Nibelungenliedes.
Horb a. Neckar 1999.

Jürgen Breuer: Das historische Umfeld des Nibelungenlieds in Worms.
In: Ein Lied von gestern? Wormser Symposium zur Rezeptionsgeschichte des Nibelungenliedes
Worms 1999, S. 15 - 36.

Jürgen Breuer: Die Burgunden und ihr Wormser Hof im Nibelungenlied.
In: Die Nibelungen in Burgund, Symposium 2000
Worms 2001, S. 25 - 49.